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Was, wenn die Wolken verschwinden?

Ein Bericht von Benjamin von Brackel

Katapultiert uns das Überschreiten von Kipppunkten direkt in eine «Treibhauswelt»? Nein, sagen Klimaforscher. Mögliche Ausnahme: Wolken.

Wolken können sich zu Gebirgen auftürmen, für sintflutartige Regenfälle sorgen und ganze Regionen in eine Seenlandschaft verwandeln. Und doch enthalten sie weitaus weniger Wasser, als man vielleicht vermutet: Würden all die Tropfen und Eiskristalle in den Wolken auf der Erdoberfläche kondensieren, sie bildeten dort gerade mal eine Wassersäule von 0,1 Milli­metern Höhe aus – die Dicke eines menschlichen Haars.

Zwar enthält die Atmosphäre weitaus mehr Wasserdampf als den, der für uns in Wolkenform sichtbar wird – er würde es in kondensiertem Zustand immerhin auf eine Schicht von 25 Millimetern bringen, was immer noch fast zu vernachlässigen wäre im Vergleich zu all dem Wasser, das in den Ozeanen, Flüssen und Seen gespeichert ist.

Und doch sollte man den globalen Effekt von Wolken keinesfalls unterschätzen. Sie haben die Fähigkeit, das Weltklima radikal zu verändern, weil sie Rückkopplungen im Klimasystem auslösen können und womöglich sogar in der Lage sind, die Erde in ein Treibhaus zu verwandeln. «Ich denke, der Öffentlichkeit ist nicht bewusst, welch wichtige Rolle Wolken im Klimasystem spielen», sagt der Atmosphärenwissenschaftler Paulo Ceppi vom Imperial College London im Videogespräch.

Von bauschig bis schleierförmig

Höchste Zeit, sich also mit den vielgestaltigen Gebilden in unserer Troposphäre – der Wetterschicht unserer Atmosphäre – zu beschäftigen und mehr über ihre Auswirkungen auf das Klimasystem zu erfahren. Wolke ist allerdings nicht gleich Wolke. Manche Wolkentypen kühlen, andere wärmen: So besitzen die bauschigen Kumuluswolken, die recht nahe über der Erdoberfläche schweben, einen kühlenden Effekt. Sie reflektieren die Strahlung der Sonne zurück ins Weltall. Die Wärmestrahlen, die die Erdober­fläche wie eine Herdplatte in die Atmosphäre abgibt, werfen die Kumuluswolken hingegen kaum auf die Erde zurück, da die tief liegenden Wolken eine ähnliche Temperatur haben wie die Strahlung selbst.

Über einen weiten Landschaft spannen sich locker lange schlierige Wolken.
Zirruswolken – auch Federwolken genannt. Foto: Fir0002/Flagstaffotos, GFDL v1.2. Lizenz

Zirruswolken können wie Treibhausgase wirken.

Dr. Paulo Ceppi, Atmosphärenforscher am Imperial College London

Ganz anders ist es bei den höher schwebenden Zirruswolken: Diese dünnen Schleier aus Eiskristallen heizen die Erde auf. Sie lassen das Licht der Sonne passieren und reflektieren die Wärmestrahlung der Erde wieder zurück auf ihre Oberfläche.

Bislang, so liest man im jüngsten Bericht des Weltklima­rats IPCC von 2023, überwiegt der kühlende Effekt der Kumuluswolken, und zwar im Verhältnis von zwei zu eins. Schließlich existieren viel mehr der dicken, tief liegenden Wolken als der dünnen, hohen Wolkenformationen – Kumuluswolken puffern daher einen Teil der Erderwärmung ab. Und das liegt auch an einem weiteren Effekt: In den vergangenen Jahrzehnten haben wir Unmengen an Dreck in die Atmosphäre gepulvert, insbesondere Ruß und Schwefeldioxid. Die Schwebeteilchen trüben einerseits die Lufthülle um die Erde ein und wirken damit wie ein Sonnenschirm. Ihr Überangebot sorgt andererseits dafür, dass sich der Wasserdampf in der Luft an umso mehr Partikeln anlagern kann. Die Wolkentröpfchen werden kleiner, was die Wolken heller macht. Dadurch dauert es länger, bis sie ihre Fracht abregnen. Und dementsprechend länger können sie auch die Erdoberfläche kühlen.

Die Rolle der Wolkenarten im Wärmehaushalt der Erde

Eine Illustration zeige die Sonne und die Erde. Gelbe und orangene Pfeile geben in ihrer Dicke die Stärke der Strahlung un Abstrahlung an.
Die hohen Zirruswolken haben eine erwärmende Wirkung auf die Erde, weil sie einen Großteil der Sonneneinstrahlung (gelb) durchlassen und einen Teil der von der Erde abgestrahlten langwelligen Wärme (orange) wieder zurückreflektieren. Illustration: Jana Evers
Eine Illustration zeige die Sonne und die Erde. Gelbe und orangene Pfeile geben in ihrer Dicke die Stärke der Strahlung un Abstrahlung an.
Im Gegensatz dazu die dicken tiefliegenden Kumuluswolken: Sie reflektieren die Strahlung der Sonne nahezu komplett und wirken damit kühlend. Zusätzlich wird die Wärmestrahlung der Erde absorbiert und in den Weltraum abgegeben. Illustration: Jana Evers
Eine Illustration zeige die Sonne und die Erde. Gelbe und orangene Pfeile geben in ihrer Dicke die Stärke der Strahlung un Abstrahlung an.
Stratokumuluswoken (Haufenschichtwolken) lassen ebenfalls wenig Sonnenstrahlung zur Erde durch und geben langwellige Wärmestrahlung in den Weltraum ab, so dass sie ebenfalls kühlend auf die Erdoberfläche wirken. Illustration: Jana Evers
Eine Illustration zeige die Sonne und die Erde. Gelbe und orangene Pfeile geben in ihrer Dicke die Stärke der Strahlung un Abstrahlung an.
Kühle, hohe Wolken haben also in Summe eine wärmende Wirkung, da sie mehr isolieren als reflektieren. Helle, warme, tief liegende Wolken hingegen besitzen einen kühlenden Effekt. Illustration: Jana Evers

Riesengroß – aber umso schwerer zu fassen

Aber bleibt das auch so? Das ist eines der größten Rätsel in der Klimaforschung. Wolken lassen sich nämlich in globalen Klimamodellen notorisch schlecht darstellen. Schließlich spielen sich die entscheidenden Prozesse bei der Bildung und Auflösung von Wolkentröpfchen und Eiskristallen in viel kleineren Größenordnungen ab, als globale Klimamodelle auflösen können – rund tausendmal kleiner. «Wolken fallen buchstäblich durchs Raster», erklärt der Klimaforscher Tapio Schneider vom «California Institute of Technology» (Caltech).

Die Folge: In manchen Klimamodellen verstärken die Wolken die Erwärmung, in anderen dämpfen sie die Erwärmung ab. Das macht den zukünftigen Verlauf des Klimawandels unklarer – und dadurch lässt sich nur schwer bestimmen, wie viel Kohlendioxid einzelne Länder tatsächlich noch ausstoßen dürfen, um unter gewissen Temperaturschwellen zu bleiben. Ein Beispiel: Bringt die Menschheit weniger als 1.200 Gigatonnen CO2-Äquivalente in die Erdatmosphäre ein, kann sie das Zwei-Grad-Ziel noch erreichen – allerdings nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 zu 50. Und diese Ungewissheit hängt in erster Linie mit den bauschigen Gebilden am Himmel zusammen. 

Die größte Unsicherheit unter allen Rückkopplungen im Klimasystem
sind die Wolken.

6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, Teil 1

Zumindest haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Sie können Wolken heute dank präziserer Satellitendaten, höherer Rechenkapazität und hochaufgelöster Klimamodelle besser beobachten, analysieren und simulieren. Das erlaubt der Wissenschaft inzwischen immerhin, eine Tendenz zu beschreiben, wie Wolken sich in einer wärmer werdenden Welt verhalten. Ihre Prognose: Wenn wir in Zukunft in den Himmel schauen, werden wir andere Wolken sehen. Sie werden ihre Dichte, Höhe und Anzahl verändern. All diese Prozesse haben bereits begonnen, wie Satellitenbeobachtungen zeigen – allerdings in bislang kaum wahrnehmbarem Umfang. «Es ist nicht so, dass man aus dem Haus tritt und sagt: ‹Ah, jetzt ist die Welt wärmer und die Wolken schauen anders aus›», stellt Ceppi klar.

Aber das wird wohl künftig anders aussehen. Je nach Weltregion werden sich die Eigenschaften der Wolken auf unterschiedliche Weise verändern. Das bedeutet etwa für Mittel- und Nordeuropa, wo die Wolken zum Teil aus Eis bestehen: Erwärmt sich die Atmosphäre, dürften sich die Wolken mehr und mehr aus Wassertropfen statt aus Eiskristallen zusammensetzen. Wassertropfen sind zwar kleiner als Eiskristalle, dafür aber zahlreicher. Die Wolken haben damit eine höhere Dichte: Mehr einfallende Sonnenenergie wird also zurück in den Weltraum abgestrahlt. Das Klima würde sich damit abkühlen.

Über einen sonnigen flachen Landschaft ist der Himmel mit Schäfchenwolken betupft.
Kumuluswolken – auch Schäfchenwolken genannt. Foto: sima / Adobe Stock

Faktoren, die hingegen eine Erwärmung verstärken könnten, sind Veränderungen in der Höhe und Anzahl der Wolken. Zunächst die Höhe: Weil sich die Atmosphäre erwärmt, dehnt sie sich nach oben aus. Und damit wandern auch die Wolken nach oben. Insbesondere die ohnehin schon hohen Wolken werden also aufgrund des Klimawandels noch ein Stückchen weiter nach oben gezogen. «Je höher sie sich befinden, desto mehr Wärmestrahlung halten sie auf der Erde zurück», erklärt die Atmosphärenphysikerin und Wolkenexpertin Ulrike Lohmann von der ETH Zürich. «Sie gleichen dann einer isolierenden Decke.» 

Auch eine sinkende Anzahl von Wolken führt zur Erwärmung: So werden sich über dem subtropischen Ozean in Zukunft weniger tief liegende Haufenschichtwolken bilden. Die einfallenden Sonnenstrahlen können dadurch leichter bis zum Ozean durchdringen und diesen erwärmen. Auch das würde zu einer Extraportion Erwärmung beitragen. Unterm Strich überwiegt der Erwärmungs­effekt. «Alles, was wir bislang wissen, deutet darauf hin, dass die Wolken die Erde zusätzlich aufheizen werden», sagt Tapio Schneider. «Aber die große Frage lautet, in welchem Ausmaß das passieren wird.»

Schutzdecke über dem subtropischen Ozean

Der Mathematiker und Physiker aus Braunschweig begann sich für Wolken zu interessieren, als er seine Doktorarbeit an der Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey schrieb. Genauer: für jene tief liegenden Wolken über dem subtropischen Ozean, die sich besonders im Ostpazifik und Südostatlantik konzentrieren. Grund dafür war ein Mann mit Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen, der die Gänge des «Geophysical Fluid Dynamics Laboratory» auf und ab lief und dabei rief: «Die Stratokumuluswolken, die Stratokumuluswolken, das ist das große Problem! Wir haben keine Ahnung, was dort passiert!»

Auf der Straße hätten die meisten den Mann wahrscheinlich für verrückt gehalten. Aber ganz neben der Spur konnte Syukuro «Suki» Manabe nicht gewesen sein, schließlich sollte er im Jahr 2021 den Nobelpreis für die Entwicklung von Klimamodellen verliehen bekommen. «Uns war klar, dass die Wolken der große Unsicherheitsfaktor in den Klimamodellen sind», sagt Schneider. «Sie reagieren einfach nicht linear auf den Klimawandel, sondern völlig unvorhersehbar.» Kein Computermodell konnte sie auch nur annähernd abbilden.

Ein älterer Mann mit einer kleinen Zahnlücke schaut symphatisch lachend.
Syukuro «Suki» Manabe

geboren 1931, ist ein Pionier der Klimawissenschaft. Der gebürtige Japaner entwickelte die Grundlagen zu den heutigen Klima­­modellen. Er und sein Team entwickelten bereits in den 1960er- und 70er-Jahren das erste computerbasierte dreidimensionale Klimamodell, das Ozean, Land und Atmosphäre verknüpfte. Es gilt als bahnbrechend und ist heute das Standardwerkzeug der Klimawissenschaft. 1975 konnten er und sein Kollege Richard Wetherald anhand dieses Modells die sogenannte Klimasensitivität der Erde berechnen. Sie lagen mit ihren damaligen Annahmen nicht so weit entfernt vom heute besten mittleren Schätzwert einer Erwärmung um drei Grad Celsius bei einer Verdopplung des CO2-Gehalts. Im Jahr 2021 bekam der Atmosphären- und Ozeanwissenschaftler zusammen mit den Physikern Klaus Hasselmann und Giorgio Parisi für seine Arbeiten zur physika­lischen Modellierung des Klimas der Erde den Nobelpreis verliehen. Er lehrt an der US-amerikanischen Princeton University in New Jersey.

Foto: Denise Applewhite / Princeton University, Office of Communications

Und das galt insbesondere für die tief liegenden Haufenschichtwolken. Um sie zu beobachten, muss Schneider bloß ins Flugzeug steigen und über den Ostpazifik fliegen. Von keiner anderen Wolkenart gibt es mehr auf der Welt – und keine andere Wolkenart beeinflusst das Klima so sehr wie diese Stratokumuluswolken. Sie können sich zu einer Decke ausbreiten, die mehrere Tausend Quadratkilometer groß ist; insgesamt bedecken sie rund ein Fünftel der tropischen Ozeane. Sie schirmen dabei einen großen Teil der einfallenden Sonnenstrahlen ab – und dämpfen damit die Erderwärmung.

Große Hebelwirkungen bei kleinen Veränderungen

Welch dramatische Auswirkungen sie haben können, zeigt ein Rechenbeispiel: Würde man nur vier Prozent dieser Wolkendecke wegnehmen, so Schneider, würde sich die Welt um zwei bis drei Grad Celsius erwärmen. Andersherum: Wenn sich die Decke um vier Prozent vergrößert, würde das die bisherige globale Erwärmung durch den Menschen neutralisieren. «Schon kleine Veränderungen in der Wolkenbedeckung bewirken eine große Hebelwirkung für den Rest des Klimasystems», erklärt der Atmosphärenwissenschaftler.

Über einem Wald ist der Himmel dicht mit einer flachen Wolkendecke bedeckt.
Stratokumuluswolken – auch Haufenschichtwolken genannt. Foto: Jimmytst / Dreamstime

Es lohnt sich also zu ergründen, wie sich Stratokumuluswolken im Klimawandel verhalten werden. Dazu muss man erst einmal den eigenwilligen Mechanismus verstehen, der diese Wolken antreibt: Das kondensierte Wasser in ihnen absorbiert die von der Erde abgestrahlte Wärme besonders gut und reicht diese weiter ins Weltall. Gleichzeitig absorbieren sie auch einen Teil der von oben kommenden Sonneneinstrahlung und schicken diese wieder zurück ins All. Dadurch kühlen sich die Wolken an ihrer Oberfläche ab, sie werden schwerer, sinken nach unten und saugen Wasser aus dem subtropischen Ozean auf. Mit dieser feuchtwarmen Fracht beladen steigen die Wolken wieder nach oben. So entsteht eine Zirkulation.

Anders als die meisten Wolken werden Stratokumuluswolken also nicht von unten angetrieben, sondern von oben – durch Abkühlung. Das funktioniert aber nur, solange die Luft über den Wolken klar und trocken ist und damit durchsichtig für einen Teil der Wärmestrahlung der Sonne. Steigt der Kohlendioxidgehalt stark an, könnte sich das auf drastische Weise ändern.

Was dann passiert, war für Schneider zuerst nur ein reines Gedankenspiel: Die Lichtteilchen – Photonen genannt –, welche die Sonne auf die Erde abgibt, werden nun schon von den CO2-Molekülen über den Wolken absorbiert und in Form von noch energiereicherer Wärmestrahlung nach unten abgegeben. Das bedeutet, die Wolken kühlen sich an ihrer Oberfläche nicht mehr so effizient ab und die Luftdurchwirbelung wird unterbrochen, welche die Wolken mit Wasser versorgt und damit nährt. Die Folge: Sie brechen auf und zerstreuen sich.

Aus dem All ist eine sehr dichte homogene Wolkendecke zu sehen, die an einen karg felsigen Küstenstreifen stößt.
Dichte Stratokumuluswolken bilden eine dichte Decke über dem Nordpazifik an der kalifornischen Küste. Foto: Jacques Descloitres / NASA

Überschreitet die Erderwärmung eine gewisse Schwelle, dürften die Stratokumuluswolken den Computermodellen zufolge immer weiter ausdünnen, sich die Ozeanoberfläche stärker erwärmen und die Wolkendecke daraufhin noch dünner werden. «Bei ausreichend hohen Treibhausgaskonzentrationen kann diese Rückkopplung davongaloppieren und zum Verlust der Stratokumuluswolken führen», sagt Schneider.

Wie viel Kohlendioxid sich dafür in der Atmosphäre angesammelt haben muss, können globale Klimamodelle jedoch aufgrund ihrer mangelnden Auflösung nicht berechnen. Also behalf sich Schneider mit einem Trick: Statt die Stratokumuluswolken weltweit zu simulieren, tat er das nur für einen Ausschnitt des Pazifischen Ozeans, der repräsentativ für ein Gebiet abseits der Küste von Kalifornien und Peru ist – dafür reichte die Rechenkapazität aus. Das Ergebnis integrierte Schneider dann in ein globales Klimamodell und konnte auf diese Weise grob abschätzen, wie lange die so wichtige Wolkenschicht dem Klimawandel standhalten kann. Aus dem Gedankenexperiment war ein Modellexperiment geworden.

Und was passiert in einer «Treibhauswelt»? 

Das Ergebnis der Simulationen: Lange änderte sich fast überhaupt nichts. Selbst bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre blieb die Wolkendecke ähnlich dicht. Erst ab einem Gehalt an Kohlendioxid von 1.300 Teilchen pro Million (ppm), also einer Verdreifachung gegenüber dem heutigen Wert, zeigte sich: Die Wolken­decken wurden dünner, dadurch erwärmte sich der Ozean – und das wiederum verdünnte die Wolken noch mehr.

Dieser Effekt existiert nicht nur in Computermodellen, er lässt sich bereits heute beobachten: in der Übergangszone im Pazifik, an der äußeren Grenze der Stratokumuluswolken. Dort ist er aber noch ganz natürlich. In einer «Treibhauswelt» aber würden die Stratokumuluswolken dauerhaft an Stabilität verlieren und in zerstreute Kumuluswolken aufbrechen. Diese schirmen zwar ebenfalls Sonnenstrahlen ab, aber deutlich weniger als die Haufenschichtwolken – als würde man eine Bettdecke mit einem Ruck zerreißen und übrig blieben nur noch die Daunen. Würde die gesamte Decke aufbrechen, schlüge eine globale Erwärmung von zusätzlich acht Grad Celsius zu Buche, hat Schneider berechnet.

Die locker mit Wolken bedeckte Erde aus dem Weltall gesehen, etwa ein Fünftel ist offene Wasserfläche.
Stratokumuluswolken bedecken rund ein Fünftel der tropischen Ozeane.
 Foto: Alexander Gerst / NASA

Palmenwälder vor Grönland

Der Mathematiker meint, mit seiner Modellrechnung womöglich auch ein Rätsel gelöst zu haben, an dem die Klimawissenschaft bis heute knabbert – und das ein längst vergangenes Zeitalter betrifft: den Übergang vom Paläozän zum Eozän, als sich die ohnehin schon warme Welt innerhalb von gerade einmal 10.000 Jahren nochmal um fünf oder sechs Grad Celsius erhitzte und sich Nilpferde, Krokodile und Riesentapire auf der kanadischen Ellesmere-Insel gegenüber von Grönland unter Palmen tummelten, wie fossile Funde belegen. Damals lag der CO2-Gehalt in der Atmosphäre gar nicht mal so hoch, nur rund fünfmal höher als heute. Trotzdem reichte das aus, um ein Klima zu schaffen, das 15 Grad wärmer war als das heutige – höher, als es rein vom CO2-Gehalt her gewesen sein dürfte. Schneider vermutet die Ursache in der sich selbst verstärkenden Rückkopplung zwischen den Stratokumuluswolken und dem Ozean. Die Wolken könnten in jener Zeit von einem stabilen Zustand in einen anderen gewechselt sein und für die Temperaturexplosion gesorgt haben.

Ein ernst blickender Mann mit blonden Haaren und Brille schaut uns sozusagen aus den Wolken herab an.
Der Klimaforscher und Wolkenexperte Tapio Schneider Foto: Steve Babuljak / California Institute of Technology

Im Umkehrschluss hieße das aber, dass es wieder ein Zurück in den alten Zustand gibt: Die Stratokumulus-Decke muss sich auch wieder zurückbilden können. Genau das ist möglicherweise zum Ausklang des Eozäns geschehen. Damals vor 34 Millionen Jahren vollzog das Klima erneut eine abrupte Wende und kühlte dramatisch ab. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre war förmlich eingebrochen, auf ein Niveau von 750 ppm. Und das ist genau die Schwelle, ab der sich Schneiders Modell zufolge die Stratokumulus-Wolkendecke wieder zurückbildete.

Auch das hat Schneider untersucht: unter welchen Bedingungen diese Erholung stattfinden würde. Das Ergebnis: Dazu müsste die CO2-Konzentration auf ein vorindustrielles Niveau absinken. Noch gründet diese Analyse auf etwas wackligem Boden. Wolken und Ozeane seien auf eine sehr vereinfachte Weise im Modell von Schneider gekoppelt worden, erklärt Paulo Ceppi. Dennoch sei Schneiders Idee interessant. «Ich will damit nicht sagen, dass es keinen Kipppunkt gibt, aber doch, dass wir nicht wissen, ob und wann ein Kipppunkt bei den Wolken überschritten wird.» Auch Schneider ist sich bewusst, dass sein Modell Schwächen besitzt. Er arbeitet deshalb schon an verbesserten Wolken­modellen, mit denen er den beschriebenen Rückkopplungsmechanismus genauer untersuchen kann.

Aus dem All erscheinen die Wolkenformationen wie fremde Welten, und das sind sie auch – selbst noch für die Wissenschaft. Foto: NASA Goddard

Wolkenkanonen als Weltklimaretter?

Eines lässt sich aber bereits heute festhalten: Insbesondere Stratokumuluswolken haben einen großen Effekt auf unser Weltklima. Diesen könnte man sich sogar zunutze machen – nicht, um das Klima zu erwärmen, sondern um es abzukühlen. Warum machen wir Wolken nicht zu unseren Verbündeten und halten damit das Risiko für andere Kipppunkte klein? Diese Frage hat sich der Erdwissenschaftler Haruki Hirasawa von der kanadischen University of Victoria gestellt.

Die Methode dafür gebe es schließlich bereits: das «Marine Cloud Brightening», eine Geoengineering-Technologie zum Strahlungsmanagement. Die Idee dahinter: Schiffsflotten kreuzen über die Weltmeere und sprühen mikroskopisch kleine Salzwasserpartikel in die Stratokumuluswolken hinein. Das würde die Anzahl der Kondensationskeime erhöhen, an denen der Wasserdampf kondensieren kann, und damit die Wolken aufhellen. Sie strahlen also mehr Sonnenlicht zurück ins Weltall, und das für längere Zeit: eine Klimaanlage aus Wolken.

Im Great Barrier Reef im Einsatz

Was nach Science-Fiction klingt, findet bereits Anwendung – australische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Methode im Januar 2020 getestet. Einsatzort war das zentrale Great Barrier Reef, das sie vor weiteren verheerenden Korallenbleichen bewahren wollen. Dafür pumpten sie Ozeanwasser auf ein Schiff und bespeisten damit eine Turbine namens «V22Cloud», die einer Schneekanone gleicht. Diese sprühte einen Strahl Meerwassertröpfchen in die Luft, deren Schwaden sich mit dem Wind über den Ozean verteilten. Das sollte die Wolken aufhellen und das Sonnenlicht stärker reflektieren. Das Kalkül dahinter: Solch eine Art Sonnenschirm ließe sich während Hitzewellen aufspannen. Einer Modellierstudie zufolge könnte das den Niedergang des größten Korallenriffs der Welt zumindest verzögern.

Auf einem Schiff sind zwei kanonenartigen gen Himmel gerichteten Zylinder installiert,  aus ihnen steigt Wasserdampf auf.
Künstliche Wolken: Wolkenkanonen sprühen mikroskopisch kleine Salzwasserteilchen in die Luft, um Wolken zu bilden, die das Sonnenlicht abstrahlen. Foto: Southern Cross University

Hirasawa und sein Team interessieren sich aber auch für den globalen Einsatz ihrer Anwendung. Sie haben den Kühleffekt durch die Aufhellung der Wolken für drei subtropische Ozeangebiete modelliert. Ihr Ergebnis erschien vergangenen Herbst im Fachjournal «Geophysical Research Letters»: Tatsächlich könnte der Kühleffekt von rund einem Grad Celsius das Risiko für das Überschreiten diverser Kipppunkte senken. So würde sich etwa die Wolkenbedeckung in der Arktis erhöhen und damit wieder mehr Meereis aufbauen. Die Aufhellung der Ozeanwolken sei in dieser Hinsicht «vielversprechend», da der Eingriff eine allgemeine Verschiebung bei fast allen Kipppunkten verursacht habe, schlussfolgert das Team um Hirasawa.

Technisch machbar – doch unbeabsichtigte Folgen wären unvermeidlich.

Atmosphärenforscher Dr. Paulo Ceppi über die «Marine Cloud Brightening»-Methode

Allerdings sei, so der Fachartikel weiter, die Methode nicht «perfekt». In den Modellsimulationen zeigten sich sogar krasse Nebenwirkungen – und zwar oft weitab vom Einsatzort der Meersalzinjektionen. So bestünde etwa die Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen und bestimmte Regionen abzukühlen – für tropische Korallenriffe ebenso eine Gefahr wie die Erwärmung. Das Erreichen mancher Kipppunkte würde sogar wahrscheinlicher, etwa das Abschmelzen des Ostantarktischen Eisschilds. Der Modellsimulation zufolge würde sich ein Band starker Winde nach Süden verschieben und warmes Ozeanwasser nahe des Eisschilds aus der Tiefe nach oben quellen. Das aber würde das Schelfeis angreifen, welches wie eine Stütze verhindert, dass die großen Gletscher rasch ins Meer ausfließen können. «Ist es technisch machbar?», fragt Paulo Ceppi. «Ja, das schon. Aber gleichzeitig wären unbeabsichtigte Folgen unvermeidlich.» Das mache es unwahrscheinlich, dass sich die Weltgemeinschaft eines Tages wirklich auf diese Methode einigen könnte.

Dementsprechend zurückhaltend äußern sich die meisten Klimaforscher über die künstliche Schaffung von Wolken. Selbst wenn es gelingen sollte, irgendwann technische Methoden zum Abmildern der Erderwärmung zu entwickeln, sei es höchste Zeit, schon jetzt die weltweiten CO2-Emissionen drastisch zu verringern. Dass die Wolken unsere Welt in ein Treibhaus verwandeln, erscheint zwar auf kürzere Sicht unrealistisch; dafür müssten wir schon für etliche Jahrzehnte weiter auf dem derzeitigen Niveau fossile Treibstoffreserven verbrennen. Dennoch zeigen Modellsimulationen wie die von Tapio Schneider, wie gefährlich unsere fossil fundierte Wirtschaftsweise ist. Zugleich helfen sie, eine der wichtigsten Grundfragen der Klimawissenschaft zu beantworten: wie stark sich die Welt erwärmt, wenn wir den CO2-Gehalt in der Atmosphäre weiter erhöhen. Mit anderen Worten: wie viel Zeit uns noch bleibt, um das Schlimmste zu verhindern – und den Planeten lebenswert zu halten.

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