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Wo Tier- auch Klimaschutz ist

Ein Bericht von Benjamin von Brackel

Wälder und Savannen bilden wichtige Kohlenstoffspeicher – solange Tier- und Pflanzenwelt dort in Balance sind. Mancherorts kippt das Gleichgewicht schon.

Im Jahr 2007 machte Eric Dinerstein eine beängstigende Erfahrung: Der damalige Chefwissenschaftler des World Wildlife Fund in den USA streifte auf einer Forschungsreise durch die Nationalparks in Vietnam. Er betrat Wälder, die auf den ersten Blick völlig normal erschienen. Doch nach einer Weile bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. «Ich wanderte den ganzen Tag durch diese Parks, aber weder sah noch hörte ich irgendwelche Tiere», erzählt der US-amerikanische Wildtierbiologe.

Durch stumme Wälder

Ein Mann Mitte vierzig steht an die Wand gelehnt und schaut in die Kamera.
Der Biologe und Artenschützer Dr. Eric Dinerstein Foto: Julie Ann Woodford

Anfang der 1990er-Jahre beschrieben Biologen erstmals das Phänomen der «leeren Wälder», die zwar bei oberflächlicher Betrachtung intakt wirken, dabei aber einen Großteil ihrer Wildtiere verloren haben – weil der Mensch sie ihrer Häute, Felle oder ihres Fleisches wegen nahezu ausgerottet hat. Mit gravierenden Folgen für den ökologischen Kreislauf: Fehlen Fruchtfresser, werden keine Samen mehr verteilt, ohne die Raubtiere nehmen Pflanzenfresser überhand. Unausweichlich, dass sich daraufhin auch die Wälder selbst verändern. Und das beeinträchtigt viele ihrer unzähligen Funktionen für unser Ökosystem erheblich. Eine davon ist für den Menschen ganz besonders wichtig: der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen.

Die Umweltpolitik hat seit Langem erkannt, dass es nicht nur darauf ankommt, sich möglichst schnell von den fossilen Energien zu lösen, um den Klimawandel zu begrenzen. Ebenso wichtig ist der Schutz der Wälder, die riesige Mengen an Treibhausgasen aufnehmen. Allein die Tropenwälder speichern rund 40 Prozent des Kohlenstoffs auf der Landoberfläche. Ihre Entwaldung trägt jedes Jahr zu 7 bis 17 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen bei. Wer also das Klima schützen will, muss auch die Wälder schützen.

Eine zusätzliche Bedrohung für das Klima

Allerdings – und das steht auf den UN-Klimagipfeln bisher nicht auf der Agenda – kommt es nicht nur darauf an, wie viel Wald und naturbelassenes Grasland es gibt, sondern auch darauf, was darin lebt. Die Umweltwissenschaften haben in den vergangenen Jahren zunehmend die Bedeutung der Tiere für den Klimaschutz erkannt, egal ob diese in den borealen Nadelwäldern des hohen Nordens, in den Tropenwäldern oder in den Savannen Afrikas leben. Ohne die dortigen Tiere kann die Biosphäre ihre Fähigkeit verlieren, Kohlendioxid zu binden. Denn sie befördern die Verteilung der Baumsamen, sie halten die Grassavannen klein und verhindern damit Brände – und sie verfrachten riesige Mengen Kohlenstoff in den Boden. Wissenschaftler bezeichnen den Verlust der Tiere durch Wildtierjagd, Abholzung und Brände deshalb als «zusätzliche, stille Bedrohung» für unser Klima.

Nach seinen ernüchternden Erlebnissen in Vietnam fuhr Eric Dinerstein durchs halbe Land in den Süden bis zum «Nationalpark Cát-Tiên». Zumindest dieser wurde gut geschützt, weswegen der Biologe hoffte, dass er wenigstens noch hier auf Leben in den Wäldern stoßen würde. Nachdem er den Fluss überquert hatte, der einige Dörfer vom Park abgrenzte, drang ihm aus der dichten Waldwand eine wahre Explosion an Vogelstimmen entgegen. Darunter die der farbenprächtigen Nashorn- und Bartvögel. «O mein Gott», dachte sich Dinerstein in dem Moment, «so muss sich das eigentlich anhören!»

Eine Flusslandschaft, von dichtem tropischen Wald gesäumt
Der «Nationalpark Cát Tiên» beherbergt einen der größten verbliebenen tropischen Regenwälder Vietnams. Foto: Sven / Adobe Stock
Ein kleiner grüner Vogel mit einem roten Schnabel sitzt aufgeplustert am Ende eines Astes und schaut in die Landschaft.
Hier finden sich noch die unterschiedlichsten Tierarten, darunter der farbenprächtige Bartvogel. Foto: Allan Drewitt / Flickr
Ein schwarz-weiß-gelber großer Vogel hält in seinem langen gebogenen Schnabel eine Frucht und steht flatternd in der Luft.
Außerdem gibt es dort Nashornvögel: Sie fressen die Früchte bestimmter Bäume und scheiden die Samen wieder aus. So werden sie zu Saathelfern. Foto: Angad Achappa

Wie Nashörner zum Erhalt der Tropenwälder beitragen

In der Nähe des Parks lebten neben Affen und Elefanten auch die bedrohten Java-Nashörner. Diese fraßen mit Vorliebe die von den Bäumen gefallenen Früchte mit großen Samen. Dinerstein wusste, dass die Java-Nashörner ein begehrtes Ziel von Wilderern waren und ihre Population zusehends schrumpfte. Das beunruhigte ihn sehr, aufgrund der wichtigen Rolle, die die Nashörner für die Wälder spielten.

Mit Nashörnern kennt sich Dinerstein aus. In Nepal hat er Jahre damit verbracht, ihre Hinterlassenschaften zu analysieren. Er hat den Dung gemessen, gewogen und die Samen darin gezählt und begutachtet. Es stellte sich heraus, dass diese nicht nur die Reise durch die Verdauungsorgane des Dickhäuters unbeschadet überstanden: Wurden sie wieder ausgeschieden, dann half ihnen der Kot auch als nahrhafte Starthilfe, um für ein kräftiges Wachstum der Triebe sorgen zu können.

«Als ich begann, die Nashörner zu studieren, fiel mir auf, wie viele Früchte sie aßen und wie viel Dung sie produzierten», erzählt Dinerstein, der heute das «Biodiversity and Wildlife Solutions Program» der NGO «Resolve» leitet. Wenn also die Nashörner in Asien verschwinden, dann verschwinden mit ihnen auch die an sie angepassten Bäume wie die Art «Trewia nudiflora» – die häufigste Baumart entlang von Flussläufen im Tiefland von Nepal.

Ein Nashorn ragt aus dem Dickicht, und ist mit offenem Maul im Begriff von einem Busch etwas abzureißen.
Nashörner, wie hier im «Chitwan-Nationalpark» in Nepal, sind weltweit durch Wilderei bedroht. Foto: Denise / Adobe Stock
Drei große grüne pelzige Früchte an einem Baum.
Auch der in Nepal häufige «falsche weiße Teakbaum» verbreitet sich, indem Nashörner seinen Samen verteilen. Foto: Vinayaraj / Wikimedia
Ansicht eines dichten Regenwaldes. Im Hintergrund Nebelschwaden und sich erhebende Berge.
Der Pflanzenreichtum der tropischen Regenwälder ist stark von den tierischen Samenverteilern abhängig – ohne sie droht Verarmung. Foto: Softlight
Ein kleiner Elefant reckt sich zu einem Baum hoch und reißt einen belaubten Ast ab.
Wenn Waldelefanten wie hier im «Yok-Don-Nationalpark» in Vietnam verschwinden, bedroht das auch die Baumriesen des Regenwalds. Foto: DorSteffen

Große Früchtefresser: unersetzliche Helfer bei der Aussaat

Besonders die Baumriesen in den tropischen Regenwäldern mit ihren großen Samen sind geradezu abhängig von den großen früchtefressenden Tierarten, die ihre Kiefer oder Schnäbel weit genug aufreißen können, um ganze Früchte und Samen zu verschlingen und anderswo wieder auszuscheiden. Verschwinden Vögel, Tapire und Waldelefanten aber aus den Tropenwäldern, verschwinden ausgerechnet diejenigen Bäume, die ihre Äste besonders weit in den Himmel strecken und eine hohe Holzdichte aufweisen, also besonders viel Kohlendioxid speichern.

Durch den Verlust der Baumriesen könnten die tropischen Regenwälder bis zu zwölf Prozent weniger CO2 aufnehmen, hat die Ökologin Carolina Bello und ihr Team von der «Universidade Estadual Paulista» in São Paulo mithilfe von Simulationen im Atlantischen Regenwald in Brasilien herausgefunden. Sie vermuten deshalb sogar, dass eine Rückverwilderung in den Tropenwäldern mehr zum Klimaschutz beitragen könnte als Aufforstungsprogramme.

Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie brüchig die Kohlenstoffspeicherung in den tropischen Wäldern ist.

Carolina Bello, Ökologin an der «Universidade Estadual Paulista», São Paulo

Wildtierjagd gefährdet auch das Klima

Portrait eines orange-schwarz gestreiften Tigers.
Hüter der Wälder: der Sumatra-Tiger Foto: Boaz Yunior Wibowo / Dreamstime

In den vergangenen Jahren hat die Wildtierjagd in den Tropenwäldern weiter massiv zugenommen. Fast ein Fünftel aller Wirbeltiere dort sind deshalb bedroht, unter ihnen vor allem die größten Arten. Beispiel Tiger: Bis heute hält die Jagd auf die Raubkatzen an, weil ihr Fell als Dekoration und für Kleidung genutzt wird – und ihre Knochen für «Medizin». Gleichzeitig schrumpft ihr Lebensraum, weil sich Siedlungen und Landwirtschaftsflächen ausbreiten. Wie auf Sumatra, wo für Palmölplantagen immer mehr Platz beansprucht wird. Einst umfasste das Verbreitungsgebiet der Tiger fast ganz Indien sowie große Teile Chinas und Südostasiens. Von dieser Fläche sind gerade einmal sieben Prozent übrig – und das geht einher mit einem höheren CO2-Ausstoß.

US-Naturschutzbiologen haben mithilfe von Satellitenmessungen der Vegetation berechnet, dass Wälder, die Tiger beherbergen, eine dreimal so hohe Kohlenstoffdichte aufweisen wie Wälder und degradierte Flächen, auf denen die Tiger ausgerottet worden sind – was vor allem daran liegt, dass viele Menschen sich dann doch fürchten, in Wälder einzudringen, in denen Raubkatzen leben.

Wie ein Käfer Biotope zu Kohlenstoffsenken macht

Auf ganz andere Weise tragen Tiere in der Serengeti zum Klimaschutz bei: Wilderei und Rinderpest rafften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts drei Viertel der damals 1,2 Millionen Gnus dahin. Infolgedessen konnten die Gräser in die Höhe sprießen – bis die Trockenzeit kam und fast die gesamte Vegetation Jahr für Jahr abbrannte. Nachdem 1963 die Rinder rund um den Serengeti-Nationalpark geimpft wurden, konnte sich der Gnu-Bestand Tansanias wieder erholen. Die Tiere knabberten die Gräser fleißig ab, verdauten sie und schieden die Pflanzenreste wieder aus. Spätestens nach dem nächsten Brand würde der gebundene Kohlenstoff aber erneut in die Luft freigesetzt werden – wäre da nicht ein bis zu fünf Zentimeter langer, violett-schwarz glänzender Käfer, der den Dung zu Kügelchen rollt und zusammen mit seinen Eiern im Boden verbuddelt. Die Rede ist vom Mistkäfer, welcher den Kohlenstoff in der Erde speichert und damit einen großen Dienst an der Menschheit leistet.

Europäische Ökologen haben berechnet, dass der Beitrag des Mistkäfers für den Klimaschutz in den Tropen am größten ist. Dort kann der kleine Krabbler die Mehrheit des frischen Dungs innerhalb von Tagen unter die Erde befördern. Auf den Weiden in den gemäßigten Breiten hingegen würde ein erheblicher Anteil über die ganze Saison liegen bleiben und damit im Laufe der Zeit das gebundene Methan wieder freigesetzt, so das Ergebnis der Studie, die 2016 im Fachjournal «Scientific Reports» erschienen ist. Allerdings ließen sich beispielsweise in Finnland bei traditioneller Bewirtschaftung immerhin noch bis zu zwölf Prozent der Treibhausgase durch Rinder- und Kuhhaltung einsparen – alleine durch den Beitrag des Mistkäfers.

Ein großer schwarzer Käfer bewegt mit den Hinterbeinen eine große Kugel aus Dung und Erde.
Mistkäfer rollen den Dung von Weidetieren unter vollem Körpereinsatz zu Kugeln. Foto: Papa Bravo
Ein schwarzer Käfer buddelt in der Erde, um eine von ihm gerollte Kugel zu vergraben.
Indem sie den frischen Dung zusammen mit ihren Eiern im Boden vergraben, binden sie dort den Kohlenstoff. Foto: Danielle / Adobe Stock
Zwei halb abgetragene Kothaufen sind belagert von mehreren bläulich schwarzen Mistkäfern.
So leisten die Mistkäfer einen großen Beitrag zum Klimaschutz. Doch die Intensivierung der Landwirtschaft bedroht deren Bestände. Foto: Giulio Mignani
In der Weite einer afrikanischen Savannenlandschaft stehen hunderte dunkelbraune Tiere, etwa so groß wie Rinder, im gelben Gras und äsen.
Gnus in Ostafrika halten die Gräser kurz und verhindern damit, dass die Savanne Feuer fängt. Foto: Oleg Znamenskiy

Bedrohtes Gleichgewicht der Tier- und Pflanzenarten

Doch ausgerechnet dieser kleine Klimaschützer ist bedroht: Die Autoren um Eleanor M. Slade von der Universität Helsinki stellen besorgt fest, dass die Mistkäferpopulationen sowohl in den gemäßigten als auch in den tropischen Breiten bereits massiv eingebrochen seien, und zwar aufgrund der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft und des Verschwindens von Weideland. Allein in Finnland ist die Mistkäferpopulation um über die Hälfte geschrumpft.

Am schwerwiegendsten aber ist ihr Verlust in den Ländern Afrikas, in denen die Weidetiere überwiegend im Freien grasen und über ein Drittel der in der Landwirtschaft produzierten Treibhausgase verursachen. Wie in Tansania, wo der Mistkäfer den Dung der Gnus unter die Erde befördert. Die Gnus wiederum äsen die Gräser ab, weshalb diese nicht mehr so hoch wachsen und somit seltener Feuer fangen. Nur deshalb verwandelte sich die Serengeti von einer Kohlenstoffquelle in eine Kohlenstoffsenke. Wissenschaftler um Oswald J. Schmitz vom Institut für Wald- und Umweltstudien an der Yale University in New Haven haben berechnet, dass diese Reduktion in etwa die gesamten jährlichen Kohlenstoffemissionen Ostafrikas aufwiegt.

Vordringen der Zivilisation gefährdet Reservate

Allerdings droht das Pendel erneut in die andere Richtung auszuschlagen: Rund um den Nationalpark nimmt die Besiedlung durch Menschen massiv zu, weshalb Hirten ihre Weidetieren immer näher an das einzigartige Ökosystem heranführen – oder sogar hinein. Das bemerkte Joseph O. Ogutu, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim, als er Luft- und Satellitenaufnahmen der Gegend auswertete und zahlreiche Trittpfade von Schafen, Ziegen und Rindern entdeckte, die in die Schutzzonen führen. «Menschliche Aktivitäten in den Randzonen sind es, die die Wildtiere immer tiefer in die Kernbereiche des Parks treiben», sagt Ogutu. Und dieser Druck von außen habe massive Folgen für das Ökosystem: «Die Wanderungen der Tiere sind gestört, das Feuerregime verändert sich, und die Fruchtbarkeit der Böden geht zurück», so Ogutu.

Was die Situation zusätzlich verschärft, ist der geplante Neubau einer Straße quer durch den nördlichen Teil der Serengeti, welche – einmal gebaut – die Gnus an der Migration hindern würde. Die Huftiere laufen somit Gefahr, auf immer kleinerer Fläche zusammengedrängt zu werden und nicht mehr genügend Nahrung zu finden. Dadurch nähmen die Bestände ab, während die Böden verarmten und weniger Kohlenstoff speichern könnten.

Durch eine karge Steppenlandschaft treibt ein Hirte eine Ziegenherde.
Hirten der Massai führen ihre Ziegenherden immer weiter in den Nationalpark der Serengeti hinein. Das gefährdet das ökologische Gleichgewicht. Foto: danmir12 / Adobe Stock

Artenschutz bedeutet nicht immer Klimaschutz

Doch nicht in jedem Fall führt mehr Wildnis auch zu mehr Klimaschutz. «In manchen Fällen kann der Artenschutz auch mit den CO2-Zielen in Konflikt geraten», sagt Oswald Schmitz. Anfang der 1990er-Jahre beschäftigte sich der US-Ökologe als einer der Ersten mit dem Einfluss der Fauna auf den CO2-Zyklus. In seinem Labor an der Yale University setzte er Pflanzen in ein Terrarium und maß deren Aufnahme und Abgabe von Kohlenstoff. Als Nächstes gab er Heuschrecken hinzu, die sich an den Pflanzen gütlich taten, woraufhin diese ihre Photosynthese herunterfuhren und ihre Zellatmung ankurbelten, was zum Ausstoß von Kohlendioxid führte.

Im nächsten Schritt setzte der Biologe Spinnen ins Terrarium, welche die Heuschrecken vertilgten – woraufhin die Pflanzen die Photosynthese wieder aufnahmen und sogar stärker betrieben als am Anfang. Schmitz spricht von einer «Überkompensation». «Derartige Rückkopplungseffekte haben einen Einfluss auf die Kohlenstoffbalance», sagt er. In freier Wildbahn können Biologen den Einfluss der Tiere auf den Kohlenstoffkreislauf unter anderem dadurch messen, dass sie die natürlichen Populationsschwankungen ausnutzen. Sie vergleichen dabei den CO2-Ausstoß des jeweiligen Ökosystems in Zeiten hoher Population mit dem in Zeiten von niedriger Population.

In manchen Fällen kann Artenschutz auch mit den CO2-Zielen in Konflikt geraten.

Prof. Oswald J. Schmitz, Ökologe, Yale University, New Haven

Für eine Studie im Fachblatt «Ecosystems» trug Schmitz im Jahr 2013 zahlreiche derartige Fallbeispiele zusammen. Eines davon betraf das Ökosystem des borealen Nadelwalds in Kanada: Werfen die Bäume dort ihre Nadeln oder Blätter ab, dann bleiben sie auf dem kalten Boden liegen, ohne dass Mikroben sie zersetzen können. Eine organische Schicht sammelt sich an und entzieht der Atmosphäre Kohlenstoff. «Wenn aber Elche ins Spiel kommen und die Blätter und Nadeln vom Boden fressen, speichert der Wald nicht mehr so viel Kohlenstoff, wie er eigentlich könnte», erklärt Schmitz.

Eine mögliche Lösung kannte er schon von seinen Terrariumexperimenten: Es bedarf eines Jägers, der die Pflanzenfresser dezimiert, in dem Fall der Wölfe. «Alleine durch den Schutz von Wölfen in den borealen Wäldern Kanadas könnten wir jährlich in etwa die Emissionsmenge einsparen, die Kanada durch die Verbrennung von fossilen Energien ausstößt», sagt Schmitz. «Derzeit werden aber die Wölfe getötet, weil sie Karibus jagen, die ihrerseits aufgrund der Ausbeutung von Teersanden bedroht sind.»

Auf einer Eisfläche, umgeben von winterlichem Wald, steht ein grauer Wolf und heult.
In den Nadelwäldern Kanadas äsen Elche Blätter und Nadeln vom Boden, die andernfalls in der Kälte liegen geblieben wären und der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen hätten. Wölfe könnten die Elchpopulationen kleinhalten und so indirekt zum Klimaschutz beitragen. Foto: Coulter Schmitz
Eine Herde etwa hirschgroßer brauner Tiere mit Geweihen, läuft über eine grüne Steppe.
Wölfe werden in Kanada allerdings gejagt, weil sie auch die vom Aussterben bedrohten Karibus fressen. Foto: Ian / Adobe Stock

Arten- und Klimaschutz müssen neu austariert werden

Genau umgekehrt verhält es sich im ältesten Nationalpark der USA, dem Yellowstone-Nationalpark: Mitte der 1990er-Jahre wurden dort Wölfe ausgesetzt, um die natürliche Nahrungskette wiederherzustellen. Für den Klimaschutz erweist sich das jedoch eher als Nachteil. Denn je mehr Wölfe in dem Nationalpark leben, desto stärker gehen die Elchbestände zurück. Das aber hat zur Folge, dass die Huftiere weniger Dung produzieren, welcher von den Käfern verarbeitet und in den Boden verbracht wird. Zugleich fehlt es an Tieren, die die Vegetation kurz halten. Die hochgewachsenen Gräser und Sträucher können – wie in der Serengeti – leichter Feuer fangen. Die Lehre daraus: Eine Patentlösung gibt es nicht. Je nach Region und Ökosystem müssen Arten- und Klimaschutz spezifisch und neu austariert werden. «Einfach den Planeten zu renaturieren und zu hoffen, dass dann alles gut wird, reicht eben auch nicht», sagt Schmitz.

Nur wenn wir wirklich umfassenden Naturschutz betreiben, können wir die Klimakrise lösen.

Dr. Eric Dinerstein, Wildtierbiologe bei der NGO «Resolve» in Washington, D. C.

Nach Ansicht von Biologen wie Dinerstein oder Schmitz lohnt sich dieser Aufwand aber – denn das weltweite Potenzial, durch den Beitrag der Tiere große Mengen an Treibhausgasen zu binden, ist gewaltig. Manche Wissenschaftler halten es sogar für möglich, mit der richtigen Kombination aus Arten- und Klimaschutz noch das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Um das zu schaffen, müssten die Länder auf den Klimagipfeln allerdings damit beginnen, dem Arten- und Biotopschutz die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat dafür den ersten Schritt getan und rief 2019 die «Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen» aus. Eine Fläche so groß wie Indien soll renaturiert werden, um den Klimawandel zu bekämpfen. Doch «um der Natur wirklich Raum zu geben, genügt es nicht, Bäume zu pflanzen. Wir müssen Biotope und deren Balance besser kennenlernen, schützen und erhalten», so Dinerstein zum Ausmaß der Aufgabe.

 

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22. März 2021 | Energiewende-Magazin