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«Fakten dringen kaum noch durch»

Klimaforscher Mojib Latif im Gespräch mit Bernward Janzing

Mojib Latif über Wissenschaft und soziale Medien, die Zuverlässigkeit von Klimamodellen und die bedrohte Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz.

Mojib Latif ist einer der profiliertesten Klimaforscher in Deutschland. Seit Jahrzehnten warnt er vor den Auswirkungen des Klimawandels. Anlässlich einer Veranstaltungsreihe zum Thema Klimawandel war Mojib Latif im Oktober 2018 zu Gast in Freiburg. Im Umfeld seines Vortrags «Nachhaltigkeit, Energie, Klima: Wo stehen wir?» konnten wir den studierten Meteorologen und Betriebswirt für ein ausführliches Interview gewinnen. 

Herr Latif, waren Sie immer ein politischer Mensch oder sind Sie erst durch Ihre wissenschaftliche Arbeit in die politische Debatte geraten?

Die Politik stand für mich nie im Vordergrund. Als ich vor über 30 Jahren mit der Klimaforschung anfing, habe ich mich noch der Illusion hingegeben, dass das Schaffen von Wissen ausreicht, um politisches Handeln zu bewirken. Aber dann merkte ich zunehmend, dass in diesem Punkt keine Korrelation besteht. Das Wissen über den Klimawandel wurde immer detaillierter, aber an der Politik änderte sich kaum etwas. Und das hat mich dann bewogen, stärker an die Öffentlichkeit zu gehen, und mich in die politische Debatte einzubringen.

Haben Sie die Medien von sich aus kontaktiert oder sind diese auf Sie zugekommen?

Meine Präsenz in der Öffentlichkeit ist eher aus der Not geboren. Es war nie mein Ziel, in Talkshows den Klimawandel zu erklären. Ich bin Vollblutwissenschaftler und will es auch bleiben. Aber wenn man in einem gesellschaftlich so relevanten Bereich arbeitet, dann wird man eben auch zu seiner Forschung befragt. Und in diesem Fall erkläre ich natürlich gerne unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich bin nie von mir selbst aus in die Öffentlichkeit gegangen und betreibe auch keine aktive Medienarbeit. Leider habe ich aufgrund der vielen öffentlichen Auftritte weniger Zeit für die Wissenschaft.

Sehen Sie eine Veränderung der gesellschaftlichen Debatte über den Klimawandel in den Jahrzehnten Ihres Schaffens?

Mann mittleren Alters spricht und gestikuliert
Foto: Marc Eckardt

Es gibt zwei parallele Entwicklungen, und es ist Zufall, dass sie gleichzeitig passieren. Da ist zum einen das Klimaproblem, das immer deutlicher wird. Zugleich verändert sich auch die Medienwelt durch die Digitalisierung, wir haben eine Krise der klassischen Medien. Durch die sozialen Netzwerke im Internet sind ganz neue Kommunikationsnetzwerke entstanden, die es ermöglichen, mit gezielten Fehlinformationen sehr viele Menschen zu erreichen. Das ist ein Riesenproblem, weil es für die Wissenschaft immer schwerer wird, mit Fakten durchzudringen.

Das heißt, die Relevanz von Fakten hat in der politischen Diskussion abgenommen?

Genau so ist es, Fakten spielen in den Debatten immer weniger eine Rolle. Viele Menschen haben nie gelernt, Quellen von Informationen zu hinterfragen und zu bewerten. Sie sagen dann, irgendetwas hätten sie im Internet gelesen, und differenzieren nicht nach der Herkunft der Aussagen. Den kritischen Konsum von Informationen gibt es kaum noch, das ist eine riesige Herausforderung für uns Wissenschaftler. Und auch für das Bildungssystem.

Mitunter kursiert die Ansicht, der Temperaturanstieg, der ja inzwischen in den Kurven eindeutig erkennbar ist, habe andere Gründe als den CO2-Anstieg in der Atmosphäre …

Ja, da wird dann so getan, als würden wir Klimaforscher den Temperaturanstieg nachträglich zu begründen versuchen, indem wir ihn mit dem CO2 in Verbindung bringen. Tatsache ist aber, dass das, was wir heute messen, wie die Faust aufs Auge zu dem passt, was bereits unsere ersten Computermodelle vor 30 Jahren angesichts des erkennbaren und prognostizierten CO2-Anstiegs simuliert haben. Die vom Menschen gemachte Klimaänderung hat einen ganz eigenen Fingerabdruck, was die räumliche Ausprägung betrifft – und den erkennen wir. Zum Beispiel haben wir damals schon berechnet, dass die Nordpolarregion sich am stärksten erwärmen wird.

Das Wissen, dass ein steigender CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu steigenden Temperaturen führt, ist sogar noch älter. Wie alt genau?

Der schwedische Physiker, Chemiker und spätere Nobelpreisträger Svante Arrhenius hat bereits 1896 mit Papier und Bleistift ein erstes Klimamodell errechnet, aus dem sich ergab, dass die Erdtemperatur stark vom CO2-Gehalt der Lufthülle abhängt. Und der amerikanische Geochemiker Roger Revelle warnte 1957, die Menschheit habe durch den CO2-Anstieg ein groß angelegtes geophysikalisches Experiment begonnen, das es in dieser Form weder in der Vergangenheit gab noch in der Zukunft ein zweites Mal geben werde. Die Erkenntnis, dass Kohlendioxyd den Planeten erwärmt, ist also schon ziemlich alt.

Aber man kennt noch nicht alle Einzelheiten?

Dass es in den Klimamodellen noch Unsicherheiten gibt, das will ich gar nicht bestreiten. Da bleibt noch viel zu erforschen. Wir arbeiten zum Beispiel daran, herauszufinden, wo es Kipppunkte gibt, an denen sich Entwicklungen so sehr selbst verstärken, dass sie nicht mehr zu stoppen sind. Hier muss die Wissenschaft sich natürlich immer wieder kritisch hinterfragen und versuchen, sich weiter zu verbessern. Zum Beispiel können wir manche sehr regionale Effekte noch nicht vorhersehen, aber die Grundaussage, dass wir die Erde aufheizen, ist zweifelsfrei belegt.

 

Video-Vorschau

Vortrag im Rahmen der Freiburger Veranstaltungsreihe «Klimawandel hier und jetzt: Handeln» im Oktober 2018

 

Klimaveränderungen hat es in der Erdgeschichte immer gegeben. Was ist bei dem heute erkennbaren Temperaturanstieg anders?

So schnell wie in den vergangenen Jahrzehnten haben sich die durchschnittlichen Temperaturen auf unserem Planeten in der Menschheitsgeschichte noch nie verändert.

Der CO2-Gehalt der Atmosphäre lag in vorindustrieller Zeit bei 0,028 Prozent, heute liegt er bei knapp 0,041 Prozent. Es gibt Menschen, die daran zweifeln, dass so wenig Gas eine derart große Wirkung haben kann.

Wenn man ein Gift nimmt, reichen auch geringe Mengen – so ein Argument hält natürlich wissenschaftlich nicht stand. Wir beobachten es auch auf anderen Planeten, was das Kohlendioxyd bewirkt: Der Mars hat so gut wie keine Treibhausgase, er ist kalt. Die Venus hat einen Anteil von etwa 95 Prozent CO2 in der Atmosphäre, dort herrschen Oberflächentemperaturen von über 400 Grad. Auf der Erde hatten wir immer das richtige Maß für eine lebensfreundliche Umgebung.

Wie stehen Sie zum «Geoengineering», also zum Versuch, das Klima durch bewusste Eingriffe zu verändern – etwa durch Einbringung von Substanzen in die Atmosphäre, die Sonnenstrahlung reflektieren?

Das wäre Wahnsinn, es wäre eine Katastrophe, damit anzufangen. Zum einen wäre es sehr gefährlich, weil wir nicht abschätzen können, was im Detail passieren würde, und man müsste mit erheblichen Nebenwirkungen rechnen. Zum anderen wäre es extrem ineffizient und finanziell kaum zu stemmen, weil man das über Jahrtausende fortsetzen müsste.

Sie beschäftigen sich vor allem mit den Meeren. Liegt dort das Hauptproblem?

Mann mittleren Alters spricht und gestikuliert
Foto: Marc Eckardt

So kann man das nicht sagen. Es sind enorm viele Entwicklungen, die mit einem ungebremsten Klimawandel zusammenhängen, die jeweils für sich bereits eine Katastrophe wären und unser Leben drastisch verändern würden. Einige davon hängen natürlich mit dem Meer zusammen, aber welche Auswirkung jeweils als die schlimmste wahrgenommen wird, wird geografisch sehr unterschiedlich sein. Für manche Inseln ist es der Meeresspiegelanstieg, woanders werden sich Dürren häufen. Es gibt vielfältige Wirkmechanismen, daher hätte ein starker Klimawandel auch massive sozioökonomische Effekte; er kann die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen, mit allen Konsequenzen, die dann daraus wieder resultieren.

Was bewirkt das CO2 neben der Erwärmung noch, wenn man sich das Thema – wie Sie – als Meeresforscher betrachtet?

Die durch die CO2-Aufnahme hervorgerufene Versauerung der Ozeane – also etwas, das mit der Erwärmung gar nichts zu tun hat, sondern eine parallele Entwicklung ist – wird die eingespielte marine Nahrungskette gefährden. Lebewesen mit kalkhaltigen Körperteilen können bei übermäßiger Versauerung der Meere nicht mehr bestehen, denn die Säure greift den Kalk an.

Ein Wort zur Klimapolitik: In Deutschland diskutieren wir derzeit mehr denn je über den Kohleausstieg, zugleich fliegen die Menschen aber immer häufiger. Und vor dem Passivhaus steht der SUV. Ist die Debatte über Klimaschutz in Deutschland überhaupt aufrichtig?

Symbole für den Klimaschutz sind natürlich wichtig. Nehmen wir den Hambacher Forst, der ist im Moment zu einem Symbol geworden. Wir müssen ihn erhalten, denn nur dann können wir von anderen Ländern erwarten, dass sie auch ihre Wälder schützen. Aber es ist andererseits natürlich auch klar, dass alleine durch den Verzicht auf die Kohle Deutschlands Klimabilanz noch nicht gut wird. Das heißt, wir müssen noch viel mehr machen. Dass wir Strom heute immer klimafreundlicher erzeugen, ist richtig und wichtig, aber wir müssen auch eine Wertediskussion führen. Klimaschutz ist nicht allein eine Frage der Technik, sondern erfordert auch Umstellungen der Lebensgewohnheiten, und zwar von Grund auf. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 bei zehn Tonnen im Jahr, in Indien bei zwei. Bei solch hohen Werten können wir der Welt kaum sagen, was sie zu tun hat. Wir müssen also mit den Emissionen massiv runter.

Im Dezember steht wieder eine Klimakonferenz an. Was erwarten Sie davon, und was sollte Deutschland dort einbringen?

Das ist die 24. Klimakonferenz – jedes Jahr findet eine statt – und bisher haben die Konferenzen aus naturwissenschaftlicher Sicht nichts gebracht: Die globalen Treibhausgasemissionen sind seit Beginn der Verhandlungen um über 50 Prozent gestiegen. Auch nach der bevorstehenden Klimakonferenz wird man sich wieder in den Armen liegen und angebliche Erfolge feiern – und im nächsten Jahr steigen die Emissionen trotzdem weiter. Nationale Aktivitäten sind wirkungsvoller, als sich global immer wieder neue Ziele zu setzen, die dann jeweils nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren und am Ende trotzdem nicht erreicht werden. Deutschland sollte einfach eine Vorbildfunktion übernehmen, indem es sich ambitionierte Ziele setzt und diese auch erreicht. Das Ziel, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, wäre noch mit großen Anstrengungen möglich. Das ist extrem wichtig. Andere Länder würden folgen. Verfehlt Deutschland sein selbstgestecktes Ziel, verlöre es endgültig seine Vorreiterrolle.

Porträt von Mojib Latif auf Boot, angelehnt an Stange

Prof. Dr. Mojib Latif

1954 in Hamburg geboren, studierte Mojib Latif Betriebswirtschaftslehre und Meteorologie. 1987 promovierte er an der Universität Hamburg im Fach Ozeanografie. Seit 2007 ist er Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg; 2015 erhielt er gemeinsam mit Johan Rockström den Deutschen Umweltpreis.  Heute ist er Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

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15. November 2018 | Energiewende-Magazin