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Die Rohstoffe der Erneuerbaren

Ein Bericht von Bernward Janzing

Bei einem massiven Ausbau der Erneuerbaren wird der Bedarf an Metallen enorm steigen – vor allem dann, wenn die Energiewende weltweit stattfindet.

Das große Rechnen hat begonnen – aber anders als gewohnt. Wenn es um Ausbauszenarien der Erneuerbaren Energien ging, standen bislang immer die Flächenpotenziale im Vordergrund, mitunter die Kosten, manchmal auch die Kapazitäten von Industrie und Handwerk. Jetzt aber schlägt ein neues Thema mit großer Wucht auf: die Verfügbarkeit der notwendigen Rohstoffe. 

Die Deutsche Rohstoffagentur (Dera), die zur Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gehört, hat dieses Thema einmal ganz nüchtern kalkuliert. Ausgehend von den Plänen der Bundesregierung errechnete sie den Rohstoffbedarf, der sich aus dem anvisierten Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik ergibt. Die politisch gewünschten Ausbauzahlen sind schließlich klar definiert, auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Zudem bekommen die Erneuerbaren Energien durch den Krieg in der Ukraine einen weiteren Schub, weil uns dieser die Probleme der Abhängigkeit von fossilen Importen äußerst drastisch vor Augen führt. 

Doch während Windkraft und Solarenergie klimafreundliche und globalpolitisch unkritische Energie liefern, benötigt der Aufbau der Anlagen eine große Menge an Rohstoffen – die Deutschland wiederum größtenteils importieren muss. Hinzu kommt ein weiterer Rohstoffbedarf, etwa für die Elektromobilität oder auch für die Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff. Damit rückt nun auch zunehmend das Fachwissen von Rohstoffexperten ins Blickfeld, nachdem die Energiewende bislang vor allem aus der Perspektive von Energieexperten diskutiert wurde.

Kritische Marktlage bei Seltenen Erden

Beginnen wir mit der Windkraft: Sie soll, so hat es Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündet, im Jahr 2030 in Deutschland eine installierte Kapazität von 145 Gigawatt erreichen; 115 Gigawatt an Land, 30 Gigawatt auf See. Ausgehend von nur 63 Gigawatt Ende 2020 müssten also binnen zehn Jahren Anlagen mit einer Gesamtleistung von 82 Gigawatt neu errichtet werden – wobei der Ersatz von Altanlagen noch nicht einmal berücksichtigt ist. Gut acht Gigawatt im Jahr wären folglich mindestens nötig, was gemessen am Zubau der letzten Jahre eine Vervierfachung des gewohnten Tempos bedeuten würde.

Rein nach ihrer Masse berechnet sind Beton, Stahl, Gusseisen, Carbon- und Glasfaserkunststoffe, Zink und Polymere die wichtigsten Rohstoffe der Windkraftindustrie. Gleichwohl bereiten diese aus Sicht der Verfügbarkeit nicht die größten Sorgen, wie die Dera bilanziert: «Bei den genannten Metallen sind die Weltmärkte sehr groß, da fällt die Windkraft nicht so entscheidend ins Gewicht», sagt Ulrike Dorner, Wissenschaftlerin bei der Dera. Die weltweite Marktlage könne vielmehr bei den Seltenen Erden zukünftig kritisch werden. Dazu zählen Elemente wie Dysprosium und Neodym, die in den Hochleistungs-Permanentmagneten der großen Windkraftgeneratoren eingesetzt werden. Aber auch Aluminium und Rohstahl, deren globale Produktion aktuell durch China dominiert wird, sowie Chrom, das überwiegend aus Südafrika kommt, könnten insofern kritische Rohstoffe werden, weil eine große Abhängigkeit von einzelnen Ländern immer hohe Risiken birgt.

Windkraftanlage im Aufbau: Ein großer roter Kran hebt ein Rotorblatt hoch, der Rest der Baustelle wirkt winzig.
Pro Windkraftanlage werden bis zu 80 Tonnen Stahl und inklusive Infrastruktur bis zu 30 Tonnen Kupfer verbaut. Im Jahr 2018 wurde ein Zehntel der deutschen Kupferimporte für die Herstellung von Windkraft­anlagen verwendet. Foto: Paul Langrock
In einer Fertigungshalle betrachten Arbeiter in rosa Schutzkleidung die Oberfläche eines Solarmoduls.
China ist nicht nur der weltweit führende Siliziumproduzent, auch sein Anteil an allen Fertigungsstufen der Produk­tion von Solarmodulen beträgt global gesehen mittlerweile über 80 Prozent. Foto: Zhao Ming / VCG via Getty Images

Rohstoffbedarf in Zahlen

Nimmt man die Ausbauszenarien als Basis, dann benötigt Deutschland allein für die Windkraft künftig alljährlich rund eine Million Tonnen Stahl. Bei einer inländischen Rohstahlerzeugung von 40 Millionen Tonnen im Jahr 2021 sind das 2,5 Prozent. Im Vergleich zur Bauindustrie, die in Deutschland 35 Prozent des Stahls verbraucht, und zur Automobilindustrie mit einem Verbrauch von 26 Prozent ist das überschaubar. Weltweit wurden im Jahr 2020 bei einem Ausbau der Leistung um 94 Gigawatt nur 0,6 Prozent der Stahlproduktion für die Windkraft benötigt. 

Bei einigen anderen Rohstoffen war der Anteil am globalen Verbrauch hingegen höher, hat die Dera ermittelt. Während der Betonbedarf der Windkraft ebenfalls auf einen Anteil von 0,6 Prozent der Weltproduktion kam, entfielen beim Gusseisen bereits 1,6 Prozent auf die Windkraft, etwa für Rotornaben und Achszapfen. Am stärksten aber schlug der Bedarf an Zink (3,9 Prozent der Weltproduktion), Molybdän (3,5 Prozent) und an Seltenen Erden (3,2 Prozent) zu Buche. 

Vergleichbare Rechnungen lassen sich auch für die Photovoltaik anstellen – wobei hier die Anteile am weltweiten Rohstoffmarkt teilweise deutlich höhere Dimensionen erreichen. Das Ausbauziel, das die Bundesregierung mit dem neuen EEG anvisiert hat, liegt bei 215 Gigawatt im Jahr 2030. Ausgehend vom Bestand von 64 Gigawatt Ende 2020 sind das ganze 16 Gigawatt Zubau pro Jahr. 

Rein mengenmäßig steht hierzulande bei der Photovoltaik Stahl als Rohstoff an der Spitze, mit einer Million Tonnen jährlich. Heikler sind jedoch andere Stoffe: «Potenziell kritisch ist die weltweite Marktlage bei Gallium, Germanium, Silizium, Tellur und Indium, bei denen China globale Produktionsanteile von mehr als 60 Prozent aufweist», schreibt die Dera in einer aktuellen Analyse. Denn der Anteil der Photovoltaik am Weltbedarf ist bei diesen Stoffen zum Teil beträchtlich: Beim Silizium entfielen zuletzt 16,8 Prozent der Weltproduktion auf die Solarwirtschaft, beim Germanium 15,6, beim Silber 10 und beim Indium 4,6 Prozent. 

Damit wird zugleich ein grundsätzliches Risiko der Energiewende deutlich: Chinas Dominanz als weltweiter Rohstoffstaat Nummer eins. Somit sind auch die Windkraft und die Photovoltaik Teil der globalen Wertschöpfungskette – mit all ihren internationalen Abhängigkeiten. 

Eine Zeitachse zeigt den Zubau an Windkraft bis 2030: Abgebildet sind Gesamtkapazität und erzeugte Strommenge.
Windenergiekapazität und erzeugte Strommenge in Deutschland sowie Ausbauziele bis 2030 (GW = Gigawatt, TWh = Terawattstunden) Quelle: Deutsche Rohstoffagentur (Stand April 2022)
Die dafür benötigten Rohstoffmengen in Relation zueinander: von seltenen Erden, über Kupfer bis hin zu Stahl.
Zusammengefasster Rohstoffbedarf für den geplanten Nettozubau (82 GW) von Windkraftanlagen bis 2030 (GW  = Gigawatt, TWh = Terawattstunden, kt = Kilotonnen = 1.000 Tonnen) / *CFK/GFK: Kohlenstofffaser-/Glasfaserverstärkter Kunststoff Quelle: Deutsche Rohstoffagentur (Stand April 2022)
Eine weitere Zeitachse zeigt den PV-Zubau bis 2030: Abgebildet sind Gesamtkapazität und erzeugte Strommenge.
Photovoltaikkapazität und erzeugte Strommenge in Deutschland sowie Ausbauziele bis 2030 (GW = Gigawatt, TWh = Terawattstunden) Quelle: Deutsche Rohstoffagentur (Stand April 2022)
Die dafür benötigten Rohstoffmengen in Relation zueinander: von Gallium, über Aluminium bis hin zu Stahl.
Zusammengefasster Rohstoffbedarf für den geplanten Nettozubau (161 GW) von Photovoltaikanlagen bis 2030 (GW = Gigawatt, TWh = Terawattstunden, kt = Kilotonnen = 1.000 Tonnen) Quelle: Deutsche Rohstoffagentur (Stand April 2022)

Die Zahlen zur Rohstoffverfügbarkeit erzählen zugleich aber auch nur einen Teil der ganzen Rohstoffgeschichte. Denn die Verfügbarkeit besitzt sehr unterschiedliche Facetten: Während manche Rohstoffe schlicht von Natur aus selten sind, hängt es bei anderen Stoffen allein an den Kapazitäten der industriellen Verarbeitung. 

Beispiel Silizium: Das Halbmetall ist in der Erdhülle nach Sauerstoff das zweithäufigste Element. Die drei Hauptmineralien von Granit – Feldspat, Quarz und Glimmer – sind allesamt Siliziumverbindungen. Auch viele andere Gesteine besitzen einen hohen Anteil an Silizium. Damit ist der Stoff aber noch lange nicht verfügbar. Hierfür ist ein komplexes und energieaufwendiges Verfahren notwendig – von der Gewinnung des reinen Siliziums über die Herstellung der Kristalle aus der Schmelze bis zum Sägen der Kristalle in dünne Scheiben. Entsprechende Fabriken werden deswegen nur errichtet, wenn Investoren mit einer langfristigen Abnahme ihres Produkts rechnen können. Also kam es in der Vergangenheit immer wieder vor, dass Solarsilizium am Markt zeitweise knapp wurde.

Eine globale Energiewende könnte die Märkte überfordern

Ein besonderes Thema bei der Photovoltaik ist der Bezug des Flachglases. Rund 700.000 Tonnen werden davon zukünftig im Fall der deutschen Ausbauszenarien pro Jahr benötigt. Gemessen an der Flachglasproduktion hierzulande sind das satte 35 Prozent. Allerdings stammt das Glas heute in der Regel aus China, wo fast 70 Prozent aller Module weltweit gefertigt werden. Aus diesem Grund würden die Ausbaupläne für die Photovoltaik den deutschen Flachglasmarkt «so gut wie gar nicht» beeinflussen, teilt der Bundesverband Flachglas auf Anfrage hin mit. Das war einst anders: An der 1999 in Gelsenkirchen in Betrieb genommenen Solarfabrik war auch der am Standort ansässige Glasproduzent Pilkington beteiligt. 

Heute ist die GMB Glasmanufaktur Brandenburg nach eigenen Angaben der einzige noch verbliebene Solarglashersteller in Europa. Deren Geschäftsführer Nico Succolowsky warnte jedoch kürzlich schon davor, dass die Verknappung und damit einhergehende massive Verteuerung des Erdgases zum Stopp der Produktion führen könne.

Würde Deutschland ausschließlich einen starken Ausbau von Solarstrom und Windkraft anstreben, wäre der Weltmarkt noch in der Lage, die hierfür nötigen Rohstoffe aufzubringen. Aber zum einen stehen noch weitere Transformationsprozesse an, speziell im Verkehr – und auch die brauchen in großen Mengen metallische Rohstoffe. Zum zweiten treibt nicht allein Deutschland die Energiewende voran; die EU zum Beispiel hat ebenso entsprechende Ziele – und damit Rohstoffbedürfnisse – definiert. 

Bereit zur Auslieferung: In einem Parkdeck stehen auf mehreren Ebenen unzählige Elektroautos von Volkswagen.
Der Wechsel vom Verbrenner- zum Elektromotor wird künftig ebenfalls große Rohstoffmengen binden – so könnte der Kupferbedarf von Elektroautos, den der Erneuerbaren um das drei- bis sechsfache übertreffen. Foto: Jan Woitas / picture alliance

Vor allem die E-Mobilität könnte die Rohstoffmärkte erheblich mehr fordern als alle Windkraft- und Solaranlagen – nämlich dann, wenn die gesamten Verbrenner bis zu einem bestimmten Zeitpunkt durch Elektroautos ersetzt werden sollen. Das zeigt unter anderem der Bericht «Rohstoffbedarf im Bereich der erneuerbaren Energien», den im Jahr 2019 das Öko-Institut und die Prognos AG erstellt haben. Demnach werden zum Beispiel «die Elektroautos hinsichtlich des jährlichen Kupferbedarfs die neu zu installierenden Windkraft- und PV-Anlagen drei- bis sechsmal übertreffen». 

Vor allem aber werden die Rohstoffmärkte in Zukunft davon abhängen, in welchem Maße andere Länder die Energiewende voranbringen. Eine entsprechende Analyse aus europäischer Sicht veröffentlichte im April die KU Leuven in Belgien. Das von der Universität erstellte Papier trägt den Titel «Metals for Clean Energy». Bezogen auf das Ziel der Europäischen Union, die CO2-Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, würde in der EU der Verbrauch von Kupfer, das vom E-Auto bis zur Windkraftanlage überall benötigt wird, und Aluminium, das beispielsweise in den Solarmodulen steckt, um jeweils etwa ein Drittel ansteigen, so das Ergebnis. Die Siliziumnachfrage in der Staatengemeinschaft stiege um 46 Prozent, die Kobalt- und Nickelnachfrage um 330 beziehungsweise 100 Prozent, die Lithiumnachfrage um mehr als 3.500 Prozent. Der Verbrauch an Seltenen Erden würde im Fall von Praseodym um fast 600, im Fall von Dysprosium um mehr als 2.600 Prozent steigen. 

Menschenrechte und geopolitisches Kalkül

Porträtaufnahme: Ein Mann mittleren Alters mit Brille und Kurzhaarfrisur trägt ein blaues Jackett und lächelt.
Dr. Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts Freiberg für Ressourcentechnologie Foto: HZDR/HIF

Noch verzwickter wird die Rohstoffsituation, weil in der Praxis nicht allein die global verfügbaren Mengen zählen. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Märkte hochkomplex sind und oft geopolitischen Machtinteressen unterliegen. Und wo beim Erdgas Russland die führende Kraft ist, ist das bei vielen metallischen Rohstoffen China.

Das sächsische Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie (HIF) arbeitet zu solchen Themen und kennt die damit verbundenen Risiken. «Fast bei allen Rohstoffen, die metallisch sind, gehen mehr als 50 Prozent des Weltmarkts durch die Hände Chinas», sagt HIF-Direktor Jens Gutzmer. China importiere auch Rohstoffe für die Verarbeitung, bilde damit in jedem Fall «das Nadelöhr». Zumal dort für viele Rohstoffe die Geschäftstätigkeit über sehr wenige, staatlich autorisierte Firmen liefen. 

Das zweite Risiko, so Gutzmer, seien Länder, die politisch instabil sind und zu denen Europa keine gefestigten Beziehungen unterhält – dazu gehöre die Demokratische Republik Kongo. Als Beispiel führt er das Element Kobalt auf, das zu 60 Prozent aus dem zentralafrikanischen Staat kommt. Neben der Versorgungssicherheit – Geschäfte mit derart labilen Weltregionen machen die europäische Industrie verwundbar – ist auch der dortige Umgang mit den Menschenrechten ein ernstzunehmendes Problem. Kritik übt Gutzmer auch daran, dass Deutschland sich selbst viel zu wenig an der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung beteilige. Im Erzgebirge zum Beispiel existiere eine der zehn größten Lagerstätten von Lithium weltweit, aber es fehlten bislang Investoren. In der Lausitz befinde sich tief unter den heute noch in Produktion stehenden Braunkohletagebauen der sogenannte Kupferschiefer. Trotz sehr großer Ressourcen an Kupfer und Silber in dieser Lagerstätte fehlen auch hier noch die Investoren. 

Stattdessen kommen die Rohstoffe oft aus Ländern, in denen Arbeitsschutz, Umweltschutz und Menschenrechte vielfach ignoriert werden. Eine der ersten Institutionen, die das Thema Rohstoffe und Energiewende unter diesem Aspekt öffentlichkeitswirksam zum Thema machten, war Misereor. Wind, Sonne und Wasser seien zwar «definitiv die besseren Alternativen zu der für das Klima höchst schädlichen Verbrennung von Kohle», wie das kirchliche Hilfswerk im Jahr 2018 in seiner großen Studie «Rohstoffe für die Energiewende» erklärt – vor allem auch, weil Import-Steinkohle oft unter menschenrechtlich bedenklichen Umständen gefördert werde.

Bergbau mit einfachsten Mitteln: Zwei Männer waschen rote schlammige Erde in Schüsseln.
Bergarbeiter in einer Mine in Ruanda: Von Hand wird Coltan-Erz als feiner Sand aus dem Geröll gewaschen. Der Abbau von Rohstoffen geht vielerorts mit schwerer körperlicher Schufterei ohne jeglichen Arbeitsschutz einher. Foto: Eric Baccega / image broker
Die gigantische Kupfermine aus der Vogelperspektive: Stufenweise frisst sich die riesige Grube ins Erdreich.
Die Kupfermine «Chuquicamata» liegt in der nordchilenischen Region Antofagasta mitten in der Atacamawüste – einem der trockensten Orte der Welt. Foto: David Graham / Alamy Stock
In einer bewaldeten Hügellandschaft schimmern türkisfarbene Becken, dazwischen stehen Holzverschläge und Baracken.
Umweltrisiko: Säuretanks eines Betriebs zur Verarbeitung Seltener Erden in der Provinz Jiangxi im Süden Chinas Foto: Panos Pictures / Visum

Gleichwohl würden aber auch für die Herstellung von Windrädern und Photovoltaikanlagen hohe Mengen an Eisenerz aus Brasilien, Kupfer aus Peru und Chile, Silber aus Mexiko und Argentinien, Bauxit aus Guinea sowie Seltene Erden aus China benötigt. Beim Abbau der Rohstoffe komme es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, gewaltsamen Konflikten und gravierenden Umweltschäden, wie Fallbeispiele aus Afrika, Asien und Lateinamerika zeigen. Die Mehrzahl aller Menschenrechtsverstöße ereigne sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. 

Lange Vorlaufzeiten beim Bergbau 

Die dritte Herausforderung bei der Beschaffung der notwendigen Rohstoffe besteht in der zum Teil engen Verzahnung der unterschiedlichen Substanzen. Dies betrifft Elemente, deren Förderung nur dann wirtschaftlich rentabel ist, wenn sie als Nebenprodukt einer anderen Rohstoffgewinnung anfallen. Wie zum Beispiel Indium, das ausschließlich bei der Verarbeitung anderer Erzmineralien gewonnen wird, vor allem aus dem Zinksulfidmineral Sphalerit. Somit sind die wirtschaftlich verfügbaren Indiummengen stets abhängig vom globalen Zinkbedarf. Denn nur durch den lukrativeren Verkauf von Zink lohnt sich auch der Abbau von Indium. Tellur wiederum kommt zumeist in Verbindung mit Kupfer vor. Bricht die Nachfrage nach dem Hauptmetall ein, wird somit auch das Nebenmetall knapp. 

Hinzu kommt, dass das alleinige Vorhandensein geologischer Ressourcen einer Industrie noch nicht wirklich weiterhilft. Man muss die Rohstoffe schließlich erst abbauen – und das kann dauern. «Ein neues Bergwerk genehmigt zu bekommen und dann aufzubauen braucht 10 bis 15 Jahre Vorlauf», sagt Gutzmer. Nach Errichtung des Bergwerks folgt dann die Aufbereitung und schließlich die Verhüttung. Für all das benötige man Investoren, die Vertrauen in langfristige Absatzchancen haben. Gebe es diese Perspektive nicht, könne es zu Engpässen kommen. So fehle es laut Gutzmers Aussage bei Lithium noch an Investoren, um das politisch angestrebte Marktwachstum der Speichertechnik überhaupt möglich zu machen.

Außerdem führen lange Vorlaufzeiten oft zu dem in der Ökonomie als «Schweinezyklus» beschriebenen und gefürchteten Phänomen: Herrscht Mangel an Fleisch, beginnen viele Bauern mit der Schweinezucht. Sind die Tiere dann allerdings gleichzeitig schlachtreif, brechen die Preise ein. Daraufhin verabschieden sich Akteure wieder aus dem Markt – bis schließlich erneut Knappheit herrscht und der Zyklus von vorne beginnt. Obwohl in der Theorie ausgiebig beschrieben, scheinen sich keine wirksamen Mechanismen etablieren zu können, die verhindern, dass dasselbe Phänomen auch auf vielen Rohstoffmärkten immer wieder auftritt.

Wachstumslogik führt in die Sackgasse 

Das wichtigste Fazit der Rohstoffdebatte ist aber vielleicht dieses: Wollte man einen weiterhin weltweit steigenden Energiebedarf künftig komplett durch die Erneuerbaren decken, könnten aufgrund des großen Bedarfs an metallischen Rohstoffen deren Preise massiv steigen und damit alle Pläne vereiteln. «Wir müssen aufpassen, dass unsere schöne Energiewende nicht am Rohstoffmangel scheitert», sagt Karl Lichtblau, Geschäftsführer der IW Consult am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Es würde womöglich wahr, was der Bestseller «Die Grenzen des Wachstums» vor 50 Jahren bereits prophezeite: Bei manchen Rohstoffen könnte die Erde an ihr Limit kommen. Oder die Rohstoffpreise steigen so weit, dass der Ausbau der Erneuerbaren ins Stocken gerät. 

Deswegen forderte Misereor bereits 2018, dass die Energiewende mehr umfassen muss als den Austausch der Energiequellen. Man müsse sich «von der Wachstumslogik verabschieden und den Rohstoffverbrauch drastisch senken». So könne die Energiewende, also der Aufbau von Windkraft- und Solaranlagen, nur zusammen mit Energieeinsparung und Energieeffizienz einen echten Beitrag zu mehr globaler Gerechtigkeit und Klimaschutz leisten. 

 

In einer bergigen Landschaft ist eine Bergkuppe abgetragen, hier sind diverse kleine Seen mit giftig günem Wasser drin entstanden.

Konzept der «schwachen Nachhaltigkeit»

«Der Abbau von Metallen wird weiterhin notwendig sein. Es ist aber möglich, mit wirksamen Politikinstrumenten die negativen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen erheblich zu reduzieren.»
Prof. Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor, Institut für trans­for­­ma­tive Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam


Mit der Energiewende wird der Rohstoffbedarf stark steigen. Neben Stahl und Beton werden große Mengen verschiedener Metalle und Seltener Erden benötigt. Ihr Abbau verläuft derzeit alles andere als nachhaltig, vielerorts geht er mit Ressourcenausbeutung, Umweltschäden und katastrophalen Arbeitsbedingungen einher. Auch wird die lokale Bevölkerung nur selten an Planung, Betrieb und Profit beteiligt. In einer Studie schlägt ein internationales Forschungsteam um Ortwin Renn daher vor, den Bergbau am Konzept der «schwachen Nachhaltigkeit» auszurichten. Dieses zeichnet sich durch eine ehrgeizige, zugleich aber auch realistischere Zielsetzung aus: Die Nutzung nicht regenerativer Ressourcen ist erlaubt, solange dadurch nachhaltige Prozesse gestartet werden.

Nachhaltigkeit: Welche Defizite gibt es beim Bergbau?

Unter Nachhaltigkeit wird gemeinhin ein schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen verstanden. Der Begriff ist allerdings vielschichtiger: Er umfasst neben ökologischen auch soziale und ökonomische Kriterien. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch Entwicklung, das Streben nach einem Idealzustand.

Gerade der Bergbau ist von einem solchen Idealzustand weit entfernt. Augenscheinlich sind direkte Umweltfolgen: massive Landschaftseingriffe, Verschlechterung der Wasserqualität, Bodenerosion und Staubemission. Die Bergbaugebiete werden zudem immer größer und bedrohen die Artenvielfalt – häufig überschneiden sie sich mit Naturschutzgebieten. Weniger sichtbar sind ökonomische Defizite, etwa bei der gerechten Verteilung von Entschädigungen. Ebenso problematisch: Aktuelle Geschäftsmodelle sind auf Gewinnmaximierung ausgerichtet und es gibt kaum Anreize, über ein Minimum an Investitionen hinauszugehen. Unbemerkt bleiben meist soziale Defizite, die sich auf lokaler Ebene abspielen: Die Beziehungen zwischen Gemeinden und Bergbauunternehmen sind oft von starken Konflikten geprägt.

Nachhaltigkeitsdilemma des Bergbaus

Ein komplett nachhaltiger Bergbau scheint aus Sicht der Forscher utopisch – allein schon wegen der Entnahme nicht erneuerbarer Ressourcen. Die Wissenschaftler konnten aber zahlreiche Bereiche ausmachen, in denen eine nachhaltige Entwicklung möglich ist. Hierzu empfehlen sie in ihrer Studie vom April 2022 fünf Schritte:

1. Planung und Management auf Unternehmensebene: Betriebe und Investoren müssen bei ihren Geschäftsentscheidungen ernsthaft Nachhaltigkeitsindikatoren berücksichtigen und diese auch in Form von regelmäßigen Kontrollen in die Arbeitsabläufe integrieren.

2. Regionale und nationale Reglementierungen: Bergbauunternehmen sind an Gesetze gebunden, diese sollten auch Nachhaltigkeit berücksichtigen. In der Praxis könnten dann Anreize gesetzt werden, etwa Steuerermäßigungen beim Erreichen gewisser Nachhaltigkeitsziele – oder Strafen ausgesprochen werden, falls diese verfehlt werden.

3. Freiwillige Vereinbarungen und Zertifizierungssysteme für die Industrie: Die Betriebserlaubnis bildet hierbei den wichtigsten Hebel: Nationale Bergbauverbände, aber auch die Internationale Organisation für Normung (ISO) könnten die Branche dabei unterstützen, Nachhaltigkeitsziele als Auflagen für den Betrieb von Bergwerken zu verankern. Hierzu sind eindeutige Regelungen für Messung, Überwachung und Compliance Management nötig.

4. Globale Governance-Strukturen: Solange es weltweit keine einheitlichen Regeln gibt, ist es dringend erforderlich, dass alle kooperationsbereiten Länder Gesetze verabschieden, die Anreize für nachhaltigen Bergbau setzen. Je stärker sich Nachhaltigkeit als Treiber für Veränderungen etabliert, umso wichtiger wird ein gemeinsames Forum, in dem Auflagen und Anreize diskutiert und umgesetzt werden. Diese Rolle könnte ein neues UN-Sekretariat übernehmen.

5. Finanzinstrumente (grüne Investmentfonds): Der Finanzsektor kann bei seinen Geschäftsentscheidungen Nachhaltigkeitsziele berücksichtigen, etwa wenn es um die Vergabe von Krediten oder die Unternehmensbewertung durch Ratingagenturen geht.

Foto: Coltan-Mine im Osten der Demokratischen Republik Kongo, fotografiert von Baz Ratner / Reuters / picture alliance
Zusammenstellung: Jari Gärtner

 

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