Die Natur als Klägerin
Ein Gastbeitrag von Helen Arling
Weltweit stehen Ökosysteme auf der Kippe, weil ihr Schutz oft an einer diffusen Rechtslage scheitert. Neue Ansätze im Umweltrecht lassen hoffen.
Umweltrecht ist ein weites Feld. Es umfasst alle Rechtsvorschriften, die sich mit der natürlichen Umwelt und ihrem Schutz befassen. Dabei spielt sich Umweltschutz durch Recht auf mehreren Ebenen ab – im globalen Kontext unter anderem anhand völkerrechtlicher Verträge wie der Biodiversitätskonvention oder des Pariser Klimaabkommens, regional beispielsweise mittels EU-Richtlinien und darüber hinaus durch zahlreiche nationale Vorschriften, seien es Parlamentsgesetze oder kommunales Recht.
Hinzu kommt, dass es für verschiedene Bereiche wie Gewässer- oder Klimaschutz meist eigene Verträge oder Gesetze gibt, die nicht notwendigerweise konkret aufeinander abgestimmt sind. Zudem werden umweltrelevante Belange auch im Zusammenhang mit nationalen und internationalen Menschenrechten diskutiert und verhandelt.
Entsprechend steht das Umweltrecht immer wieder in der Kritik: Es sei fragmentiert und Umwelt- und Naturschutz gingen nicht weit genug. Wichtige Umweltbelange könnten zu einfach durch entgegenstehende Interessen verdrängt werden und die Umwelt würde häufig nur insoweit geschützt, als Menschen einen Nutzen daraus ziehen. Um den Umweltschutz stärker und wirksamer zu machen, haben unterschiedliche Akteure daher neue Ansätze entwickelt.
Flüsse, die klagen können
Ein Konzept ist die Anerkennung von Rechten der Natur. Dieser Ansatz bildet einen Gegenpol zum anthropozentrisch, also am menschlichen Nutzen orientierten Umwelt- und Naturschutz. Die Natur wird dabei vom Objekt zum rechtlichen Subjekt. Rechtssubjekte können die Natur als Ganzes oder einzelne Ökosysteme wie Wälder, Flüsse oder Seen sein. Deren Interessen sollen sich so gegenüber wirtschaftlichen Belangen besser behaupten können – notwendigenfalls auch vor Gericht.
Im nationalen Recht anerkannt wurden Eigenrechte der Natur zuerst in den USA, gefolgt von einer bemerkenswerten Entwicklung in verschiedenen Staaten Lateinamerikas. Mit Ecuador nahm 2008 das erste Land Rechte der Natur in seine Verfassung auf und gewährt dieser unter anderem in Artikel 72 ein Recht auf Wiederherstellung im Schadensfall. In anderen Staaten wie Kolumbien, Indien oder Bangladesch haben sich vor allem Gerichte für die Rechtssubjektivität von Ökosystemen stark gemacht.
Rechte für die Natur – Europa zieht nach
Während Lateinamerika in Sachen Rechte der Natur weiterhin Vorreiter ist, wurde auch in Europa 2022 ein erstes nationales Gesetz verabschiedet, welches ein Ökosystem als Rechtssubjekt schützt: das spanische Gesetz «19/2022», das die Rechtspersönlichkeit der Salzwasserlagune Mar Menor und ihres Einzugsgebiets anerkennt.
Neben nationalen Gesetzesinitiativen existieren europaweit auch verschiedene Organisationen und Bewegungen, die sich für die Rechte der Natur stark machen. So setzt sich die niederländische NGO «Embassy of the North Sea» dafür ein, der Nordsee im Rahmen von politischen Entscheidungen eine Stimme zu geben.
Selbstverständlich ist in jedem Fall eine menschliche Vertretung erforderlich, sei es durch Personen oder Personengruppen – wie in Ecuador oder Spanien – oder durch bestimmte Beauftragte, wie in Neuseeland. Dort fungieren Vertreter der neuseeländischen Regierung und der indigenen Bevölkerung als Repräsentanten zweier Ökosysteme, nämlich des Flusses Whanganui und des indigenen Schutzgebiets Te Urewera. Insgesamt gestalten sich die Ansätze für die Rechte der Natur sehr vielfältig, sei es in Bezug auf das geschützte Subjekt, auf die Vertretungsmöglichkeit oder auf die rechtliche Ausgestaltung – also die Anerkennung in der Verfassung oder durch Parlamentsgesetze, lokale Satzungen und Urteile.
Eine staatenübergreifende Lösung?
Auch im internationalen Recht gibt es seit Kurzem vermehrt Ansätze, die den «intrinsischen Wert der Natur», also den nutzungsunabhängigen Wert der Natur, in den Vordergrund stellen – beispielsweise das 2022 beschlossene «Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework», ein internationales Abkommen, welches der strategischen Umsetzung der Biodiversitätskonvention und ihrer Protokolle dient und ambitionierte Ziele für den Schutz und die Renaturierung von Ökosystemen aufstellt. Das Abkommen betont, dass die Rechte der Natur ein «wesentlicher Teil» seiner erfolgreichen Umsetzung sind, und legt Wert auf die Wahrung indigener Rechte.
Mit dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität befasst sich das UN-Abkommen zum Schutz der Biodiversität auf der Hohen See, das im September 2023 verabschiedet wurde. Wesentliche Aspekte sind die Einrichtung von Meeresschutzgebieten und verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen. Das Abkommen wurde weit überwiegend als großer Erfolg gefeiert. Kritiker befürchten Schlupflöcher, beispielsweise durch die Möglichkeit, dass Staaten Entscheidungen zu Meeresschutzgebieten widersprechen.
Andere Vorschläge streben einen noch umfassenderen internationalen Natur- und Umweltschutz an: Das Konzept der «planetaren Gemeinschaftsgüter», vorgebracht von Vertretern verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, zielt auf das gemeinsame Management aller «kritischen biophysikalischen erdregulierenden Systeme und ihrer Funktionen» ab, basierend auf universellen Normen. Es erweitert das Prinzip der «globalen Gemeinschaftsgüter», welches bisher nur Entitäten wie die Hochsee umfasst, die sich ohnehin außerhalb nationaler Staatsgebiete befinden. Im Umkehrschluss hätte dies zur Folge, dass der Schutz existenzieller Ökosysteme künftig nicht mehr allein im Verantwortungsbereich der Anrainerstaaten liegen würde.
Über Menschenrechte zum Umweltschutz
Auch der internationale Menschenrechtsschutz hat sich verstärkt umweltspezifischen Belangen zugewandt. So hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2021 und deren Generalversammlung 2022 das Recht auf eine gesunde Umwelt als Menschenrecht anerkannt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im April 2024 endlich die langersehnten ersten Urteile zu sogenannten Klimaklagen erlassen. In dem Urteil zur Klage des Vereins «KlimaSeniorinnen Schweiz» erkannte das Gericht an, dass die Schweiz ihren menschenrechtlichen Pflichten in Sachen Klimaschutz nicht nachgekommen sei. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte am 24. März 2021 in einem aufsehenerregenden Beschluss das deutsche Klimaschutzgesetz wegen Grundrechtsverstößen für nicht ausreichend befunden. In beiden Fällen bezieht sich der Schutz natürlich primär auf menschliche Interessen. Es mangelt insgesamt nicht an Ansätzen, die den Umweltschutz national und international stärken könnten. In Ecuador und anderen lateinamerikanischen Staaten haben Gerichte zuletzt wichtige Entscheidungen zugunsten der Natur getroffen und sich dabei auf deren Eigenrechte berufen. Um die neuen und häufig sehr offen formulierten Rechtsvorschriften herum bestehen aber teilweise noch Unklarheiten. Weitgehend theoretischer Natur sind hingegen internationale Ansätze wie das Konzept der planetaren Gemeinschaftsgüter. Die größte Herausforderung liegt darin, die verschiedenen Staatsinteressen in Ausgleich zu bringen und internationalen Konsens zu erzielen. Trotz aller Hindernisse bieten die neuen umweltrechtlichen Ansätze jedoch hoffnungsvolle Perspektiven für eine nachhaltigere Zukunft.
Bild oben: Der neuseeländische Fluss Whanganui. / Foto: Rob Arnold / Alamy Stock
Helen Arling
Helen Arling ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Öffentliches Recht an der Universität Trier, mit Schwerpunkten auf Völker- und Europarecht. Im Rahmen ihres Promotionsvorhabens beschäftigt sie sich mit der Theorie und Umsetzung von Rechten der Natur im Völkerrecht.
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