Neue Studie zu Redispatch
Wachsende Herausforderungen fürs deutsche Stromsystem
Zunehmende Transportengpässe im deutschen Stromnetz machen teure, Redispatch genannte Systemausgleichmaßnahmen notwendig. Eine neue Studie des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag der EWS Elektrizitätswerke Schönau eG quantifiziert und analysiert die negativen Auswirkungen des Redispatch und zeigt Lösungsansätze auf.
Das Problem der Netzengpässe
Unser Stromsystem ist im Wandel hin zu immer mehr Erneuerbaren Energien – das ist eine gute Nachricht! Allerdings kommt es beim Stromtransport immer häufiger zu Netzengpässen. In diesen Fällen müssen die Netzbetreiber Engpassmanagementmaßnahmen durchführen, um einen Systemausgleich sicherzustellen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um den sogenannten Redispatch. Das bedeutet zum Beispiel: Im Norden werden Windenergieanlagen abgeregelt und jenseits des Netzengpasses im Süden müssen – zumeist fossile – Kraftwerke hochgefahren werden, um die Stromversorgung vor Ort zu gewährleisten. Der gesamte Bedarf an Engpassmanagement ist 2022 im Vergleich zu 2021 um 19 Prozent von 27.523 GWh auf 32.772 GWh angestiegen. Die Kosten hierfür beliefen sich 2022 auf 4,2 Milliarden Euro, wovon mit 2,69 Mrd. Euro alleine 2/3 auf den Redispatch zurückzuführen sind. Im Vergleich zu 2013 sind die Gesamtkosten um 1.900 Prozent angestiegen; die des Redispatchs haben sich sogar um 2.345 Prozent erhöht. Zu dieser Sachlage hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag der EWS Elektrizitätswerke Schönau in einer Studie Zahlen, Daten und Fakten zusammengetragen und diese detailliert untersucht und analysiert.
Soziale und ökologische Folgen
Der Transportbedarf für Strom steigt stetig, da immer mehr dezentrale, erneuerbare Stromerzeugungskapazitäten zugebaut werden. Gleichzeitig gibt es aber kaum systemische Anreize, den Strom aus diesen Anlagen lastnah zu verbrauchen. Zudem sind die EE-Anlagen in Deutschland bislang sehr ungleichmäßig verteilt und der notwendige Netzausbau verläuft sehr schleppend. So befindet sich die leistungsstarke Windenergie mehrheitlich in Norddeutschland und auf hoher See und damit fern von den Orten, an denen aktuell sehr viel Strom verbraucht wird, zum Beispiel in den Industriezentren im Süden von Deutschland. Die Folge ist: Große industrielle Verbraucher im Süden können aufgrund der einheitlichen Strompreiszone in Deutschland den Windstrom aus dem Norden in großen Mengen preisgünstig einkaufen, obwohl dieser wegen fehlender Netzkapazitäten nicht zu den südlichen Industriezentren transportiert werden kann. Bezahlt werden sowohl die Betreiber der abgeregelten Stromerzeugungsanlagen als auch die Lieferanten des fossilen Ersatzstroms. Die daraus resultierenden Kosten gibt der Netzbetreiber über die Netzentgelte an alle Stromverbraucher:innen weiter. Da insbesondere große industrielle Verbraucher unter anderem von Rabatten bei den Netzentgelten profitieren, fallen die durchschnittlichen Netzentgelte für Haushaltsverbraucher fast dreimal so hoch aus wie für industrielle Verbraucher. Die privaten Haushalte tragen damit in Relation zum Stromverbrauch die meisten Kosten. «Nicht nur, dass große industrielle Verbraucher im aktuellen System vom Bezug des kostengünstigen Windstroms aus dem Norden profitieren, sie werden zudem mit rabattierten Netzentgelten immer noch fürstlich dafür belohnt, Strom gleichmäßig zu verbrauchen, was bei dem wachsenden Anteil von volatiler Einspeisung heute aber gar nicht mehr sinnvoll ist. Während sich mit der Debatte über die Industriestrompreise schon die nächsten Lorbeeren für die Industrie andeuten, werden diese systemimmanenten Subventionstatbestände von Teilen der Bundesregierung offenbar völlig ausgeblendet», sagt EWS-Vorstand Sebastian Sladek. Auch der negative ökologische Impact des Redispatch ist wesentlich. 2022 kam es durch die Ersatzerzeugung des Stroms mit fossilen Kraftwerken zu Mehremissionen von ca. 1,04 Mio. Tonnen CO2.
Regulatorische und marktbasierte Lösungsansätze
Die Studienautor:innen kommen nach Analyse aller Fakten zu dem Schluss, dass eine zügige Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig ist, um die Menge an Engpassmanagementmaßnahmen wirksam zu begrenzen, denn diese gehen zu Lasten der privaten Verbraucher:innen und nicht zuletzt des Klimas. Da der Netzausbau nicht in der notwendigen Schnelligkeit vorangeht, ist es notwendig, die Marktregeln so anzupassen, dass sie die physikalische Realität des Strommarktes besser abbilden. Hier können sowohl regulatorische als auch marktbasierte Ansätze einen wesentlichen Beitrag leisten.
Eine sinnvolle und gebotene Möglichkeit im Rahmen der Regulatorik wäre, die Netzentgeltsystematik so anzupassen, dass die Systemkosten fair zwischen den Verbrauchergruppen und auch regional gerecht verteilt werden. Letzteres könnte zum Beispiel geschehen, indem Regionen von Redispatchkosten entlastet werden, in denen bereits sehr viele Erneuerbare Energieanlagen errichtet wurden. Auch die Möglichkeit, die einheitliche deutsche Strompreiszone in mehrere kleinere Gebotszonen aufzuteilen, sollte gemäß den Studienautor:innen bei einer effizienten Ausgestaltung den verstärkten Zubau von Erneuerbaren im Süden anreizen und auch zu einer verstärkten Nutzung von Flexibilitäten führen. «Die Studie verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Anpassung des aktuellen Strommarktdesigns. Ein «weiter wie bisher» zementiert nicht nur soziale und ökologische Missstände, sondern wird das System über kurz oder lang implodieren lassen, da Markt und Physik immer weiter auseinanderlaufen. Es braucht schnell konkrete Maßnahmen für eine faire Kostenverteilung und effiziente Preissignale für den dezentralen, lastnahen Ausbau der Erneuerbaren Energien», so Sebastian Sladek.
Medien
Studie «Redispatch im deutschen Stromsystem - Hintergründe, Kostenverteilung, Emissionen»
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