Entfesselt – der indische Monsun
Ein Bericht von Benjamin von Brackel
Der Monsun prägt das Leben von über einer Milliarde Menschen. Doch nun macht der Klimawandel die Extremregenfälle unberechenbarer – das birgt Risiken.
Wetterphänomene sind oft chaotisch, schwer vorhersehbar und entfalten sich ganz allmählich, ohne dass hinterher geklärt werden kann, wann genau sie begonnen haben. Der indische Monsun – eine der gewaltigsten Umwälzungen von Wassermengen weltweit – verhielt sich da lange völlig anders. Er kam jedes Jahr pünktlich und brach dabei so abrupt über den indischen Subkontinent herein, dass man ihm in Indien einen festen Kalendereintrag gegeben hat: den 1. Juni. An diesem Tag entluden sich Jahr für Jahr große Regenwolken über dem südwestlichen Bundesstaat Kerala, und Millionen Menschen erlebten eine Umkehr des äußeren Aggregatszustands: von «trocken» zu «nass». Bis Mitte Juli breiteten sich die Regenfälle dann übers ganze Land aus. «Der Monsun lief beinahe so präzise ab wie ein Uhrwerk», sagt der Atmosphärenwissenschaftler Raghu Murtugudde, der am «Indian Institute of Technology Bombay» in Mumbai lehrt und forscht.
Temperaturgefälle als Treiber der Monsunwinde
Wenn bei uns Winter herrscht und die Sonne ihre Energie durch die Neigung der Erdachse auf die Südhalbkugel konzentriert, strömt von den Landmassen Asiens ein konstanter, trockener Nordostwind über den Subkontinent – angetrieben von der Temperaturdifferenz zwischen Land und Ozean. Das ändert sich erst, wenn im späten Frühling der Zenit der Sonne den Äquator überschreitet und sie somit wieder die nördliche Hemisphäre aufheizt, etwa den Norden Indiens und das Hochland von Tibet. Diese großen Landmassen wärmen sich schneller und stärker auf als der thermisch träge Indische Ozean. Damit kehrt sich das Temperaturgefälle zwischen Land und Ozean um, ein Luftdruckunterschied baut sich auf und der Wind dreht um 180 Grad: Von einem Tag auf den anderen ziehen nun Südwestwinde über Indien. Und die bringen warme und feuchte Luftmassen vom Indischen Ozean mit Regen. Viel Regen.
Dass die Regenzeit kurz bevorsteht, merkt Raghu Murtugudde zuallererst an all den Verkäufern, die auf Mumbais Straßen sowie in den Bussen und Zügen Regenschirme anbieten. Motorradfahrer motten ihre Fahrzeuge ein und Stadtbewohner füllen sauberes Wasser in Behälter ab – für den Fall, dass die Armenviertel überschwemmt werden, sich Fäkalien im Wasser über ganze Viertel ausbreiten und das Trinkwasser kontaminiert wird. «Wir stellen unseren Alltag komplett um, damit wir gut auf die Sintflut vorbereitet sind.»
Kommt der Regen, werden Reisen und Arbeitswege zum Problem: Flüge fallen aus, Busse und Züge bleiben stehen. Die bevorzugten Fortbewegungsmittel sind dann Fahrräder, die eigenen Füße oder im Notfall auch Boote. «Der Monsun verändert praktisch jeden Aspekt des täglichen Lebens», sagt der Erdsystemwissenschaftler.
Beschwernis und Segen zugleich
Trotz aller mit ihm einhergehenden Beschwernisse ist der indische Monsun ein lebensnotwendiger Regenspender für Indien, Pakistan und Bangladesch, also für gut ein Fünftel der Erdbevölkerung. Millionen Bauern richten sich nach der Regenzeit aus, denn schließlich bringt die rund vier Monate andauernde Monsunsaison vier Fünftel des jährlichen Niederschlags mit sich. Dank der Pünktlichkeit des Monsuns konnten sich die Menschen über Jahrhunderte hinweg gut darauf einstellen. Allerdings ändert sich das gerade, denn nun nimmt es der Klimawandel mit dem Monsun auf.
Schon leichte Schwankungen beim Monsun haben gravierende Folgen.
Alles, was das Temperaturgefälle zwischen Landmassen und Ozean beeinflusst – also den Motor des Monsuns –, wirkt sich auf die Regenzeit aus. «Schon leichte Schwankungen beim Monsun haben gravierende Folgen, wie die Rückschau zeigt», sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). «Waren die Regenfälle zehn Prozent stärker, führte das zu riesigen Überschwemmungen, waren sie zehn Prozent schwächer, gab es Dürren, Ernteausfälle und sogar Hungersnöte.»
Solche natürlichen Schwankungen kamen immer wieder vor, wie Wetteraufzeichnungen belegen. Wissenschaftler erwarten nun aber, dass die Monsunregenfälle dauerhaft an Stärke zulegen könnten. Denn wenn sich die Landmassen im Zuge der Erderwärmung nun noch schneller aufheizen als die Ozeane, wächst das Temperaturgefälle. Und ein weiterer Effekt treibt die Monsunregenfälle an: Wärmere Luft speichert sieben Prozent mehr Feuchtigkeit pro Grad Celsius und kann dementsprechend mehr abregnen lassen. Alle Klimamodelle prognostizieren deshalb, dass der indische Monsun bis zum Ende dieses Jahrhunderts an Fahrt aufnehmen wird.
Erdgeschichte, die im Meeresgrund schlummert
Vor einigen Jahren machte sich ein Meeresgeologe von der «Brown University» in Providence, Rhode Island, daran, diese Vorhersagen einem Realitätscheck zu unterziehen: Im November 2014 ging Steven Clemens – ein schlaksiger Professor mit weißem Bart und schwarzer Hornbrille – an Deck eines umgebauten Ölbohrschiffs, um im Golf von Bengalen nach Beweisen für ein Erstarken des Monsuns zu fahnden.
Zwei Monate suchte er gemeinsam mit 29 weiteren Wissenschaftlern an Bord der «Joides Resolution» am Meeresgrund nach Spuren aus der Vergangenheit. Den Ort hatte Clemens mit Bedacht gewählt: Wenn sich die Monsunregenfälle über dem indischen Subkontinent entladen, mündet das Wasser über die großen Flüsse in den Golf von Bengalen. «So ziemlich alles, was in Indien an den Hängen des Himalayas und auf die Halbinsel auf der Ostseite regnet, fließt irgendwann dorthin ab», sagt Clemens.
Dabei hinterlässt jede Regensaison ihren Fußabdruck am Meeresgrund. Denn je heftiger es regnet, umso mehr Süßwasser strömt in den Golf und verringert so den Salzgehalt an der Wasseroberfläche. Das Wasser vermischt sich zwar nach dem Ende der Regensaison bald wieder und verwischt dabei seine Spuren. Mit Unterstützung eines winzig kleinen Indikators können die Geowissenschaftler aber dennoch den Salzgehalt – also den Hinweis auf starke oder schwache Monsunregenfälle – aus früheren Zeiten rekonstruieren: mit fossilem Plankton.
Wenn das Plankton, das in den oberen Meeresschichten treibt, stirbt und auf den Meeresboden herabrieselt, bauen sich im Laufe der Zeit aus seinen Kalkhüllen Sedimentschichten auf, anhand derer sich genaue Informationen über das Regengeschehen eines jeden einzelnen Jahres ablesen lassen. Dieses Archiv wollte Steven Clemens nutzen.
Erkenntnisse, die neue Fragen aufwerfen
Vom Bohrturm des Forschungsschiffs, auf dem Clemens im Golf von Bengalen unterwegs war, glitt ein Rohr ins Wasser hinab, traf auf schlammigen Meeresboden und grub sich in diesen hinein, immer tiefer durch die Schichten. Ein zehn Meter langer Sedimentbohrkern nach dem anderen wurde geborgen, bis sich diese zusammen auf 200 Meter addierten: Sedimente aus einer Million Jahre.
Daraus das Verhalten des indischen Monsuns abzulesen, war anschließend die Aufgabe von Spezialisten, die in Laboren in Deutschland, Japan und den USA die Bohrkerne auf ihren Salzgehalt hin untersuchten. Diesen bestimmten sie, indem sie das jeweilige Isotopenverhältnis von Sauerstoff der fossilen Planktonhüllen analysierten, womit sich die früheren Oberflächentemperaturen des Meeres rekonstruieren ließen.
Die Ergebnisse stellten Steven Clemens allerdings vor ein weiteres Rätsel: Er hatte eigentlich angenommen, dass sich die Intensität der Monsunregenfälle im Laufe der Erdzeitalter jeweils analog zur Stärke der Sonneneinstrahlung entwickeln würde. Diese nämlich ändert sich in regelmäßigen Zeitabständen, weil sich auch die Erdbahngeometrie verändert: So wechselt die Umlaufbahn der Erde um die Sonne alle 100.000 Jahre zyklisch von einer breiteren zu einer schmaleren Ellipsenform, wodurch sich der Abstand der Erde zur Sonne stetig ändert. Und auch der Neigungsgrad der Erdachse zur Umlaufbahn verändert sich in Perioden von rund 40.000 Jahren. Beide Vorgänge beeinflussen die Stellung der Erde zur Sonne – und das wiederum bestimmt, wie sich die Sonnenenergie auf der Erde verteilt.
Wenn beispielsweise die Sommersonne in den hohen Breiten Alaskas, Nordkanadas und Sibiriens beginnt, ihre minimale Einstrahlung zu verringern, können sich Eisschichten an den Polen aufbauen und Kaltzeiten beginnen. Dieser unvorstellbar langsame, aber umso wirkkräftigere Zyklus müsste, so vermutete Clemens, logischerweise die grundlegende Kraft darstellen, welche die Schwankungen der Monsunintensität steuert. Doch eine vollständige lineare Reaktion ließ sich aus den Bohrkernen nicht ablesen. «Das verriet uns, dass der Monsun nicht nur auf Änderungen der externen Strahlung durch die Sonne reagiert», erklärt Clemens. «Es musste noch eine interne Variabilität im System geben, die bestimmt, wie stark oder schwach der Monsun wird.»
Die weiteren Treiber des Phänomens?
Jetzt war der Ehrgeiz in ihm geweckt, genau diesem unbekannten Faktor auf die Spur zu kommen. Im Juni 2021, sechs Jahre nach seiner Erkundungsfahrt in das Randmeer des Indischen Ozeans, hatte er schließlich das Rätsel gelöst und publizierte das Ergebnis in der Fachzeitschrift «Science Advances»: Starke Regenfälle gab es demnach immer dann, wenn der CO2-Gehalt in der Atmosphäre stark angestiegen war, sich das Klima erwärmt hatte und die Eispanzer auf Grönland geschrumpft waren – womit sich das Temperaturgefälle zwischen Land und Indischem Ozean vergrößert hatte. «Wir sehen also dieselben Prozesse, welche Computermodelle für erhöhte CO2-Werte vorhersagen, bereits in den vergangenen Millionen von Jahren ablaufen», sagt Clemens. «Es ist alles konsistent.»
Und dennoch wichen die tatsächlichen Beobachtungen weiterhin von der zu erwartenden Entwicklung ab. Denn eigentlich müsste der indische Monsun längst an Stärke zugelegt haben, schließlich hat sich die Erde seit Beginn der Industrialisierung bereits um durchschnittlich 1,2 Grad aufgeheizt. Mithilfe eines landesweiten Netzes an Wetterstationen, die seit dem 18. Jahrhundert kontinuierlich Regenfälle aufzeichnen, ließ sich das relativ einfach überprüfen. Das Ergebnis, 2012 publiziert im Fachblatt «Nature Climate Change», war erstaunlich: Die Monsunregenfälle haben sich seit den 1950er-Jahren keineswegs verstärkt, sondern sogar abgeschwächt – um rund zehn Prozent. Klimaforscher fragten sich, wie das angesichts der physikalisch einleuchtenden Projektionen und der Beweise aus der Erdgeschichte sein könne.
Menschengemachte Faktoren
Es musste also noch einen weiteren Faktor geben, der das System Monsun beeinflusst. Und dieser, so stellte sich heraus, ging abermals vom Menschen aus: All die Kraftwerke, Fahrzeuge und Industrieanlagen auf der Welt geben nicht nur Treibhausgase in die Luft ab, sondern auch andere Luftschadstoffe. Darunter befinden sich Kleinstpartikel wie Sulfate, die vor allem infolge der Verbrennung von Kohle und Öl in Raffinerien und Kraftwerken entstehen, sich wie ein riesiger Schirm vor allem über der Nordhalbkugel legen und die Sonneneinstrahlung reflektieren. In den Tropen und im südlichen Indischen Ozean gibt es hingegen weniger Luftverschmutzung. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Zunahme von Aerosolen über Süd- und Südostasien die Landflächen stärker abgekühlt und somit die Temperaturen von Land und Ozean angeglichen hat. Eine Verstärkung des Monsuns durch den Klimawandel wurde damit «maskiert».
Manche Klimaforscher halten es sogar für möglich, dass die Monsunregenfälle aufgrund der reflektierenden Kleinstpartikel abreißen. Denn selbst eine relativ kleine Veränderung der atmosphärischen Einflüsse könnte den Monsun von einem Zustand in den anderen kippen lassen – von einem «nassen» in einen «trockenen» oder umgekehrt. Genau das sei im Laufe der Erdgeschichte immer wieder passiert, wie Geowissenschaftler nachgewiesen haben.
Einer davon war ebenfalls an Bord der «Joides Resolution» im Golf von Bengalen unterwegs: Kaustubh Thirumalai, Paläoozeanograf an der «University of Arizona», versucht, abrupte Wechsel im indischen Monsun aufzuspüren, die sich innerhalb von Jahrhunderten oder sogar Jahrzehnten ereignet haben. Zu Hilfe kommen ihm dabei einzelne Mikrofossilien in den Ablagerungen im Meeresgrund, also die übrig gebliebenen Hüllen von einzelligem Plankton. Anhand geochemischer Analysen kann er dann bestimmen, ob – und wenn ja, wann – es zu einer extremen Zu- oder Abnahme von Monsunregenfällen gekommen ist.
Extreme Monsunzustände sind wirklich schlechte Nachrichten für die marinen Ökosysteme.
Thirumalais noch unveröffentlichte Ergebnisse zeigen, dass es im Verlauf der jüngeren Erdgeschichte tatsächlich immer wieder zu Umschwüngen im Monsun gekommen ist – mit drastischen Folgen für Mensch und Tier im Golf von Bengalen. «Extreme Monsunzustände sind wirklich schlechte Nachrichten für Meeresökosysteme», schreibt der Klimaforscher per E-Mail. Sowohl zu starke als auch zu schwache Monsunzustände würden wahrscheinlich dazu führen, dass die Nahrungskette von winzigen Algen im Meer bis zu den Fischen im Golf von Bengalen zusammenbricht. «Und das ist eine Region, die heute für die Proteinernährung von Hunderten von Millionen Menschen von entscheidender Bedeutung ist.»
Der Grund für das plötzliche Massensterben: Wenn weniger oder mehr Regenwasser als sonst über die Flüsse in den Golf von Bengalen gelangt, verändert das die Schichtung im Ozean. Das wiederum kann die Nährstoffzufuhr für das Phytoplankton in dem lichtdurchfluteten Teil des Meeres schlagartig kappen. Wenn aber das Phytoplankton stirbt, dann sterben auch die Fische – und ohne die ist die Lebensgrundlage von Abermillionen Menschen in Indien und seinen Nachbarländern bedroht.
Eine starke, aber anfällige Regenmaschine
Die Umkehr der Windverhältnisse ist, wie wir bereits wissen, Ursache und Motor des Monsuns. Doch dass sich der Wind um 180 Grad dreht, ist zwar eine notwendige, aber nicht die einzige Bedingung für die Monsunregenfälle, denn solch eine Windumkehr findet auch an vielen anderen Orten der Welt statt, ohne dass sich dort so extremer Regen entlädt wie in Indien zwischen Juni und August. Zusätzlich benötigt es einen sich selbst verstärkenden Mechanismus, der sich «Windfeuchte-Rückkopplung» nennt: Wandert feuchte Luft über den aufgeheizten Kontinent, steigt sie auf und kondensiert. Dabei entweicht Hitze in die mittlere und obere Troposphäre, was wiederum den Druckunterschied zwischen Land und Ozean und damit auch den Monsunkreislauf verstärkt.
Diese sich selbst verstärkende natürliche Regenmaschine ist so kraftvoll wie anfällig: Ändern sich die Bedingungen in der Atmosphäre, könnte sie sich selbst immer stärker befeuern, aber auch komplett in sich zusammenfallen. Und das aus unterschiedlichsten Gründen: etwa wenn Treibhausgase oder Aerosole in der Luft zu- oder abnehmen oder wenn Wälder abgeholzt und Flächen bebaut werden.
Manche Klimaforscher aus Deutschland sorgen sich vor allem um die anhaltend hohe Luftverschmutzung. Denn insbesondere Sulfat-Aerosole könnten dafür sorgen, dass der Monsun von seinem «nassen» Zustand in einen Zustand kippt, in dem deutlich weniger Regen fällt. «Die paläoklimatischen Beweise und die nicht lineare Natur des indischen Monsuns zeigen das Potenzial für abrupte Veränderungen dieses Systems in der Zukunft», schrieb die Klimaforscherin Kirsten Zickfeld 2005 in dem geophysikalischen Fachjournal «AGU». «Sobald der antreibende Druckkontrast zwischen Land und Meer einen kritischen Wert unterschreitet, reicht die in Richtung des indischen Subkontinents strömende Feuchtigkeitsmenge nicht mehr aus, um die Wärmekraftmaschine zu befeuern, die die Monsunzirkulation aufrechterhält.»
Sollte es zu solch einem abrupten Zustandswechsel beziehungsweise Kipppunkt kommen – was manche Klimaforscher allerdings bezweifeln –, dann wäre er vermutlich nicht von langer Dauer. Denn sobald auch Länder wie Indien die Luftverschmutzung in den Griff kriegen und sich gleichzeitig immer mehr Treibhausgase in der Atmosphäre anreichern, wärmt sich der indische Subkontinent stark auf und der «nasse» Zustand des Monsuns wäre nach ein paar Jahren wiederhergestellt –jedoch in einer nie gekannten Ausprägung. Zickfeld spricht hier vom «Szenario einer Achterbahnfahrt». Sich daran anzupassen wäre für die indischen Bauern fast unmöglich. Die meisten Klimaforscher gehen fest davon aus, dass sich der indische Monsun innerhalb der nächsten Jahrzehnte wieder erholen wird. «Niemand muss Angst haben, dass der indische Monsun aufgrund der Erderwärmung abbricht», sagt der PIK-Forscher Anders Levermann, der jenen Mechanismus für plötzliche Umschwünge des Monsuns im Jahr 2009 erstmals beschrieben hat. Worauf man sich aber durchaus einstellen müsse, sei eine Zunahme und eine größere Launenhaftigkeit der Regenfälle.
Neueste Modelle zeigen, dass die Monsunregenfälle stärker, aber auch erratischer werden.
Zumindest Letzteres zeigt sich bereits seit einigen Jahren: Manchmal fangen die Regenfälle erst Wochen später an als üblich. Dann wieder bleiben die Regenfälle in Teilen des Landes für längere Zeit aus, bevor sie wieder einsetzen, wie im Jahr 2021. In normalerweise regenreichen Bundesstaaten wie Odisha oder Kerala blieb es damals vergleichsweise trocken, während einst trockenere Bundesstaaten wie Madhya Pradesh oder Teile von Maharashtra mit Regen nur so überschüttet wurden.
Viele indische Landwirte fühlen sich in ihrer Existenz bedroht, vor allem Kleinbauern, die den Großteil der Landwirtschaftsbetriebe ausmachen. Schon heute sind Millionen von ihnen verschuldet und können sich die immer teureren Kunstdünger und Pestizide kaum noch leisten, die nötig sind, um den verarmten Böden noch irgendetwas abzuringen. Und nun ist nicht mal mehr auf die sonst so regelmäßigen Monsunregenfälle Verlass.
Die Folge: Die Bauern wissen nicht mehr, wann es an der Zeit ist, bestimmte Pflanzenarten auszubringen, und haben keine Sicherheit mehr, dass diese genügend Wasser bekommen. Nur eine falsche Entscheidung – und sie stehen vor dem Nichts. «Der gesamte Anbaukalender gerät durcheinander», sagt Raghu Murtugudde. «Unser ganzes traditionelles Wissen, das wir über Jahrtausende zusammengetragen und bewahrt haben, wird schlagartig nutzlos.»
Regenfälle von ungekannter Heftigkeit
Auch die Regenintensität verändert sich. «Der Regen wird über die gesamte Saison hinweg insgesamt weniger, aber er verdichtet sich umso mehr auf kurze Zeiträume», erklärt der indische Wissenschaftler. «Es kann dann sein, dass es innerhalb einer Stunde schüttet wie verrückt.»
Dank einer kontinuierlichen Niederschlagsaufzeichnung seit dem 18. Jahrhundert konnten Murtugudde und andere Wissenschaftler im Jahr 2017 im Fachjournal «Nature Communications» nachweisen, dass sich die Extremregenfälle über Zentralindien seit 1950 verdreifacht haben. Sie fallen in kürzeren Zeiträumen und über größere Gebiete als früher. Und das führt zu Überschwemmungen ganz neuen Ausmaßes. «An manchen Orten können sich die Menschen aus mehreren Generationen an überhaupt keine Überflutungen erinnern», sagt Murtugudde. «Und jetzt sind sie da und zerstören das gesamte Getreide.» Oder sie schwemmen ganze Dörfer davon, lösen Erdrutsche und Steinschläge aus, die Brücken, Autos und Häuser zertrümmern – wie Ende August 2021 in den Bundesstaaten Himachal Pradesh und Uttarakhand im Himalaya.
Auf drei Milliarden US-Dollar pro Jahr werden die Schäden durch Überschwemmungen infolge von Extremregen geschätzt – ein Zehntel aller wirtschaftlichen Verluste aufgrund von Extremwetter weltweit. Wenig hilfreich ist hier, dass in Indien die Abholzung der Wälder voranschreitet und damit ein natürlicher Schutz vor Sturzfluten und Erdrutschen verloren geht.
Verletzbarkeit hängt oft damit zusammen, keine Information zu haben – oder sie nicht nutzen zu können.
Und auch der Fischfang ist von den Wirrungen des Monsuns betroffen. «Wir wissen bereits, dass die Fischerei anfällig ist und die Ausbeute sinkt», erklärt Kaustubh Thirumalai. Und in Zukunft könnte, wenn der Monsun an Stärke gewinne und der Abfluss in den Ozean zunehme, die Nahrungskette im Golf von Bengalen einbrechen.
Indien versucht sich indessen auf die neue Situation einzustellen: Dank eines verbesserten Katastrophenschutzes sind die Todeszahlen aufgrund von Überschwemmungen seit zwei Jahrzehnten rapide gesunken. Außerdem hat das Land in nur einer Dekade mehr als 100 Millionen US-Dollar für ein Vorhersagesystem ausgegeben. Abertausende von Bauern und Fischern werden nun während der Monsunsaison täglich per SMS über die Wetterlage der nächsten Tage informiert. Landwirte können sich dadurch auf die Schwankungen einstellen und entscheiden, wann sie Strom für Wasserpumpen verbrauchen und ihre Felder bewässern. «Die Frage ist allerdings, wie sie dann mit den Informationen umgehen», sagt Murtugudde. «Verletzbarkeit hängt oft damit zusammen, keine Information zu haben – oder sie nicht nutzen zu können.»
Viele Jahre hat er in den USA an der «University of Maryland» geforscht. Seit Kurzem ist er zurück in Indien und arbeitet daran, Vorhersagen und Langfristprognosen von extremen Regenfällen und Überschwemmungen zu verbessern. Denn das ist es, worauf sich die Inder tatsächlich einstellen müssen: weniger auf einen Abbruch des Monsuns als auf den Verlust seiner Zuverlässigkeit. Er könnte so chaotisch werden, wie es für Wetterphänomene eigentlich typisch ist. «Der Monsun wird wahrscheinlich nicht so bald verschwinden», sagt Murtugudde. «Aber er wird extremer – und genau darauf kommt es letztlich an: Bleibt der Regen aus? Kommt er zur Unzeit? Und wenn er kommt, fällt er sanft oder schüttet es wie verrückt?»
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