Uwe Leprich – Hat die Energiewende aktuell eine Chance?
Ein Bericht von Constanze Wolk
Der neue Mann beim Umweltbundesamt ist überzeugt: Die Energiewende wird kommen – auch wenn die ursprüngliche Dynamik etwas verloren gegangen ist.
Er wolle Optimismus verbreiten, erklärte Prof. Dr. Uwe Leprich gleich zu Beginn seines Vortrages über die globalen, europäischen und nationalen Entwicklungen der Energiepolitik. Trotz der derzeit über Deutschland liegenden Stimmung, dass die Energiewende eher in die Defensive geraten ist. «Es ist richtig, es ist schweres Fahrwasser in Deutschland», so der Energie- und Wirtschaftswissenschaftler.
Globale Entwicklung
Leprich machte zunächst deutlich, dass der Zuwachs an Erneuerbaren Energien weltweit «extrem dynamisch» ist: So seien im vergangenen Jahr rund 285 Milliarden Dollar in den Ausbau investiert worden. Ende 2015 betrug die installierte Gesamtkapazität an Photovoltaik 27.000 MW. Mitte der 1990er-Jahre habe es demgegenüber eine Produktionskapazität im PV-Bereich von weltweit gerade einmal 50 MW gegeben. Bei der Windenergie sei die Entwicklung noch eindrucksvoller. Da habe die weltweit installierte Produktionskapazität Ende 2015 bei 433.000 MW gelegen.
Im Ranking um die installierten Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien stehe Deutschland nach China und den USA «immerhin noch» auf Platz drei. Wobei inzwischen immer mehr Länder durchstarten würden. «Das sind noch gar nicht so viele», erklärte Leprich, «aber mit diesen paar Ländern haben wir schon eine installierte Leistung, die weit über das hinaus geht, was in 20, 25 Jahren Atomenergieaufbau weltweit geleistet wurde.»
Tortendiagramm, Geschätzter Anteil Erneuerbarer Energien am globalen Gesamtenergieverbrauch für das Jahr 2014, Werte der Größe nach absteigend geordnet,
Fossile Brennstoffe, 78,3%,
Erneuerbare Energien, 19,2%,
Atomkraft, 2,5%
Spektakuläre Kostenrevolution
Grund für den weltweiten Zuwachs an Erneuerbaren Energien sei die geradezu «schwindelerregende» Degression bei den Gestehungskosten. Diese lägen heute bei einer PV-Anlage in Deutschland bei 7,5 Cent pro kWh. Gestartet sei man um das Jahr 2000 mit 40 bis 50 Cent pro kWh. Die Prognose: Bei PV und Windenergie seien die derzeit installierten Leistungskapazitäten erst «der kleine Anfang», «der Start» für eine Entwicklung, die weltweit «gigantisch» werden könnte. Die Herausforderung läge deshalb im Aufbau eines völlig neuen Energiesystems, das bei der Nutzung «dargebotsabhängiger» Energieträger wie Sonne und Wind Versorgungssicherheit gewährleiste. Dieser Entwicklung werde auch jeder Investor im Energiesektor Rechnung tragen müssen.
Bilanz für Europa
Verhaltener klingt die Bestandsaufnahme zur Energiewende in Europa. So gebe es hier zwar Ziele, die man nicht «als völlig vernachlässigbar vom Tisch wischen» könne. Allerdings räumt der Energieexperte ein: «Sie könnten ehrgeiziger sein.» In Folge des Klimagipfels von Paris bestehe aber durchaus die Möglichkeit, dass da nachgebessert werde.
Auch für die Europäische Union zeigen die Zahlen, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch kontinuierlich steige. Bei der Stromerzeugung gestalte sich die Kurve deutlich steiler. Windkraft sei auch hier eine ständig wachsende Größe. Solarenergie hole auf, wobei die gesunkenen Kosten perspektivisch einen zusätzlichen Schub geben dürften. Die Kapazität von Atomenergie hingegen nehme ab, das Thema sei in der EU inzwischen «ökonomisch erledigt», so Leprich.
Säulendiagramm, Anteil der Energieerzeugung aus regenerativen Quellen in den Ländern der EU,
2005, 9%,
2006, 9,5%,
2007, 10,4%,
2008, 11%,
2009, 12,4%,
2010, 12,8%,
2011, 13,1%,
2012, 14,3%,
2013, 15%,
2014, 16%,
Was das für 2020 gesteckte Ziel von 20 Prozent Erneuerbarer Energien beim Endenergieverbrauch angehe, ist Leprich zuversichtlich, dass es erreicht werde. Allerdings sei die Energiepolitik der EU nach wie vor extrem geprägt von Maßnahmen der Liberalisierung und einem einheitlichen europäischen Binnenmarktes. Das bedeute: Wettbewerb stehe da ganz oben auf der Agenda. Dabei würden Erneuerbare Energien und Klimaschutz von vielen Akteuren immer noch als «Störfaktor» angesehen – ein Denken, das so in Deutschland vor 20 Jahren geherrscht habe. «Da würde ich mir schon eine etwas steilere Lernkurve in Brüssel wünschen», so Leprich.
Status quo und Chancen hierzulande
In Deutschland seien die Ziele der Energiewende bereits weit vor Fukushima aufgestellt worden und es habe damals einen «extrem breiten Konsens» über die Richtung gegeben: Reduzierung der Treibhausgasemissionen, Ausbau der Erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz und weniger Energieverbrauch. Dieser Konsens gelte auch heute noch – allerdings «mit einigen Abstrichen». Leprich erinnerte in diesem Zusammenhang an das Parteiprogramm der AfD, die die «Energiewende beenden» und sich auf «Forschung im Bereich Kernenergie konzentrieren» wolle. Und er deutete an, dass sich «unter der Hand» wohl auch Teile der CDU/CSU «so ein bisschen von einigen Punkten verabschiedet» hätten. Die Bilanz: Seit 1990 habe Deutschland «immerhin» eine CO2-Reduktion von etwa 27 Prozent erreicht. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung sei «sehr schwungvoll» ausgebaut worden. Die Energieeffizienz sei dagegen «der ganz große blinde Fleck» der Energiewende.
Wer will schon Energieeffizienz – außer dem Verbraucher
«Wenn man Energiewende umfassend versteht, über alle Sektoren und Anwendungsbereiche, dann gibt es bestimmte Highlights, aber auch bestimmte Bereiche, da sieht es noch sehr, sehr trübe aus», so Leprichs Resümee. Zwar sei mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien die Atomenergie ersetzt worden, der Anteil der Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle verharre aber seit 1990 auf «hohem Niveau». «Der Braunkohlestrom und zum Teil auch der Steinkohlestrom ist dermaßen kostengünstig, dass – wenn wir ihn in Deutschland nicht mehr brauchen, weil wir genug Erneuerbare haben – die Länder um uns herum den sehr gerne nehmen», erklärte Leprich. So funktioniere der «europäische Binnenmarkt», wogegen man erst einmal nichts machen könne. Es sei denn, man werde «politisch aktiv».
Mit deutschem Braunkohlestrom wurde schon so manches Gaskraftwerk in Holland geschlossen.
Weitere Knackpunkte: Der Ausbau der PV liege seit 2014 «deutlich unter der Zielsetzung». Durch die beabsichtigte Novellierung des EEG werde ab 2020 zudem der Ausbau der Windenergie «ein Stück weit abgeknickt». Das heißt, es würden dann keine weiteren Kapazitäten geschaffen, sondern lediglich Anlagen ersetzt, die vom Netz gingen. Aktuell sei nach wie vor das Thema Netzausbau bzw. Netzengpässe. So gäbe es bei der Abriegelung Erneuerbarer Energien einen «kontinuierlichen Anstieg» – im Jahr 2015 von insgesamt 4,7 Terrawattstunden. «Das bedeutet, diesen Strom konnten wir nicht mehr gebrauchen im System, wir haben ihn nicht gewollt, wir haben die Windanlagen aus dem Wind gedreht und die PV-Anlagen verschattet. Das ist natürlich ein Irrsinn!», erklärte Leprich. Kritisch zu sehen sei unter anderem auch die «Verunsicherung der Investoren» durch die Einführung von Ausschreibungen oder das «Ausbremsen von privater Eigenerzeugung und Mieterstrommodellen» durch Zusatzbelastungen. Alles in allem wehe also schon «ein scharfer Wind» und es sei nicht so, dass «in Berlin jetzt überall tolle Sachen gemacht werden zur Unterstützung der Energiewende».
Was sind die Hausaufgaben?
«Herzstück der Energiewende» in Deutschland ist für den promovierten Volkswirt ganz klar der weitere Ausbau von Windkraft und PV. Parallel dazu sei der Ausstieg aus der Kohle wichtig, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Der «erste kleine Schritt» zur Abkehr von der Braunkohle sei mit dem neuen Strommarktgesetz zwar gemacht. In Anlehnung an die Atomenergie sei aber ein «Braunkohleausstiegsgesetz» durchaus vorstellbar. Denn Braunkohlekraftwerke seien «ein Störfaktor» im System der Erneuerbaren Energien.
Wichtig ist ein geordneter und rascher Ausstieg aus der Braunkohle.
Grundsätzlich gehe es um die Ausgestaltung eines «nachhaltigen Energiesystems in der Summe». Das bedeute einen Ausbau der Erneuerbaren Energien weit über das Stromsystem hinaus und deutlich mehr «Flexibilisierung» in ganz verschiedenen Bereichen. Aktuell seien die «Dezentralisierungsaktivitäten» vieler Akteure das dynamischste Element der Energiewende. Daher wird der weitere Fortgang der Energiewende nach Leprichs Einschätzung vor allem sehr stark davon geprägt sein, inwieweit den dezentralen Ansätzen zur Energieversorgung Freiräume eingeräumt werden. Wichtig sei, sich der «Entsolidarisierungskampagne» zu stellen und positive Perspektiven für eine stärker dezentralisierte Energiewelt zu entwickeln. «Das wird kein Selbstläufer sein», so die Prognose, «solche Dinge muss man erkämpfen.»
Prof. Dr. Uwe Leprich, geboren 1959, gehörte von 2001 bis 2002 als sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission «Nachhaltige Energieversorgung» des Deutschen Bundestages an und ist seit 2010 Mitglied des Alternate Board der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden der EU. Im April 2016 übernahm er die Leitung der Abteilung Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamts in Dessau.