Piraten-Enten auf dem Neckar
Ein Gastbeitrag von Armin Simon (.ausgestrahlt)
15 Castoren mit hochradioaktivem Atommüll sollen über den Neckar schippern – in ein umstrittenes Zwischenlager. Hunderte Transporte bundesweit könnten folgen.
Die Enten gucken grimmig. Eine Klappe verdeckt ihr rechtes Auge, aus dem Flügel ragt − was sonst? − ein Haken. Anti-Atom-Fahnen wehen, Polizeiboote patrouillieren: Heilbronn Anfang März 2017. 800 Menschen protestieren gegen Atomkraft und gefährliche Atomtransporte. «Wir stellen uns quer!», ruft der Redner von der Bühne. Dann zieht die Demo zum Wasser, an der Schleuse vorbei, die den Atommüll flussaufwärts hieven soll, zur Brücke, die bald gesperrt werden wird: wenn der Castor unter ihr hindurchschippert.
342 hochradioaktive abgebrannte Brennelemente aus dem 2005 stillgelegten AKW Obrigheim will der Energiekonzern EnBW noch dieses Jahr in 15 Castor-Behälter packen und per Tieflader und Schiff auf dem Neckar ins 52 Kilometer entfernte Zwischenlager beim AKW Neckarwestheim verfrachten. Losgehen könnte es schon Ende Mai. Es wäre der erste Castortransport seit fünfeinhalb Jahren.
Die Mär von der «grünen Wiese»
Durch die Atommüll-Verschieberei könne das AKW Obrigheim schneller zur «grünen Wiese» werden, wirbt EnBW. Doch beim Abriss des Reaktors fällt jede Menge schwach, mittel und hoch radioaktiver Abfall an, der in jedem Fall erst einmal vor Ort bleiben wird. Auch das Argument, der Atomtransport sei nötig, um den Zeitplan des AKW-Abrisses nicht durcheinanderzubringen, ist scheinheilig: EnBW hat sich 2001, also vor 16 Jahren, im sogenannten «Atomkonsens» verpflichtet, auch in Obrigheim ein Castor-Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente zu errichten. Stattdessen ließ der Konzern den Strahlenmüll im schon vorhandenen, aber unsichereren Nasslager liegen.
Krater in der Straße
Dabei ist klar, dass die abgebrannten Brennelemente auch im Zwischenlager Neckarwestheim − zwei in den Steilhang eines ehemaligen Kalksteinbruchs getriebene Stollen − nicht lange bleiben können. Die Betriebsgenehmigung endet 2046. Zudem wäscht das Grundwasser im kalkigen Untergrund dort Jahr für Jahr mehr als 1.000 Kubikmeter neue Hohlräume aus. Der Kühlturm des AKW Neckarwestheim musste bereits mit Betoninjektionen wieder aufgerichtet werden.
Im benachbarten Kirchheim riss vor drei Jahren ein Erdfall in 50 Metern Tiefe urplötzlich einen Krater in eine Straße. Würden die Atommüllstollen in Neckarwestheim einstürzen, wären die Castoren nicht mehr zugänglich, sie könnten beschädigt oder nicht mehr ausreichend gekühlt werden, mit unter Umständen verheerenden Folgen.
Experten wie der Stuttgarter Geologe Hermann Behmel, ehemals akademischer Direktor des Instituts für Geologie und Paläontologie an der Universität Stuttgart, warnen seit Jahrzehnten vor den geologischen Gefahren des Atomstandorts. Ausgerechnet EnBW selbst lieferte dafür nun ein anschauliches Beispiel. Damit die Tieflader mit den Castoren in Neckarwestheim überhaupt vom Schiff an Land rollen können, ließ der Konzern am Ufer des AKW-Geländes eine Schwerlastrampe bauen. Bei den dafür nötigen Bodenerkundungen förderte der Bohrer statt festem Fels zum Teil metertief nur lose Gesteinsbrocken nach oben.
Unsinkbar?
Während die Einlagerung der Brennelemente aus Obrigheim in den Neckarwestheimer Stollen bereits genehmigt ist, stand die Transportgenehmigung Anfang April noch aus. Das Verfahren sei davon abhängig, dass alle Unterlagen und Nachweise in der erforderlichen Qualität vorlägen, heißt es beim Bundesamt für Entsorgungssicherheit. Immer drei mit je einem Castor bestückte Tieflader will EnBW auf ein antriebsloses Schiff fahren, einen sogenannten Leichter. Ein Motorschiff soll diesen dann nach Neckarwestheim schleppen. Der Leichter sei «unsinkbar», behauptet EnBW. Das soll bekanntlich auch für die Titanic gegolten haben.
Tatsächlich kommt es regelmäßig zu Unfällen, bei denen Schubleichter kentern oder steuerlos an Brücken, Ufer oder Schleusenbauwerke krachen. Erst Ende März prallte auf dem Mittellandkanal kurz vor Hannover einer samt Schlepper gegen einen Anleger und wurde erheblich beschädigt. Im Dezember ging ein Leichter bei Duisburg im Rhein unter. Einen Monat zuvor war in der Donau ein Schubleichter samt Schlepper nach Kollision mit einer Brücke gesunken. Und so weiter.
Für überregionales Aufsehen sorgte eine Havarie im Juni 1987 bei Karlsruhe, als ein Motorschiff mit angekoppeltem Schubleichter einen Brückenpfeiler rammte; beide Schiffe legten sich übereinander und sanken. Zur Bergung, die erst nach Wochen und zum Teil unter Umgehung jeglicher Sicherheitsvorschriften stattfand, musste das eine Schiff mit Seilsägen komplett auseinandergesägt werden.
Angriffsziel Castor
Da das AKW Obrigheim bereits seit 2005 vom Netz ist, sind die Brennelemente schon etwas abgeklungen. Trotzdem kann ein Castor, was die Radioaktivität angeht, noch den Fallout mehrerer Atombomben enthalten. Entsprechend groß ist die Gefahr, wenn ein Behälter beschädigt würde.
Schiffsunfälle sind dabei nur ein denkbares Szenario. Mindestens acht Stunden benötigt der Schubverband für die 52 Kilometer neckaraufwärts, das ist kaum mehr als Schritttempo. Die Route führt durch enge, bewaldete Taleinschnitte ebenso wie mitten durch die Großstadt Heilbronn. 22 Brücken liegen auf dem Weg, sechs Schleusen sind zu passieren, bei zweien geht das sogar nur in zwei Etappen.
Kurz: Die brisanten Transporte sind ein äußerst leichtes Anschlagsziel. Selbst die Behörden halten einen Beschuss der Behälter und/oder Angriffe mit Sprengstoffexplosionen für eine ernsthafte Gefahr. EnBW versichert, diese bereits berücksichtigt zu haben. Überprüfen lässt sich das allerdings ebenso wenig wie die Frage, ob die Sicherheitsanforderungen die Gefahren überhaupt angemessen berücksichtigen. Nahezu alle ihre Überlegungen dazu halten die Behörden geheim — aus Angst, mögliche Angreifer könnten die immer noch vorhandenen Sicherheitslücken erkennen.
Abschalten!
Atomkraftgegner haben Proteste gegen die Transporte angekündigt und sich dazu im «Bündnis Neckar castorfrei» zusammengeschlossen. Tausende von Anti-Atom-Piraten-Enten machen, als Aufkleber oder Gummientchen, Stimmung gegen die Transporte und den Weiterbetrieb der AKW. Auf Unterstützung von der seit 2011 grün geführten Landesregierung, zugleich eine der Haupteigentümerinnen von EnBW, können sie dabei allerdings nicht zählen: Der grüne Umweltminister Franz Untersteller etwa verlängerte erst Ende Dezember die «Gehobene wasserrechtliche Erlaubnis» für EnBW, das Grundwasser unter dem in einer Senke gelegenen AKW Neckarwestheim abzupumpen – Voraussetzung für dessen Weiterbetrieb. Das AKW diene «dem Wohl der Allgemeinheit», heißt es in der Begründung. Das Ministerium, kritisiert Franz Wagner vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn auf der Demo Anfang März, sei offensichtlich bloßer «Handlanger der EnBW».
Vorbild für den Atommüll aus Jülich?
Letztlich könnten die Atommüll-Fuhren auf dem Neckar der Türöffner für Hunderte weitere Transporte bundesweit sein. So steht das Forschungszentrum Jülich schon in den Startlöchern, um 152 (kleinere) Castor-Behälter mit Brennelementen des gescheiterten Kugelhaufenreaktors AVR nach Ahaus abzuschieben oder gar in die USA zu exportieren. 26 Castoren aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague sollen alsbald nach Philippsburg, Biblis, Brokdorf und Ohu rollen, weitere 150 Behälter nach Ahaus. Sogar hochangereichertes, waffentaugliches Uran könnte ab 2018 quer durch Deutschland reisen: vom Forschungsreaktor München II in Garching nach Ahaus.
Und die Idee, sämtliche Castoren in Deutschland, insgesamt an die 2.000, an wenigen zentralen Standorten zu konzentrieren, bis ein tiefengeologisches Lager gefunden und gebaut ist, steht bereits im Raum. Ob all diese Pläne weiter verfolgt werden, darauf dürften auch die Proteste gegen die Neckar-Castoren Einfluss haben.
Informationen zu den Castor-Transporten auf dem Neckar und den Protestaktionen dagegen gibt’s unter https://www.neckar-castorfrei.de