Trotz alledem: «Macht es einfach!»
Ein Bericht von Tom Jost
Die Bürgerenergiewende hat sicherlich schon bessere Zeiten erlebt. Trotzdem ist für die kleineren Akteure immer noch eine Menge drin.
Der gute Glaube kam schon mit dem ersten vehementen Eingriff ins Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Frühjahr 2012 abhanden. Damals hatte die CDU/FDP-Bundesregierung trotz beschlossenem Atomkraft-Ende und ausgerufener Energiewende nicht nur die Förderung für die populär gewordenen Photovoltaikanlagen erneut außerplanmäßig und drastisch gekürzt. Ihre Maßgabe, dass künftig zehn Prozent des erzeugten Solarstroms selbst zu verbrauchen seien, wurde als direkte Attacke auf die mehr als 900 Bürgerenergie-Genossenschaften empfunden, die zu diesem Zeitpunkt bereits existierten. Deren Geschäftsmodell, der Bau von Solarstromanlagen vor allem auf öffentlichen Dachflächen, war mit einem Schlag vereitelt. Als man die Zehn-Prozent-Verfügung zwei Jahre später wieder aufhob, hatte sie schon ganze Arbeit geleistet: Ein großer Teil der Bürgerenergie-Akteure war in ein Investitionskoma gefallen.
Von der aktuellen EEG-Novelle, die Anfang 2017 in Kraft treten wird, sind sogar noch weit mehr bürgerliche Player betroffen: Rund 80 Prozent aller Erneuerbare-Energien-Projekte werden künftig dem Zwang zur Beteiligung an Ausschreibungen unterliegen, schätzte René Mono vom «Bündnis Bürgerenergie e.V.» beim 17. Schönauer Stromseminar. Das sei auch politisch so gewollt: «Man hat in der Gesetzesvorlage bewusst Freiräume nicht genutzt, die das EU-Recht lassen würde. Die Politik weiß gar nicht, was sie da tut. Wenn doch, dann ist sie von ganz bösen Mächten geleitet.»
Neuer «starker Mann» sind die Netz-Herren
Das einstmalige «Gesetz für eine dezentrale Energiewende» sei nunmehr in «eine totale Re-Monopolisierung und damit absolute Abhängigkeit» umgesteuert worden. Die großen Anbieter würden systematisch bevorteilt, und es gebe nun die Übertragungsnetzbetreiber als «neuen starken Mann». René Mono machte dies an verschiedenen Aspekten fest. So sei für die Ausschreibungen Bedingung, dass der erzeugte Strom komplett im Netz abgeliefert werden müsse. Ausschließlich dort seien auch größere Speicher erlaubt: «Wenn nur eine Kilowattstunde selbst gespeichert wird, verliert man das Vergütungsrecht für ein ganzes Jahr. Das ist schon fast ein Verbot gegen jede Form der Dezentralität.» Dasselbe gelte übrigens für PV-Anlagen zwischen 100 und 750 kWp Leistung, die nicht unter das Ausschreibungsdogma fallen.
Gewinner seien kapitalstarke Energieversorger und vor allem die Betreiber der Übertragungsnetze. Letztere dürften beispielsweise Gebiete mit Netz-Engpässen räumlich festlegen – «und damit den Ausbau der Erneuerbaren gezielt drosseln.» Sie könnten zudem über den regionalen Einsatz von «Power-to-Heat» entscheiden, also die Umwandlung von Überschussstrom in Wärme. Obendrein sei es ihnen künftig auch gestattet, wieder eigene Erzeugungskapazitäten aufzubauen. Das sei ein weiterer Knackpunkt, der zu massiven Interessenskonflikten führen werde. Die 2005 gesetzlich gesicherte Trennung von Stromerzeugung und Netztransport, das so genannte «Unbundling», werde dadurch komplett auf den Kopf gestellt.
Was nötig ist: Ein Aufstand der Kleinen
Gegen diese Entwicklung und mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 sei nun «ein Aufstand der Kleinen» vonnöten, auch der Kommunen und kleineren Stadtwerke. Man müsse die negative Entwicklung kritisieren und einfordern, dass die nächste Bundesregierung jene falschen Vorzeichen korrigiere. Sonst sei der Energiewende die gesellschaftliche Basis entzogen. Mono: «Diese Monopolisierung ist Gift und gefährdet alles, was bisher erreicht wurde.»
Schlechte Nachrichten vom Gesetzgeber also, und ein umso größerer Ansporn an die Referenten des 17. Schönauer Stromseminars, jene Nischen auszukundschaften, in denen auch ab 2017 »noch was geht». Mieterstrom-Modelle seien eine solche Variante, meint beispielsweise Heinz Ullrich Brosziewski vom Bundesverband KWK. Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung bewirke nach wie vor die Demokratisierung der Stromerzeugung – «ein wichtiger Aspekt, um zu einer vollständigen Ökologisierung zu kommen. Nur wenn die Verfügungsgewalt dort ist, wo Wärme und Strom gebraucht werden, haben wir die Chance auf ein nachhaltiges und lebensfähiges System.»
Mieterstrom ist kompliziert - aber machbar
Im Gegensatz etwa zur solaren Eigenversorgung ist Mieterstrom eine kompliziertere Angelegenheit. Dabei wird – meist mit einem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk – zunächst der Wärmebedarf etwa eines Mehrfamilienhauses gedeckt. Mit dem gleichzeitig erzeugten Strom lassen sich durchaus auch Mieterhaushalte versorgen, wenn auch nicht unbedingt zu jeder Zeit und in stets ausreichender Menge. Helfen kann da zusätzliche Photovoltaik. Was man braucht, sind zusätzliche Zähler sowie ergänzenden Sachverstand. Denn es gelte, so Brosziewski, immerhin zwölf verschiedene Gesetze zu beachten. Auf der anderen Seite stehe aber gegenüber herkömmlichem Strom ein Kostenvorteil von gegenwärtig 14 Cent pro Kilowattstunde, aus dem freilich noch Verwaltungsaufwand und Kapitaldienst finanziert werden müssten.
Letzteres sei noch ein «Juckepunkt», der den KWK-Fachmann nachhaltig ärgert. Solche Anlagen müssten nämlich nicht automatisch mit möglichst hoher Auslastung laufen – dies sei eher ein Anliegen der finanzierenden Banken. Wenn es gelänge, Finanzierungsmodelle zu vereinbaren, bei denen Zins und Tilgung sich nicht an Jahressummen, sondern den tatsächlichen erforderlichen Betriebslaufzeiten orientierten, wäre man einen großen Schritt weiter – im Sinne von Dezentralität und hoher Flexibilität.
EnBW kann keine kleinen Projekte
In der Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft sehen auch Thies Stillahn und Alexander Sladek von den EWS Schönau größere Aktionsmöglichkeiten, um die Bürgerenergiewende trotz aller gesetzgeberischen Hindernisse zu beflügeln. Stillahn erkennt beispielsweise einen großen Bedarf nach Kooperation aller Akteure, die lokal unterwegs sind – nicht nur wegen der entstehenden Wertschöpfung. Gemeinsam könne man Nahwärmelösungen, Photovoltaik mit Speichern, Mieterstrom und EE-Anlagen für gewerbliche Nutzer anbieten und realisieren. Das betreffe keinesfalls nur Neubauten: «Für viele Bestandsgebäude ist die Kombination von Blockheizkraftwerk und Mieterstrom fast die einzige Möglichkeit, um aktuelle Sanierungsvorschriften zu erfüllen.» Die Elektrizitätswerke Schönau wollen in Sachen Mieterstrom möglichst flexibel sein. Man könne von der Beratung über Messung und Abrechnung bis zur Reststromlieferung und zum komplettem Contracting die gesamte Palette anbieten und dabei auch mit weiteren Stadtwerken oder Bürgergesellschaften kooperieren. Es gehe schließlich darum, «das dezentrale System in seiner Nachhaltigkeit zu optimieren.»
Die zielgerichtet eingesetzte Kraft der Kleinen sieht Alexander Sladek sogar durchaus als Vorteil: «EnBW kann keine kleinen Projekte – wir schon.» Als Schlüssel der Kooperation sieht er Austausch und gegenseitige Unterstützung. Damit könne man die Energiewende vor Ort gemeinsam «trotz der Politik» weiterführen. Handlungsbedarf bestehe allerdings auch auf einem bisher wenig beachteten Feld: der anstehenden Digitalisierung. Hier müssten sich auch genossenschaftliche Versorger Gedanken um das Thema «Sicherheit» machen. «Wenn alles in die Cloud geht oder in einen Frankfurter Großrechner, könnte es für versierte Hacker ein Leichtes sein, die Stromversorgung eines Netzgebietes zu beeinträchtigen oder stillzulegen», sagt Sladek. Auch die Digitalisierung müsse dezentral und fehlertolerant gestaltet werden.
Kunden entscheiden über Sonnencent-Projekte
Eine kleine, charmante und deshalb nachahmenswerte Idee stellte schließlich Christian Gutsche vom «Bremer Solidarstrom» vor. Das Kooperationsprojekt mit den EWS erhebt seit Anfang 2016 einen «Sonnencent» auf den gelieferten Ökostrom, dessen Aufkommen in Solaranlagen oder Effizienzprojekte investiert wird. Der Erlös hieraus fließt wiederum in Solidarprojekte zum Aufbau einer gemeinwohlorientierten Ökonomie – das kann Förderung der Bio-Landwirtschaft, die Unterstützung der Grundeinkommens-Idee oder gar ein Erneuerbare-Energien-Projekt in Kamerun sein. Das Vorschlags- und Entscheidungsrecht hierüber liegt bei den Kunden, die den «Sonnencent» mit ihrer Stromrechnung tragen. Zur Weiterverbreitung wird die ganze Palette zeitgemäßer Kommunikation genutzt: von Facebook und eigener Webseite über Postkarten-Aktionen bis hin zu «Energiespar-Partys». Gutsches Anregung: «Macht es einfach. Man lernt es beim Tun und es gibt jede Menge Unterstützung!«