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Geoengineering – ohne geht nicht?

Ein Bericht von Christopher Schrader

Um die Klimaziele zu erreichen, sind Technologien zur CO₂-Vermeidung und -Entnahme unabdingbar. Doch welche lassen sich im großen Stil umsetzen?

Das langersehnte Wort fiel am Ende ihrer Rede: Sie verfolge das Ziel, sagte Angela Merkel im Mai 2019 beim Petersberger Klimadialog, dass Deutschland zur Mitte des Jahrhunderts «klimaneutral» wirtschafte. Viele Aktivisten fordern das seit Langem und kritisieren die deutsche Regierung, eine entsprechende Initiative anderer EU-Staaten noch nicht aufgegriffen zu haben.

Was sie mit klimaneutral genau meint, erklärte die Kanzlerin dann in ihrer wohlbekannten Gebrauchsrhetorik: «Es muss nicht sichergestellt werden, dass es überhaupt keine CO2-Emissionen mehr gibt, sondern man muss, wenn es noch CO2-Emissionen gibt, alternative Mechanismen dafür finden, wie man diese Emissionen kompensieren kann.»

Zwei Vorschläge mit vielen Fragezeichen

Wer nicht schon wusste, was Klimaneutralität bedeutet, dürfte diese Aussage kaum verstanden haben. Das Wort klingt friedlich und freundlich, wie ein konsensfähiges Ziel der Politik. Aber dahinter können sich Dinge verbergen, eben jene «alternativen Mechanismen», die Menschen nicht unbedingt Applaus entlocken.

Hinsichtlich der alternativen Mechanismen bot die Kanzlerin in ihrer Rede zwei Beispiele für das Kompensieren an: Aufforstung und CO2-Speicherung – um diese gleich wieder mit einem Fragezeichen zu versehen. Ersteres sei «in entwickelten Ländern begrenzt möglich», letzteres «in Deutschland sehr umkämpft». Das war ein Euphemismus: Denn als vor einigen Jahren dieses Verpressen von CO2 diskutiert wurde, hatten Bürgerinitiativen erbittert gegen vermeintliche «Endlager» in ihren Regionen protestiert, bis die Politik die Idee fallen ließ.

Inzwischen steht das Wort von der Klimaneutralität auch im ersten Bundes-Klimaschutzgesetz, das der Deutsche Bundestag am 15. November 2019 beschloss, – als «Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland […], Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen»; Merkel hat es so auch vor den Vereinten Nationen versprochen. Das ist reichlich schwammig formuliert, aber es bietet zumindest Anlass, das freundliche Wort zu hinterfragen. Denn das «Kompensieren von CO2-Emissionen», das viele bestenfalls von Flugreisen kennen, führt direkt ins Spektrum der Geoengineering-Verfahren. Darunter versteht man staatenübergreifende, großskalige Eingriffe ins Klima – mit dem Ziel, die überhitzte Erde zu kühlen.

CO2 entnehmen – oder das Sonnenlicht dimmen?

Die Methoden des Geoengineering sind in zwei Gruppen einzuordnen: Bei der einen will man CO2 aus der Atmosphäre zurückholen und irgendwo unschädlich einlagern, was «Carbon Dioxide Removal» (CDR) oder «Negative Emissions Technology» (NET) genannt wird. In den Berichten des Weltklimarats werden solche Maßnahmen praktisch jedes Mal vorausgesetzt, wenn es in Zukunftsszenarien gelingt, die Temperaturkurve unter die Zwei-Grad-Marke oder sogar auf das im Pariser Vertrag erwünschte Eineinhalb-Grad-Limit der globalen Erwärmung zu drücken. NETs sind bisher zwar erst in Ansätzen erprobt, aber vielfach durchgerechnet – vielen Wissenschaftlern müssen sie schon wie ein alter Brieffreund vorkommen, dessen sanftmütigen, aber zupackenden Charakter sie aus seinen Schreiben erahnen.

Die andere Gruppe von Maßnahmen wirkt dagegen eher wie ein ungestümer Haudrauf, der Probleme ohne langes Grübeln mit Taten statt mit Worten löst, zumindest oberflächlich gesehen. Unter dem Überbegriff «Solar Radiation Management» (SRM) wird erwogen, das auf die Erde fallende Sonnenlicht teils abzuschirmen und so die weitere Erhitzung zu bremsen.

Wollte man eine medizinische Metapher verwenden, könnte man sagen: CDR soll die Ursachen des Klimawandels beseitigen, SRM die Symptome bekämpfen, oder genauer: ein Symptom.

Ein Schirm gegen Sonneneinstrahlung

Der Grundgedanke der SRM-Verfahren stammt aus dem Studium großer Vulkanausbrüche, bei denen enorme Mengen von Material in die Atmosphäre geschleudert werden, darunter sehr viele Schwefelpartikel. Gelangen diese in die untere Stratosphäre, dann reflektieren sie einfallende Sonnenstrahlen zurück ins All. Als zum Beispiel 1991 der Pinatubo auf den Philippinen ausbrach, sanken in den Jahren danach die globalen Durchschnittstemperaturen um ein halbes Grad Celsius. Das hat recht früh in der Klimadebatte einige Wissenschaftler auf die Idee gebracht, diesen Effekt mit technischen Mitteln nachzubilden und zu verstetigen.

Die «Keutsch Research Group», eine Forschergruppe an der «Harvard University» um David Keith, bereitet zurzeit das erste Experiment auf dem Gebiet vor. «SCoPEx» («Stratospheric Controlled Perturbation Experiment») besteht aus einem Wetterballon mit einer Gondel, die in 20 Kilometern Höhe eine kleine Menge Partikel aussetzen soll. Anfangs sind dies etwa zwei Kilogramm Wasserdampf, der sofort zu winzigen Eiskristallen gefriert. Zunächst geht es vor allem darum, deren Ausbreitung zu analysieren, später könnten Kalziumkarbonat und Schwefelverbindungen sowie erste Messungen ihrer Wirksamkeit folgen.

Vor einer Bergkulisse wird ein silbriger Heißluftballon von der Größe eines zehnstöckigen Hauses aufgerichtet, daneben steht ein großer hydraulischer Kran, an dem PV-Module angebracht sind.
Um erste Experimente zum Abschirmen des Sonnenlichts zu machen, planen Harvard-Forscher, einen Ballon von der Art einzusetzen, welche die NASA für Messungen in der Stratosphäre einsetzt. Foto: NASA / Bill Rodman

Bereits vor zwei Jahren betonte Keith in einem SPIEGEL-Interview, es handele sich dabei um «ein Experiment, keinen Test. ‹Test› erweckt den Eindruck, dass wir ein halbfertiges System haben, das wir erproben. Das stimmt aber nicht.» Die Mengen der freigesetzten Partikel seien bei dem Experiment praktisch zu vernachlässigen – und generell könne aus seiner Sicht niemand dagegen opponieren, «mehr Wissen über mögliche Werkzeuge zu haben, die solche Risiken reduzieren».

Keith versteht daher die fundamentale Opposition gegen sein Experiment nicht wirklich. Ein psychologisch-politisches Risiko räumt er allerdings ein: «Manche Leute werden übertreiben, wie effektiv die Technik sein kann, und dann argumentieren, dass wir nicht mehr so viel für die Reduzierung der Emissionen tun müssen.»

Fast 400 Millionen Flugzeugstarts nötig

Längst gibt es Modellrechnungen, wie ein solches System zum Verteilen von Schwefel auszusehen hätte, wenn es die weitere globale Erwärmung verhindern soll: 6.700 Flugzeuge müssten pro Tag starten und jeweils zehn Tonnen Schwefelsäure versprühen, rechnete Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg mit einer Kollegin vor einiger Zeit in «Science» vor. Das wäre womöglich 160 Jahre lang nötig, vor 2200 dürfte die Weltgemeinschaft jedenfalls nicht aufhören. Sonst würden die Temperaturen binnen kurzer Frist auf das Niveau hochschießen, das die Atmosphäre ohne die Eingriffe gehabt hätte. Weitere mögliche Nachteile einer Schwefel-Injektion: Bleiben die Aerosole nicht in der Atmosphäre, gibt es sauren Regen, die Ozonschicht könnte leiden, und die Partikel machen das Licht auf der Erde insgesamt diffuser, was der Ausbeute von Solarzellen schaden könnte.

Spiegelschwärme im All und autonome Segelschiffe

Andere Ideen aus der SRM-Gruppe des Geoengineering handeln von großen Spiegeln oder Schwärmen winziger Spiegel in Umlaufbahnen um die Erde und von einer Flotte autonomer Segelschiffe, die auf den Weltmeeren kreuzen und Wassertröpfchen in die Luft schleudern, die als Kondensationskeime die Wolkenbildung anregen sollen; das könnte ebenfalls kühlend wirken. Stets geht es dabei aber nur um die Senkung der Temperaturen. Die Versauerung des Ozeans, ein weiteres Symptom des Klimawandels, bliebe unbehandelt.

Trotz des enormen Aufwands wäre das Verfahren vergleichsweise billig: Die Betriebskosten für die Schwefel-Airlines werden auf 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Das ist wenig Geld, vergleicht man es mit den Erträgen heutiger Volkswirtschaften.

Technologien sorgen für negative Emissionen

Die zweite Gruppe der Geoengineering-Verfahren, negative Emissionen, können nur dann einen guten Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn die ganze Welt den Ausstoß von Treibhausgasen stark reduziert. Ein globaler Preis auf Emissionen wäre wahrscheinlich die Voraussetzung, damit das Verfahren, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurückzuholen, nicht auf Dauer deutlich teurer bliebe, als das Gas dorthin freizusetzen.

Mittlerweile herrscht wissenschaftlicher Konsens, dass NET-Maßnahmen machbar und sogar «unvermeidbar» werden. In manchen Sektoren der technischen Zivilisation lässt sich der Ausstoß von Treibhausgasen kaum oder nur sehr schwer abstellen, vor allem in der Stahl- und Zementindustrie sowie im Flugverkehr. Auch darum sprach Kanzlerin Angela Merkel ja vom «Kompensieren von Emissionen». Dabei geht es jedoch um gewaltige Mengen von CO2. Die Szenarien, die in die jüngsten Berichte des Weltklimarats (IPCC) eingeflossen sind, rechnen mit einer Menge von 600 bis 1.200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die zwischen 2030 und 2100 aus der Atmosphäre entnommen werden müssten. Wenn man annimmt, dass ein solches System Anlaufzeit benötigt, sollte es in der Lage sein, möglichst bald nach 2050 ungefähr 15 bis 30 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entnehmen können. Die Rechnung setzt allerdings voraus, dass die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe bis spätestens 2050 auf einen kleinen Bruchteil heutiger Werte sinken.

 

Grafik, die diverse Verfahren zur CO₂-Vermeidung, -Entnahme und -Lagerung vorstellt
Verfahren zur CO₂-Vermeidung, -Entnahme und -Lagerung (
Carbon Dioxide Removal (CDR) / Negative Emissions Technology (NET)) Grafik: Katrin Schoof
Grafik, die Konzepte zur Abschirmung des Sonnenlichts vorstellt
Konzepte zur Abschirmung des Sonnenlichts (Solar Radiation Management (SRM)) Grafik: Katrin Schoof

Aufforstung und Umstellungen beim Feldbau

Die Entnahme von 15 bis 30 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr können mit verschiedenen Verfahren erreicht werden. Am harmlosesten erscheinen die sogenannten «Natural Climate Solutions» (NCS) – man nimmt also die Natur zu Hilfe. Der Gedanke an Aufforstung (nachdem man die fortschreitende Entwaldung gestoppt hat) liegt nahe. Aber auch von Umstellungen im Feldbau, «Soil Carbon Sequestration» (SCS), versprechen sich Forscher viel: Flacher oder nicht zu pflügen hält mehr Kohlenstoff im Boden fest als bisher, andere Fruchtfolgen und angebaute Arten können den Gehalt ebenfalls steigern.

Reizt man solche Verfahren aus, um möglichst die ganzen 15 bis 30 Milliarden Tonnen CO2 damit zu binden, zeigen sich oft erhebliche Nachteile: Bei NCS-Maßnahmen ist großer Landbedarf verbunden; die Flächen fehlen womöglich bei der Nahrungsmittelproduktion oder als Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Der Kohlenstoff bleibt zudem nur so lange in den Bäumen gespeichert, wie sie weder gefällt noch bei einem Waldbrand vernichtet werden. Und wenn ein dunkler Wald dort wächst, wo vorher helles Brach- oder Weideland war, dann absorbiert die Region zunächst jahrzehntelang mehr vom einfallenden Sonnenlicht als zuvor – sie heizt sich also auf, bevor die Bäume hoch und dicht genug stehen, um das lokale Klima selbst zu beeinflussen, so wie es Regenwälder tun.

Abscheidung von Kohlendioxid im großem Stil

Am anderen Ende des Spektrums steht ein Hightechverfahren: «Direct Air Capture» (DAC). Große Anlagen mit Ventilatoren pressen Luft durch Filter, die CO2 absorbieren und konzentriert abscheiden. Die Schweizer Firma Climeworks betreibt bereits zwei Pilotanlagen. Eine davon liegt in Hinwil im Kanton Zürich neben einer Müllverbrennungsanlage. Hier will das Unternehmen knapp 1.000 Tonnen CO2 pro Jahr entziehen und in ein nahe gelegenes Treibhaus pumpen. Einen Schritt weiter geht eine ähnliche Installation im isländischen Hellisheiði auf dem Gelände eines gleichnamigen geothermischen Kraftwerks. Dort wird das gefangene Kohlendioxid mit Brauchwasser in 700 Meter Tiefe gepumpt, wo sich das gelöste Gas chemisch an das Basaltgestein bindet.

Auf einem alleinstehenden Gebäude im Grünen sind auf einem Tragegestell 18 große Ventilatoren in drei Reihen installert, Rohrleitungen führen von den Ventilatoren zu einem weißen, zylindrischen Gastank.
Die «Direct Air Capture»-Pilotanlage von Climeworks in Hinwil in der Schweiz Foto: Climeworks / Julia Dunlop

Um damit der Atmosphäre ausreichend CO2 zu entnehmen, bräuchte man allerdings zig Millionen DAC-Anlagen in der Größenordnung der heutigen Pilot-Installationen – die Hersteller und Betreiber müssten dazu schnell auf das Niveau der heutigen Autobranche wachsen, wie Wissenschaftler in der Fachzeitschrift «Nature Communication» schrieben. Der Haken an der Sache: Die Filteranlagen sind wahre Energiefresser: Als ausschließliche Entnahmetechnik eingesetzt, würden sie etwa ein Viertel des globalen Stroms verschlingen – und ein Gewinn fürs Klima wären sie überhaupt nur dann, wenn diese Elektrizität aus erneuerbaren Quellen stammt.

Energiepflanzen, Verbrennung und CO2-Speicherung

Ersetzt man das physikalisch-technische Prinzip, CO2 aus der Atmosphäre zu holen, durch ein biologisches, kommt man zum «heimlichen Star» unter den NET-Verfahren, «Bioenergy with Carbon Capture and Storage» (BECCS). Dafür werden Plantagen schnellwachsender Energiepflanzen angelegt, die dann zur Stromerzeugung verbrannt werden. Dabei fangen Filter das CO2 auf. Weil die Pflanzen beim Wachsen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen hatten und dieses später zum großen Teil aufgefangen wird, stellt das Ganze eine Technologie mit negativen Emissionen dar.

Dafür gibt es bisher ungefähr ein Dutzend Pilotanlagen, die bekannteste steht in Decatur im US-Bundesstaat Illinois. Dort wird Mais zu Ethanol, einem Benzinzusatz, verarbeitet. Der darin enthaltene Kohlenstoff gelangt nach dem Einsatz im Motor zwar wieder in die Atmosphäre, doch es wird auch eine knappe Million Tonnen CO2 pro Jahr abgeschieden. Es bräuchte dabei wiederum Zehntausende solcher Anlagen, um die Einsparungen von 15 bis 30 Milliarden Tonnen pro Jahr zu erreichen. Bis zu 700 Millionen Hektar Land müssten dafür in Plantagen für Bioenergie umgewandelt werden – das ist ungefähr die doppelte Fläche Indiens. Trotz der deswegen zu erwartenden Landkonkurrenz sowie des gewaltigen Bedarfs an Wasser und womöglich Dünger wurde BECCS in sehr vielen Modellrechnungen für die Berichte des Weltklimarats eingeplant.

 

Ein Traktor mit Erntemaschine erntet ca. fünf Meter hohe Planzen einer Schnellwuchsplantage.
Eine Schnellwuchsplantage in der nordenglischen Grafschaft Cumbria. Schon bald nach der Ernte werden die Wurzeln der Weiden wieder austreiben. Das Holz wird zu Kraftstoff, Strom oder Wärme umgewandelt. Foto: News Pics / Alamy

Wohin mit dem abgeschiedenen Treibhausgas?

Lagerorte für das gebundene Treibhausgas zu finden, ist aber ein Problem: Die gewaltigen Mengen schließen oberirdische Tanks aus. Daher erfordern sowohl DAC als auch BECCS einen massiven Einstieg in die «CCS»-Technik («Carbon Capture and Storage»). Dabei würde verflüssigtes Kohlendioxid in geeignete Erdschichten des Untergrunds gepresst. In Frage kommen ausgebeutete Gasfelder und Salzwasseradern unter einem geeigneten Deckgebirge.

Solche Verfahren wurden vor einigen Jahren diskutiert und erprobt, häufig mit dem Hintergedanken, dadurch Kohlekraftwerke länger betreiben zu können. Damals haben Bürgerinitiativen in allen geeigneten Regionen protestiert, in Deutschland genauso wie in anderen Ländern. Heute gilt CCS darum als politisch tot, und es ist zweifelhaft, ob sich die öffentliche Meinung ändert, wenn es jetzt um die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre geht. Ohne diese Speichermethode aber haben Direct-Air-Capture- und Bioenergie-Technik, also BECCS, wenig Aussicht auf Erfolg.

Mit Holzkohle oder Basalt CO2 binden

Eine Variante käme allerdings ohne Verpressen aus: «Biochar». Bei diesem Verfahren wird geerntete Biomasse nur zum Teil zur Stromproduktion genutzt, weil sie nicht verbrannt, sondern verschwelt wird. Es entsteht eine Art Holzkohle, die dann auf Feldern oder in der Landschaft verteilt wird. Sie bindet den Kohlenstoff je nach Herstellungsprozess für viele Jahrhunderte, kann die Eigenschaften des Bodens verbessern und – vor allem in den Tropen – die Erträge steigern. Nachteile sind, dass die Energieausbeute geringer ausfällt und man ein Netzwerk zum Verteilen der Biokohle aufbauen muss, das bei langen Transportwegen wieder Energie frisst.

Der Grundgedanke, gespeichertes Kohlendioxid fein verteilt in der Landschaft zu lagern, findet sich auch bei der Methode der beschleunigten Verwitterung von Gestein wieder. Klein zermahlener Basalt oder Mineralien wie Olivin würden CO2 aus der Luft binden und in chemisch stabile Karbonate verwandeln. Das Pulver stört nach heutigem Wissensstand in der Landschaft nicht weiter, die Qualität der Böden könnte sich sogar verbessern. Der Nachteil aber wäre der immense Abbau- und Transportbedarf: Es müssten in Summe in etwa die gesamten Dolomiten abgetragen und verstreut werden, um den Speicherbedarf zu decken, schätzen manche Forscher.

Im Vordergrund ein hüfthoher Sack voller Holzkohle, an dem zwei Spaten lehnen, im Hintergrund verteilt ein Mann mit einer Schaufel Holzkohle auf dem Boden.
Biokohle – eine nachhaltige Abfallwirtschaftslösung und effektive Bodenverbesserung für Kakaobauern in Mittelamerika. Foto: carbongold.com

Ein Bündel an Maßnahmen erscheint am plausibelsten

Sich allein auf ein Verfahren zu stützen und es auszureizen könnte also groteske Nebenwirkungen haben. Viele Wissenschaftler, zum Beispiel Sabine Fuss vom «Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change» in Berlin, schlagen darum vor, eine Auswahl verschiedener Verfahren zu nutzen. Jedes davon würde dann jeweils nur innerhalb seiner nachhaltigen Grenzen angewandt. «Nur mit einem Portfolio aus unterschiedlichen Technologien lässt sich das Entnahmevolumen zuverlässig und mit vertretbaren Risiken erreichen», unterstreicht Jan Christoph Minx, ein Kollege und Ko-Autor von Sabine Fuss.

In ihrer großen Übersichtsarbeit kommen Fuss, Minx und weitere Wissenschaftler auf folgende Summen: Die Aufforstung könnte knapp vier, die Kohlenstoff-Bindung im Boden durch veränderte Feldwirtschaft bis zu fünf Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr entnehmen. Direct Air Capture und BECCS absorbieren und speichern jeweils fünf, Biochar zwei und die Verwitterung von Gestein vier Milliarden Tonnen pro Jahr.

Das macht zusammen ungefähr 25 Milliarden Tonnen und hätte daher die richtige Größenordnung. Der Bedarf an Land, Energie, Transportnetzen und Bergwerken wäre dann jeweils entsprechend geringer als bei den Extrembeispielen oben. Es müssten dazu allerdings so oder so in kürzester Zeit riesige neue globale Industriezweige entstehen, deren Größe nicht weit hinter der heutigen Öl- oder Kohlebranche zurückbleibt.

Und all diese Zahlen stützen sich auf die Annahme, dass eine ehrgeizige, globale Politik der Emissionsreduktion Erfolg hat. Wer die unerprobten Möglichkeiten der Geoengineering-Verfahren für bare Münze nimmt und deswegen bei der Umstellung der Energiewirtschaft auf erneuerbare Quellen nachlässt, vergrößert unweigerlich das Problem.

Früher haben manche Forscher mit solchen Ideen und Zahlenspielen ihre Zuhörer schockieren wollen, damit diese den Klimawandel ernst nehmen und einer nachhaltigen Politik zustimmen, um damit die kühlenden Eingriffe in das Erdsystem überflüssig zu machen. Inzwischen ist die Zeit für ein Entweder-oder aber vorbei. Es geht um ein Sowohl-als-auch. Kurz zusammengefasst: Die Frage ist nicht mehr, ob die Welt Geoengineering nutzt. Sondern wann und wie.

 

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18. Dezember 2019 | Energiewende-Magazin