Prof. Dominik Kupfer: «Der Druck muss wachsen»
Ein Bericht von Tom Jost
Energiekonzessionen und der § 46: Wo bleibt der kommunale Gestaltungsspielraum? – Referat beim 17. Schönauer Stromseminar 2016.
Bundesweit haben die Schönauer Stromrebellen mit der Übernahme des Versorgungsnetzes ihrer Gemeinde ein Zeichen gesetzt. Diese Aktion gilt als Vorbild für eine Reihe von Bürgerbündnissen, wäre aber heute nur sehr schwierig oder vermutlich gar nicht wiederholbar. Die anstehende Novellierung des entscheidenden Paragrafen 46 des Energiewirtschaftsgesetzes wird dazu kaum Hilfestellung leisten, vermutete Prof. Dominik Kupfer beim Schönauer Stromseminar 2016. Der Jurist berät mit seinen Freiburger Kanzleikollegen Dutzende Kommunen, die sich überlegen, ihre Stromnetz-Konzessionen womöglich in andere Hände als bisher zu vergeben.
Worum geht es? Wenn die Energiewende passiert, dann passiert sie dezentral, sagt Kupfer. Und von überragender Bedeutung sei dafür das Stromnetz vor Ort. Einerseits wird hier der dezentral erzeugte Strom zu einem erheblichen Teil eingespeist. Andererseits brauchen alle Versorger das Netz, um die Kunden zu erreichen. «Strom kann man halt nicht funken», zitiert Kupfer eine Binsenweisheit.
Alle 20 Jahre ist eine Entscheidung gefragt
Spätestens alle 20 Jahre müssen Kommunen entscheiden, an wen sie die Strom- oder Gasnetz-Konzession für die nächste Periode vergeben. Das war lange eher ein formaler Akt – zumeist nahm man den, der schon immer für den «Saft» in der Steckdose gesorgt hatte. Seit dem Auftreten der Schönauer ist aber vieles anders – und die «Gebrauchsanweisung» für solche Vergabeentscheidungen liefert seit 1998 der vielzitierte § 46 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Von da an konnten die Gemeinden auch andere – vor allem bürgerfreundlichere und ökologische – Kriterien in ihre Entscheidung einfließen lassen als bloße Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit.
Kleine Verfahrensfehler – große Wirkung
Soweit die Theorie. «Denn seit das Kartellamt sich ab 2008/09 für solche Konzessionsvergaben zu interessieren begann», so Kupfer, «ticken die Uhren anders». Kommunen werden nun als Unternehmen betrachtet, die als Monopolist ihre «Netzbetriebs-Lizenz» anbieten und möglichst vorteilhaft verkaufen wollen. Daher gelte es, die Bewerber vor Übervorteilung zu schützen. «Das klassische Vergabe-Regime wurde vor allem durch Kartellbehörden und die Rechtsprechung so verändert, dass seitdem für die Kommunen nur noch ganz geringer Gestaltungsspielraum besteht.» Eine Ausschreibung, die den Vorrang Erneuerbarer Energien oder gar die Beteiligung einer Bürger-Genossenschaft vorsieht, ist so nicht mehr möglich – was dem bisherigen Betreiber in die Karten spielt. Denn bislang gewichtige Argumente dürfen nun keine Rolle mehr spielen.
Kleine Verfahrensfehler, wie sie immer einmal vorkommen, konnten bis Ende 2013 von Vertragspartnern oder unterlegenen Bieterkonkurrenten auch noch nach Jahren moniert werden. Diese Fehler führen regelmäßig zur Nichtigkeit der Vergabe. Der Freiburger Jurist schätzt, dass man in zwei Drittel aller vergebenen Konzessionen solche Fehler finden könnte, wenn man danach suchen würde. Es begünstige «eine Zementierung der Verhältnisse», denn Gemeinden mit abweichender Konzessionsentscheidung würden mit größerer Wahrscheinlichkeit vor Gericht gezerrt und würden dort vermutlich verlieren. Insofern scheue man die Entscheidung, sich vom bisherigen Netzinhaber abzuwenden. Kein unterlegener Bieter kämpfe so erbittert wie ein EVU, das sein Netz zu verlieren droht.
Das Aushebeln gültiger Gesetze durch ein «Kartell-Regime» ist zeitlich durchaus mit dem Wechsel in der Präsidentschaft des Bundeskartellamtes – 2007 zunächst an Bernhard Heitzer und 2009 an Andreas Mundt, beide sind Mitglieder der FDP – zusammenzubringen. Unterstützung fand das Amt bei großen Energieversorgern, die mit dem neuen Selbstbewusstsein mancher Gemeinde und ihrer Bürger ihre Probleme hatten. Seitdem, so hat es Kupfer Ende 2014 gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vermerkt, sei vor den Gerichten keine einzige streitige Rekommunalisierung von Versorgungsnetzen mehr gelungen. Stets wären die Kommunen unterlegen.
Neuer Gesetzentwurf klärt nur wenig
Diesen «Un-Zustand» äußerst wackeliger Rechtsverhältnisse könnte nun der Gesetzgeber durch eine Neufassung des § 46 EnWG beenden. Tatsächlich haben SPD und CDU/CSU im April 2016 den Entwurf einer Novellierung vorgelegt. Ein mutiger Gesetzgeber könnte sich auf seine Gestaltungskraft besinnen und die Deutungshoheit reklamieren – natürlich mit einem Auge auf die Rechtsprechung. De facto, so Kupfer, werfe man aber seine eigenen Vorstellungen von 1998 über Bord und übernehme das einschneidende «Kartell-Regime» als wesentliche Grundlage der zukünftigen Vergabepraxis. Die ärgsten Stolpersteine für ein rechtssicheres Verfahren würden aber damit nur zum Teil weggeräumt – etwa das Damoklesschwert der unbefristeten Fehlerrüge, mit dem zwischenzeitlich auch nach vielen Jahren Vergaben angefochten werden konnten. Künftig soll es hier heißen, dass man nur noch innerhalb weniger Wochen anfechten könne …, und danach zu schweigen hätte. Ein kleiner Vorteil, wenigstens.
Keine Klärung gibt es dagegen zur Frage der Bewertungsmethoden: Wie hoch der Preis für ein zu übernehmendes Stromnetz – so es denn wirklich zu einer Neuvergabe kommen sollte – ausfallen würde, dürfte weiterhin einer Gerichtsentscheidung obliegen. Das sorgt im besten Fall für eine jahrelange Hängepartie, kann aber auch die Finanzierung durch Banken gleich im Ansatz verhindern. Und auf eine selbstlose Spendenkampagne (wie in Schönau erfolgreich realisiert) können Übernahmewillige wohl nur in Ausnahmefällen hoffen. Damit nicht genug: Der Gesetzesentwurf stelle auch nicht rechtssicher fest, ab wann eine Konzession europaweit ausgeschrieben werden müsse. Galt bisher dafür eine Netzgröße von mehr als 100.000 Haushalten und Betrieben als Schwellenwert, sehe EU-Recht hier einen Umsatz von 5,2 Millionen Euro über die gesamte Vertragszeit vor – was auch schon kleine Gemeinden ins große Verfahren zwinge.
In Berlin sei man der Meinung, diese EU-Richtlinie gelte nicht für Energie-Konzessionen. «Aber wer sich darauf verlässt», so Kupfer, «könnte am Ende schwer getäuscht sein». Nichts sei leichter für den bisherigen Netzbetreiber, als im Falle des Unterliegens zu monieren, die Vergabe sei ja nicht einmal richtig ausgeschrieben worden: «Das ist doch keine Rechtssicherheit. Das kann man doch als Parlament den Kommunen nicht zumuten!»
Frage an die MdB: «Was tut ihr hier eigentlich?»
Was also tun? Der Wirtschaftsausschuss in Berlin habe das Problem erst einmal «ad acta» gelegt und werde sich eventuell nach der Sommerpause darum kümmern. Er – Kupfer – könne nur wärmstens empfehlen, auch bei den Mandatsträgern vor Ort für Sensibilität zu werben: «Was tut ihr hier eigentlich? Ist euch bewusst, was dieses Gesetz bewirkt und welche Hilfen für die Kommunen wirklich nötig wären?»
Ein juristisches Schlupfloch existiert noch: Statt sich um die Netzkonzession zu bewerben, könnten engagierte Genossenschaften beispielsweise gleich Gesellschafter eines kommunalen Netzbetreibers werden. Damit wäre bestmögliche Bürgerbeteiligung völlig losgelöst von einer Konzessionsvergabe gesichert. Allerdings muss das die Gemeinde auch wollen. Und nach maximal zwanzig Jahren stünde man wieder vor dem alten Problem, die Bürgerbeteiligung bei der Entscheidung über die Konzession nicht positiv berücksichtigen zu dürfen – falls sich die Rechtslage bis dahin nicht ändert. Kupfer: «Die Hoffnung stirbt jedenfalls zuletzt.»
Prof. Dr. Dominik Kupfer ist Rechtsanwalt u.a. für Energiewirtschaftsrecht und Kommunalrecht in Freiburg. Der Bundestag berief ihn als Sachverständigen, als im Frühjahr die Neufassung des § 46 EnWG erörtert wurde. Kupfer vertritt auch die Stadt Titisee-Neustadt vor dem Bundesverfassungsgericht. In der Beschwerde geht es um die Vergabe von Energiekonzessionen unter dem Einfluss des kartellrechtlichen Regimes.