Die gute Kohle
Ein Bericht von Sebastian Drescher
Pflanzenkohle könnte langfristig CO₂ im Boden binden – mit positiven Effekten für die Landwirtschaft. Zertifikate sollen dabei für den Durchbruch sorgen.
Philipp Wedekind kniet neben den Rebstock und greift beherzt in den weichen Boden. Mit beiden Händen führt er die Erde zur Nase. «Riecht nach Waldboden, angenehm frisch», sagt er zufrieden. Der holzige Geruch stammt von dem Holzhäcksel, den Wedekind als dicke Mulchschicht um die Reben herum aufgetragen hat. Darunter kommt braune Erde zum Vorschein, die von schwarzen Bröckchen durchsetzt ist. Zerdrückt man sie zwischen den Fingern, bleiben kleine Krümel zurück. «Das ist die Kohle, die wir dieses Jahr hier eingebracht haben», sagt Wedekind.
Der 39-Jährige ist Winzer in Nierstein, einer Kleinstadt im Herzen der Weinbauregion Rheinhessen. In den vergangenen 15 Jahren hat er hier praktisch aus dem Nichts ein Weingut aufgebaut. Heute wachsen auf seinen rund zehn Hektar Riesling, Grauburgunder und moderne Rebsorten wie Cabernet Jura oder Cabernet Blanc, die resistent gegen Pilze sind. Wedekind ist es gewohnt, neue Wege zu gehen. Deshalb auch die Sache mit der Kohle.
Von traditioneller Köhlerei zu modernen Pyrolyseanlagen
Genau genommen handelt es sich dabei um Pflanzenkohle, auch Biokohle genannt. Sie wird nach einem uralten Prinzip hergestellt, nachdem Köhler schon vor Jahrhunderten Holz ohne Luftzufuhr unter einer Erdschicht verschwelen ließen. Die Verkohlung unter Sauerstoffabschluss nennt sich Pyrolyse und erfolgt heute in modernen Industrieanlagen, die neben Holzresten auch andere organische Stoffe wie Ernterückstände oder Grünschnitt verarbeiten können.
Die Kohle, die in diesen Anlagen produziert wird, ist anders als die klassische Holzkohle nicht zur Verbrennung gedacht. Manche Landwirte bringen Pflanzenkohle in ihre Felder ein, andere verwenden sie als Futterzusatz für die Milchkühe. Und in Zukunft könnte sie sogar Baustoffen wie Beton beigemischt werden.
Mit Pflanzenkohle langfristig Kohlenstoff binden
Zugleich gilt die Pflanzenkohle als einer der Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Sie speichert einen Teil des Kohlenstoffs, den die Pflanzen mithilfe der Photosynthese aus der Luft gesaugt haben – und der im natürlichen Kreislauf wieder freigesetzt wird, wenn tote Biomasse verbrennt oder verrottet. Bringt man die Pflanzenkohle im Boden ein, kann der Kohlenstoff nicht mehr als CO2 in die Atmosphäre gelangen, sondern hat nun den umgekehrten Weg genommen. So entsteht, was Klimawissenschaftler als negative Emissionen oder als Kohlenstoffsenke bezeichnen.
Das «Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change» (MCC) in Berlin schätzt das Senken-Potenzial durch den Einsatz von Pflanzenkohle für das Jahr 2050 auf eine halbe bis zwei Milliarden Tonnen CO2 ein – und damit immerhin auf bis zu fünf Prozent der derzeitigen weltweiten Emissionen. Auch der Weltklimarat IPCC erwähnt das Klimaschutzpotenzial der Pflanzenkohle 2019 in seinem Sonderbericht zur Landnutzung und sieht mögliche positive Nebeneffekte für andere Ökosysteme.
Bessere Bodenqualität, weniger Verdunstung
Wie das im Kleinen funktionieren könnte, versucht der Winzer Wedekind auf seinem Weinberg herauszufinden. Er hat mehr als eine Tonne mit Nährstoffen und Mikroorganismen behandelte Pflanzenkohle gekauft und sie in die Erde eingebracht. Die Beigabe, so erhofft er sich, soll die Humusbildung im Boden ankurbeln, damit dieser mehr Wasser aufnehmen und speichern kann. Die Mulchschicht wiederum hat die Aufgabe, vor Verdunstung zu schützen. «Wir haben hier auf dem Weinberg keinen Zugang zum Grundwasser, deshalb sind wir auf Niederschläge angewiesen. Und die fallen immer unregelmäßiger», erklärt er. Die Auswirkungen des Klimawandels bekommen die Winzer in Rheinhessen schon heute zu spüren. Vor allem längere Trockenphasen machen ihnen sehr zu schaffen.
Ich hätte vor zehn Jahren nicht gedacht, dass sich der Klimawandel so heftig auswirkt.
Die Idee, verkohlte Biomasse im Boden einzusetzen, ist alles andere als neu. In Lateinamerika ließen indigene Völker in vorkolonialen Zeiten Holzkohle mit organischen Abfällen wie Ernte- und Essensresten und Exkrementen gären und brachten die Mischung dann im Boden ein. So entstand eine nährstoffreiche dunkle Erde, die im 20. Jahrhundert von Forschern wiederentdeckt wurde und als «Terra preta» (portugiesisch für «schwarze Erde») ihren Weg nach Europa fand.
Perfekte Heimstatt für Wasser, Nährstoffe und Mikroben
Wissenschaftler wie der Bodenbiogeochemiker Bruno Glaser von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben inzwischen in zahlreichen Untersuchungen gezeigt, welche Rolle die Pflanzenkohle dabei spielt. Sie alleine habe keinen Mehrwert für den Boden, sondern sei vielmehr ein potentes Trägermaterial für andere Stoffe.
Pflanzenkohle ist voller winziger Poren, ihre Struktur mit der riesigen, verzweigten Oberfläche ähnelt einem Schwamm. Aufgrund dieser Eigenschaften kann die Pflanzenkohle besonders gut Wasser und Nährstoffe aufnehmen, die länger im Boden gespeichert werden. Mikroorganismen siedeln gerne an ihr an und tragen zur Bildung von Humus bei, was wiederum das Pflanzenwachstum fördern kann. Eine Metastudie chinesischer und australischer Wissenschaftler von 2017 belegt zudem, dass mit Pflanzenkohle angereicherte Äcker weniger klimaschädliches Lachgas ausstoßen und bei Überdüngung weniger Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen wird.
Wer die Pflanzenkohle in den Boden einbringen will, sollte sie zunächst «aufladen», also etwa mit Biodünger oder Kompost vermischen. Fertige Pflanzenkohle-Substrate gibt es in Baumärkten und im Großhandel zu kaufen. Noch aber sind es Nischenprodukte. Ein Grund dafür ist der hohe Preis: Um einen Hektar Boden mit Pflanzenkohle aufzuwerten, fallen für Landwirte je nach Anwendung mehrere Tausend Euro an.
Erste Feldversuche in der Landwirtschaft
«Wir haben noch keine Blaupause für den wirtschaftlichen Einsatz von Kohle in der deutschen Landwirtschaft», sagt Nikolas Hagemann. Der Geoökologe ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor für die deutsche Niederlassung des «Ithaka Instituts», einem internationalen Netzwerk, das sich der Erforschung der Pflanzenkohle verschrieben hat. Gerade ist Hagemann unterwegs zu einem Feldversuch. «Wir untersuchen, wie sich Pflanzenkohle möglichst effizient und mechanisierbar beim Anbau von Salat einsetzen lässt», erzählt er am Telefon. Ein Verfahren, das Hagemann derzeit erprobt, ist die gezielte Wurzelzonenapplikation. Dabei wird aufgeladene Pflanzenkohle direkt in das Pflanzloch gegeben. Das soll die jungen Salatpflanzen stimulieren, mehr Wurzeln zu bilden, um so längere Trockenphasen zu überstehen.
Anders als etwa in tropischen Regionen sei die Landwirtschaft hierzulande so stark optimiert, dass sich die Erträge kaum steigern ließen, meint Hagemann. Aber die Pflanzenkohle könne dazu beitragen, die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen die Folgen von Trockenheit und Starkregen zu machen. Das passiere bereits bei der Pflege von Stadtbäumen. Stockholm oder Zürich setzten erfolgreich Substrate aus Pflanzenkohle, Kies und Kompost ein, um die stark verdichteten Böden aufzulockern und den Bäumen mehr Wasser zuzuführen. «Stadtbäume sind teuer in der Pflege, aber die beste Möglichkeit, Städte zu kühlen. Deshalb lohnt sich das in diesem Fall.»
Auch die Anwendung in der Tierfütterung, etwa von Milchkühen, verbreitet sich in der Praxis, meint Hagemann. Die Zugabe von Pflanzenkohle ins Futter stärke das Verdauungssystem und könne Erkrankungen vorbeugen. Der Kohlenstoff gehe dabei nicht verloren, sondern lande beispielsweise über den Mist letztendlich auch im Boden. «Wichtig ist, dass die Pflanzenkohle sauber ist.»
Um das zu gewährleisten, hat das Ithaka Institut Standards für die Produktion und den Handel mit Pflanzenkohle entwickelt, nach dem sich Hersteller zertifizieren lassen können. Im «European Biochar Certificate» (EBC) wird beschrieben, welche Schadstoffgrenzen bei der Produktion von Pflanzenkohle eingehalten werden müssen und welche Ausgangsstoffe infrage kommen. 2020 veröffentlichte das Institut zudem einen Standard, nach dem berechnet werden kann, wie viel Kohlenstoff durch Pflanzenkohle gebunden wird: das sogenannte C-Senken-Potenzial.
Wir müssen schon heute mit dem Aufbau von Kohlenstoffsenken beginnen.
Für den Investor und Berater Hansjörg Lerchenmüller aus Freiburg im Breisgau ist dieser Standard ein wichtiges Puzzleteil beim Ausbau der Pflanzenkohle-Industrie. Selbstverständlich gehe es immer darum, die Treibhausgasemissionen radikal zu reduzieren, betont er. Aber auch im Jahr 2050 werde es noch Emissionen geben, etwa aus der Industrie oder der Landwirtschaft. «Deshalb müssen wir schon heute mit dem Aufbau von Kohlenstoffsenken beginnen. Sonst können wir keine Klimaneutralität erreichen.»
Der 54-Jährige hat Erfahrung mit neuen Technologien, die beim Klimaschutz helfen und zugleich wirtschaftlich rentabel sind. Vor einigen Jahren entwickelte er als Geschäftsführer der Freiburger Solarfirma «Concentrix» neuartige Konzentratormodule zur Marktreife. Heute widmet er sich vor allem dem Thema Pflanzenkohle und investiert in Hersteller wie die «Carbuna AG». 2019 war er einer der Mitgründer des Branchenverbands «European Biochar Industry Consortium» (EBI). «Ich habe in den vergangenen Jahren noch keinen Bereich erlebt, der sich technisch so schnell weiterentwickelt», schwärmt er.
Langfristig stabile Kohlenstoffsenken
Lerchenmüller ist überzeugt, dass zu Erreichung ambitionierter Klimaziele kaum ein Weg an der Pflanzenkohle vorbeiführt. Sie sei stabiler als andere Senken – wie die Aufforstung von Wäldern oder der Humusaufbau, der stark von der Bewirtschaftung abhängig sei. So zeigten Untersuchungen, dass sich der Kohlenstoff in der Pflanzenkohle nur sehr langsam abbaut. «Wenn man Biomasse über 450 Grad Celsius pyrolysiert, hat die Kohle eine Halbwertszeit von rund 700 Jahren. Solange sie nicht verbrannt wird, bindet sie Kohlenstoff, egal wo und wie die Pflanzenkohle angewendet wird», sagt Lerchenmüller.
Die Frage, wo genau die Pflanzenkohle schließlich landet, ist allerdings nicht ganz unerheblich. Sie einfach aufzuschütten würde Flächen verbrauchen und wäre wegen der Brandgefahr schlicht zu gefährlich. Die Einlagerung in Bergwerken wird zwar diskutiert, wäre aber teuer und eine Verschwendung der Ressourcen. Im Boden dagegen ist die Pflanzenkohle sicher verstaut – und kann gleichzeitig der Landwirtschaft nutzen. Nur müssen Landwirte dazu bereit sein, sie auch anzuwenden und die Investitionskosten zu tragen.
Zertifikate – und Standards für die Herstellung
Um die Leistung zu vergüten, die Landwirte dabei für den Klimaschutz erbringen, hat Hansjörg Lerchenmüller im vergangenen Jahr die Gründung von «Carbonfuture» mit angeschoben. Die Plattform ermöglicht den Handel mit Senken-Zertifikaten. Dafür finanziert das Freiburger Unternehmen den Ankauf der Zertifikate für eine bestimmte Menge Pflanzenkohle vor und bietet Privatpersonen sowie Unternehmen die Möglichkeit, ihren CO2-Austoß zu kompensieren. Für einen Betrag von 100 Euro garantiert Carbonfuture, dass eine Tonne Kohlendioxid über mindestens 100 Jahre der Atmosphäre entzogen wird.
Grundlage für das System ist der Senken-Standard des EBC, nach dem die beteiligten Hersteller ihre Pflanzenkohle zertifizieren lassen müssen. Abhängig vom Energieverbrauch der Anlage, den Ausgangsstoffen und dem Kohlenstoffanteil der Pflanzenkohle wird für jede Charge ein bestimmtes Senken-Potenzial berechnet – je nach Anlage rund 2,5 Tonnen CO2 pro Tonne Pflanzenkohle. Über eine Software dokumentiert Carbonfuture, was mit den Schüttgutbehältern (Bigbags) passiert, in denen die Pflanzenkohle gehandelt wird. An den Bigbags sind Plomben mit QR-Codes angebracht, mithilfe derer Hersteller und Händler den Verkauf beziehungsweise Erhalt der Ware bestätigen. Emissionen, die während des Transports entstehen, werden abgezogen.
Am Schluss der Kette müssen die Endanwender vertraglich zusichern, dass sie die Pflanzenkohle nicht als Brennstoff benutzen. Erst wenn das erfolgt sei, werde das Senken-Zertifikat ausgestellt und das Geld von Carbonfuture an den Nutzer ausgezahlt, erklärt Lerchenmüller. Eine Kontrolle sei bislang nicht notwendig, weil die teure Pflanzenkohle ohnehin gezielt für den Einsatz in der Landwirtschaft gekauft werde.
Nicht viel mehr als eine Anschubfinanzierung
Diese Vergütung soll dafür sorgen, dass Pflanzenkohle für die Anwender etwas günstiger wird – und so insgesamt die Nachfrage steigt. Das sei allerdings nicht viel mehr als eine Anschubfinanzierung, meint Ron Richter. Der 36-jährige Niersteiner kennt das System aus der Praxis. Er berät Gemüsebauern und Winzer wie Philipp Wedekind dabei, wie sie Klimaschutz und Bodenverbesserung vereinen können – und verkauft dazu als «Klimafarmer» die passenden Produkte wie Biodünger und Pflanzenkohle-Substrate. Von den 100 Euro, die die Kompensation einer Tonne CO2 bei Carbonfuture kostet, erhalte der Anwender nach Abzug der Gebühren rund 70 Euro angerechnet, schätzt Richter. Auf die Tonne zertifizierter Pflanzenkohle umgerechnet mache das höchstens zehn Prozent des Kaufpreises aus. Für Landwirte, die die übrigen Kosten tragen, müsse sich der Einsatz der Kohle deshalb wirtschaftlich lohnen.
Schnell wachsender Markt für Senken-Zertifikate
Richter beobachtet, dass die Nutzung der Pflanzenkohle als Senke gut ankommt. «Es gibt immer mehr Hersteller oder größere Anwender, die die Zertifikate nicht handeln wollen, sondern für sich anrechnen lassen, um eigene unvermeidbare Emissionen auszugleichen.» Der Großteil der Pflanzenkohle, den er im vergangenen Jahr umgesetzt habe, sei bereits als Senke zertifiziert worden.
Neben Carbonfuture handeln inzwischen auch das Schweizer Unternehmen «First Climate» und der finnische Makler «Puro.earth» mit CO2-Senken auf Basis von Pflanzenkohle. Puro.earth wurde jüngst von der US-amerikanischen Börse Nasdaq aufgekauft und kompensiert für internationale Unternehmen wie Microsoft und den Schweizer Rückversicherer Swiss Re. Der Branchenverband EBI erwartet, dass in Europa bis Ende 2021 rund 40.000 Tonnen Pflanzenkohle produziert werden – und damit doppelt so viel wie im Vorjahr.
Woraus Pflanzenkohle besteht – und was erlaubt ist
In Deutschland ist nach Düngemittelrecht nur Biokohle aus unbehandeltem Holz mit einem Kohlenstoffgehalt von mindestens 80 Prozent zulässig. In der Praxis nutzen die meisten Hersteller deshalb Hackschnitzel oder Pellets aus der Forstwirtschaft. Zwar ist auch Holz aus Reben, Hecken- und Strauchschnitt erlaubt, die Aufarbeitung für die Pyrolyse ist jedoch wesentlich aufwendiger und teurer.
Einige Anlagen können noch weitere Ausgangsstoffe verarbeiten, wenn diese ausreichend getrocknet und zerkleinert sind. Dazu gehören Ernterückstände wie Stroh, Kraut, Blätter, Spelzen sowie Grünschnitt oder Energiepflanzen wie Mais und Raps. Allerdings lässt sich bei krautiger Biomasse mit geringerem Holzanteil meist nicht der in Deutschland vorgeschriebene Kohlenstoffanteil erreichen.
Branchenvertreter hoffen deshalb auf eine neue Regelung, die Pflanzenkohle mit einem geringeren Kohlenstoffanteil zulässt, solange die Grenzwerte für Schadstoffe eingehalten werden. In Österreich ist das auf Basis von Einzelzulassungen bereits möglich. Deutsche Produzenten, die beispielsweise Pressrückstände aus der Kräuterherstellung verkohlen, lassen ihr Produkt deshalb in Österreich zertifizieren. Für eine einheitliche Regelung könnte die neue EU-Düngemittelverordnung sorgen, die erstmals Pflanzenkohle als Düngerzusatzstoff erwähnt und die im kommenden Jahr verabschiedet werden soll.
International ist noch viel zu tun
Aber um wirklich klimarelevant zu werden, muss sich die Branche weiter ausbauen – und das weltweit. In tropischen Regionen wachsen Pflanzen um einiges schneller und produzieren so pro Hektar deutlich mehr Biomasse als in gemäßigten Breitengraden. Erste Projekte gibt es in Ländern wie Ecuador oder Thailand. In Kenia und Nigeria versucht die deutsche Klimaschutzinitiative «Char2Cool», die Verkohlung von Wasserhyazinthen zu fördern, die dort als invasive Art Wasserufer überwuchern. Wie viel CO2 dabei konkret gebunden wird, ist schwer nachzuvollziehen, auch weil für die Herstellung meist einfache Öfen verwendet werden. Das Ithaka Institut arbeitet bereits an einem vereinfachten Standard, nach dem die Senkenleistung solcher Projekte vergütet werden soll.
Je mehr Geld im Spiel ist, desto größer ist die Gefahr von Missbrauch.
Die zunehmende Verbreitung der Pflanzenkohle stößt längst nicht überall auf Begeisterung. So befürchten manche Umweltschützer in Deutschland eine zusätzliche Belastung der ohnehin gestressten Böden. «Wenn die Pyrolyse nicht sauber durchgeführt wird, haben wir die Schadstoffe in der Erde. Je mehr Geld im Spiel ist, desto größer ist die Gefahr von Missbrauch», warnt Andreas Faensen-Thiebes, Biologe und Vorstandsmitglied des BUND. «Man kann Regeln festlegen. Aber wir haben in der Vergangenheit immer wieder erlebt, wie diese umgangen werden. Zum Beispiel im Fall der belasteten Abfälle aus der Papierproduktion, die in Süddeutschland als vermeintlicher Dünger auf den Äckern gelandet sind.»
Skeptisch ist Faensen-Thiebes zudem, was den wachsenden Bedarf an Biomasse angeht – und damit die mögliche Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen. «Man sieht, welche Probleme es bei der klassischen Holzkohle gibt, für die sogar Urwälder gerodet werden.» Im schlimmsten Fall, glaubt er, könnte die Verkohlung im Namen des Klimaschutzes sogar die Umwelt zerstören. «In den 1980er-Jahren hat man sich darüber gefreut, dass Traktoren mit Rapsöl fahren. Aber heute werden in Indonesien oder Malaysia Wälder abgeholzt, um Palmöl anzubauen, das hier dem Diesel beigemischt wird.»
Statt Holz zu importieren, müssen wir neue Quellen vor Ort erschließen.
Nikolas Hagemann vom Ithaka Institut hält solche Befürchtungen für übertrieben. Er verweist auf die Vorgabe des EBC, nach der nur Pflanzenkohle aus nachhaltig angebauten Rohstoffen in der Landwirtschaft eingesetzt werden darf. «Noch ist genug Biomasse vorhanden, die anderswo keine Verwendung findet», sagt er. Trotzdem müsse man sich langfristig Gedanken über eine «Biomasse-Strategie» machen, spätestens dann, wenn die bislang noch sehr teuren Pyrolyseanlagen durch Serienproduktion günstiger werden. «Statt Holz zu importieren, müssen wir neue Quellen vor Ort erschließen», sagt Hagemann. Etwa durch mehr Agroforstwirtschaft oder landwirtschaftliche Zwischenfrüchte wie Nutzhanf. Auch Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie, der kommunale Grünschnitt von Langgras und Laub aus öffentlichen Parks könnte ohne Weiteres pyrolysiert werden.
Einsatzmöglichkeiten jenseits der Agrarwirtschaft
Selbst Kohle aus belasteten Ausgangsstoffen wie Straßenbegleitgrün, behandeltem Altholz oder Klärschlamm könnte in Zukunft Anwendung finden – allerdings weit abseits der Landwirtschaft. So gibt es in Österreich und Südafrika erste Versuche, Pflanzenkohle in Asphalt beizumischen. Andere Wissenschaftler untersuchen, inwiefern Pflanzenkohle Sand im Beton ersetzen kann. Noch sind all das Experimente – jedoch mit immensem Potenzial, wie Albert Bates und Kathleen Draper in ihrem jüngst auf Deutsch erschienenem Buch «Cool down» vorrechnen. Allein durch die Nutzung von Pflanzenkohle als Betonzusatz könnten jedes Jahr theoretisch 15 Gigatonnen CO2 gebunden werden. Und auch als Dämmmaterial zur Kühlung ließe sich Pflanzenkohle einsetzen.
Bates, ein Vordenker der Ökodorfbewegung, und die Pflanzenkohle-Forscherin Draper plädieren angesichts so vielfältiger Anwendungsmöglichkeiten dafür, eine «Kohlenstoffwende» einzuleiten. Dafür sollten wir ihrer Meinung nach unser Verhältnis zu Kohlenstoff überdenken und begreifen, dass er nicht nur als Treiber der Klimakrise wirkt, sondern – in anderer Form – auch als Verbündeter auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Lebensweise dienen kann.
Auf den Weinbergen in Nierstein vollzieht sich diese Wende in winzig kleinen Schritten. Um zu testen, wie sich die Pflanzenkohle auswirkt, hat der Weinbauer Philipp Wedekind das Substrat nur in jeder zweiten Rebenreihe ausgebracht. «Als Praktiker muss ich das Ergebnis sehen», sagt er. Bis er das Resultat kennt, kann es noch einige Jahre dauern. Gut möglich, dass er dann öfter Pflanzenkohle in den Boden einbringt – und sie irgendwann vielleicht sogar selbst herstellt, zum Beispiel aus dem Holz alter Rebstöcke. «So wäre das mit der Pflanzenkohle eine runde Sache», findet er.
Titelfoto (Winzer Marc Wittmann): Bert Bostelmann
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