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Ein sozial gerechter «Green New Deal»

Rhiana Gunn-Wright im Gespräch mit Lukas Hermsmeier

Rhiana Gunn-Wright gilt als Architektin einer innovativen Gesetzesinitiative. Ihr wichtigstes Anliegen ist Klimagerechtigkeit – lokal wie global.

Fast überall auf der Welt stehen die Klimabewegungen den jeweiligen Regierungen diametral gegenüber: auf der einen Seite die Aktivistinnen und Aktivisten, die für einen umfassenden und schnellen Wandel kämpfen, auf der anderen Seite die Politik, die sich häufig an den Status quo klammert. Zwei Lager, deren Absichten und Ziele sich oft in unversöhnlichem Widerspruch befinden. 

Die US-Amerikanerin Rhiana Gunn-Wright nimmt eine Sonderrolle ein: Sie agiert in den Zwischenräumen. Als Direktorin für Klimapolitik am Roosevelt Institute, einem etablierten Thinktank mit Sitz in New York, forscht sie zu den Themen Klimaschutz, Wirtschaftspolitik und Rassismus. Gunn-Wright steht im Austausch mit Staatsvertretern, hat an Gesetzesinitiativen mitgewirkt. Und gleichzeitig setzt sie sich als Autorin für eine radikale politische und ökonomische Transformation ein. Kurz: Sie macht Druck von innen – und außen.

Bekannt wurde die 35-jährige Gunn-Wright als Architektin des «Green New Deal» in den USA. Der Begriff steht für eine Vielzahl an umfassenden Reformen, die einen Umbau der Wirtschaft und enorme Investitionen in grüne und soziale Infrastrukturen vorsieht. Gunn-Wright hat an der dazugehörigen Resolution mitgeschrieben, die 2019 unter anderem von der bekannten Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez ins Parlament eingebracht wurde. Wer sich heute in den Vereinigten Staaten mit Klimapolitik beschäftigt, kommt am Green New Deal nicht vorbei. 

Könnten also ausgerechnet die USA – die weltweit größte Industrienation und historisch betrachtet der schlimmste Umweltsünder aller Länder – zum Vorbild beim Klimaschutz werden? Das ist das Ziel von Gunn-Wright, die längst zu den prägenden Figuren der US-amerikanischen Klimabewegung zählt. Ein zentrales Anliegen für sie und die Green-New-Deal-Initiative ist dabei Klimagerechtigkeit. Und die kann nur dann entstehen, wenn wirklich alle strukturellen Ungerechtigkeiten beseitigt werden.

 

Frau Gunn-Wright, wie genau kam es zu dem Begriff «Klimagerechtigkeit»?

Das ist eine etwas längere Geschichte. Zunächst einmal gibt es mindestens seit den 1990er-Jahren das Konzept der Umweltgerechtigkeit als Forschungsgebiet und Betätigungsfeld für soziale Bewegungen. Robert D. Bullard und Beverly Wright leisteten hierbei Pionierarbeit. Sie haben untersucht, auf welch ungleiche Weise Umweltverschmutzung die Menschen belastet, und was «race» und Klassenzugehörigkeit damit zu tun haben. Umweltgerechtigkeit wurde so zum Leitkonzept für viele Communitys, die sich etwa gegen Giftmülldeponien oder Blei im Trinkwasser zu wehren hatten. Es geht um die Frage, wie unsere physische Umwelt von sozialen Ungerechtigkeiten mitgeformt wird. Über die Jahrzehnte entwickelte sich daraus das Konzept der Klimagerechtigkeit, das eine internationale Perspektive miteinschließt und auch das Erbe des Kolonialismus mitdenkt. Grundsätzlich geht es bei Klimagerechtigkeit darum, sich zunächst damit auseinanderzusetzen, dass die Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, oft am stärksten davon betroffen sind. 

Wann haben Sie selbst angefangen, sich mit dem Thema Klimagerechtigkeit zu beschäftigen?

Ich kannte zunächst nur den Begriff Umweltgerechtigkeit, der mir begegnete, als ich nach meinem Studium für das Gesundheitsamt von Detroit arbeitete. Dort gab es eine Müllverbrennungsanlage mitten in der Stadt. 80 Prozent des Mülls stammten aus den Vororten mit einem weitaus höheren Durchschnittseinkommen – und wurden von dort zur Verbrennung in die Stadt gebracht. Das hatte zur Folge, dass die Asthmaraten in der Umgebung der Anlage deutlich höher waren, insbesondere bei Kindern. Den Begriff Klimagerechtigkeit habe ich aber erst kennengelernt, als ich am Green New Deal arbeitete.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie durch Ihre Arbeit für das Gesundheitsamt Ihr eigenes Leben besser verstanden haben. 

Ich bin in Englewood aufgewachsen, einer Gegend in Chicago, in der Asthma bei Kindern dermaßen verbreitet war, dass es praktisch als eine Kinderkrankheit betrachtet wurde. Mir war zwar immer klar, dass ich als schwarze Frau in gewisser Weise für die gegenwärtigen Systeme entbehrlich bin, aber ich habe erst später in Detroit die Zusammenhänge verstanden – dass die Asthmaraten in Gebieten mit großer Umweltverschmutzung höher sind und dass auch ich deshalb krank geworden bin. Viele Leute verstehen nicht, wie peinlich es ist, als pummeliges Mädchen mitten im Sportunterricht einen Asthmaanfall zu bekommen. Ich habe wegen meiner Krankheit jeden Frühling eine Woche lang in der Schule gefehlt.

 

Eine Frau hält ein großes Schild auf dem in Englisch geschrieben steht: Unsere Kinder bekommen immer wieder Asthma.
Chicago im März 2021: Protest gegen die Ansiedelung einer Metallschredderanlage, die von einem gentrifizierten Stadtviertel in ein sozial schwaches verlegt werden sollte. Foto: Dominic Gwinn / picture alliance

 

Welchen Einfluss hat Klimagerechtigkeit auf den Klimaschutz?

Ich glaube, dass der Begriff Klimagerechtigkeit hilfreich ist, weil er die Gesamtheit dessen, was vor uns liegt, in den Blick nimmt. Ja, wir müssen die Energieträger wechseln – aber wir müssen eben auch Entscheidungen dahingehend treffen, wie dieser Wandel aussieht und wer von ihm profitiert. Technologien sind zunächst einmal Werkzeuge, und der Einsatz dieser Werkzeuge muss von einer gesamtgesellschaftlichen Vision geleitet werden. 

Es reicht also nicht aus, nur die CO2-Emissionen zu senken?

Konzentriert man sich alleine auf die CO2-Emissionen, reduziert man den Klimawandel im Wesentlichen auf ein technisches Problem. Aber Emissionen kommen nicht aus dem Nichts. Wir müssen uns anschauen, wie unsere Welt und unsere Wirtschaft strukturiert sind. Wie wir unser Land nutzen, wie dicht ein Gebiet besiedelt ist, welche Kleidung wir tragen. Wie Zement und Stahl verwendet werden und wie die Arbeitsbedingungen sind. Zudem müssen wir alle Emissionen betrachten. Bei der Fossilindustrie sondert die große Mehrheit der Anlagen nicht nur CO2 ab, sondern auch andere giftige und gesundheitsschädliche Stoffe. Die Gebiete, in denen sich diese Anlagen befinden, sind dadurch weniger attraktiv für eine städtebauliche Entwicklung. Oft handelt es sich dabei um Nachbarschaften mit überwiegend armer und schwarzer Bevölkerung. Deshalb sprechen wir von «Frontline Communitys». Sie sind mit den heftigsten gesundheitlichen Auswirkungen der fossilen Industrie konfrontiert. 

Um diese Frontline Communitys zu schützen, zählt aber doch jeder Versuch der Emissionsreduzierung?

Es kommt darauf an. In Texas und Louisiana zum Beispiel werden derzeit Anlagen zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung errichtet. Die Communitys in diesen Gegenden haben jedoch ausdrücklich gesagt, dass sie die Anlagen nicht wollen, weil diese dort neben Ölraffinerien gebaut werden. Die Emissionen werden also gesenkt, aber die Produktion fossiler Brennstoffe setzt sich fort, wodurch die anderen gesundheits- und umweltbelastenden Auswirkungen für die Communitys ein Problem bleiben. Was sie stattdessen wollen, sind Investitionen in Erneuerbare Energien. Auch bei Projekten zu Erneuerbaren Energien müssen wir kritische Fragen stellen: Wo werden diese Projekte durchgeführt? Wer hat dabei Mitspracherecht? Aber auch: Woraus entstehen beispielsweise E-Autos? Unter welchen Bedingungen werden die dazu nötigen Ressourcen abgebaut? Wem gehören sie eigentlich? 

Worum geht es darüber hinaus bei der Klimagerechtigkeit noch?

Klimagerechtigkeit umfasst zum Beispiel auch Ge­­schlechtergerechtigkeit: Frauen sind vom ­Klimawandel stärker betroffen. In vielen Ländern sind sie es, die Wasser holen. Frauen leisten oft auch den Großteil der Pflegearbeit. Wenn sich die Klimakrise verschärft, werden wir mehr Menschen mit gesundheitlichen Folgeerscheinungen haben – und diese werden vor allem von Frauen versorgt. Außerdem sind sie in der Regel finanziell schlechter abgesichert als Männer und daher stärker von den wirtschaftlichen Nöten betroffen, die der Klimawandel mit sich bringt. Aber es geht auch um Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderung, etwa im Verkehr: Wenn wir nur auf Elektroautos setzen, akzeptieren und zementieren wir die Rolle von Privatfahrzeugen. Aber wer ist in der Lage, diese zu nutzen? Wer kann sie sich leisten? Deshalb ist es notwendig, massiv in den öffentlichen Verkehr zu investieren und einen barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderung zu schaffen. 

Überall auf der Welt finden Kämpfe für Klimagerechtigkeit statt. Gibt es Akteurinnen und Akteure, die Sie besonders beeindrucken?

Viele erfolgreiche Bewegungen für Klimagerechtigkeit werden von indigenen Gemeinschaften geführt, zum Beispiel bei den Kämpfen um die Regenwälder in Brasilien, Ecuador und Peru. In den USA führten American Indians die Bewegung im Reservat «Standing Rock» in North Dakota an. 2016 protestierten dort Tausende Menschen gegen den Bau einer Ölpipeline. Indigene Gemeinschaften sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Menschen, die den Problemen am nächsten sind, auch der Lösung am nächsten sind. 

Inwiefern?

Sie verfügen über altbewährte Praktiken, um mit der Natur umzugehen. Wir brauchen dringend ihr Wissen über Waldbewirtschaftung, Wassermanagement, landwirtschaftliche Techniken wie Trockenfeldbau oder die Wiederherstellung von Ökosystemen. 

Zahlreiche Menschen sitzen auf einer Straßenkreuzung – im Hintergrund lugt die Kuppel des Kapitols hervor.
Washington, D.C., 2021: Fünf Tage lang protestierten indigene Gruppen und Umweltaktivisten unter dem Motto «People vs. Fossil Fuels» und forderten die Regierung Biden auf, mit größerer Dringlichkeit gegen den Klimawandel vorzugehen. Foto: Jacquelyn Martin / picture alliance

Und wer sind die Gegner der Klimagerechtigkeit? 

Da gibt es eine Menge: Unternehmen, die fossile Brennstoffe produzieren. Die Staaten des Globalen Nordens, allen voran die USA, einer der größten Produzenten und Exporteure fossiler Brennstoffe. Aber es gibt auch Teile der politischen Mitte – sei es in der Politik oder in der Wirtschaft –, die der Klimagerechtigkeit im Weg stehen, denn das Streben nach Klimagerechtigkeit bedroht ihre Möglichkeiten, den Status quo aufrechtzuerhalten.

Sie sprechen die «politische Mitte» an, zu der auch US-Präsident Joe Biden gehört. Im Sommer 2022 unterzeichnete Biden den «Inflation Reduction Act» (IRA), das größte Klimagesetz der Geschichte des Landes: 783 Milliarden US-Dollar sollen in Klima- und Energiemaßnahmen fließen. Bewegen wir uns in die richtige Richtung? 

Oh ja, das denke ich auf jeden Fall! Vor dem IRA haben wir fast ausschließlich über Dinge wie CO2-Preise und CO2-Steuern gesprochen. In der Obama-Ära ging es vor allem darum, dem Markt Impulse zu verschaffen. Aber die Klimakrise lässt sich nicht allein durch Marktkräfte lösen. Was mich am IRA am positivsten stimmt, ist, dass es große öffentliche Interventionen geben muss, wenn es um den Klimawandel geht. Der «Greenhouse Gas Reduction Fund» zum Beispiel wird 15 Milliarden US-Dollar speziell für Projekte in marginalisierten Communitys bereitstellen. Außerdem gibt es einen Plan zur Reduzierung von Methan. Dies sind grundlegende Veränderungen, die ich für sehr wichtig halte.

Was fehlt?

Es handelt sich beim Inflation Reduction Act größtenteils um ein Finanzierungsgesetz, also um Anreize und Investitionen, aber nicht um ein regulierendes Gesetz. Ich würde gerne klare Regeln und Vorschriften sehen, zum Beispiel für Unternehmen, wenn es um den Abbau von Ressourcen geht. Die IRA erkennt zwar die Bedeutung des öffentlichen Sektors an, überlässt aber einen Großteil der Entscheidungen darüber, wie diese Investitionen auszusehen haben, der Privatwirtschaft. Eine weitere Schwäche des IRA liegt darin, dass zu seiner Verabschiedung eine Reihe von Zugeständnissen an Senator Joe Manchin aus West Virginia gemacht werden mussten, die fast ausschließlich der fossilen Brennstoffindustrie zugutekommen. Die «Mountain Valley Pipeline» zum Beispiel wird gebaut und verläuft durch Gemeinden in West Virginia, Virginia und North Carolina, in denen vor allem eine arme schwarze, weiße und indigene Bevölkerung lebt. Der IRA sieht außerdem neue Öl- und Gaspachtverkäufe im Golf von Mexiko vor. 

Was bedeutet es, dass 71 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner bei einer Umfrage im letzten Sommer angaben, wenig oder gar nichts über dieses so bahnbrechende Gesetz gehört zu haben?

Das hängt wohl damit zusammen, dass das Gesetz sehr komplex ist. Es funktioniert hauptsächlich über Steuergutschriften und Rückerstattungsprogramme. Wer zu wenig Geld verdient, um Steuern zu zahlen, profitiert also schon mal nicht davon. Und es ist den Menschen auch schwer zu vermitteln, dass man zwar eine Solaranlage auf seinem Haus installieren kann, man aber alles im Voraus bezahlen muss und erst im Rahmen einer Steuergutschrift eine Erstattung erhält. Der IRA scheint vor allem mit Blick auf Hausbesitzer konzipiert worden zu sein, eine Klasse, die zu 75 Prozent aus weißen Personen besteht – was bedeutet, dass ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen sind: vor allem Mieterinnen und Mieter, bei denen es viel wahrscheinlicher ist, dass sie jung, arm, schwarz oder lateinamerikanisch sind. Der IRA ist also für diejenigen gedacht, die ziemlich frei über ihr Geld verfügen, und das sind nicht viele Menschen hier. Ich glaube, dass es zusätzliche Maßnahmen geben sollte, damit der IRA eine starke Kraft entwickelt. Wir können Hausreparaturen, Solaranlagen, die Elektrifizierung und all das nicht den einzelnen Menschen überlassen. Würde der IRA zum Beispiel nicht nur auf Steuergutschriften, sondern verstärkt auf Zuschussprogramme setzen, könnte man direkter vermitteln: Hier ist Geld, mit dem du das und das kaufen kannst. Die Klimapolitik muss unmittelbarer, greifbarer sein. 

Sprechen wir über den Green New Deal – eine Vision, für die Sie in den letzten Jahren gekämpft haben. Woher kommt die Idee?

In den USA wuchs die Idee des Green New Deal aus der Überzeugung heraus, dass wir eine wirtschaftliche Mobilisierung in einer Größenordnung wie der im Zweiten Weltkrieg brauchen, um die Klimakrise zu bewältigen. Und dass wir unsere ökonomischen Strukturen grundlegend verändern müssen. Mit dem Green New Deal versuchen wir, die Wirtschaft weg vom Neoliberalismus zu führen – und hin zu einer offeneren, von Klimagerechtigkeit geprägten Industriepolitik. 

Auf grünem Hintergrund steht in Versalien: „Green New Deal“.

Der «Green New Deal» ist in den USA seit 2019 ein geflügelter Begriff. Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez aus New York und der Senator Edward J. Markey aus Massachusetts brachten damals eine Resolution in den Kongress ein, in der umfassende Reformen im Sinne des Klimaschutzes skizziert werden: 100 Prozent Erneuerbare Energien, smarte Strom­netze, eine nachhaltige Landwirtschaft, eine Grundüberholung der Verkehrssysteme, Schutz gegen Klimakatastrophen, ein allgemeines Recht auf sauberes Wasser, Krankenversicherung für alle, eine Arbeitsplatzgarantie und vieles mehr. Ziel ist es, die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und dabei sozial gerechte Infrastrukturen auszubauen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Klimawandel, Rassismus und ökonomische Ausbeutung als Probleme eng miteinander verknüpft sind. 

Der Begriff Green New Deal spielt auf den «New Deal» an, eine in den 1930er-Jahren unter Präsident Franklin D. Roosevelt er­lassene Reihe von Sozial-, Arbeits- und Infrastrukturreformen. Der New Deal ermöglichte den USA einen Weg aus der Großen Depression und verschaffte Millionen Menschen Jobs. Der Green New Deal soll eine ebenso umfassende ökonomische Transformation anstoßen. Neben der Klimaorganisation «Sunrise Movement», die maßgeblich dazu beigetragen hat, den Green New Deal bekannt zu machen, unterstützen auch Hunderte weitere progressive Initiativen und Gewerkschaften die Vision. Über hundert Kongressabgeordnete stehen mittlerweile hinter der Resolution, die 2021 ein zweites Mal eingebracht worden ist. Eine Mehrheit im Parlament fand der Green New Deal aber nach wie vor nicht. 

Warum ist eine Arbeitsplatzgarantie Teil der Idee?

Der Green New Deal folgt dem Gedanken, Macht umzuverteilen: Macht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Weißen und People of Color, zwischen privatem und öffentlichem Sektor. Und eine Arbeitsplatzgarantie würde das Kräftegleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern grundlegend verändern – es gäbe immer eine Option auf einen anderen Job. Mit der Arbeitsplatzgarantie wollen wir auch dazu beitragen, die Nöte und Ängste in Bezug auf die kommenden Umwälzungen zu lindern. Wer die Menschen in Zeiten radikaler Umbrüche alleine lässt, muss damit rechnen, dass viele sich dagegenstellen. Der Green New Deal entstand auch aus der Erkenntnis heraus, dass es ein tiefes Misstrauen in die aktuellen Systeme und Institutionen gibt. 

Sie waren maßgeblich an der Resolution für den Green New Deal beteiligt, die 2019 in den Kongress eingebracht worden ist, aber dort bislang noch keine Mehrheit fand. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Idee des Green New Deal damals populär; es gab eine breite Berichterstattung darüber. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück? 

Ich glaube, ich habe das immer noch nicht ganz verarbeitet. Ich begann praktisch direkt nach meinem Studium damit, in der Politik zu arbeiten, und war von Leuten umgeben, die jahrzehntelang an einem Thema saßen, ohne je einen wirklichen Wandel zu erleben. Ich hätte nicht in meinen kühnsten Träumen gedacht, dass ich erleben würde, wie sich die Klimapolitik in meinem eigenen Land in eine neue Richtung bewegt. 

 

Umringt von Zuhörern, spricht eine junge Frau an einem Rednerpult, an dem ein Schild mit der Aufschrift Green New Deal hängt, im Freien eine Rede.
Washington D.C. im April 2023: Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez erläutert auf einer Pressekonferenz die Gesetzesvorlage des «Green New Deal». Foto: Sarah Silbiger / picture alliance

 

Der Green New Deal hat den Diskurs verändert – aber in vieler Hinsicht bleibt er doch eine unerfüllte Vision. Sind unsere Erwartungen zu hoch? 

Wenn Leute mir sagen, dass wir als Klimabewegung zu viel wollen, entgegne ich ihnen, dass ich die falsche Empfängerin bin. Wendet euch an die Politik, die den notwendigen Wandel lange Zeit verhindert hat! Hätten wir früher begonnen, die Klimakrise zu bekämpfen, wäre ein langsamer Wandel okay gewesen. Aber wenn das Gebäude brennt, benutzt man eben den Feuerwehrschlauch – und nicht nur einen Eimer. 

Was passiert mit der Bewegung, was passiert mit der Vision des Green New Deal, wenn Donald Trump bei der anstehenden Präsidentschaftswahl gewinnt?

Ich glaube, dass es darauf eine einfache Antwort gibt: Wir machen weiter! Der Green New Deal entstand in einer Zeit, in der Trump Präsident war. Natürlich werden die Taktiken andere sein, sollte er wiedergewählt werden und Biden ersetzen. Noch wichtiger wäre dann, was wir auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene tun. Aber die Arbeit bleibt in gewisser Weise dieselbe – denn die Klima­krise wird sich weiter zuspitzen, ob unter Trump oder ohne Trump. 

Kann eine wirksame Klimapolitik einen Wandel nach rechts verhindern? 

Rechte Politik gedeiht immer dann, wenn die Menschen den Nutzen des Gemeinguts nicht sehen, wenn sie sich isoliert und machtlos fühlen, wenn sie den Institutionen nicht mehr vertrauen. Gerade bricht eine Zeit an, in der die Ressourcen knapper werden als je zuvor. Was wir erreichen müssen, ist, dass sich die Menschen stärker als Teil einer Gemeinschaft begreifen. Und ich glaube, dass die Erfahrung einer guten Klimapolitik im Stil eines Green New Deal genau das leisten kann!

Porträtaufnahme: Eine Frau mit kurzen Haaren trägt einen weißen Pullover und lächelt freundlich.

Rhiana Gunn-Wright wurde 1988 in Chicago geboren. Sie studierte an der Yale University African American Studies und Gender Studies. 2013 erhielt sie das prestigeträchtige Rhodes-Stipendium, im selben Jahr war sie Praktikantin im Büro der damaligen First Lady Michelle Obama. Anschließend arbeitete Gunn-Wright für die Gesundheitsbehörde von Detroit, als politische Beraterin und beim progressiven Thinktank «New Consensus». Sie ist aktuell Direktorin für Klimapolitik am Roosevelt Institute in New York und schreibt an einem Buch zu den Schnittstellen von ­Klimakrise, White Supremacy und Sucht. 

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15. Februar 2024 | Energiewende-Magazin