Direkt zum Inhalt der Seite springen

«Es geht nichts ohne Politiker»

Ein Bericht von Anja Bochtler

Der Klimaforscher Hartmut Graßl findet: Es gab wichtige Schritte Richtung Energiewende. Doch ob diese schnell genug vorangeht, bleibt offen.

Eines sei keine Frage, sagt Hartmut Graßl zu Beginn seines Vortrags beim Stromseminar: Die Schönauer waren sehr erfolgreich. Sie trugen zur Energiewende im Südschwarzwald und zum Umdenken vieler Politiker bei. Doch Bürgerinitiativen allein könnten keine Wende bringen, sie bräuchten die Politik. Aus seiner Sicht gab es hier bereits fundamentale Weichenstellungen. Der wichtigste Erfolg sei bislang das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015. Hartmut Graßl betont in seinem Vortrag das entscheidende Ergebnis: In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sollen alle beteiligten Länder klimaneutral werden.    

Seiner Meinung nach hat das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Paris-Vereinbarung wesentlich angestoßen. Inzwischen kämen billige Solarzellen aus China, Solarstrom wurde günstig. Die Schönauer aber seien schon sehr viel früher aktiv geworden. Hartmut Graßl erinnert an die Anfänge nach der AKW-Katastrophe in Tschernobyl und daran, dass auch er selbst schon lange mit dabei ist: Anfang der 1990er-Jahre trat er auf Vermittlung seines Schönauer Schwagers zum ersten Mal bei den EWS als Redner auf. Sein Thema, schon damals: Die Klimaänderung durch menschlichen Einfluss.

Menschen machen Klima

Wie kann der Mensch Einfluss auf das Klima nehmen? Beim Treibhauseffekt spielen selbst kleine Mengen von manchen Stoffen eine wesentliche Rolle. Das gilt für die langlebigen Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas. Durch die Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas und die derzeitige Form der Landwirtschaft steigen deren Konzentrationen in der Atmosphäre an. Darum sei das Verhalten der Menschen ausschlaggebend, betont Hartmut Graßl. Denn durch den anthropogenen, also menschengemachten Treibhauseffekt komme es zu einer mittleren globalen Erwärmung. Dieser Zusammenhang sei in der Wissenschaft schon lange klar. Er selbst habe das bereits 1960 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität gelernt, erwähnt Graßl.

Wir sind die ersten, die den Klimawandel mit eigenen Augen beobachten.

Hartmut Graßl

Er betont: Der anthropogene Klimawandel kann zu vielen Konflikten führen. Denn vom Klima hängen Temperaturen und Niederschlagsmengen in einer Region ab. Und diese beiden Faktoren entscheiden darüber, was wo wächst. Die Industrienationen sind die Verursacher der raschen Klimaänderung. Wegen ihrer finanziellen Ausstattung seien sie in der Lage, Anpassungen ans geänderte Klima zu bezahlen und Klimaschutz zu betreiben. Diejenigen aber, die kaum zum Klimawandel beitragen, könnten das nicht: Zum Beispiel Bangladesch. Das Land liege im Wesentlichen drei Meter über dem Meeresspiegel. Allein durch das Abschmelzen des Eises in Grönland könnte der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. Vielleicht sei diese Entwicklung schon im Gang und nicht mehr zu stoppen. Da seien sich die Experten nicht einig.

Jedes Grad zählt

Die Zeit wird knapp. Was tun? Zurzeit würden die Debatten darüber noch emotional geführt, das erschwere alles. Das werde sich ändern. Ähnlich, wie es bei der Energiewende in Deutschland war. Die sei jetzt nicht mehr umkehrbar, obwohl es lange viele Widerstände gab. Doch wird sich die Vernunft schnell genug durchsetzen? Da hat Hartmut Graßl Zweifel: «Die Frage ist, wie schnell geht es?» Wenn der Wille da sei, könne sich rasant etwas tun. Das zeige sich daran, dass es möglich war, dass die Deutschen allein im Jahr 2012 knapp zehn Milliarden Euro in Photovoltaik investiert haben.

Prof. Dr. Hartmut Graßl auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

Und Eile ist geboten: Seit 1900 sei die mittlere Temperatur der Erdoberfläche durch die Zunahme der Treibhausgase um ein Grad Celsius gestiegen. Ein Grad, das klingt nicht nach viel. Doch Hartmut Graßl verdeutlicht mit einem Beispiel die Dimensionen: Vor 20.000 Jahren, als der Südschwarzwald aus einer Tundra-Landschaft mit Gletschern bestand, sei es im Mittel auf der Erde nur um fünf Grad Celsius kühler gewesen. Fünf Grad machten aus einer Tundra ohne Bäume eine Region mit Laubwaldbesiedelung.

Zurzeit sei das Ziel, bei der Klimaerwärmung unter zwei Grad zu bleiben. Auch das klingt nicht nach viel, als wäre es harmlos. Das stimme aber eben nicht: «Zwei Grad sind eine massive Klimaveränderung!» Der natürliche Klimawandel veränderte die Temperatur in 10.000 Jahren um fünf Grad, nun gehe es um zwei Grad in wenigen Jahrhunderten. Früher sei es undenkbar gewesen, dass Menschen solche Veränderungen innerhalb einer Generation erleben.

Was Kohlendioxid bewirkt

Die Geschwindigkeit der Klimaveränderung hat einschneidende Folgen: Im späten 19. Jahrhundert sei der Meeresspiegel um 0,8 Millimeter im Jahr angestiegen, in der Mitte des 20. Jahrhunderts waren es 1,9 Millimeter. In den vergangenen 24 Jahren lag der Anstieg schon bei 3,1 Millimeter jährlich. Denn das Eis der Gletscher und Inlandeisgebiete schmelzen und das erwärmte Meerwasser dehnt sich aus.

Das Schmelzwasser aus Antarktis und Grönland trägt derzeit jeweils rund einen halben Millimeter dazu bei. Beim Anstieg der Kohlendioxidemissionen gab es immer nur vorübergehend kleine Einbrüche, die mit politischen Ereignissen wie der Ölkrise in den 1970er-Jahren oder der globalen Finanzkrise 2008 zusammenhingen. Sobald sich das Wirtschaftswachstum erholte, stieg der Gebrauch fossiler Brennstoffe wieder an.

Es sind die Politiker, die an den entscheidenden Schräubchen drehen und die Gesetze ändern.

Hartmut Graßl

Wenn es gelänge, jetzt alle Emissionen sofort zu stoppen, könnte der Überhang des Kohlendioxids zu 85 Prozent von den Ozeanen aufgefangen werden. In manchen Punkten ging es bereits voran: Inzwischen sei das früher viel diskutierte Abholzen der Wälder nur noch für neun Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Vor allem in Brasilien gab es große Erfolge im Kampf gegen die Abholzung, betont Hartmut Graßl. Das ist für ihn ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig politische Veränderung ist, um Verbesserungen zu erreichen. Bei den fossilen Brennstoffen dagegen gibt es noch viel zu tun: Sie verursachen neun Zehntel des derzeitigen Ausstoßes von Treibhausgasen.

Die Sonne bietet Lösungen

Gibt es Hoffnung? Hartmut Graßl präsentiert eine «frohe Botschaft»: Laut den internationalen Wissenschaftlern vom «Global carbon project» stagnieren die Kohlendioxidemissionen seit 2013. Die Industrie- und einige Schwellenländer haben dazugelernt und die fortlaufende Kohlendioxidsteigerung derzeit im Griff. Das liege vor allem am mittlerweile günstigen chinesischen Solarstrom und an dem Druck der chinesischen Bevölkerung auf ihre Regierung wegen der Luftverschmutzung. Hartmut Graßl bilanziert lakonisch: «Das globale Gerede hat gewirkt.» Aus seiner Sicht werden diese Erfolge im Umfeld der EWS und anderer Kreise zu wenig wahrgenommen. 

Klar sei jedenfalls, dass die fossilen Brennstoffe und besonders die Atomenergie keine Zukunft mehr hätten. Die Zukunft liege, so Graßl, vor allem in der Nutzung der Sonnenenergie. Die Weltbevölkerung benötige im Mittel 0,03 Watt pro Quadratmeter auf der Erde – und die Sonne könnte 165 Watt liefern.

Portrait von Prof. Dr. Hartmut Graßl

Der Klimaforscher Prof. Dr. Hartmut Graßl wurde 1940 in Salzberg bei Berchtesgarden geboren. Er war Professor in Kiel und Hamburg und bis 2005 Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg. Unter anderem war er Direktor des Weltklimaforschungsprogramms bei der World Meteorological Organization in Genf und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zum Thema «Globale Umweltveränderungen». Bereits in den 1980er-Jahren warnte er vor der Klimaerwärmung.

Seinen Vortrag beim Stromseminar 2017 finden Sie auf unserem Youtube-Channel. Die dazu gehörenden Vortragsfolien finden Sie hier.

19. Juli 2017 | Energiewende-Magazin