Netze für die Zukunft
Ein Bericht von Tom Jost
Wo Bürger sich selbst für die gemeinsame Wärmeversorgung und für Glasfaserkabel einsetzen, gelingen solche Projekte verblüffend oft und schnell.
Ein Drittel der Stromerzeugung auf Erneuerbare Energien umgestellt – eigentlich könnte man Deutschland auf einem guten Weg vermuten. Dass es so rosig dann doch nicht aussieht, veranschaulicht Daniel Weiß als Geschäftsführer der EWS Energie GmbH gleich in der Eingangssequenz seines Vortrages beim Schönauer Stromseminar 2018: «Zum Primärenergieverbrauch tragen die Erneuerbaren damit nur 12 Prozent bei. Für eine vollständige Energiewende müssen wir also nicht bloß acht Prozent Atomenergie ersetzen – das wäre ein Klacks. Sondern insgesamt noch 88 Prozent.»
Allerdings verfolgt man im Süden des Schwarzwaldes schon seit Längerem eine Strategie, auch diese Herausforderung gezielt anzugehen. Denn mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs entfällt auf die Erzeugung und Bereitstellung von Wärme, vor allem zur Beheizung von Wohn- und Gewerbegebäuden. Und lokale Wärmenetze, wie sie die EWS seit 2006 errichten und erweitern, stellen dabei mehr als nur einen erfolgversprechenden Hebel dar.
Die Technik ist nicht die einzige Herausforderung
Der besonderere Charme, erläutert Daniel Weiß, besteht darin, innerhalb eines solchen örtlichen Verbundes mehrere Wärmeerzeuger mit durchaus unterschiedlichen Charakteristiken kombinieren zu können. «Es gibt Dauerläufer wie Geothermie oder Biogas-Blockheizkraftwerke, die konstant sind, aber in der Regel unflexibel eingesetzt werden. Und es gibt die schnellen Sprinter wie Erdgaskessel oder Pufferspeicher, die man für Spitzenverbräuche hinzuschaltet. Eine Technologie, die alle Ansprüche effizient abdeckt, kann es naturgemäß nicht geben. Das wäre so, also wollte man mit dem 40-Tonner-Lkw zum Einkaufen fahren.» In Zell beispielsweise, wo das Wärmenetz in zwölf Jahren beständig wuchs, verrichten inzwischen acht Wärmeerzeuger an fünf Standorten ihren Dienst.
Langfristiges Ziel ist es, dass jeder dabei ist.
Die eigentliche Herausforderung ist nicht technischer, sondern eher soziologischer Natur. Denn im Wiesental, wo bisher viele «Häusle-Eigner» ihre Gebäude mit Öl oder Holzscheiten aus regionalen Forsten heizen, müssen die Bewohner für die Umstellung auf ein nachhaltiges Wärmenetz erst gewonnen werden. Das ist verhältnismäßig einfach, wenn die Hausbesitzer mit fortschreitendem Alter selbst körperliche Probleme mit mit dem Verarbeiten von klobigen Holzscheiten erwarten. Schwieriger wird es dort, wo vielleicht erst vor kurzer Zeit in einen neuen Brennkessel investiert werden musste, weil der alte schlicht sein Lebensende erreicht hatte. «Wirtschaftlich wird der Netzbau nur», sagt Daniel Weiß, «wenn im allerersten Schritt mindestens 50 Prozent der Haushalte mitmachen. Langfristiges Ziel ist es, dass jeder dabei ist.»
Beispielhafte Projekte nicht nur im Kleinen Wiesental
Wie gelingt es dann doch, dass beispielsweise im 325-Einwohner-Dorf Neuenweg von zunächst 54 anschließbaren Gebäuden gleich 45 Hausbesitzer mittun und 20 von ihnen auch sofort Wärme beziehen wollen? Oder im doppelt so großen Wies, wo von 103 anschließbaren Gebäuden immerhin 79 Eigentümer unterschrieben haben? Dieses Kunststück gelang mit Bürgerkraft. Ob in Tegernau (mit dem Verein «Erneuerbare Energien Kleines Wiesental», der das «Klinkenputzen» übernahm) oder in Neuenweg, wo man in der Rekordzeit von einer Woche selbst die nötigen Einzeldaten zusammentrug.
«Am besten motiviert man, wenn man selber motiviert ist», verrät Vereinsvorstand Heiner Fabry in einem Filmbeitrag. «Durch die Diskussion in der Gemeinde, so Fabry, ist der Funke übergesprungen auf Nachbargemeinden. Sie haben sich dann gemeldet und gefragt: Bitte, wann kommt ihr denn auch zu uns, und wann dürfen wir mitmachen?»
Ein ganz besonderes Investitionsprojekt hat Daniel Weiß beim Stromseminar dann noch als neuestes und inzwischen elftes Nahwärmenetz der EWS vorstellen können: Im badischen Rheinfelden, wo man durch Gemeindebeschluss seit drei Jahren offizieller Wärmepartner der Kommune ist, soll bis 2028 das Innenstadtgebiet erschlossen und versorgt werden. Und zwar – als Clou: demnächst auch mit industrieller Abwärme aus einem Chemiebetrieb, die bisher bloß den Himmel über dem Oberrhein aufgeheizt hat. «Diese Gasturbine hat eine so große Wärmeleistung, dass wir sehr einfach die nötigen 1.600 kW auskoppeln können.» Zehn Jahre Bauzeit, 15 bis 20 Kilometer Leitungen und etwa 20 Millionen Euro sind für ein Netz bis in die kleinsten Verästelungen veranschlagt. «Damit kann man dann das gesamte Erdgas für die Hausheizungen einsparen – das braucht’s nimmer.»
Vor den Bau solcher Wärmenetze haben die Götter allerdings Konjunktur und Koordinierung gesetzt. Konjunktur, weil die Wirtschaft im Südwesten Deutschlands (und in der benachbarten Schweiz) besonders brummt und Tiefbaufirmen, die man für die Grabarbeiten braucht, nun wirklich nicht über Beschäftigungsmangel klagen. Langfristige Beziehungen können das lösen. Und Koordinierung, denn betroffene Anwohner finden es wenig spaßig, wenn Straßen und Gehwege für verschiedene Leitungen immer wieder neu aufgerissen werden. Also gilt es, rechtzeitig Planungen auszutauschen und möglichst viele Medien gleichzeitig zu verlegen.
In diesem Jahr schaffen wir es zum ersten Mal, gemeinsam mit einem Nahwärmenetz Leitungen für Wärme und Trinkwasser, Stromversorgung und Glasfaser zu verlegen
Einen idealen Gesprächspartner findet Weiß dabei in Paul Kempf vom «Zweckverband Breitbandversorgung» im Landkreis Lörrach. Der steht ebenfalls vor einer immensen Aufgabe, nämlich der, die vielen auf der Karte noch «roten» Flecken zu erschließen, wo außerhalb der größeren Städte das Internet die Daten bloß tröpfchenweise liefert. Das alte Kupfernetz der Telekom gibt über längere Wege mehr als zwei Mbit Geschwindigkeit nicht her. Dabei hat die Bundesregierung 50 Mbit als aktuelle Grundversorgung definiert – und die EU sogar 100 Mbit zum Ziel erhoben. Im Landkreis Lörrach, der schon fast als gut versorgt gilt, fehlen immer noch rund 55.000 Gebäudeanschlüsse – und die Leitungswege zu ihnen.
Kooperation, die sich rechnet
Verbandsgeschäftsführer Kempf vermerkt beim Stromseminar, dass sich die Datenvolumina bisher mit schöner Regelmäßigkeit «alle zwei Jahre verdoppelt haben». Künftig dürfte es noch schneller gehen – durch Videostreaming und Smarthome-Installationen. Noch gar nicht eingerechnet seien Datenmengen von geschätzt 60 Gigabyte pro Stunde, die ein autonom fahrendes Auto produzieren und über 35 SIM-Karten versenden werde. Und auch nicht das neue 5G-Mobilfunknetz, dessen Funkmasten natürlich per Glaskabel angebunden werden müssten. Sein Zwischenfazit: «Wenn nur ein Bruchteil davon wahr wird, sind die Kupferleitungen schnell fertig.» Besser sei es nur in Gegenden, die schon über TV-Breitband verfügten.
Deshalb also: Kooperation. Von 380 Kilometern allein an tragfähigem Glasfaser-Rückgrat im Kreis seien bisher etwa 150 vorhanden. Bis in die letzten Verästelungen müsse man wohl 110.000 Kilometer Faser verlegen – vorsorglich zwei für jede Wohnung und noch einmal zwei als Reserve fürs Haus. Die letzten Prognosen sagen, dass man für dieses Digitalnetz im Kreisgebiet 300 Millionen Euro aufwenden und bis zu dessen finaler Fertigstellung bis etwa 2030 warten müsse.
Man ahnt: Daniel Weiß und Paul Kempf werden die regelmäßigen Abstimmungen über Kabelverlegung hier und neue Wärmenetze dort noch eine ganze Weile erhalten bleiben.
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«Handeln trotz Hürden – schlaue Bürger, smarte Lösungen»
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