Offener Brief an Sigmar Gabriel
EWS fordern den Minister auf, Klage gegen Atomsubventionen einzureichen
Die Netzkauf EWS eG, die Unternehmen der EWS und die Schönauer Energie-Initiativen haben Sigmar Gabriel in einem offenen Brief aufgefordert, seinem Statement gegen Atomsubventionen in Europa Taten folgen zu lassen und eine Klage der Bundesregierung vor dem EuGH gegen die EU-Bewilligung der Hinkley-Point-Subventionen zu forcieren.
Herrn
Bundesminister Sigmar Gabriel
Scharnhorststr. 34 – 37
10115 Berlin
Hinkley Point C und Atomkraftausbaupläne in Europa
Schönau, den 24.3.2015
Sehr geehrter Herr Bundesminister Gabriel,
mit großer Freude haben wir kürzlich vernommen, dass Sie sich strikt gegen die Förderung von Atomenergie durch die EU ausgesprochen haben und die Zustimmung Deutschlands in den EU-Gremien verweigern wollen.
Die Verfasser dieses Briefes, die Netzkauf EWS eG, die Unternehmen der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und die Schönauer Energie-Initiativen, arbeiten seit Tschernobyl – also seit beinahe dreißig Jahren – für den Atomausstieg und für eine ökologische und bürgernahe Energieversorgung. Im Jahr 2011 durften wir den Innovationspreis von SPD und AGS aus Ihrer Hand entgegennehmen.
Heute wenden wir uns mit der Bitte an Sie, auch gegen die Entscheidung der EU-Kommission «Support SA.34947» vom 8. Oktober 2014 vorzugehen und die Klage des Landes Österreich vor dem EuGH zu unterstützen. Die Europäische Kommission hat mit dieser Entscheidung massive staatliche Beihilfen für ein neues Atomkraftwerk im englischen Hinkley Point genehmigt. Die britische Regierung sieht vor, der Betreibergesellschaft EDF eine Vergütung von rund 11 Cent pro Kilowattstunde dort erzeugten Atomstroms zu sichern. Diese Garantievergütung soll über einen Zeitraum von 35 Jahren gewährt werden, hinzu kommt noch ein jährlicher Inflationsausgleich sowie Kompensationszahlungen für den Fall einer energiepolitischen Richtungsänderung. Nach Berechnungen der Financial Times wächst die Garantievergütung bis zum Ende des Förderzeitraums auf 35 Cent je Kilowattstunde.
Nur durch diese skandalösen Subventionen wird der Bau unrentabler Atomreaktoren möglich. Was eindrücklich beweist, dass die Atomenergie selbst 60 Jahre nach Beginn der zivilen Nutzung noch immer vollkommen unwirtschaftlich ist. Doch nicht nur die exorbitanten Kosten, auch die immensen Gefahren dieser Hochrisikotechnologie und die unlösbare Frage der Atommüllentsorgung werden auf die Bürgerinnen und Bürger abgewälzt. Zugleich werden durch diese Beihilfegewährung die Erneuerbaren Energien als klima- und verbraucherfreundliche Alternative massiv benachteiligt und ausgebremst. Damit bricht die EU-Kommission nicht nur mit der klaren atomkritischen Position vieler Mitgliedsstaaten, sondern auch mit ihrer eigenen Linie:
Noch im Dezember 2013 sprach sie sich explizit dagegen aus, die Atomenergie aufgrund angeblich geringer CO2-Emissionen als umweltfreundliche Technologie anzuerkennen – heute soll sie mit ebendieser Begründung gefördert werden.
Auch das Strategiepapier zur Energie-Union, welches der Energiekommissar Miguel Arias Cañete und der Vizepräsident der EU-Kommission Maroš Šefčovič Mitte Februar vorstellten, weist den Weg in eine massive Subventionspolitik zugunsten der Atomindustrie und zulasten der Steuerzahler: Ein wesentlicher Baustein der vorgelegten Strategie soll die Nutzung der Atomenergie sein. Damit wird offenbar, was sich schon seit einiger Zeit angekündigt hatte: Während viele EU-Länder aus der Atomkraft aussteigen oder bereits ausgestiegen sind, wird auf europäischer Ebene ein breit angelegter Einstieg in die Atomenergie forciert: Kommissionsvize Šefčovič kündigte bereits an, er werde noch dieses Jahr «einen illustrativen Ausbauplan» für AKWs in Europa vorlegen. Zudem wurde durch die Presse bekannt, dass das geplante 300 Milliarden Euro schwere Wachstumspaket der EU voraussichtlich eine ganze Reihe von Atomprojekten enthalten wird: Zwischen 80 und 100 Milliarden Euro sollen in den Neubau und die Nachrüstung von Atomreaktoren fließen.
So ist schon heute klar: Die Bewilligung der höchst umstrittenen Beihilfen für das neue britische AKW Hinkley Point C durch die EU-Kommission wird wegweisend für weitere Atomprojekte in anderen Mitgliedsstaaten sein, wenn diese energie- und wettbewerbspolitisch nicht nachvollziehbare Entscheidung Bestand hat. Daher sehen wir gerade in dieser Beihilfebewilligung den Einstieg in eine europäische Subventionspolitik für die Atomenergie, gegen die Sie sich dankenswerterweise entschieden ausgesprochen haben.
Schließt Deutschland sich der Klage der Republik Österreich gegen die Entscheidung der EU-Kommission an, so ist dies ein klares Signal gegen den anachronistischen Ausbau der Atomenergie in Europa. Dies würde mit Sicherheit nicht nur eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, sondern gerade auch die Bürgerinnen und Bürger begrüßen, die sich unserer Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Beihilfebewilligung für Hinkley Point C bereits angeschlossen haben. Mit der Unterstützung von 30 Umweltinitiativen haben schon jetzt rund 63.000 Menschen auf unserer Kampagnenseite Beschwerde eingelegt. Hinzu kommen noch rund 7.000 Beschwerden, die postalisch eingegangen sind.
Lieber Herr Gabriel, lassen auch Sie Ihren Worten Taten folgen! Noch kann die Bundesregierung gegen die Entscheidung der EU-Kommission für die Beihilfegenehmigung für Hinkley Point C vor dem EuGH klagen – und damit den entscheidenden Wendepunkt in der europäischen Energie- und Klimapolitik mitgestalten. Wir denken, die Staaten Europas, die sich klar für den Atomausstieg ausgesprochen haben, sollten sich gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern solidarisch zeigen, um den Einstieg in ein neues nukleares Zeitalter in Europa zu verhindern.
Mit herzlichen Grüßen aus Schönau
Sebastian Sladek