Die Lösungssucher
Ein Bericht von Andrea Jeska
Die Niederlande wappnen sich gegen den Anstieg des Meeresspiegels. Doch wie tragfähig sind die Lösungsansätze für andere Regionen?
Wer Koen Olthuis besucht, erwartet ein Büro in einem der hippen Wolkenkratzer von Rotterdam oder in einem der teuren Stadthäuser von Amsterdam. Doch Olthuis Firma Waterstudios NL liegt in einem eher kleinbürgerlich wirkenden Wohnviertel von Den Haag und das Büro selber, in dem Olthuis und seine elf Mitarbeiter konzipieren und kreieren, sieht aus wie ein Studentenbüro.
Der 45-Jährige gilt als einer der führenden Wasserbauarchitekten der Niederlande und als Pionier der Wasserbauarchitektur. «Wir brauchen heute bewegliche Architektur, kein statisches Bauen zu Lande mehr», erklärt er.
Wohnen auf dem Wasser: naheliegend in den Niederlanden
Es gibt viel Schlimmes über den Klimawandel zu sagen – wer mit Olthuis spricht, begreift, dass er auch eine Chance sein kann: für Innovation, für neue Lebensbedingungen, für anderes Denken. Der Niederländer will nämlich ganze Viertel, Dörfer, vielleicht sogar Stadtteile in Seen, auf Flüsse oder gar ins Meer verlegen. Dabei war es ursprünglich nicht der Klimawandel, sondern die Tatsache, dass viele große Städte am Wasser liegen, die den Architekten motivierte, über die Ufer hinaus zu denken. «Der Klimawandel spielte mir da in die Hände», sagt er und hebt entschuldigend die Schultern.
Olthuis' Enthusiasmus über seine Wasserbau-Pläne lassen fast vergessen, dass dieses «in die Hände spielen» Millionen von Menschen vertreiben wird. Aus seinem Mund hört sich alles nach einem großen Abenteuer an. Und ist es auch für sein Heimatland, das sich mit viel Geld, Wissen und mit Hilfe von Experten auf die Folgen des Klimawandels schon heute vorbereitet.
«Hier in Holland ist die Lösung ganz einfach. Wir lassen das Wasser in die eingedeichten Gebiete zurück und nutzen diese als Siedlungsfläche. Dafür brauchen wir schwimmende Häuser, schwimmende Apartments, schwimmende Straßen. Das ist doch logisch, oder?» Klar. Schließlich hat Olthuis es bereits vorgemacht. Und zwar auf Steigereiland, eine von sieben künstlichen Inseln im Osten von Amsterdam, die zusammen den neuen Stadtteil IJburg bilden. Dort liegt das Projekt Waterwoningen: 60 schwimmende Häuser.
Milliarden für den Küstenschutz
Die Niederlande bereiten sich mit viel Wissen und Expertentum, aber auch mit viel Geld auf den Klimawandel vor. 3.300 Kilometer Deich schützen das Land dort, wo das Meer zudringlich wird, und in jedem Jahr werden 12 Millionen Kubikmeter Sand ins Meer geschüttet, um dieses auf Abstand zu halten. Statt dem Meer ständig zu trotzen, überlistet man es, arrangiert sich mit ihm, befriedet die Beziehung.
Olthuis' Wasserarchitektur ist nur eine von vielen Maßnahmen. In Rotterdam, der zweitgrößten Stadt der Niederlande, im Rhein-Maas-Delta und zum großen Teil unterhalb des Meeresspiegels gelegen, gibt es ein großangelegtes Adaptationsprojekt: die Rotterdamer Climate Initiative (RCI), mit der Probleme wie ansteigender Meeresspiegel, erhöhte Überschwemmungsgefahr durch Flusswasser, stärkere Regenfälle und ein steigender Grundwasserpegel bewältigt werden sollen.
5 Millionen Euro werden jährlich allein investiert, um Rotterdam überflutungs- und überschwemmungsfest zu machen. Jährlich mindestens 1 Milliarde Euro will die niederländische Regierung bis 2028 landesweit in den Küstenschutz investieren. 3.600 Jobs hängen an diesem Programm – das immerhin ist ein positiver Effekt des Klimawandels. Außerdem gibt es eine Expertenkommission für Wissenstransfer rund um Wasserbau, Wasserstadtplanung und Wassermanagement.
Wir können die Geschwindigkeit und die Ausmaße des Klimawandels nicht vorhersagen – dennoch können wir nicht einfach abwarten, bis wir 100-prozentig sicher sind, was passieren wird. Die möglichen Konsequenzen könnten katastrophal sein.
Die 2008 initiierte RCI ist ein kreativer Zusammenschluss der Stadt Rotterdam, der Hafengesellschaft, einer Umweltschutzagentur und einem lokalen Unternehmensverbund, zu dem auch Olthuis' Waterstudios.NL gehören.
Mit dieser Initiative wurde die holländische Stadt zum internationalen Vorreiter für eine klimawandelgerechte Stadtplanung. Diese beinhaltet Hochwassermanagement, klimagerechtes Bauen, Wassersysteme in der Stadt und ein Monitoring des Stadtklimas. Bis 2025 sollen alle möglichen Gefahren, die Rotterdam durch Klimawandel drohen könnten, beseitigt sein.
Adaptation ist ein Prozess, durch den Städte ihre Gefährdung reduzieren und von den Möglichkeiten profitieren, die der Klimawandel hervorbringt.
Der Anstieg des Meeresspiegels – ein globales Problem
Der Weltklimarat, ein Expertengremium, das alle vier Jahre im Weltklimabericht den Stand des Klimawandels darstellt, hat in seinen bisherigen Berichten einen Anstieg des Meeresspiegels um durchschnittlich 18 bis 59 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts prognostiziert. In manchen Regionen wird der Anstieg deutlich darüber liegen.
Bereits jetzt leben 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, viele in Megacities wie Lagos, Tokio, Shanghai. Große Teile dieser Städte liegen weniger als zehn Meter oberhalb des Meeresspiegels. Viele liegen auf Meeresspiegelhöhe oder sogar noch darunter. Insgesamt leben in diesen gefährdeten Regionen 200 Millionen bis 634 Millionen Menschen. Steigt der Meeresspiegel an wie bisher, werden die Hütten und Häuser all dieser Menschen bis zur Jahrhundertwende unter Wasser stehen, fortgespült werden.
Solche Flutkatastrophen sind schon in den reichen Ländern des Westens kaum zu bewältigen. Die Vertriebenen der beiden Elbhochwasser in Deutschland klagen, sie seien für den Verlust ihres Eigentums nicht ausreichend entschädigt worden. Japans Regierung hat es bis heute nicht geschafft, allen Opfern des Tsunamis von 2010 neue Häuser oder Wohnungen zu bauen; auch die Opfer des Hurrikans Sandy in New Orleans sind zum Teil noch ohne angemessenen neuen Wohnraum.
Leben mit dem Klimawandel
Intensivierung, Renaturierung, Nachhaltigkeit, Wiederbewaldung, all das sind Begriffe, die zu verschiedenen Zeiten Schlagwörter der Entwicklungshilfe waren. Die Schlagworte der Ära des Klimawandels heißen «Adaptation», «Mitigation» (Abschwächung oder Milderung) und «Vulnerabilität» (Verletzlichkeit, Anfälligkeit).
Strategien gegen den Klimawandel, Maßnahmenkataloge und Ideenkanons haben inzwischen alle vom Klimawandel betroffenen Länder entwickelt. Die meisten dieser Pläne stehen unter dem Dach der International Climate Initiative, Teil einer weltweiten Anpassungsstrategie für die Jahrzehnte, die vor uns liegen. Living with Climate Change and not against it, mit dem Klimawandel, nicht gegen ihn leben ist das Motto dieser globalen Initiative.
Kiribati – «Migration mit Würde»
Wenn man in einem reichen Land lebt, kann man den Begriffen Adaptation und Abschwächung der Klimawandelfolgen positives Leben einhauchen, sich dem Klimawandel technologisch, soziokulturell, psychologisch oder sogar philosophisch stellen.
Adaptation in einem reichen Land bedeutet vielleicht, sich einen guten Regenmantel und Gummistiefel zuzulegen, eine Versicherung gegen Überschwemmung abzuschließen. Und die Vulnerabilität hält sich ohnehin in Grenzen, wenn es einen funktionierenden Staat, eine verantwortungsbewusste Regierung und viele kluge Köpfe sowie das zur Anpassung erforderliche Kapital gibt.
Wir wollen unsere Würde nicht verlieren. Wir müssen viele Opfer bringen, wenn wir unsere Heimat verlieren.
Für alle anderen mag die Adaptation noch zu schaffen sein, die Abschwächung der Folgen aber wird an fehlendem Know-How und Geldmangel scheitern. Die Anfälligkeit für existenzbedrohende Faktoren ist zumeist ohnehin hoch. Anote Tong, Präsident des vom Untergang bedrohten pazifischen Inselstaats Kiribati, hat in sein Regierungsprogramm das Projekt «Migration mit Würde» aufgenommen.
Er möchte, dass über die Zukunft seines Volks entschieden wird, bevor das Wasser kommt, möchte schon jetzt klären, wohin seine Leute gehen, wer ihnen Arbeit, Obdach, eine Zukunft bieten wird. Er möchte, dass sein Volk umziehen kann, bevor es flüchten muss. Vor allem aber möchte er eins: Gerechtigkeit. Die für den Klimawandel verantwortlichen Staaten sollen Kompensation zahlen.
Das Instrument dafür ist der Green Climate Fund, ein Topf, in den die reichen Staaten, deren Industrie und Lebensweise als maßgeblicher Grund für den Klimawandel gesehen wird, einzahlen sollen. Vorgesehen sind ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar. Doch die geplante Finanzierung von Adaptations-, Mitigations- und damit vielleicht auch Migrationsprozessen, ist bereits jetzt umstritten.
50 Prozent des Geldes soll an die armen Länder gehen, Kritiker jedoch meinen, das Geld werde lediglich zur Exportförderung fließen. Klar ist auch noch nicht, wer wie viel in den Topf einzahlen soll. Wie auch bei anderen Klimazielen ist die Diskrepanz zwischen der Absicht und der tatsächlichen Politik der einzelnen Staaten groß. Nach dem Klimagipfel in Paris 2015 haben unter anderem die USA zwar Milliarden versprochen, ob das Geld fließt und wenn ja, mit welchem Ergebnis, ist eine offene Frage.
Lagos – die Ärmsten trifft es zuerst
So gut die Niederlande und vor allem Rotterdam für den Klimawandel gerüstet sind, so wenig sind es andere, vor allem nicht die Slumbewohner der armen Länder. Für diese gilt: Rette sich wer kann. Wie schwierig das ist, zeigt das Beispiel Nigeria sehr eindrücklich. 152 Millionen Menschen leben im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, 22 Millionen davon in der Hauptstadt Lagos – und täglich ziehen Zehntausende weitere hinzu.
Bis 2020 soll die Stadt zur größten Metropole der Welt anwachsen. Die Ärmsten der Lagosianer wohnen in dem Slum Makoko, einer stinkenden, müllverseuchten Lagune. Zweihunderttausend sind es, vielleicht doppelt so viele, vielleicht eine Million, niemand zählt sie.
Makoko wird der Klimawandel besonders hart treffen. Selbst wenn die Erderwärmung, wie auf der letzten Klimakonferenz in Paris in einem globalen Klimaabkommen vereinbart, auf zwei Grad Celsius beschränkt und der Meeresspiegel also um höchstens drei Meter steigen wird, ist Makoko nicht zu retten. Die Bewohner wissen das. Doch das Wohnen in Makoko ist billig oder umsonst – und sie können es sich nicht leisten, weiter ins Landesinnere zu ziehen.
Noch kein Investor für eine mögliche Lösung
Olthuis möchte seine Wasserarchitektur den Slumbewohnern von Makoko zur Verfügung stellen und dort den Spielraum des Möglichen aufs Meer verlegen. Er hat sogenannte CityApps entwickelt, schmale Containerhäuser, die auf schwimmende Fundamente aus leeren Plastikflaschen gesetzt werden, eine Ressource, die es in den Schwellen- und sich entwickelnden Ländern zur Genüge gibt.
Diese Fundamente, jedes zehn mal zehn Meter groß, lassen sich zu größeren Plattformen von bis zu 200 Metern Länge zusammenfügen und könnten vor Lagos, Dhaka, den indonesischen Inseln und anderen bedrohten Gebieten treiben.
Gerne würde Olthuis diese CityApps in Serie herstellen. Doch für diese prophylaktische Milderung der Folgen des Klimawandels in Ländern außerhalb Europas findet sich kein Investor.