Atomlobby will Klimakasse plündern
Ein Bericht von Armin Simon
Mit Klimaschutz-Milliarden will die Atomindustrie weltweit AKW-Neubauten finanzieren. Die Initiative «Don’t nuke the climate» hält dagegen.
Vladimir Slivyak ist zufrieden, zumindest für heute. Der Vorsitzende der russischen Umweltorganisation «Ecodefense» lehnt am Lautsprecherwagen neben dem Bonner Kunstmuseum, unweit des Konferenzzentrums. Gleich wird er auf die Bühne steigen. Er wird nicht über Kohle reden, obwohl das hier eine der Demos zur Halbzeit der Bonner Klimaschutzkonferenz ist. Er wird vielmehr gegen die Atomindustrie wettern, die sich auf ebendieser Konferenz erneut – und vehementer als zuvor – als angebliche Klimaretterin in Stellung zu bringen versucht.
Die Atomindustrie verschlingt bloß das Geld, das wir für Erneuerbare und Effizienzmaßnahmen brauchen.
Slivyak will die Anti-Kohle- und die Anti-Atom-Bewegung zusammenbringen, will deutlich machen, dass Atomkraft eben nicht das Klima retten kann. Und er hat den Eindruck, dass sein Einsatz nicht umsonst ist: «Die Leute hören zu.»
2.000 Menschen haben sich an diesem Samstag im November trotz kaltem Sprühregen und Karnevalstarts zum Protest versammelt. Bunt geschmückte Jecken sind darunter, die gegen Braunkohlegruben protestieren, tanzende Eisbären, die vor dem Klimawandel warnen, eine Hundertschaft mit einem Mega-Banner, das Trumps Klimaignoranz geißelt. Und viele Atomkraftgegner mit gelben Fahnen: «Don’t nuke the climate!»
Atomlobby gibt sich als Klimaretter
«Die Atomindustrie muss raus aus den Klimaverhandlungen! », fordert Slivyak. Vorerst jedoch sitzt sie mittendrin: mit Infoständen, Vorträgen, Hintergrundpapieren, Lobbygesprächen. Aber auch mit Regierungsvertretern, den indischen etwa, die ganz offen für Atomkraft werben. Die gemeinsame Strategie: Atomkraft als «grüne» Form der Stromerzeugung zu verkaufen, angeblich den Erneuerbaren Energien ebenbürtig. Das soll den Zugriff auf Gelder ermöglichen, die eigentlich für Erneuerbare Energien, Energieeinsparungen oder Klimaanpassungsmaßnahmen gedacht sind. Vor allem wollen die Atom-Fans den internationalen Klimaschutzfonds («Green Climate Funds»), der künftig mit bis zu 100 Milliarden Euro jährlich bestückt werden soll, für den Neubau von Atomkraftwerken nutzen.
Reaktoren rechnen sich längst nicht mehr
«Den letzten Kampf der Atomindustrie» nennt Slivyak diesen Vorstoß. Denn die Branche hat ein Finanzierungsproblem: Erneuerbare Energien und Energie-Effizienz-Maßnahmen sind längst deutlich billiger als neue AKW. Ohne massive Subventionen, Staatsgarantien oder andere Vorteile investiert niemand mehr in Reaktoren. «Die Atomindustrie bekommt nicht mehr unbegrenzt Geld wie zuvor», weiß Slivyak. «Selbst in Russland nicht.» Umso wichtiger sei es, ihren Zugriff auf die Klimaschutz-Milliarden weiter zu unterbinden. Acht Organisationen aus Russland, den USA, Indien, Südafrika, Österreich und Deutschland haben sich dafür zum Bündnis «Don’t nuke the climate» zusammengeschlossen.
Indien, berichtet Sundaram, setze wie kein anderes an den Klimaverhandlungen beteiligte Land auf Atomkraft. Bis 2050 will es seine AKW-Kapazität von heute 5,8 Gigawatt fast verfünfzigfachen – obwohl Atomstrom hier vier- bis fünfmal so teuer wie Strom aus Erneuerbaren Energien komme. Schon auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 machte sich Indien für den Ausbau der Atomkraft als Mittel gegen den Klimawandel stark; in den eigenen Papieren tauchen neue AKW unter derselben Überschrift wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien auf – unter dem Titel «clean energy», «saubere Energie».
Indiens Atomträume
Kumar Sundaram ist aus Delhi nach Bonn gereist. Der Freelance-Journalist hat nach Fukushima mit ein paar Freunden das indische Infoportal «dianuke.org» gegründet, das der aufkeimenden Anti-Atom-Bewegung im Land ein Forum geben will. Auf der Klimakonferenz mischt er zusammen mit Slivyak und einem Dutzend weiterer «Don’t nuke the climate»-Aktivisten Pro-Atom-Veranstaltungen mit kritischen Fragen auf; daneben organisiert das Bündnis Infoveranstaltungen, Pressekonferenzen und Protestaktionen.
Indien, berichtet Sundaram, setze wie kein anderes an den Klimaverhandlungen beteiligtes Land auf Atomkraft. Bis 2050 will es seine AKW-Kapazität von heute 5,8 Gigawatt fast verfünfzigfachen – obwohl Atomstrom hier vier- bis fünfmal so teuer wie Strom aus erneuerbaren Energien komme.
Klimaschutzfonds weckt Begehrlichkeiten
Schon auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 machte sich Indien für den Ausbau der Atomkraft als Mittel gegen den Klimawandel stark; in den eigenen Papieren tauchen neue AKW unter derselben Überschrift wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien auf – unter dem Titel «clean energy», «saubere Energie». Diese Gleichsetzung von Atomkraft und Erneuerbaren Energien hat im nationalen Rahmen bereits konkrete Folgen, sagt Sundaram. So finanziere die indische Regierung den Bau von AKW bereits mit Subventionen, die eigentlich für den Ausbau der erneuerbaren Energien vorgesehen waren. Derselben Logik folgend plädiert Premierminister Narendra Modi auch auf der Konferenz in Bonn dafür, den internationalen Klimaschutzfonds ebenfalls für AKW-Projekte zu öffnen. Insbesondere für viele Schwellenländer sei Indien ein Vorbild, sagt Sundaram – so unterstützten unter anderem Brasilien und Südafrika die indische Position. Auch Großbritannien und die Türkei halten Pro-Atom-Veranstaltungen auf der Klimakonferenz ab.
AKW verschärfen Klimaprobleme
In vielen Fällen, kritisiert Sundaram, würden die AKW-Projekte in Indien die Probleme, die der Klimawandel dort hervorrufe, sogar noch verschärfen. Das Wasser zur Kühlung der geplanten Reaktoren des AKW Chutka und des AKW Gorakhpur etwa werde den Bauern fehlen, die es gerade angesichts immer häufiger auftretenden Trockenheiten dringender denn je zur Bewässerung ihrer Äcker benötigten.
Davon abgesehen sei nicht einmal eine zuverlässige Kühlwasserversorgung der Reaktoren gewährleistet – ein immenses Sicherheitsrisiko, neben all den Menschenrechtsverstößen, Umwelt- und Gesundheitsproblemen, die der Betrieb von AKW mit sich bringe, vom Abbau des Urans bis hin zur Lagerung des Atommülls.
Lobbyismus unter falscher Flagge
Von derlei Widrigkeiten ist in den Positionspapieren der Pro-Atom-Lobbyisten nichts zu lesen. «Nuclear for climate», «Atomkraft für das Klima», lautet deren Slogan. An ihrem Infostand auf der Konferenz in Bonn geben sie sich gar als «Graswurzelinitiative» aus, als sozusagen bürgerinitiierte Bewegung von unten. Tatsächlich haben den Stand die vereinigten Lobbyvereine der Atomindustrie aus Japan, Kanada, den USA und der EU angemeldet; die Website der Initiative ist die der französischen Atomenergie-Gesellschaft, ihr Vorsitzender der Chef des Atomkonzerns Areva.
Das Kyoto-Protokoll schloss Atomkraft als «Lösung» gegen den Klimawandel noch explizit aus. Aufgegeben hat die Atomindustrie deshalb nicht. Atomkraft sei eine «kohlenstoffarme Energie» und damit «Teil der Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels», beteuert sie. Sie dürfe nicht benachteiligt werden, «speziell im Hinblick auf den Zugang zu Klimafinanzierungsmechanismen wie dem ‹Green Climate Funds›». Jedes Land müsse vielmehr frei entscheiden dürfen, wie es seine Treibhausgasemissionen reduzieren wolle – mit oder ohne Atommeiler.
Atomkraft: zu dreckig, zu teuer, zu langsam
«Es geht hier nicht darum, wer was mag und wer was nicht mag! », empört sich Slivyak. «Es geht darum, das Klima zu retten!» Der Ausstoß an Treibhausgasen muss dazu bis 2050 auf Null sinken. «Mit Atomkraft geht das nicht.» Nicht nur, weil auch Atomstrom vom Uranabbau bis zur Lagerung des Atommülls nennenswerte Treibhausgas-Emissionen verursacht, wie etwa eine aktuelle Studie im Auftrag des »World Information Service on Energy« (WISE) belegt. Sondern vor allem, weil alle rund 400 Reaktoren zusammen derzeit gerade einmal ein Zehntel des weltweiten Stromverbrauchs decken und die meisten schon am Ende ihrer Lebensdauer angelangt sind. Der Bau neuer Meiler hingegen dauert lang und ist zudem sehr teuer.
Klima retten heißt: Atomausstieg!
«Wenn wir auf Atomkraft setzen», argumentiert Slivyak, «würden wir zwar ein paar Prozent Treibhausgase einsparen, müssten dafür aber so viel Geld ausgeben, dass keines mehr übrig bliebe für andere Lösungen – von all den anderen Atom-Problemen ganz zu schweigen.» Um das Klima zu retten, sei Atomkraft deshalb sogar kontraproduktiv. Zu gefährlich, zu dreckig, zu teuer und zu langsam – statt in teure AKW müsse das Geld in Erneuerbare Energien und Effizienzmaßnahmen fließen.
Anti-Atom-Widerstand in Indien
Der geplante massive Ausbau der Atomkraft in Indien bedroht die Lebensgrundlagen von Hunderttausenden – Umsiedlungen, Wassermangel, radioaktive Kontaminationen. Viele der Atomprojekte stoßen deshalb auf starken Widerstand. Die Regierung argumentiert mit Klimaschutz.
Kumar Sundaram, Redakteur des Anti-Atom-Portals dianuke.org, zeigt in dieser Broschüre, dass die AKW die durch den Klimawandel verursachten Probleme vielfach sogar noch verschärfen.
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