Kohle ist der neue Castor
Ein Essay von Malte Kreutzfeldt
Mit der größten Aktion zivilen Ungehorsams seit den Atom-Protesten schrieben 3.000 Klima-Aktivisten an Pfingsten 2016 in der Lausitz Geschichte. Doch bis zu einem Ausstieg hat die neue Anti-Kohle-Bewegung noch einen weiten Weg vor sich.
Pfingstsonntag 2016: Gegen Mittag war das Ziel zumindest symbolisch fast erreicht: Aus einem der zwei Kühltürme des Kraftwerks «Schwarze Pumpe» nahe der brandenburgischen Stadt Cottbus stieg keinerlei Dampf mehr auf, aus dem zweiten nur ein Bruchteil des normalen. Die 1,6-Gigawatt-Anlage, in der normalerweise 36.000 Tonnen Braunkohle am Tag verfeuert werden, lief nur noch mit 17 Prozent ihrer Leistung.
Für mehr langte der Kohlevorrat nicht, denn die «Schwarze Pumpe» eins der modernsten Braunkohlekraftwerke Deutschlands, war vom Nachschub abgeschnitten. «Wir haben es geschafft», rief Mona Bricke durch ein Megafon den mehreren Hundert Menschen in weißen Schutzanzügen zu, die in Sichtweite der Kühltürme auf den Schienen saßen, über die sonst die Kohlezüge rollen.
Die Aktivisten auf den Gleisen waren Teil der größten Klima-Proteste, die Deutschland bis dahin erlebt hat. Über 3.000 Menschen kamen vor Pfingsten in die Lausitz, um sich zunächst in Workshops und Aktionstraining theoretisch und praktisch vorzubereiten, bevor dann am Wochenende im Rahmen der Aktion «Ende Gelände!» der Tagebau Welzow-Süd und das Kraftwerk «Schwarze Pumpe» in einer Aktion zivilen Ungehorsams blockiert werden sollten.
Damit ist im Jahr 2016 erstmals wirklich gelungen, was Klima-Aktivisten seit Jahren angekündigt haben: eine echte Massenbewegung gegen die Kohle. Der Hintergrund der Beteiligten ist sehr unterschiedlich. Einige erzählen, dass sie bereits bei den Castor-Transporten im Wendland Erfahrungen mit zivilem Ungehorsam gesammelt haben, andere stammen aus der globalisierungskritischen Bewegung und waren bei den Protesten gegen den G7-Gipfel in Heiligendamm dabei.
Junge und internationale Teilnehmer
Doch geprägt wird die neue Bewegung von vielen, die zu jung sind, um vor zehn Jahren schon dabei gewesen zu sein. Tatsächlich stellt die Schienenbesetzung in der Lausitz – oder die kleinere Vorläufer-Aktion im letzten Jahr im Rheinland – für einen großen Teil der Beteiligten die erste politische Aktivität dar, bei der nicht nur demonstriert wird, sondern mit bewussten Gesetzesübertretungen gegen einen Missstand vorgegangen werden soll.
Den Klimawandel empfinden diese Aktivisten als ein sehr reales Problem, das ihre Generation als erste wirklich betreffen wird. Und die Politik wird, so lautet die einhellige Meinung im Camp, gegen den Willen der Wirtschaft nichts gegen den Klimawandel tun, solange sie nicht durch massiven öffentlichen Druck dazu gezwungen wird. «Wir glauben an Klimagerechtigkeit», sagt eine Aktivistin aus England. «Aber um dieses Recht müssen wir kämpfen. Die Kohle muss im Boden bleiben.»
Power to the people, people have the power
Auch das fällt bei den Protesten in der Lausitz auf: Die neue Bewegung ist so international, wie es das in Deutschland noch nie gegeben hat. Mindestens ein Viertel der Aktivisten ist aus dem Ausland angereist. Aus dem Baskenland sind sie gekommen, aus Frankreich und den Niederlanden, aus Polen und Tschechien. Aus Schweden, wo der Energiekonzern Vattenfall, der den Tagebau in der Lausitz betreibt, seinen Hauptsitz hat, sind zwei Busse gekommen, mit über hundert Umweltaktivisten. Anstelle eines sonst dort sichtbaren Werbeplakats, auf dem sich Vattenfall als «Partner der Region» anpries, verkündete ein Transparent: «Hier wird das Klima verhandelt!»
Perfekte Logistik, generalstabsmäßige Planung
An die Proteste gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben, wo sich bis zum Jahr 2011 eine ähnliche Zahl Menschen an zivilem Ungehorsam beteiligt hatte, erinnerte in der Lausitz ansonsten einiges: das hervorragend organisierte Camp mit veganer, selbst geschnippelter Massenverpflegung, Komposttoiletten und Chill-Area zum Erholen nach der Aktion. Die generalstabsmäßig geplanten Aktionen, zu denen die Teilnehmer auf Schleichwegen zu Fuß, auf Fahrrädern und mit gecharterten Bussen transportiert wurden. Und die perfekte Logistik, die dafür sorgte, dass an jedem Aktionspunkt nach kurzer Zeit Dixi-Klos, Pastinakensuppe und Journalisten eintrafen.
Ermöglicht wurde der große Erfolg neben der guten Organisation auch durch eine erstaunlich zurückhaltende Polizei. Die Einsatzleitung in Cottbus ließ die Klima-Aktivisten lange Zeit gewähren. Dass auf dem Klima-Camp intensiv das gewaltfreie Überwinden von Polizeiketten geübt worden war, erwies sich im Nachhinein als überflüssig: Auf dem Weg zu den Baggern und auf den Schienen waren fast keine Polizisten zu sehen; auch der Sicherheitsdienst vom Betreiber Vattenfall beschränkte sich darauf, die Aktivitäten zu beobachten und mit Kameras zu dokumentieren.
Polizei setzt auf Deeskalation
Eine Sprecherin der Polizei Cottbus hatte schon im Vorfeld erklärt, dass das Betreten des Vattenfall-Betriebsgeländes kein Hausfriedensbruch sei, weil es nicht ausreichend gekennzeichnet sei. Und selbst das Besetzen von Geräten stellte ihrer Ansicht nach keine Nötigung dar, weil diese vom Betreiber vorsorglich ohnehin stillgelegt worden seien. Erst als einige Hundert Aktivisten einen Zaun zerstörten, auf das innerste Gelände des Kraftwerks vordrangen und versuchten, dort in die Gebäude einzudringen, kam es zu zahlreichen Festnahmen. Weitere folgten, als einige Menschen die Schienen auch dann nicht verlassen wollten, als die Veranstalter von «Ende Gelände!» die Massenaktion am Sonntagnachmittag offiziell für beendet erklärt hatten.
Diese zogen im Anschluss eine durchgehend positive Bilanz. Und tatsächlich haben sie Grund zur Freude. Zivilen Ungehorsam mit mehreren Tausend Beteiligten hat es in Deutschland noch nicht oft gegeben. Die Bilder der Menschenmassen in den weißen Schutzanzügen auf den Schienen und Baggern waren beeindruckend. Und die Erfahrung aller Beteiligten dürfte so positiv gewesen sein, dass die Bewegung bei weiteren Aktionen noch wachsen dürfte.
Attacken von Kohle-Freunden und Rechtsextremen
Von vielen Einheimischen wurden die Aktionen eher als Invasion von außen empfunden, die die Menschen in der Region zusammenrücken ließ. Während dort zuvor große Wut über die Verkaufspläne von Vattenfall herrschte, führte die Blockade von Kraftwerk und Tagebau eher zu Solidarität mit dem Betreiber. Mehrere Hundert Menschen beteiligten sich an einer Kundgebung gegen die Erstürmung des Kraftwerksgeländes. Im Anschluss kam es zu Pöbeleien und einzelnen Attacken gegen Klima-Aktivisten. Auch von polizeibekannten Rechtsextremen gab es später Angriffe auf das Camp, sodass dies von der Polizei geschützt werden musste.
Das waren bittere Erfahrungen, die im krassen Gegensatz zu den Castor-Protesten im Wendland standen, wo die Aktivisten stets auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zählen konnten. Doch aufhalten lassen will sich die junge Bewegung davon nicht. Tadzio Müller, der schon lange dabei ist, setzt darauf, dass der Druck weiter zunimmt. «Wir haben moralisch die Oberhand», sagt er. «Schließlich setzen wir das um, was die Regierungen in Paris versprochen haben.»
Braunkohle-Deal kommt trotzdem
Das ist allerdings auch notwendig, denn politisch fällt die Bilanz der Aktion weniger positiv aus. Eins der Hauptziele war es, den schwedischen Staatskonzern Vattenfall von seinem Plan abzubringen, die Tagebaue und Braunkohlekraftwerke in der Lausitz an den tschechischen EPH-Konzern abzustoßen. «Durch den Verkauf wird kein Gramm CO2 eingespart», hatte die schwedische Aktivistin Julia Norman bei der Blockade kritisiert. «Stattdessen sollte die schwedische Regierung dafür sorgen, dass Vattenfall die Kohleförderung in der Lausitz abwickelt.» Dieser Wunsch blieb unerfüllt: Anfang Juli gab die schwedische Regierung grünes Licht für den umstrittenen Eigentümerwechsel.
Kritiker befürchten, dass der neue Besitzer EPH Druck machen wird, um die Braunkohle noch möglichst lange nutzen zu dürfen. Von der Bundesregierung droht dabei derzeit nur wenig Widerstand: Ein Enddatum für die Kohleverstromung wurde gerade aus dem Entwurf für den Klimaschutzplan 2050 gestrichen.
Dass ein langer Atem notwendig ist und man sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen darf, auch dafür sind die Atom-Proteste in Gorleben und anderswo ein gutes Vorbild für die Klima-Aktivisten: Auch dort dauerte es viele Jahre, bis die großen und teilweise heftigen Auseinandersetzungen auf der Straße schließlich im Beschluss für den Ausstieg mündeten.