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Korallen am Limit

Ein Bericht von Benjamin von Brackel

Immer mehr Korallenriffe veröden – wegen des Klimawandels. Forscher loten nun aus, wie lange diese Lebensräume den Veränderungen trotzen können.

AAls Terry Hughes im März 2017 das Great-­Barrier-Riff überflog, konnte er seinen Augen kaum trauen. Unter dem Schatten seines kleinen Flugzeugs sah der Direktor des Zentrums für Korallenriffstudien der «James Cook University» ein Riff nach dem anderen unter sich vorbeiziehen. Doch anstelle der sonst so leuchtenden Farben der Korallen zeichneten sich unter Wasser nur weiße Skelette ab. Zwei Drittel des Riffs vor der Nordostküste Australiens waren von der Korallenbleiche betroffen. Nur das südliche Drittel war in einem normalen Zustand. Als Hughes seinen Studentinnen und Studenten Aufnahmen von der Bleiche zeigte, mussten einige weinen.

Riesengebilde aus Kalk

Korallenriffe sind einzigartige Lebensräume. Die riesigen Riffe werden von wirbellosen Organismen erschaffen, die oft nicht einmal einen Zentimeter groß sind: Korallenpolypen, deren zylinderförmiger Körper in einer Mundöffnung endet, die wiederum von Tentakeln umgeben ist. Die Kolonien dieser Nesseltiere sondern stetig Kalk ab und errichten damit über Jahrhunderte das Grundgerüst für die faszinierenden Unterwasserszenarien.

Doch überleben können die Korallen nur in Symbiose – und zwar mit winzigen Algen, sogenannten «Zooxanthellen», die sich an der Haut der Polypen einnisten und dort Kohlendioxid abzapfen. Das benötigen die Einzeller, um Photosynthese zu betreiben. Dabei entstehen Sauerstoff und Zucker, die wiederum die Korallenpolypen versorgen. Erst die Algen geben den Korallenriffen ihr leuchtendes Rot, Grün oder Blau.

Wärme gefährdet die Symbiose

Erwärmt sich das Wasser aber für längere Zeit auf deutlich über 30 Grad, produzieren die Algen Radikale und die Polypen setzen ihre Untermieter vor die Tür. Eine Zeit lang können sie ohne die Algen leben, doch auf Dauer verhungern sie. Zurück bleibt nur das weiße Kalkskelett.

Entscheidend für das Überleben der Korallen ist dabei die Zeit zwischen den Bleichen: Eigentlich benötigen Korallen gut zehn Jahre, um sich von einer Bleiche zu erholen. Im Great-Barrier-Riff aber kam es in den vergangenen zehn Jahren gleich dreimal zu Massenbleichen: 2010, 2015 und 2016.

Infografik zur Erläuterung der Korallenbleiche
Die Korallen leben in Symbiose mit winzigen Algen. Diese nisten sich an der Haut der Polypen ein und leben vom Kohlendioxidausstoß ihres Wirtes. Im Gegenzug versorgen die Algen die Koralle mit Sauerstoff und Zucker. Illustration: Ole Häntzschel
Infografik zur Erläuterung der Korallenbleiche
Erst die Algen geben den Korallen ihre leuchtende Farbe. Die idealen Wassertemperaturen für Korallen und Algen im Great-Barrier-Riff liegen bei unter 30°C. Illustration: Ole Häntzschel
Infografik zur Erläuterung der Korallenbleiche
Steigt die Temperaturen auf über 30°C, beginnen die Algen, freie Radikale zu produzieren. Die Koralle stößt die Algen daraufhin ab, die Farbe verblasst, die Korallenbleiche setzt ein. Illustration: Ole Häntzschel
Infografik zur Erläuterung der Korallenbleiche
Halten derartige Temperaturen an, sind bald alle Algen abgestoßen, die Koralle hat ihre Farbe vollständig verloren und hungert. Eine Regeneration ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch immer möglich. Illustration: Ole Häntzschel
Infografik zur Erläuterung der Korallenbleiche
Tritt ein solches Hitzeereignis (> 30°C) öfter als alle fünf Jahre ein, verhungert die Koralle vollständig, das Skelett bricht zusammen, die Koralle ist tot. Illustration: Ole Häntzschel

Massensterben ab drei Grad Meereserwärmung

Konnten sich die Korallenriffe seitdem wieder erholen? Dieser Frage ging Hughes nach. Er studierte Satellitenbilder und überflog mehrfach das Riff, um das Ausmaß der Bleiche festzustellen. «Auf das gesamte Great-Barrier-Riff hochgerechnet verloren wir zwischen März und November 2016 30 Prozent der Korallen», konstatiert Hughes.

Um die Ergebnisse zu überprüfen, ging der Wissen­schaftler auf Tauchgang und begutachtete 104 Riffe aus nächster Nähe. Wo einst Korallen in kräftigen Farben und bizarren Formen Hughes Augen zum Leuchten gebracht hatten, waren vor allem im Nordteil nichts als weiße Skelettwüsten zu sehen, an denen teils noch verrottendes Korallengewebe haftete und die bereits von den ersten Fadenalgen in Beschlag genommen wurden.

Nachdem der Hitzestress im März 2016 seinen Höhepunkt erreicht hatte, waren innerhalb von nur zwei bis drei Wochen viele Millionen Korallen im nördlichen Drittel des Riffs gestorben. Der Südteil des Riffs hingegen war so gut wie unbeschadet davongekommen. Trotz aller Bestürzung: Für Hughes als Wissenschaftler war das eine spannende Versuchsanordnung. Denn sie hilft, die Antwort auf die entscheidende Frage zu finden, bis zu welcher Hitzeeinwirkung Korallen überleben können.

Die Ergebnisse: Solange die Wassertemperaturen nicht um mehr als drei Grad anstiegen, änderte sich die Korallenbedeckung kaum. Über diesem Wert allerdings begann das Massensterben. Ab einem Hitzestress von über vier Grad nahm die Bedeckung um 40 Prozent ab, ab acht Grad sogar um zwei Drittel und ab neun Grad um 80 Prozent.

Den entscheidenden Schwellenwert machte Hughes bei plus sechs Grad aus. Oberhalb dieser Grenze stellte er Änderungen in der Zusammensetzung der Korallenarten fest. Der Stress hatte eine rapide Auslese zwischen den unterschiedlich hitzeresistenten Korallen in Gang gesetzt. Über ein Viertel des gesamten Riffs war davon betroffen.

Korallenbleichen sind fünfmal wahrscheinlicher geworden

Besonders stark geschädigt waren die Geweihkorallen, die Dornenkronenkorallen und die lilafarbenen Griffelkorallen, die den Spitznamen «Milka-Korallen» tragen. In den stark von der Bleiche betroffenen Gebieten nahmen diese schnellwüchsigen, filigran verzweigten Arten um bis zu drei Viertel ab, während weniger feingliedrige und lang­samer wachsende Korallen fortan dominierten. «Das Korallensterben hat die Zusammensetzung der Korallenarten in Hunderten von Riffs radikal verändert», sagt Hughes. In der Folge verringerte sich auch die Artenvielfalt anderer Riffbewohner wie die von Fischen, Schildkröten und Haien.

Das Great-Barrier-Riff ist indes kein Einzelfall: In allen tropischen Gewässern rund um die Welt griff das große Korallensterben in den vergangenen Jahren um sich. «Für die tropischen Riffsysteme beginnt eine neue Ära, in der die Zeiträume zwischen wiederkehrenden Korallenbleichen zu kurz sind, um sich vollständig zu erholen», so das Fachblatt «Science» 2018.

Bunte Korallenwelt
Gesunde Korallen sind mit das Farbenprächtigste, was die Welt unter Wasser zu bieten hat … Foto: Erik Lukas & SeeUnderSea, LLC
Luftaufnahme des ausgebleichten Great-Barrier-Riffs
… das Great-Barrier-Riff bot im Dezember 2016 dagegen ein erschütterndes Bild: über weite Flächen ausgeblichene Korallenriffe. Foto: Terry Hughes, ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies
Bürositzung der Task Force um Terry Hughes
Terry Hughes (dritter von rechts) koordiniert die «National Coral Bleaching Taskforce» mit über 300 Wissenschaftlern von zehn australischen Institutionen. Foto: ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies
Eine Taucherin nimmt eine Bestandsaufnahme im Korallenriff vor.
Die Bestandsaufnahmen der Wissenschaftler geben Anlass zu größter Besorgnis: Immer mehr Riffe sind gefährdet. Foto: Greg Torda
Ein Wald von ausgeblichenen Korallen unter Wasser
Ausgeblichene Korallen vor Heron Island, einer Insel im südlichen Abschnitt des Great-Barrier-Riffs. Foto: Richard Vever, The Ocean Agency
Abgestorbene, ausgebleichte Korallen bieten einen trostlosen Anblick.
Ein abgestorbenes Korallenriff in Curaçao, Niederländische Antillen Foto: Helmut Corneli

Forscherinnen und Forscher aus Australien, Großbritannien und Kanada hatten zwischen 1980 und 2016 Korallenbleichen in 100 Riffs aus aller Welt untersucht und kamen zum Ergebnis, dass Korallenbleichen fünfmal wahrscheinlicher geworden sind: Lag die Wahrscheinlichkeit einer Korallenbleiche 1980 noch bei durchschnittlich einmal alle 25 bis 30 Jahre, so erhöhte sich das Risiko für 2016 auf einmal alle sechs Jahre. Besonders stark gebeutelt war die Karibik, während in jüngster Zeit die Meere um Australien und im Indischen Ozean am stärksten betroffen sind. Terry Hughes rechnet damit, dass diese Riffe so lange degradieren, bis sich der Klimawandel stabilisiert hat und die übriggebliebenen Korallen sich zu neuen, hitzetoleranten Riffgemeinschaften umformen.

Das ist nicht nur ästhetisch ein riesiger Verlust. Meeres­wissenschaftler schätzen, dass sich im Schutz der Korallenriffe bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten angesiedelt haben. Ein Viertel aller Tierarten der Weltmeere hängt von den Riffen und ihren Rückzugs- und Nahrungsangeboten ab. Damit bilden die Korallenriffe eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt.

Doch auch die Menschen würden ein Verschwinden der Korallen deutlich zu spüren bekommen. Und zwar nicht nur die Touristen: Denn vor allem in den Tropen decken Hunderte Millionen von Menschen ihren Proteinbedarf mit Fischen aus Korallenriffen. Verschwinden die Riffe, verschwinden auch die Fische – und damit die Nahrungsgrundlage für viele der ärmeren Staaten, deren Küsten die Riffe zudem vor starker Brandung schützen.

Hitzetolerante Korallen aus dem Labor

Im Gegensatz zu anderen Meeresbewohnern können Korallen nicht so einfach in höhere Breiten umsiedeln, in denen es kühler ist, schließlich sind sie an ihren Aufenthaltsort gebunden. Ihr Nachwuchs allerdings kann sich einen günstigeren Ort suchen: Korallen stoßen einmal im Jahr gleichzeitig Ei- und Samenzellen aus. Nach der Befruchtung bilden sich Larven, und zwar in so großer Zahl, dass sie einer rosafarbenen Wolke gleichen. Sie treiben oft wochenlang auf der Meeresoberfläche und lassen sich dort nieder, wo Temperatur und Wasserqualität besonders günstig sind. Allerdings dürfte es Biologen zufolge einige Hundert Jahre dauern, bis sich ganze Riffe in kühleren Gefilden ansiedeln können. Nur: So viel Zeit haben Korallen nicht mehr.

Schematische Darstellung der Fortpflanzung: aus dem Geäst der Koralle werden Eizellen und Samen ausgestoßen, die Eizelle wird befruchtet, im dritten Schritt die Larve
Korallen können sich sowohl ungeschlechtlich wie geschlechtlich fortpflanzen. Zwitter-Korallen übernehmen sowohl den männlichen als auch den weiblichen Part. Einmal im Jahr stoßen sie Eier und Samenzellen aus. Nach der Befruchtung bilden sich sogenannte Planula-Larven. Illustration: Ole Häntzschel
Die Larvenwolke, Jungpolypen, die aussehen wie Blumen, das Geäst von Korallen
Die Larven schwimmen als riesige rosafarbene Wolke auf der Wasseroberfläche und lassen sich dort nieder, wo Temperatur und Wasserqualität besonders günstig sind. Nach der Ansiedlung geschieht die Fortpflanzung ungeschlechtlich: die Jungpolypen teilen sich und beginnen so eine neue Kolonie zu bilden. Illustration: Ole Häntzschel

Völlig hilflos sind sie aber auch nicht. Einige Arten können durch Aktivierung bestimmter Gene die Hitzetoleranz ihres Stoffwechsels erhöhen und auch in wärmerer Umgebung bestehen. In manchen Riffen konnten Forscher zudem eine weitere Anpassungsstrategie beobachten: Erwärmt sich das Wasser zu sehr, stoßen die Korallen ihre Algen zunächst ab und schaffen so Platz für neue, die mit der Hitze besser zurechtkommen.

Australische Forscher versuchen mittlerweile, Korallen Hitzeresistenz-Gene einzusetzen, ähnlich wie bei Kulturpflanzen. Und Forscher aus Florida arbeiten daran, im Labor Korallen nachzuzüchten, die sich im Meer als besonders hitzeresistent erwiesen haben. Diese Polypen können sich auch bei erhöhten Temperaturen von Algen mit dem lebensnotwendigen Zucker versorgen lassen. Auf diese Weise gelang es den Wissenschaftlern in den letzten Jahren, Elch- und Hirschgeweihkorallen wieder vor der Küste Floridas anzusiedeln. Allerdings sind derartige Eingriffe nicht nur teuer und aufwendig, sondern können auch die fein abgestimmten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.

Lokale Maßnahmen dürften keine Ausrede für schwache Klimaschutzmaßnahmen sein – wir müssen sowohl lokal als auch global handeln.

Terry Hughes, James-Cook-University Townsville/Queensland
Eine Taucherin in einem submarinen Versuchs-Korallengarten greift nach einem abgebrochenen Korallenast.
Anzuchtstation für hitzeresis­tente Korallenarten in der Coral Restoration Foundation, Florida, USA Foto: Sara Nilsson, Coral Restoration Foundation

Es sei nicht sinnvoll, schon heute im großen Stil hitzetolerantere Korallen zu züchten und großflächig in Riffe einzusetzen, sagt Ulf Riebesell, Professor für Biologische Ozeanographie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. «Aber die Forschung sollten wir vorantreiben, denn wir müssen eine fundierte Entscheidung treffen können, wenn die Situation eintritt, dass es für die natürliche Anpassung zu spät ist.»

Wer schon heute auf den Gedanken kommt, Korallenriffe großflächig mit zweifelhaften Methoden gegen die Hitze wappnen zu wollen, sollte Umweltschützern zufolge erst einmal auf näherliegende Mittel setzen, um den Korallen das Leben zu erleichtern, nämlich all die Faktoren ausschalten oder zumindest begrenzen, mit denen die Menschen – neben dem Klimawandel – die Nesseltiere malträtieren: die Meere nicht länger überfischen, verdrecken und über die Zuflüsse überdüngen.

Die Regierung des mittelamerikanischen Staats Belize ist da einer der wenigen Lichtblicke. Sie hat vor ein paar Jahren die Ölförderung in der Nähe von Korallenriffen eingeschränkt und schützt zudem die Mangrovenwälder an der Küste. Das bewahrt die Riffe teilweise vor der Zerstörungswut der Stürme, denn die salztoleranten Bäume halten den Uferboden zusammen und schützen nach Stürmen vor Erosion.

Hawaii wiederum will ab 2021 Sonnencremes verbieten, die für Korallen schädliche Chemikalien enthalten. Vor allem die Chemikalien Octinoxat und Oxybenzon machen Biologen dafür verantwortlich, dass sich Korallen unter ihrem Einfluss zunächst nicht mehr vermehren und dann absterben.

Eine weitere Bedrohung: die Ozeanversauerung

Das alles sind jedoch nur Trostpflaster, verglichen mit den Folgen des Klimawandels. Und auch von anderer Seite lauert Gefahr: Neben der Erwärmung der Meere stellt die Versauerung der Ozeane eine wachsende Bedrohung dar. Ein gutes Viertel des Kohlendioxids, das die Menschen ausstoßen, gelangt in die Meere. Damit erhöht sich der Säuregrad, und den Tieren fällt es schwerer, ihre Kalkskelette auszubilden. Die aber brauchen sie zum Überleben.

Doch je mehr Kohlendioxid in die Meere gelangt, desto stärker wird diese Schutzhülle vor Feinden und Umwelteinflüssen angegriffen. Durch den Klimawandel ist der pH-Wert bereits von 8,25 auf 8,1 gefallen. Das klingt nicht nach viel, bedeutet aber, dass sich der Säuregehalt im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung um fast ein Drittel erhöht hat.

Für Kaltwasserkorallen ist das noch kein Problem – da sich die Meere erwärmen, können sie die Versauerung sogar fürs Erste kompensieren, da ihnen mehr Energie zur Verfügung steht. In den Tropen bekommen die Korallen die Versauerung aber schon heute zu spüren. Noch kommen sie einigermaßen damit zurecht, aber wenn der pH-Wert bis zum Ende des Jahrhunderts auf 7,7 sinkt, wie es Klimaforscher befürchten, sollte die Welt weitere Jahrzehnte fossile Brennstoffe verfeuern, dann bekäme etwa die Hälfte der Korallen Schwierigkeiten, noch ihre Schalen und Skelette aus Kalk auszubilden.

Freilandexperiment im Meer: An einer von drei filigranen Konstruktionen aus Folien, Spanndrähten und und Rohren steht ein Mann in einem Schlauchboot.
Riesige Reagenzgläser im Meer: Mit künstlich zu­gesetztem {co2} unter­suchen Wissenschaftler in Spitzbergen die Auswirkungen der Ozeanversauerung auf Mikroorganismen. Foto: Maike Nicolai

Ein Blick in die Zukunft

Was das konkret bedeutet, konnte ein internationales Forscherteam um Katharina Fabricius vom «Australian Instiute of Marine Science» in Townsville schon vor einigen Jahren erleben. Am Meeresgrund vor Papua-Neu­guinea eröffnete sich ihnen ein Blick in die Zukunft – und zwar dank dreier Vulkanquellen, aus denen fast reines Kohlendioxid ausströmte. Je näher die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Quellen heranschwammen, desto stärker sank der pH-Wert: von 8,1 auf 7,8. Und das ist genau die Entwicklung, die Klimaforscher bei einem ungünstigen Verlauf bis zum Ende des Jahrhunderts für die Meere auf der ganzen Welt prognostizieren.

«Mit der Abnahme des pH-Werts des Meerwassers auf 7,8 veränderten sich die Riffgemeinschaften nach und nach, ohne klare Schwellenwerte», heißt es in der Studie von Fabricius. Insgesamt sank die Artenvielfalt um 40 Prozent. «Im Speziellen nahm der Reichtum an Steinkorallen, an Jungkorallen und an Rotkorallen mit sinkendem pH-Wert ab.»

 

Logo des Magazins «nature climate change»

Fabricius-Studie 2011 (englischsprachig)

«Verlierer und Gewinner durch Akklimatisierung an erhöhte CO₂-Konzentrationen», veröffentlicht 2011 im Magazin «nature climate change»

 

In unmittelbarer Nähe der Kohlendioxid-Quellen, wo die pH-Werte unter 7,7 rutschten, änderte sich das Bild noch einmal drastisch: Hier fanden sich nicht einmal mehr die robusten Arten. Das Fazit der Forscher: «Die beobachteten ökologischen Veränderungen bedeuten ernsthafte Konsequenzen für die Zukunft der Korallenriffe.» Um mit der Versauerung zurechtzukommen, bleiben den Korallen drei Möglichkeiten: Sie können langsamer wachsen, sie können sich weniger fortpflanzen, um Energie für die Kalkbildung zu gewinnen, oder sie können einfach weniger Kalk ausbilden, was sie allerdings angreifbarer für Fressfeinde macht. «Die Evolution wird zeigen, welche Überlebensstrategie sich durchsetzt», sagt Ulf Riebesell.

Aussterben werden die Korallen wohl allerdings nicht. Jedenfalls nicht, wenn die Menschen ein Mindestmaß an Klimaschutz betreiben. Doch das Gesicht der Riffe wird sich extrem ändern: «Die Riffe der Zukunft werden eine viel geringere Biodiversität aufweisen und völlig anders aussehen als die heutigen», so Riebesell. «Wir sind auf dem besten Wege, immer wieder Massensterben zu erleben.»

Korallenhügel im Meer, rechts schwimmt eine Schildkröte
Aus der Fabricius-Studie: «Die beobachteten ökologischen Veränderungen bedeuten ernsthafte Konsequenzen für die Zukunft der Korallenriffe.» Foto: Panedia

Zu wenig Zeit zur Erholung

In prähistorischer Zeit hat es das wiederholt gegeben, die Korallen wurden dabei extrem dezimiert. Allerdings fanden einige besonders robuste Arten offensichtlich immer wieder eine Nische, in der sie überleben konnten. Nach einigen Zehntausend Jahren war dann die ursprüngliche Artenvielfalt wiederhergestellt. So ähnlich dürfte es jetzt wieder geschehen.

Für die von den Bleichen betroffenen Korallenriffe am Great-Barrier-Riff prognostiziert Terry Hughes jedoch keine gute Entwicklung für die nächsten Jahre: Neben den Millionen abgestorbenen Korallen hätten viele überlebende Korallen massive Gewebeverluste erleiden müssen und seien daher anfälliger für Krankheiten aller Art. Außerdem dauere es mindestens eine Dekade, bis überlebende Korallen die Lücken füllen können, welche die toten Korallen gerissen haben; das gilt selbst für schnell wachsende Arten. Die nächste Bleiche, das zeigt der Trend, wird nicht lange auf sich warten lassen.

Hughes empfiehlt, sich nun den etwas widerstandsfähigen Korallen im Riff zuzuwenden, die überleben konnten. «Wir müssen uns dringend darauf konzentrieren, das Glas zu schützen, das noch halb voll ist, indem wir den überlebenden Arten helfen, sich zu erholen», sagt er. «Das Great-Barrier-Riff ist sicherlich vom Klimawandel bedroht, aber es ist nicht dem Tode geweiht – wenn wir die Treibhausgasemissionen sehr schnell in den Griff bekommen.»

 

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