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Ohne Verkehrswende kein Klimaschutz

Ein Bericht von Tom Jost

Sämtlichen Verkehr auf Null-Emission bringen – das geht laut Fritz Vorholz nur mit klimaneutralen und strombasierten Treibstoffen. Und dem Verzicht auf Individualverkehr.

Sich bei der Energiewende nur auf den Ausbau klimafreundlicher Kraftwerkskapazitäten zu konzentrieren, greift zu kurz. Denn neben der Erzeugung von Ökostrom wird häufig vernachlässigt, dass der Verkehr – betrachtet man die Gesamtheit aller Personen- und Güterbeförderungen – die ungleich größere Herausforderung darstellt. Wohl deswegen hat die Berliner Denkfabrik «Agora Energiewende» vor einem Jahr mit dem Thinktank «Agora Verkehrswende» ein Schwestermodell bekommen.

Wer die Verkehrswende nicht bewältigt, kann das Klimaschutz-Großprojekt vergessen.

Dr. Fritz Vorholz

Der langjährige Umweltjournalist Dr. Fritz Vorholz ist dort seitdem so etwas wie das kommunikatives Aushängeschild. Beim 18. Schönauer Stromseminar ließ er keinen Zweifel daran entstehen, was zu tun ist, um die Erderwärmung in Grenzen zu halten: «Wer die Verkehrswende nicht bewältigt, kann das Klimaschutz-Großprojekt vergessen.»

Was ist in den letzten Jahren passiert? Im Verkehrssektor fast nichts und deshalb in der Gesamtheit zu wenig. Sämtliche nationalen Klimaschutz-Anstrengungen, die nach Rio, Kyoto oder Paris ausgerufen wurden, verfehlen ihre Zielmarken oder drohen sie zu verfehlen, weil sich – paradoxerweise – beim Verkehr nichts bewegt.

Klimaschutz-Stagnation

Tatsächlich beansprucht der Verkehr im Vergleich zu allen anderen Sektoren der Volkswirtschaft nicht nur die meiste Endenergie, er ist außerdem die zweitgrößte Quelle von klimaschädlichem CO2. Während auf allen anderen ökonomischen Handlungsfeldern seit 1990 teilweise ansehnliche Einsparungen gelangen (bei Haushalten und dem verarbeitenden Gewerbe schon rund ein Drittel), ist beim Verkehr der Ausstoß von Treibhausgasen heute sogar etwas höher als vor 25 Jahren. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssten aber auch die Emissionen des Verkehrs in den kommenden Jahrzehnten bis auf Null sinken, so Vorholz.

Wenn Autos durch Sturzfluten weggespült werden, Sturm große Lkws fast von der Brücke fegt oder Staubstürme tödliche Massenkarambolagen auslösen, ist der Verkehr auch Betroffener des Klimawandels. «Und das wird sich verstärken», ist sich Vorholz sicher. «Trotzdem bleibt dieser Sektor sehr standhaft gegenüber Veränderungen.»

Kein Umdenken – trotz hoher Steuerlast

Es gebe zwar in Deutschland keine CO2-Abgabe. De facto werde aber über die Energiesteuer (früher hieß sie Mineralölsteuer) der Kohlendioxidausstoß besteuert – und zwar bei keinem anderen Energieträger so kräftig wie bei den «Verkehrsenergien»: Ein Liter Diesel verbrennt unter anderem zu rund 2,65 Kilogramm CO2, eine Tonne des Treibhausgases entsteht folglich, wenn 377 Liter Diesel verbrennen. Und weil jeder Liter mit 47 Cent besteuert wird, kostet die Emission einer Tonne CO2 so de facto 177 Euro. Die entsprechende Belastung von Benzin ist sogar noch 100 Euro höher. Heizöl wird dagegen nur mit rund acht Euro pro Tonne besteuert. Doch obwohl der Verkehr vergleichsweise kräftig zur Kasse gebeten wird, sinken die Emissionen per saldo nicht. Das zeige, wie groß die Herausforderung tatsächlich sei, so Vorholz.

Die Verkehrswende verlangt Umparken im Kopf.

Dr. Fritz Vorholz

Wie muss eine Verkehrswende aussehen, die dem Klimaschutz Rechnung trägt? Es gelte, zwei unterschiedliche Herausforderungen zu stemmen, sagt Vorholz: die Mobilitätswende, sprich das Umsteuern im Mobilitätsverhalten und die Energiewende im Verkehr, also das Ersetzen herkömmlicher Treibstoffe durch synthetische Gase oder Flüssigkeiten, die aus umgewandelter Sonnen- oder Windenergie stammen müssten. Beides verlange heftiges Umparken im Kopf.

So habe das «International Transport Forum» (ITF), ein an die OECD angegliederter Thinktank, ein Mobilitätskonzept für mittelgroße Städte wie Lissabon mit 550.000 Bewohnern erarbeitet. Ersetze man dort sämtliche Pkws und Linienbusse durch (Sammel-)Taxen und Kleinbusse, ließe sich die Autoflotte um 97 Prozent reduzieren. «Zugleich sinken die CO2-Emissionen um ein Drittel – bei halbierten Kosten. Alles nur durch bessere Organisation», so Vorholz.

Verhaltensänderungen genügen nicht

Dr. Fritz Vorholz bei seinem Vortrag auf dem Stromseminar 2017
Dr. Fritz Vorholz auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

Freilich setze das Verhaltensänderungen voraus, zu der allein in Deutschland 45 Millionen Autofahrer bewegt werden müssten; die gewaltige Wirkung ergebe sich schließlich durch den Verzicht auf eigene Autos. Deshalb hält Fritz Vorholz auch wenig vom «autonomen Fahren» beziehungsweise «Gefahren-werden» für den Privatverkehr. Im Gegenteil: Offeriere man Fahrzeugnutzern, während der Fahrt bequem dösen, frühstücken oder arbeiten zu können, würden sie womöglich noch größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz akzeptieren, statt die «kurzen Wege» zu suchen.

Keine kleine Sache wäre auch das Wegkommen vom Mineralöl. Will man auf jedwede fossile Energiequelle verzichten, gibt es heute mehrere technische Lösungen, sagt Vorholz. Basis ist in jedem Fall Ökostrom aus Wind- oder Photovoltaikanlagen. Bestenfalls könne man mit dieser sauberen Energie Batterieautos versorgen, die es übrigens schon im Fuhrpark des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. gegeben habe.

Hybridautos mit Ladestecker oder Elektrofahrzeuge mit verbrennungsmotorischen Reichweitenverlängerern brauchen dagegen ergänzend klimaneutrale flüssige oder gasförmige Treibstoffe, um per saldo CO2-frei unterwegs sein zu können. Das gleiche gilt für Lkws, Schiffe oder Flieger. Solche synthetischen Kraftstoffe ließen sich ebenso auf der Basis von Wind- und Solarstrom gewinnen wie Wasserstoff, der als Antriebsenergie für emissionslose Brennstoffzellenfahrzeuge diene.

Schneller Ausbau bei Erneuerbaren nötig

Der Haken an der Sache sei in allen Fällen aber der Wirkungsgrad: Benötige der batterieelektrische Pkw etwa 15 Kilowattstunden Strom, um 100 Kilometer fahren zu können, ist es beim Brennstoffzellengefährt schon die doppelte Menge; für die entsprechende Gasladung aus umgeformtem Ökostrom dürfe man getrost das Sechsfache veranschlagen. Würde man bei der Verkehrswende vor allem auf solche strombasierten Kraftstoffe setzen, beanspruchte allein der Verkehrssektor mehr Strom, als die gesamte deutsche Volkswirtschaft 2016 verbraucht hat.

Selbst wenn – wie die Bundesregierung plant – im Jahr 2050 der Stromverbrauch um ein Viertel niedriger liegen, dafür aber zu 80 Prozent von den Erneuerbaren stammen sollte, muss deren Ausbautempo extrem steigen. Ob das klappt? Fritz Vorholz verweist schmunzelnd auf «Bombus hortorum», die gemeine Gartenhummel. Aerodynamikfachleute hatten einst gemeint, ihr Körper sei zum Fliegen eigentlich zu schwer. «Aber die Hummel fliegt – und wir hoffen, dass die Verkehrswende auch mal fliegen kann.»

Dr. Fritz Vorholz

Dr. Fritz Vorholz war 27 Jahre Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, bevor er im Sommer 2016 zu «Agora Verkehrswende» stieß. Dort leitet er den Bereich «Strategische Kommunikation». Er studierte in Köln Volkswirtschaftslehre und Soziologie; parallel dazu besuchte er die Kölner Journalistenschule. Nach seinem Studium arbeitete Vorholz zunächst am Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut (FiFo) der Uni Köln und für den Sachverständigenrat für Umweltfragen; er promovierte über ein umweltökonomisches Thema.

Seinen Vortrag beim Stromseminar 2017 finden Sie auf unserem Youtube-Channel. Die dazugehörenden Vortragsfolien finden Sie hier.

19. Juli 2017 | Energiewende-Magazin