Eine Welt – ein Klima
Ein Bericht von Anja Bochtler
Alle reden über Kriegsflüchtlinge. Aber was ist mit denen, die vor Dürre oder Überflutung fliehen? Um sie geht es in der Freiburger Veranstaltungsreihe «Fluchtgrund Klimawandel».
Alles hängt zusammen: Zum Beispiel Thule und Tuvalu. In Thule, dem nördlichsten bewohnten Ort der Erde in Grönland, schmilzt das Eis. Schuld ist der Klimawandel, es wird immer wärmer. Dadurch steigen die Wasserstände und bedrohen 20.000 Kilometer entfernt die kleine pazifische Insel Tuvalu. In Thule verlieren die Menschen ihr Auskommen, weil bald keine Jagd auf dem Eis mehr möglich sein wird. Und Tuvalu wird es irgendwann nicht mehr geben, wenn die Wassermassen die Insel überfluten.
Das alles zeigt der Schweizer Dokumentarfilmer Matthias von Gunten in seinem Film «Thule Tuvalu». Er beleuchtet, wie der Lebensstil der Industrienationen die Lebensbasis in anderen Teilen der Welt zerstört und ist Teil der achtteiligen Veranstaltungsreihe «Fluchtgrund Klimawandel». Drei Männer haben sie gemeinsam organisiert: Michael Sladek vom «Förderverein für umweltfreundliche Stromverteilung und Energieerzeugung Schönau im Schwarzwald» (FuSS), Josef Mackert von der Katholischen Akademie und Martin Wiedemann von der «Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie». Mit Vorträgen, Filmen, Theater und einem Abschlussessen setzen sie vielfältige Akzente.
Als Arzt zum Umdenken anregen
Wenn die Lebensgrundlagen zerstört werden, muss man handeln. Das wurde Michael Sladek, geboren 1946 in Murrhardt, 1986 klar. Damals, nach der AKW-Katastrophe in Tschernobyl, lauerten radioaktive Gefahren plötzlich überall: im Wasser, im Salat, in der Luft. Bisher hatte ihn Atomenergie nicht interessiert. Jetzt fühlte er sich als Arzt mitverantwortlich, zum Überleben der Menschheit beizutragen. Das waren die Anfänge der Elektrizitätswerke Schönau, die er mit seiner Frau Ursula Sladek und vielen Mitstreitern aufbaute. Inzwischen ist Michael Sladek aus dem Vorstand der EWS ausgeschieden, zwei seiner fünf Kinder machen weiter.
Wenn Sladek die Existenz der Menschen bedroht sieht, mischt er sich ein, zum Beispiel beim Thema «Klimawandel». Er findet es unerträglich, dass Klimaflüchtlinge meist als Wirtschaftsflüchtlinge dargestellt werden. Erst recht angesichts der globalen Zusammenhänge: «Die Menschen dort müssen ausbaden, wie wir uns in den vergangenen Jahrzehnten verhalten haben.»
Auch meine elf Enkel sollen noch die Möglichkeit haben, Enkel zu bekommen.
Hinterfragen und verändern
Der Verein FuSS setzt auf zwei Ebenen an. Zum einen stärkt er die Lebensgrundlagen von Menschen, damit sie nicht fliehen müssen, zum Beispiel in Kamerun mit der Unterstützung eines Ausbildungsprojekts vom Schopfheimer Dikome-Verein. Zum anderen fordert FuSS notwendige Verhaltensänderungen, vor allem eine deutliche Verringerung des CO2-Verbrauchs. «Wir alle müssen uns fragen: Wie oft müssen wir in den Urlaub fliegen?» sagt Michael Sladek. Zu diesem Umdenken soll die Veranstaltungsreihe beitragen.
Globale Verantwortung ernst nehmen
Aktiv werden, obwohl alle wie gelähmt scheinen: Darum geht es jetzt, findet auch Josef Mackert, der seit März 2016 Studienleiter an der Katholischen Akademie ist. Der Klimawandel sei eine riesige Herausforderung: «Alle wissen, dass wir im reichen Teil dieser Welt unseren Lebensstil ändern müssen.» Da sei viel mehr nötig als «ein bisschen Biogemüse und Carsharing». Die Reihe «Fluchtgrund Klimawandel» ist ein Einstieg.
Josef Mackert verfolgt das Thema auch sonst, an der Katholischen Akademie, wo er unter anderem für die Zukunftsfragen der Gesellschaft zuständig ist. Und die interessieren ihn schon sein Leben lang: Als Schüler engagierte er sich, 1958 in Karlsruhe geboren, in der katholischen Jugendbewegung für die Friedens- und die damalige Dritte-Welt-Arbeit.
Die Forderung nach Bekämpfung von Fluchtursachen ist wie ein leeres Mantra, das trotz aller Wiederholungen folgenlos bleibt.
Politische Diskurse in der Kunst
Beim Studium der Philosophie, Literatur und Geschichte war die Frage nach einer neuen Verantwortungsethik einer seiner Schwerpunkte. Danach konzentrierte er sich als Übersetzer und Autor, vor allem aber in zweieinhalb Jahrzehnten Theaterarbeit, auf künstlerische Ausdrucksformen, zuletzt als Chefdramaturg am Freiburger Theater. Gesellschaftspolitische Diskurse gehörten für ihn immer fest dazu, etwa in der Theater-Reihe «Capitalism now», in der Experten aus unterschiedlichen Richtungen Strukturen und Lebensstile kritisch durchleuchteten. Damals hat Josef Mackert öfter mit der Katholischen Akademie zusammengearbeitet. Auch mit den Schönauern und Martin Wiedemann und seiner «Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie» gab es immer wieder Berührungspunkte.
Miteinander reden und handeln
Lösungen finden sich, wenn man mit den Menschen redet und sie überzeugt. Daran glaubt Martin Wiedemann seit seiner Jugend. In Hüttlingen nahe Aalen wuchs er, 1957 geboren, auf und war in seinem Dorf «einer von zwei Langhaarigen». Allerdings einer, der nie nur protestierte, sondern immer auch auf Gespräche mit Andersdenkenden setzte. Da passte es, dass er sich während seines Sozialpädagogikstudiums in Freiburg bei der «Gewaltfreien Aktion Freiburg» wohlfühlte.
Das Büro war in der «Fabrik», wo 1978 die ersten selbstverwalteten Gruppen eingezogen waren. 1986 stieg Martin Wiedemann dort, nach Etappen im Altenheim und bei Ausgrabungen in Breisach, auch beruflich ein, zunächst mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM). 1988 kam das Vorderhaus als Kulturbereich dazu, längst hat es sich zu einer wichtigen Kabarettbühne entwickelt.
Für mich ist Lebenslust ein Grund für Widerstand.
Eine Patenschaft für Flüchtlinge
Mit dazu gehörte immer der ökologische Anspruch. 1987 entstand das erste Blockheizkraftwerk in Freiburg, 2001 eine Photovoltaikanlage. Aus der Freundschaft zu Michael und Ursula Sladek entwickelte sich eine Kultursponsoring-Partnerschaft mit den EWS. Als immer mehr geflüchtete Menschen ankamen, übernahm die Fabrik eine Patenschaft für die Flüchtlingsunterkunft St. Christoph. Doch es ist auch besonders wichtig, über Fluchtgründe zu sprechen, findet Martin Wiedemann. Vor allem über einen, der in der Zukunft unüberschaubare Ausmaße annehmen wird: den Klimawandel.
Infos, Filme, AuSBLICKE
Die Reihe «Fluchtgrund Klimawandel» soll Menschen ins Gespräch bringen. Dazu gibt es gezielt unterschiedliche Ebenen. Drei Vorträge sorgen für Infos: Alexander Carius von «Adelphi», einer Berliner Beratungseinrichtung für Klima, Umwelt und Entwicklung, erklärt die Zusammenhänge von Klimawandel und Flucht. Der Völkerrechtler Walter Kälin von der Uni Bern fordert, dass Klimaflüchtlinge juristischen Schutz bekommen und präventiv angesetzt wird. Und die Journalistin Andrea Jeska zeigt die Menschen hinter den Zahlen. Filme vertiefen die Themen: Neben «Thule Tuvalu» läuft im Freiburger Kommunalen Kino das dritte «Greenmotions-Filmfestival» mit Dokumentarfilmen zur Nachhaltigkeit, Schwerpunkt Klimawandel und Migration.
Außerdem zeigt der Dokumentarfilmer Moritz Schulz in seinem Film «Roadside Radiation» Menschen, die ihre alte Heimat Tschernobyl trotz der radioaktiven Verstrahlung nicht aufgeben wollen. Der Film erzählt davon, wie schwer es ist, für eine Flucht alles hinter sich zu lassen. Solche Botschaften können auch Kinder verstehen, die zu einer Theateraufführung eingeladen sind: Die Geschichte «Besetzt!» von Anja Schöne, in der sich Tiere gegen den Klimawandel wehren, richtet sich an alle ab dem Grundschulalter.
Und zum Abschluss gibt’s zum Ausprobieren einen «Ausblick auf unser Essen in 100 Jahren», um mit allen Sinnen die Auswirkungen des Klimawandels zu erleben.
2017 wird es mit einer zweiten Veranstaltungsreihe weitergehen, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen soll. Zum Beispiel mit Anregungen, durch eigenes Verhalten zum positiven Wandel beizutragen, aber auch durch die Unterstützung von Projekten und Initiativen, die versuchen, die Folgen des Klimawandels zumindest abzumildern.