Direkt zum Inhalt der Seite springen

Ökonomie zukunftsfähig gestalten

Ein Bericht von Tom Jost

Thomas Jorberg von der GLS Bank fordert mehr Einflussnahme der Verbraucher, während der «Kakao-Revoluzzer» Alfred Ritter immer neue Wege sucht – und geht.

Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder einer Zukunft, die wir wollen» – darauf kommt es jetzt bei Politik und Gesellschaft, Bürgern und Unternehmen an. Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der sozial-ökologischen GLS Gemeinschaftsbank Bank und Aufsichtsratsvorsitzender der EWS, hat es mit den schon fast beschwörenden Worten seines Bankgründers Wilhelm Ernst Barkhoff recht früh beim 20. Schönauer Stromseminar in den Raum gestellt: «Bilder der Zukunft entwickeln und malen. So entsteht die Kraft, aus der wir schöpfen können.»

Alfred Ritter, ökologisch ambitionierter Familienunternehmer und Miteigner (nicht nur) des bekannten Schokoladenherstellers, beschreitet wiederum seit Jahrzehnten diesen Weg. Mit Visionen und Skizzen, mit Mut und konkretem Handeln. Sich beiden gedanklich zu nähern, war an diesem Sommertag im Schwarzwald ein besonderes Erlebnis.

Wenn die Menschen auf der Basis des Kyoto-Protokolls 1997 gleich auf einen CO2-Ausstiegspfad eingeschwenkt wären, hätten sie bei steter Verringerung 70 Jahre Zeit für das Erreichen der Klimaneutralität gehabt. «Alle dachten, die Kurve sei zu steil und die Kosten seien zu hoch», erinnert Thomas Jorberg. Inzwischen –über 20 Jahre danach – ist die weltweite Emission nicht um ein Drittel gesunken, sondern um ein Viertel angestiegen. Um die Nulllinie zu erreichen, bleiben nunmehr nur noch weitere 30 Jahre, die eine deutlich stärkere Abwärtsbewegung nötig hätten. Werde aber der CO2-Anstieg noch ein paar Jahre anhalten, müsse man bis 2035 radikal innerhalb eines Jahrzehnts auf «Null» kommen. «Es verbessert sich nichts durch Warten – es verschlimmert sich», sagt Jorberg. Man müsse jetzt dieser Entwicklung «aus der Zukunft entgegenkommen».

Ökonomie ist nur sinnvoll, wenn sie dem Menschen und
seinen Bedürfnissen dient.

Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank

Bremsklötze sieht er im Handeln oder besser Nichthandeln von großen Unternehmen und der Politik, denen meist dirigistische Methoden einfielen, statt Rahmenbedingungen festzulegen. Ratsam wäre endlich eine CO2-Steuer ohne Ausnahmen, die aber alle anderen einschlägigen Abgaben ersetze: «Heute können wir noch mit 40 bis 50 Euro pro Tonne einsteigen», meint der Bankvorstand. «Aber wenn wir bis 2025 warten, müssten es schon 130 Euro sein.» Ein Fehler sei auch die als Errungenschaft begriffene Annahme, in der Nachhaltigkeitsfrage seien Menschen, Umwelt und Ökonomie gleich wichtig. Damit stecke man in der alten systemischen Falle, in der die Wirtschaft das Denken und Handeln präge und sich am Ende immer durchsetze. «Jedwede Ökonomie ist nur sinnvoll, wenn sie ganzheitlich dem Menschen und seinen Bedürfnissen dient.»

Ein Pakt zwischen Herstellern und Konsumenten ist nötig

Ein schlanker Mann am Podium
Foto: Albert Schmidt

Ein Beispiel: Ökolandwirtschaft und Bionahrung sind längst im Mainstream angekommen. «Aber hat diese Entwicklung das System verändert – oder verändert das System die Bioangebote?», fragt Thomas Jorberg, um gleich die Antwort zu geben: «Sie finden im Fachhandel den Preiskampf ebenso wie die Quengelware an der Kasse. Und eben auch Demeter-Babynahrung in Miniportionen mit hohem Verpackungsaufwand.» Eigentlich müssten sich – zum Beispiel – Mitglieder von EWS und GLS Bank, BUND und Naturschutzbund zusammentun und als Bürgerinnen und Bürger die Standards definieren. «Und dann einen Vertrag schließen mit Anbauverbänden, Herstellern und Händlern: So wollen wir das haben – und wir werden das dann auch kaufen.» Das wäre eine multilaterale Beziehung. Und ein Bild von einer Zukunft, die man auch will.

Nicht nachhaltig, sondern zukunftsfähig gestalten

Ob Alfred Ritter mit den Käufern seiner Schokoladentafeln schon einen solchen Vertrag schloss, ist nicht bekannt. Gleichwohl: Es bräuchte wohl keinen. Denn Ritter lebt bereits seit geraumer Zeit die Überzeugung, «einen großen positiven Fußabdruck zu hinterlassen und nicht nachhaltig, sondern zukunftsfähig zu gestalten». Denn Nachhaltigkeit bedeute in seinen Augen, etwas zu erhalten, wie es sei – «ein völlig reaktionärer Gedanke».

Dazu ist er mit dem Unternehmen viele Schritte gegangen, durchaus unterschiedlich große: «Die sind auch im Wettbewerb möglich. Und man kann mit Sachen anfangen, die nicht so viel kosten.» So habe man die Verpackung der Schokolade von einem Materialverbund, der nicht wiederverwertbar war, auf eine dünne Polypropylen-Folie umgestellt und so den anfallenden Verpackungsmüll auf ein Drittel gesenkt. «Es ist immer noch Plastik, aber wir arbeiten daran.» Insgesamt sei der firmeninterne Müll um 90 Prozent verringert worden, ein Blockheizkraftwerk reduziere den CO2-Ausstoß um jährlich 7.000 Tonnen. Und der restliche Strom komme aus Schönau.

Mengenwachstum – kein Ziel in einer endlichen Welt

Das größte Betätigungsfeld ist aber der Kakao, den die produzierte Schokolade nun mal einfach braucht. Weil Mengenwachstum in einer endlichen Welt kein Ziel sein könne, habe man zum «Nordstern» erkoren, die «beste Schokolade der Welt» herzustellen. Dafür brauche es den besten Kakao, der an der Börse nur mit schwankenden Qualitäten und Preisen verfügbar sei. Aber selbst gute Bezahlung komme – etwa in Afrika – nicht bei den Bauern an. Die Folgen seien Unterernährung, Kinderarbeit, Menschenhandel und schwindendes Wissen um Anbau und Pflege der Plantagen.

Wir machen Bauern zu Handelspartnern auf Augenhöhe.

Alfred Ritter, Fair-Trade-Pionier

Nachhaltig, vielfältig, gut

Ein älterer Mann auf dem Podium
Foto: Albert Schmidt

Ritters bedeutendster Schritt sei jedoch 2011 die Gründung der eigenen Plantage «El Cacao» gewesen: Dafür wurden im Osten Nicaraguas 3.500 Hektar «ödes, abgelegenes Land» erworben, dessen eine Hälfte vor 30 Jahren abgeholzt und «zur Kuhweide» gemacht worden war – abgewirtschaftet durch regelmäßige Brandrodungen, Auswaschung und Erosion. Das neue Konzept sah vor, den Boden aufzulockern, Schattenbäume zu erhalten und neu zu pflanzen: und zwar gleich elf verschiedene Kakaosorten – als biologischen Schutz vor Schädlingen. «Unser Computer kennt alle 2,5 Millionen Bäume genau. Und Chemie brauchen wir auch nicht mehr.» Inzwischen gebe es erste kleine Ernten, aus denen mittelfristig 2.500 Jahrestonnen werden sollen. Es bedeute auch eine jährliche Speicherung von zehn bis zwölf Tonnen CO2 pro Hektar oder 17.000 Tonnen im Gesamtareal. «Darüber sind jetzt alle drei deutschen Ritter-Firmen in der Bilanz CO2-positiv», sagt der Unternehmer.

Drei Ritter-Firmen? Nicht viele wissen, dass der Mann aus Waldenbuch auch noch andere Klimaschutzwege gegangen ist: Seit 1992 produziert er erfolgreich Solarwärmessteme, insbesondere Vakuumkllektoren, und Holzpelletheizungen. Relativ neu dagegen ist «Thermo Natur» – ein Unternehmen, das aus Kaffee- und Kakaosäcken, die üblicherweise nach einmaliger Benutzung verbrannt werden, hochwertige Hausbau-Dämmstoffe herstellt.

Soeben ist Alfred Ritter der «Deutsche Gründerpreis» für sein (bisheriges) Lebenswerk verliehen worden. Was er tue, sagt er in Schönau abschließend, «macht viel mehr Spaß, als einfach nur Geld zu verdienen».

 

Älterer Mann mit grauer Haarmähne vor eine Betonwand fotografiert.
Alfred T. Ritter

Während seines Studium der Volkswirtschaft und Psychologie an der Universität Heidelberg wurde Alfred T. Ritter Beiratsmitglied von Ritter Sport. Zeit seines Lebens ist er familiär und unternehmerisch eng mit der weltweit bekannten Marke verbunden. Mit dem Unternehmen «Ritter Energie- und Umwelttechnik» arbeitet er an einer nachhaltigen Energieversorgung.

Seinen Vortrag beim Schönauer Stromseminar 2019 finden Sie auf dem YouTube-Kanal der EWS.

Mittelalter Mann mit grauen Haaren vor einer Wellblechwand
Thomas Jorberg

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der GLS Bank studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1986 istThomas Jorberg bei der GLS Bank tätig, seit 1993 im Vorstand und seit 2003 Vorstandssprecher. Darüber hinaus Mitglied des Hochschulrats der Ruhr-Universität Bochum sowie Mitglied des Zentralen Beirats der DZ BANK Gruppe.

Seinen Vortrag beim Schönauer Stromseminar 2019 finden Sie auf dem YouTube-Kanal der EWS.

Mehr zum Thema

  • Auf einer altmodischen Holzbank vor einer rustikalen Ziegelmauer sitzend, verschränkt die lächelnde Kate Raworth ihre Arme in Brusthöhe auf einem Schwimmreifen mit Donut-Dekor, der vor ihr auf dem Boden steht.

    «Kein System wächst endlos»

    Kate Raworth bricht mit der gängigen Wirtschaftslehre. Ihre «Donut-Ökonomie» will die Bedürfnisse der Menschen mit der Ökologie in Einklang bringen.

    Zum Interview mit Kate Raworth

  • Älterer Herr vor weißer Wand im Gespräch, gestikulierend

    Mit Erneuerbaren zu einer umfassenden Energiewende

    Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung: Mit diesen drei Schlagworten umreißt der Energiemarktexperte Tobias Kurth die Perspektiven des Energiemarkts.

    Zum Interview mit Mojib Latif

18. Juli 2019 | Energiewende-Magazin