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Die Wegweiser

Ein Bericht von Andrea Jeska

Mit Fortbildungen und Sicherheitstrainings an Schulen rüstet sich Thailand gegen die Folgen von Brandrodung und Klimawandel.

«Wir waren es», sagt Anner Yersor. «Wir haben den Wald vernichtet. Wir haben den Boden ausgetrocknet. Weil wir es nicht besser wussten und weil wir es schon immer so gemacht haben. Und niemand kam, uns zu warnen. Und nun», sagt Yersor, «nun vernichten wir uns selber. Der Wald ist fort, das Wasser ist fort und wir haben keinen anderen Ort, an den wir gehen können.»

800 Kilometer nördlich von Bangkok kann man beobachten, wie es sein kann, dass in einer Bergregion voller Wälder seit gut zwei Jahrzehnten Dürren an Anzahl und Ausmaß immer mehr zunehmen. Im Goldenen Dreieck, dem Länderdreieck zwischen Thailand, Laos und Myanmar, einst verschrien als Drogenhölle, ist Chiang Rai, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, noch immer so etwas wie der letzte Vorposten vor der Wildnis.

In Doi San Jai lebt die Volksgruppe der Akha, rechts der Dorfvorsteher Anner Yersor. Foto: Christian Irrgang

Hier im Norden Thailands weist auf den ersten Blick nichts auf Dürre hin: Alles ist grün, die Flüsse voller Wasser, Bougainvilleen und Jacaranda blühen, Tamarinden-, Kaffee- und Bananenbäume stehen neben den Häusern, üppige Teeplantagen erstrecken sich, und wenn man auf einem Hügel steht, dann sieht man auf den Dschungel wie auf ein samtenes Dach.

In dieser Gegend, in rund 700 Meter Höhe, leben die Akha, eine marginalisierte und bis in die späten 50er Jahre von integrativen Staatsprozessen ausgeschlossene Bevölkerungsgruppe. Als Thailand bereits mitten im Prozess der Modernisierung war, gab es in den Bergdörfern weder Krankenhäuser noch Schulen, keine Straßen, keine Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.

Ein Dorfvorsteher als Vermittler

Anner Yersor ist seit 14 Jahren Vorsteher mehrerer Dörfer innerhalb der Gemeinde von Doi San Jai, Chef über 200 Haushalte und ungefähr 800 Bewohner. Und er ist derjenige, der die Menschen darauf vorbereiten muss, dass mit dem Klimawandel harte Zeiten kommen. «Es kamen Vertreter der Regierung zu mir, die sagten, ich solle die Leute dazu bewegen, in die Städte zu ziehen, weil sie hier kein Auskommen mehr haben werden.»

Dürren sind für die Akha kein neues Thema und dass für die erneute Zuspitzung der Situation in diesem Jahr El Niño verantwortlich sein soll, wie es in den Zeitungen steht, hält Yersor für eine zu einfache Erklärung. «Unsere Situation ist das Ergebnis einer langen Geschichte der Fehler. Der Klimawandel macht es lediglich schlimmer.»

Akha-Frau in traditioneller Tracht legt Grasbesen zum Trocknen auf die Straße
Auf einer Straße in Chiang-Rai werden Grasbündel zum Trocknen ausgelegt. Foto: Christian Irrgang

Dabei fing alles einmal gut an. Isoliert vom Rest der Welt betrieben die Hilltribes, wie die Akha und andere Bergvölker genannt werden, auf den Bergkämmen Jahrhunderte lang Landwirtschaft, nutzten das von den Bäumen aufgefangene und in den weichen Boden abgeleitete Wasser sowie das Quellwasser der Flüsse für die Landwirtschaft. Zweimal im Jahr ernteten sie Reis, bauten aber auch Gemüse an und hielten Schweine und Wasserbüffel.

Brandrodung trifft auf Bevölkerungswachstum

Als der Opiumanbau verboten wurde, stiegen die Akha auf den Anbau von Lychees, Ananas, Tee, Reis und Kaffee um. Um Raum für den Anbau zu schaffen, betrieben sie Brandrodung, vernichteten riesige Waldflächen. Eine Praxis, die in Thailand damals niemanden störte, wurde doch weder Forstwirtschaft betrieben noch gab es Schutzgebiete. Das alles änderte sich, als der Raubbau an den Wäldern, vor allem durch Brandrodung, ein Ausmaß erreichte, das nicht nur die thailändische Regierung alarmierte, sondern auch für internationale Proteste sorgte.

Bereits 1985 hatte Thailand die stärkste Entwaldungsrate Südostasiens. Inzwischen hat Indonesien, das 80 Prozent seiner Wälder vernichtet hat und auf Platz 4 der Emissionsverursacher steht, Thailand überholt. Die Konsequenzen aus der thailändischen Waldvernichtung sind dennoch weitreichend. Im Norden des Landes sind 50 Prozent der Wälder vernichtet, landesweit mehr als ein Drittel.

Schuld daran trugen nicht nur die Hilltribes mit ihrer Brandrodung, sondern auch Regierung und Großkonzerne, eine Holzhandelsmafia und korrupte Forstwirte, vor allem aber der schnelle Zuwachs der Bevölkerung, die sich zwischen 1961 und 2010 verdoppelt hat. Thailands Waldbestand schwand in derselben Zeit um 2000 Quadratkilometer pro Jahr. Durch das Fällen der Bäume wurden riesige Mengen an CO2 freigesetzt. Diese Emissionen, die zur Erderwärmung ebenso beitragen wie die Verbrennung fossiler Brennstoffe, bringen Thailand auf Platz 34 der Klimawandel-Verursacher.

Die Hoffnung lastet auf den Schultern der Jugend

Um den Hilltribes zu erklären, wie ihr Leben und Klimawandel zusammen hängen und auf was sie sich in der Zukunft vorbereiten müssen, lud die Regierung die Dorfvorsteher zu Fortbildungen ein. Und sie begann, an den Schulen Sicherheitstraining für Naturkatastrophen, Klimaschutz und den Umgang mit Klimawandel als Unterrichtsinhalte einzuführen.

Besondere Aufmerksamkeit kommt der Jugend als Lastenträger des Klimawandels zu. Unterstützt wird Thailand dabei vom deutschen Umweltministerium mit 2,8 Millionen Euro, umgesetzt wird die Bildungskampagne zum Thema Klimawandel von der Hilfsorganisation Plan International, deren deutsche Sektion den Beitrag des Ministeriums auf 3,1 Millionen aufgestockt hat.

Ein Schüler hält vor seiner Klasse ein Referat. Foto: Christian Irrgang

Child Centered Climate Change Adaptation, Kinderzentrierte Klimaanpassung, so der sperrige Name des Projekts, kurz 4CA, hat zum Ziel, die künftige Generation fit für den Klimawandel zu machen und ihr das entsprechende Bewusstsein für die Zusammenhänge mit auf den Weg zu geben. Zielregionen sind der Norden Thailands und die Philippinen. Nach Thailand fließen aus dem Budget gut 800.000 Euro, 14 Gemeinden und 20 Schulen sind in das Projekt involviert. Um die Hilltribe-Ethnien zu erreichen, wird das Lernmaterial in die Sprachen Akha, Lahu und Karen übersetzt. Überschrift dieser Kampagne: The next generation leads the way, die kommende Generation weist die Richtung.

Die Leute hier denken, der Klimawandel hat mit ihnen nichts zu tun. Auf der Tagung lernten wir, dass wir alle eine Verantwortung tragen, unsere Umwelt zu beschützen.

Parita Khanrungsee, Schülerin

Wie genau das aussieht, erlebt man an einer der zwei Projektschulen in der Provinz Chiang Rai. Dort wird alle drei Monate geübt, wie man sich bei Katastrophen wie Erdbeben, Springfluten oder Stürmen verhält. Dem Ernst des Themas zum Trotz ist es für die Schüler ein Tag voller Spaß und eine willkommene Abwechslung vom Alltag. Treppauf, treppab laufen sie, üben Fluchtwege, Gruppenbildung, bestimmen safe areas, sichere Rückzugsgebiete, und lernen, die kleinen und schwächeren Schüler aus der Gefahrenzone zu führen.

Als alle Fluchtwege ausgelotet und die Katastrophenszenarios geprobt sind, versammeln sich die Älteren in einem Klassenraum für eine Lehrstunde über Energie. Ein Mitarbeiter eines staatlichen Energiekonzerns führt Elektrogeräte vor und lässt die Schüler deren Stromverbrauch in Kilowatt schätzen. Wer am besten schätzt, gewinnt eine Süßigkeit oder ein Getränk.

Kinder einer Grundschule in der thailändischen Provinz Chiang Rai lernen etwas über den Stromverbrauch verschiedener Geräte
In der Grundschule lernen die Kinder etwas über den Energieverbrauch verschiedener Geräte. Foto: Christian Irrgang

Mit dem Klimawandel leben lernen

Gesamtsiegerin des Schätzwettbewerbs ist an jenem Tag Parita Khanrungsee. Für sie ist das Wissen um Energieverbrauch quasi Ehrensache, seit sie vor einigen Monaten auf einer Tagung zum Thema Klimawandel in Bangkok teilgenommen hat. «Die Leute hier denken, der Klimawandel hat mit ihnen nichts zu tun. Auf der Tagung lernten wird, dass wir alle eine Verantwortung tragen, unsere Umwelt zu beschützen», sagt sie.

Khanrungsee war als Vertreterin ihrer Schule und der Hilltribes nach Bangkok entsandt worden. Am Ende der Tagung durfte sie von ihrem Leben in den Bergen berichten. Sie erzählte, wie das Haus ihrer Freundin im vergangenen Jahr unter Wasser stand, dass es Springfluten gibt und gleichzeitig Dürren.

Hat sie Angst vor dem, was kommen kann? Ja, sagt sie, aber sie sei auch entschlossen, sich zu behaupten. «Wir können den Klimawandel nicht stoppen. Ich glaube, dazu ist es zu spät. Aber wir können lernen, damit zu leben.»

16. November 2016 | Energiewende-Magazin