Polen: Neue Regierung – neues Klima?
Ein Bericht von Jan Opielka
In Polen ist wieder ein proeuropäisches Bündnis an der Macht, das für die Klima- und Energiepolitik massive Investitionen angekündigt hat. Was steckt dahinter?
Als am späten Abend des 15. Oktober 2023 die vorläufigen Ergebnisse der Parlamentswahl in Polen bekannt wurden, atmete die Mehrheit der Bevölkerung auf: Die in acht Regierungsjahren immer weiter ins Autoritäre driftende rechtsnationale Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) war abgewählt worden. Wie im Wahlkampf angekündigt, würde nun ein neues Bündnis aus drei Parteien übernehmen: ein proeuropäisches, liberales Bündnis – und eines, das in Fragen der Klimapolitik die Weichen neu stellt. «Wir werden einen detaillierten Plan für die Energiewende vorlegen, um die CO2-Emissionen bis 2030 um 75 Prozent zu senken, und wir werden die Entwicklung von kohlenstoffarmen Energiequellen – Erneuerbare Energien und Atomkraft – beschleunigen», lautete eines der Wahlversprechen der «Bürgerkoalition» (KO) des Oppositionsführers Donald Tusk. Nun ist er Regierungschef und versucht inzwischen auch zu liefern. Die renommierte Tageszeitung «Rzeczpospolita» fasst zusammen, was daraus folgen muss: «Konkret bedeutet das für Polen realistischerweise in erster Linie eine Abkehr von Kohle und längerfristig auch vom Gas.»
Schenkt man den im Koalitionsvertrag gefassten Zielen Glauben, vollzieht Polen beim Klima- und Umweltschutz einen deutlichen Schwenk. Demnach ist eine Beschleunigung der Energiewende geplant. Auf Basis stabiler gesetzlicher Vorgaben sollen «finanzielle und technologische Unterstützungssysteme» entstehen und der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung erhöht werden: durch die Erschließung des Potenzials von Onshore-Windenergie, Photovoltaik- und Biogasanlagen.
Insbesondere für private und kommunale Photovoltaikanlagen ist eine verstärkte Förderung vorgesehen, auch von einer Beteiligung der Kommunen an deren Erträgen ist dabei die Rede. Die Finanzierung der Investitionen soll zum Teil aus den im März 2024 von der EU-Kommission freigegebenen Mitteln des Wiederaufbaufonds «NextGenerationEU» sowie aus Einnahmen aus dem Handel mit Emissionszertifikaten auf europäischer Ebene gesichert werden. Die größte Partei im neuen Bündnis, Tusks KO, hat dabei in ihrem Wahlprogramm versprochen, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Primärerzeugung von aktuell 27 Prozent bis 2030 auf rund 50 praktisch zu verdoppeln – die PiS sah diese Ziele erst für
2040 vor.
Dieser Teil des Plans der KO – ihre kleineren Partner «Dritter Weg» (TD) und «Neue Linke» (NL) sind grundsätzlich auch dafür – wäre ambitioniert. Er soll mit einem Zuwachs von 60 Prozent der installierten Windkraftleistung (Stand März 2024: 9,3 GW) und fast einer Verdoppelung der Energie aus PV-Anlagen (2023: 15 GW) erreicht werden.
Progressive Impulse der jungen Wählerschaft
Die progressive Dreierkoalition aus der «Bürgerkoalition», «Drittem Weg» und der «Neuen Linken» hat ihr Zustandekommen auch der jungen Generation zu verdanken. Schließlich wählten überproportional viele 18- bis 29-Jährige den Drittem Weg und vor allem die Linke, die beide für mehr Klimaschutz einstehen – die Linke zudem für eine radikale Abkehr vom rechtspopulistischen Zeitgeist. Schon bei einer Umfrage vor der Wahl hatte über die Hälfte der 18- bis 21-Jährigen gefordert, dass die politischen Parteien die Klimapolitik mehr in den Mittelpunkt stellen müssten. Und auch wenn ein Drittel der Befragten nichts von dem Thema wissen will, äußert ein anderes Drittel, «sich in naher Zukunft an Umweltaktivitäten beteiligen» zu wollen.
Insbesondere junge Frauen sind in den letzten Monaten in dieser Hinsicht aktiv geworden – wie etwa die 22-jährige Klimaaktivistin Dominika Lasota, die sich mit vielen anderen in der «Inicjatywa Wschód», der «Initiative Ost», engagiert. Ihre 2022 gegründete Bewegung richtet sich vorrangig an junge Mädchen und Frauen. Eine ihrer Kernforderungen ist ein nachhaltiger Mentalitätswandel im Land – auch und vor allem bezüglich des Klimawandels.
Inzwischen findet die Gruppierung durch ihre landesweiten Aktionen immer mehr Gehör – nicht nur unter jungen Menschen. Renommierte Zeitungen wie die konservativ-liberale «Rzeczpospolita» bringen nicht nur Porträts von führenden Beteiligten, sondern drucken auch Beiträge der Wschód-Bewegung ab. In einem Interview grenzte sich Dominika Lasota dabei deutlich von herkömmlichen Umweltschutzbestrebungen ab: «Für mich bedeutet das Thema Klima und Umwelt nicht in erster Linie, den Polarbären zu retten oder die Kiefern. Es geht vielmehr darum, die Grundlagen des Lebens für uns alle zu sichern.»
Bild oben: Ein Stand junger Klimastreik-Aktivistinnen mit ihrer Kampagne «Wähle das Klima» am 21. April 2023 in Krakau. / Foto: Klaudia Radecka/picture alliance
Grüne Energie braucht regulatorische Stabilität und niedrige Kapitalkosten.
Noch machen bei der Windkraft große Windparks mit einer Leistung von über 30 Megawatt (MW) das Gros der Erzeugung aus. Nun will die Regierung bald ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Mindestabstände für neue Windkraftanlagen zu bewohnten Gebieten von 700 auf 500 Meter senken soll. Interessenten für den Anlagenbau gibt es viele: «Investoren haben längst die enormen Chancen erkannt, die in der Schaffung solcher Energiequellen liegen», schreibt der Fachjournalist Mariusz Janik.
Hinzu kommen Offshore-Windkraftanlagen in der polnischen Ostsee, von denen bereits 2026 die ersten ans Netz gehen sollen. Sie würden gemäß den Plänen eine Leistung von etwa 5,9 Gigawatt (GW) einspeisen. In kleinerem Umfang sollen auch Biomasse-, Biogas-, Biomethan- und Wasserkraftanlagen entstehen. «Grüne Energie braucht vor allem regulatorische Stabilität und niedrige Kapitalkosten», sagt Piotr Maciołek, Vorstandsmitglied des privaten Offshore-Windkraftbauers Polenergia. «Dies sind die Schlüsselelemente, die das Risiko und das Tempo bestimmen, mit dem wir neue Anlagen aufbauen können.»
Eine neue Energiestrategie
Umsetzbar erscheint der Regierungsplan allemal – insbesondere, wenn man die Entwicklungen der letzten drei Jahre betrachtet. Der Anteil der Erneuerbaren an der Primärerzeugung stieg zwischen 2021 und 2023 um fast 7 Prozentpunkte auf 27 Prozent, während der aus Kohle erzeugte Anteil auf fast 63 Prozent fiel – ein Rekordtief. Allein zwischen Januar und Oktober 2023 wuchs die installierte Leistung von EE-Anlagen um 26,5 Prozent. Expertinnen und Experten führen dies zum einen darauf zurück, dass die gestiegenen Preise für Emissionszertifikate die Verfeuerung von Stein- und Braunkohle unrentabler machten, zum anderen zeigten staatliche Subventionen für Photovoltaikanlagen in Privathaushalten Wirkung, vor allem das Programm «Mein Strom», das die PiS 2019 einführte.
Um die Energiewende voranzubringen, schickte die Tusk-Regierung Anfang März eine vorläufige Fassung des Nationalen Energie- und Klimaplans (KPEiK) nach Brüssel. Der Plan zeigt erstmals auf, wie das Land seine Klimaziele für 2030 konkret erreichen will: So sollen bis zum Ende des Jahrzehnts umgerechnet rund 70 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, die vor allem in neu installierte EE-Anlagen und in geringfügigem Maß auch in Gaskraftwerke fließen sollen, um die Transformation der Energiewirtschaft insgesamt anzuschieben. Zudem sieht der KPEiK bis 2030 eine 35-prozentige Reduzierung der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 vor – also deutlich weniger als die im Wahlkampf von Tusks KO versprochenen und in der Tat unrealistischen 75 Prozent. Außerdem sollen bis dahin knapp 30 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs von Erneuerbaren Energien gedeckt werden können. Dass Letzteres schwierig sein wird, räumt auch die Regierung ein: «Da der Anteil der Erneuerbaren am Bruttoendenergieverbrauch im Jahr 2022 bei 16,9 Prozent lag, wird die Erreichung des neuen Ziels bis 2030 zusätzliche Anstrengungen erfordern», heißt es in dem Plan, der in seiner finalen Fassung bis Ende Juni der EU-Kommission vorgelegt werden soll.
Investitionen in Anlagen und Infrastruktur
Wie teuer diese Anstrengungen langfristig werden, steht derzeit noch in den Sternen. Laut einer im Februar veröffentlichten Analyse des französischen «Institut Rousseau» werden sich die Kosten der Energiewende in Polen, um bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen, auf rund 2,4 Billionen Euro summieren. Andere Untersuchungen gehen zwar von deutlich kleineren Beträgen aus, doch welche Summe auch immer: Ein erheblicher Teil der Mittel wird für den Neubau der notwendigen Netzinfrastruktur, den Anschluss von EE-Anlagen sowie für neue Stromtrassen benötigt. «Derzeit sind vor allem die lokalen Netze überlastet», sagt Andrzej Kassenberg, Experte für Politik nachhaltiger Entwicklung bei der Stiftung «Institut für Nachhaltige Entwicklung», im Gespräch. «Es müssen also erhebliche Mittel in den Ausbau dieser Netze fließen – oder aber in Speicherkraftwerke.» Auch müssten etwa das «Cable pooling», also die gemeinsame Nutzung verschiedener EE-Anlagen am selben Anschlussknoten, sowie Direktverbindungen von Stromversorgern zu Industriebetrieben gesetzlich vereinfacht werden – dies schaffe Investitionsanreize. Die polnische Klima- und Umweltministerin Paulina Hennig-Kloska kündigte indes an: «Wir prüfen, was noch zu tun ist, um die Unternehmen bei der Verwirklichung der Klimaneutralität zu unterstützen, und wie wir die Belastung der Wirtschaft durch die Umgestaltung verringern können.»
Festhalten am Einstieg in die Atomenergie
Die neue polnische Regierung setzt insgesamt auf eine Klima- und Energiepolitik, die durchaus mit der deutschen vergleichbar ist. Doch in einem Bereich gibt es diametral unterschiedliche Ansätze. Als Teil der Energie- und Klimapolitik will auch die neue Regierung den von der PiS bereits vorangetriebenen Einstieg in die Erzeugung von Atomenergie forcieren. Diskutiert wurden zuletzt zwar auch sogenannte «Small Modular Reactors», doch diese Pläne sind vage, die Umsetzung der Vorhaben fraglich. Dafür ist die Planung für den Bau von zwei Atomkraftwerken mit einer Gesamtleistung von 6 bis 9 Gigawatt Leistung weitaus konkreter – die Kostenschätzungen verlieren sich allerdings noch im Ungefähren. So sollen die Kosten für den ersten Meiler umgerechnet zwischen 23 und 33 Milliarden Euro betragen. An Rückhalt in der Bevölkerung mangelt es nicht: Laut Umfragen unterstützen rund drei Viertel der Menschen im Land den Einstieg in die Atomkraft. Die AKWs sollen künftig vom polnischen Staatskonzern PEJ, allerdings auch von einem Unternehmen des Milliardärs Zygmunt Solorz-Zak betrieben werden.
Für den Bau der Atomkraftwerke ist eine Kooperation mit dem US-amerikanischen Konzern Westinghouse und dem südkoreanischen Konzern KHNP vorgesehen. Die Finanzierungspläne sind noch nicht ausgearbeitet, dies soll bis 2026 erfolgen – ein bedenklicher Vorgang, denn die Vorverträge mit den ausländischen Investoren sind längst unterzeichnet. Der Baubeginn für den ersten Block des AKWs nahe dem Dorf Choczewo, etwa 50 Kilometer von Danzig entfernt, war ursprünglich für 2026 und die Inbetriebnahme für 2033 geplant. Doch inzwischen rechnet das Industrieministerium frühestens 2039 mit der Fertigstellung des ersten Meilers. Bis 2043 sollen dann insgesamt sechs Blöcke mit einer Leistung von 6 GW in Betrieb sein. So oder so spielen die möglichen Atommeiler, die als Ersatz für die stillzulegenden Kohlekraftwerke vorgesehen sind, also keinerlei Rolle bei der Realisierung der Klimaziele bis 2030.
Die Regierung hat keinen Plan B, falls die Investitionen in die Atomenergie nicht realisiert werden.
Andrzej Kassenberg sieht den Einstieg in die Atomkraft äußerst kritisch: «Die Preise für Energie aus Sonne und Wind fallen, und sie werden weiter fallen, ebenso wie die Kosten von Speicherkraftwerken, die stark sinken. Das ist die Zukunft – wenn wir in diese Richtung gehen, wird Energie für Privathaushalte und Industrie günstiger. Bei der Atomenergie wird dies nicht der Fall sein.» Die Regierung habe zudem keinen Plan B, falls die Investitionen in die Atomenergie aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden. Die angestrebte Energiesicherheit, so Kassenberg, sollte daher eher von unten aufgebaut werden – von den kleinsten Einheiten, also den Privathaushalten her über landwirtschaftliche Betriebe hin zu kommunalen Lösungen. Hier solle nach seiner Einschätzung «die europäische Idee der Subsidiarität greifen», also die Abgabe von Kompetenzen an die möglichst niedrigste politische Ebene.
Die PiS-Regierung hatte hier zumindest am Ende ihrer Regierungszeit Verbesserungen auf den Weg gebracht. Seit dem 1. Oktober 2023 gelten etwa leicht optimierte rechtliche Rahmenbedingungen für Energiegenossenschaften – bis dahin hatte es landesweit nur rund 20 solcher Genossenschaften gegeben. Die Änderungen sind nach Meinung von Expertinnen und Experten zwar noch unzureichend, aber immerhin sollen solche Genossenschaften nun mit umgerechnet rund 450 Millionen Euro aus EU-Töpfen gefördert werden.
Kohleverfeuerung – abwickeln oder verlängern?
Das bisherige Energiesystem in Polen ist überaus zentralisiert: Es fußt auf rund anderthalb Dutzend großer und kleinerer Kohlekraftwerke (und nur einem Gaskraftwerk), die große Teile des Landes lokal mit Energie versorgen. Am meisten erzeugt dabei das Braunkohlekraftwerk Bełchatów in Zentralpolen, das für rund ein Fünftel der elektrischen Energie des Landes sorgt, gleichzeitig auch einer der größten Einzelemittenten von CO2 in der EU ist.
Das polnische Umwelt- und Klimaministerium hat bereits angekündigt, dass die Laufzeit dieses und weiterer Kohlekraftwerke verlängert werden müsse, um Defizite bei der Reserve produzierter Energie zu verhindern. «Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren Kohle brauchen, um die Basis der Energieerzeugung in Form von Kraftwerksreserven zu sichern – und letztlich muss dieser Brennstoff durch emissionsfreie Energie aus Atomkraftwerken ersetzt werden», sagt Maciej Bando, Unterstaatssekretär im Ministerium für Klima und Umwelt. Das offizielle Zieldatum für den Ausstieg aus der Kohleenergie ist nach wie vor das Jahr 2049. Es könnte zwar im Zuge der Aktualisierung des Nationalen Energie- und Klimaplans vorgezogen werden, dennoch erscheint eine radikale Beschleunigung des Kohleausstiegs eher unwahrscheinlich.
Wir sehen wenig Spielraum für weitere CO2-Reduktionsverpflichtungen.
Polen würde sich derzeit auf das aktuelle 55-Prozent-Reduktionsziel der EU für 2030 konzentrieren, so Urszula Zielińska, Staatssekretärin im Umweltministerium. Das Ziel der Kommission sei eine Debattengrundlage – aber kein verbindliches Rechtsdokument. Dies bedeute jedoch nicht, dass Polen das vorgeschlagene Ziel ablehnen würde, wie die Staatssekretärin eilig auf der Social-Media-Plattform X nachschob. In der Klimadebatte stehen in Polen zudem eher soziale Fragen – beispielsweise danach, wie eine «gerechte Transformation» erreicht werden kann – im Vordergrund.
Für große Schlagzeilen sorgte die Ankündigung der neuen Regierung, die von der PiS eingesetzte Energiepreisbremse für Privathaushalte zu Ende Juni 2024 auslaufen zu lassen und Erleichterungen nur für die einkommensschwächsten Menschen zu gewähren. In diesem Kontext geht auch weitgehend unter, dass Warschau in anderen Bereichen der Umwelt- und Klimapolitik recht progressiv plant: «Wir werden die Holzverbrennung bei der kommerziellen Stromerzeugung verbieten», sagte Tusk damals in der Regierungserklärung. Bereits Anfang Januar verhängte die Regierung ein Moratorium, das die Abholzung in bestimmten Waldgebieten für die Dauer von sechs Monaten verbot. Geplant ist noch mehr: eine zivilgesellschaftliche Aufsicht über die Wälder, ein Programm zur Wiederherstellung von Sümpfen und Torfmooren, eine Vergrößerung der Nationalparks sowie die Ausweisung von zwei neuen – der Ministerpräsident und seine Koalition wäre, würde all dies umgesetzt, für polnische Verhältnisse geradezu grün-radikal. Auch die geschundene Oder soll rehabilitiert werden, denn «in Zukunft wird die Entwicklung von Ländern mehr denn je von der Qualität ihrer Gewässer abhängen», so Tusk.
Beschleunigung der Solarförderung angemahnt
Für einen Großteil der Bevölkerung und auch für Tusk beißen sich diese Vorhaben ganz und gar nicht mit dem geplanten Einstieg in die Atomenergie, die bei vielen in Polen vor allem als «sauber» gilt. Um große und landesweite Anti-Atom-Proteste braucht er sich keine Sorgen zu machen. Wohl aber um andere – denn das Land hat in den ersten Monaten des Jahres mit die massivsten Proteste von Landwirten erlebt, die es in der EU gab. Eine der wichtigsten Ursachen für die monatelangen Demonstrationen und Blockaden sind zwar die Importe von Agrargütern aus der Ukraine, doch der zweite, ebenso gewichtige Grund ist der «Europäische Green Deal». Vertreter der protestierenden Landwirte verlangen von Premierminister Tusk, dass er die Zustimmung Polens zu dem umfassenden Programm zurücknimmt. Der Druck war so hoch, dass Tusk Nachbesserungen beim Green Deal anmahnte, etwa bei der Stilllegung von Agrarflächen. Doch die EU-Politik in diesem Bereich komplett abzulehnen – das tut er nicht.
Insgesamt zeigen die Beschlüsse zur nationalen Energie- und Klimapolitik zwar, dass von Tusk und seinen Regierungspartnern deutlich mehr Progressives als von den Vorgängern zu erwarten ist. Allerdings ist der von der neuen Regierung weiterhin forcierte Einstieg in die Atomkraft ein großer Makel. Denn das Umleiten von erheblichen staatlichen Mitteln in die Atomkraft dürfte dazu führen, dass genau diese an anderer Stelle fehlen – was nicht nur junge Menschen auf die Barrikaden führen könnte, sondern auch Investoren der EE-Branche. Bereits jetzt mahnen sie die Beschleunigung etwa des Solar-Förderprogramms «Mein Strom» an. Doch dessen Neuauflage verschob die Regierung inzwischen bis weit in die zweite Jahreshälfte, auch die Gesamtförderhöhe ist noch unklar. Zuletzt war von insgesamt knapp 100 Millionen Euro die Rede. Das wäre sogar weniger, als mit der letzten Förderrunde in den Ausbau der Solarenergie floss – alles andere als ein Signal für einen mutigen Neuanfang oder einen wirklich konsequenten Einstieg in den Ausbau der Erneuerbaren.
Bild oben: Der Windpark Darłowo in der Woiwodschaft Westpommern.
Foto: Dirk Renckhoff / Alamy Stock
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