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Das stille Wirken der Moose

Ein Bericht von Gunther Willinger

Trotz ihrer Unscheinbarkeit sind Moose die Pioniere unter den Landpflanzen – und auch im Hinblick auf ihre Klimawirkung eine oft unterschätzte Größe.

Nur selten wählen Wissenschaftler, wenn sie einen Artikel veröffentlichen, Begriffe wie «beispiellos» oder «völlig neu». 2014 war es wieder einmal so weit: Britische Polarforscher bargen Moosreste, die über 1.500 Jahre bei Minusgraden im antarktischen Permafrost gelagert hatten. Doch ins Labor gebracht und mit Wasser versorgt wuchs das Moos «Chorisodontium aciphyllum» vor den Augen der staunenden Biologen einfach weiter.

Moose waren die ersten Landpflanzen überhaupt. Und nur, weil sie die erstaunliche Fähigkeit besitzen, Wasser und Nährstoffe direkt aus der Luft zu beziehen, konnten sie vor 400 Millionen Jahren das Land erobern, denn schließlich gab es damals noch keinen Mutterboden. Auch heute sind sie – zusammen mit den Flechten – als Erste zur Stelle, wenn irgendwo neuer Lebensraum entsteht, etwa auf Kahlflächen nach einem Erdrutsch oder am Rand abschmelzender Gletscher. Am Waldboden kommen Moose mit wenig Licht aus und manche Arten verfallen monatelang in eine Trockenstarre oder überleben eben jahrhundertelang im Eis.

Moose sind Überlebenskünstler und Meister der Genügsamkeit.

Michael Sauer, Biologe und Moosexperte, Pliezhausen
Der Biologe und Moosexperte Michael Sauer Foto: Gunther Willinger

Ihre Zähigkeit hat die Moose sehr erfolgreich gemacht. So erfolgreich, dass sie heute ein unersetzlicher Bestandteil vieler Ökosysteme sind und dabei große Mengen Kohlenstoff speichern. Bekanntestes Beispiel sind die Moore, deren Böden hauptsächlich aus abgestorbenen Torfmoosen bestehen, die sich im Laufe der Jahrtausende dort angesammelt haben.

Der Grund für die weite Verbreitung und die Überlebensfähigkeit der Moose liegt zunächst einmal in ihrem faszinierend einfachen Aufbau. Sie haben keine Wurzeln, keine Blüten und bilden kein Holz. Dennoch können sie praktisch überall überleben: in der arktischen Tundra, in tropischen Bergregenwäldern und selbst in trockenen Wüsten. Nur in marinen Lebensräumen findet man sie nicht, weil ihr Stoffwechsel nicht mit dem hohen Salzgehalt umgehen kann. Wie erfolgreich Moose sind, zeigt sich auch an ihrer Vielfalt. Weltweit kennt die Wissenschaft rund 20.000 Moosarten – in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind es zusammengenommen 1.250 Arten. Wahrscheinlich gibt es aber noch weitaus mehr, denn ständig werden neue Arten beschrieben.

Moose als Wasserspeicher – und Lebensraum

Wenn Moose Wasser und Nährstoffe aus der Luft aufnehmen, nutzen sie dazu ihre gesamte Oberfläche. Regen- und Tautropfen halten sie zwischen kleinen, wie auf einer Perlenkette aufgereihten Blättchen fest und saugen sie über die Blattoberfläche wie ein Schwamm ins Innere. Die engstehenden Blätter und die Ausbildung dichter Polster optimieren das Festhalten der Feuchtigkeit. Durch ihre einzigartige Fähigkeit, komplett austrocknen und dann schnell wieder viel Wasser aufnehmen zu können, gelingt es Moosen, Wetterextremen wie Starkregen und Hitzewellen nicht nur bestens zu widerstehen, sondern sie tragen auch dazu bei, deren Folgen abzumildern. Denn dicke Moospolster sind mächtige Pufferspeicher, die das aufgenommene Wasser nur langsam wieder abgeben und dabei ein feuchtes und kühles Mikroklima schaffen, von dem viele andere Arten profitieren.

Eine Illustration stellt die Arten der Moose und ihr grundsätzlich unterschiedliches Aussehen dar.
Vielfalt der Moose: Moose existieren seit rund 460 Millionen Jahren und zählen damit zu den ältesten Landpflanzen überhaupt. Weltweit gibt es etwa 20.000 verschiedene Arten. Die Botanik teilt die Moose in drei Hauptgruppen ein. Illustration: Jana Evers
Eine Illustration stellt stellt das Aussehen und Aufbau eines Lebermooses dar.
Aufbau der Moose: Ein typisches Laubmoos besteht aus einem dünnen «Stamm» mit Blättchen und Rhizoiden für einen festen Halt. Zur Verbreitung bildet die Pflanze einen Stiel aus, an dessen Ende eine Sporenkapsel sitzt. Illustration: Jana Evers
Eine Illustration stellt die Fortpflanzung der Moose dar.
Fortpflanzung: Moose vermehren sich vegetativ und sexuell. Bei der sexuellen Fortpflanzung wächst aus der befruchteten Eizelle der Sporenträger. Sind die Sporen reif, platzt die Kapsel und die feinen Sporen können sich mit dem Wind ausbreiten. Illustration: Jana Evers
Die Illustration stellt exemplarische Tierarten dar, die in Moosen leben.
Lebensraum: Zwischen den Blättern und Stämmchen der Moose leben zahlreiche Tierarten, von «Riesen» wie Schnecken, Hundertfüßern und Spinnen bis hin zu Winzlingen wie Springschwänzen oder Bärtierchen. Illustration: Jana Evers
Die Illustration stellt Moospflanzen und ihre Aufnahmefähigkeit und Speicherfähigkeit von  Wasser H2O dar.
Wasserspeicher: Moospolster bestehen aus unzähligen dicht wachsenden Einzelpflänzchen. Die Blättchen dieser «Mooswälder» speichern große Mengen Wasser. Moose sind Erosionsschutz bei Starkregen und kühlen durch die Wasserverdunstung die Umgebung. Illustration: Jana Evers
Die Illustration stellt die Fotosynthese der Moospflanzen sowie die Speicherfähigkeit von  Kohlenstoff und Stickstoff dar.
Kohlenstoffspeicher und Schadstofffilter: Moose binden bei der Fotosynthese Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Sie können aber auch Rußpartikel, Staub, Stickstoffverbindungen und andere Stoffe aus der Luft filtern. Illustration: Jana Evers

Das Wüstenmoos «Syntrichia caninervis» kann notfalls sogar ganz auf Regen verzichten: Es entzieht die benötigte Feuchtigkeit dem Morgentau. Diese Fähigkeit macht es zu einem der häufigsten Wüstenmoose des Planeten. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von der Mojave-Wüste Nordamerikas über Teile Europas bis zur Gurbantünggüt-Wüste in China. Ein Forschungsteam um Zhao Pan von der Brigham Young University in Utah in den USA hat 2016 herausgefunden, dass es vor allem zwei Anpassungen sind, die für die optimierte Wassergewinnung sorgen. Zum einen enden die Moosblättchen in langen, transparenten «Glashaaren», an denen sich die Tautröpfchen niederschlagen. Zum anderen besitzen diese Blattverlängerungen und die Blätter eine raue Oberfläche mit spezieller Nanostruktur zur Oberflächenvergrößerung, was auch die Fantasie der Wissenschaftler anregt: Sollte es gelingen, einen derartigen strukturellen Aufbau nachzuformen, könnte dies etliche industrielle Prozesse revolutionieren, bei denen der Umgebung Feuchtigkeit entzogen werden muss.

Moose haben lange vor uns das Frotteehandtuch erfunden.

Michael Sauer, Biologe und Moosexperte, Pliezhausen

Ähnliche Glashaare wie beim Wüstenmoos finden sich bei vielen Felsmoosen, etwa beim Polster-Kissenmoos, das hierzulande weitverbreitet ist und «weißhaarige» Polster auf Felsen, Mauern und Dächern bildet – ebenfalls Standorte, wo immer wieder extreme Trockenheit und hohe Sonneneinstrahlung herrschen. Und auch die Blattoberfläche der Felsenmoose weist eine besondere Struktur auf: «Unter dem Mikroskop erinnern diese Aufwölbungen an die gewebten Schlingen eines Frotteehandtuchs», sagt Biologe und Moosexperte Michael Sauer.

Damit sie nicht fortgeweht oder weggespült werden, halten sich Moose mit feinen Zellfäden, den Rhizoiden, am Untergrund fest. Das gelingt ihnen auf nacktem Fels, Ziegeln, Rinde, morschem Holz oder auf dem Boden. So können Moose an Orten leben, an denen sich keine anderen Pflanzen halten. Dabei schädigen sie weder Dächer noch Bäume, im Gegenteil: Wenn sich Moospolster wie ein Mantel um einen Baumstamm legen, schützen sie ihn vor starken Temperaturschwankungen und hindern schädliche Pilzsporen daran, sich anzusiedeln.

Im Wald liegende umgestürzte Bäume sind mit Moosen überwachsen.
Holz zu Humus: Moose wachsen gerne auf abgestorbenem Holz am Waldboden. Dadurch bleibt das Holz feucht und seine Zersetzung wird beschleunigt. Foto: Gunther Willinger
Miskroskopische Aufnahme eines Moosblattes, in das ein Wassertropfen eindringt.
Direkter Austausch: Moosblättchen bestehen oft aus nur einer Zellschicht und beziehen Wasser und Nährstoffe unmittelbar aus der Luft. Foto: Zihao Wang / iNaturalist

Die drei Hauptgruppen der Moose

Die ältesten Fossilien von Pflanzen, die als Urahnen der Moose gelten, wurden in 460 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten im Oman gefunden. Aktuelle Studien legen nahe, dass sowohl die Moose als auch die Gefäßpflanzen (wie Farne und Blütenpflanzen) aus einem relativ komplex gebauten, gemeinsamen Vorfahren hervorgegangen sind. «Während sich die Gefäßpflanzen seither in alle möglichen Formen weiterentwickelten, haben die Moose ihre Komplexität eher wieder reduziert», erläutert Moosforscher Thomas Kiebacher, Biologe und Nachwuchsgruppenleiter für Diversitätswandel und die Evolution der Moose am Naturkundemuseum in Stuttgart.

Moose lassen sich in drei Hauptgruppen unterteilen: Horn-, Leber- und Laubmoose. Hornmoose sind die kleinste Gruppe, mit nur sechs Arten in Deutschland und 215 Arten weltweit. Sie besitzen keine Blättchen, sondern ähneln einem grünen Belag, der auch «Thallus» genannt wird. Heimische Hornmoose wie das Acker-Hornmoos oder das Kugel-Hornmoos wachsen im Herbst auf ungepflügten Stoppelfeldern. Sie sind aber selten geworden, weil sie es nicht vertragen, wenn die Felder vor Mitte November umgebrochen werden.

Von der zweiten Gruppe, den Lebermoosen, gibt es weltweit 7.300 Arten. Ihren Namen verdanken sie den Arten unter ihnen, die nicht aus Stämmchen und Blättchen aufgebaut sind, sondern die Gestalt gabelig verzweigter Lappen in leberartigen Formen haben. Im Mittelalter glaubte man deswegen auch, Lebermoose müssten gut für die Leber sein. Laubmoose schließlich bilden mit 12.500 Vertretern die artenreichste Moosgruppe. Sie sind die typischen in Stängel und Blättchen gegliederten Moose. Auch die moorbildenden Torfmoose gehören in diese letzte Gruppe – ihre Triebe sehen aus wie kleine Bäumchen.

Moosriffe und Miniwälder

Die US-amerikanische Pflanzenökologin und Autorin Robin Wall Kimmerer Foto: MacArthur Foundation

Ein Moospolster auf totem, verrottendem Holz beschleunigt den Kreislauf des Lebens, weil es alles feucht hält und so die Arbeit der das Holz zersetzenden Organismen erleichtert. Samen, die das Glück haben, auf Moos zu fallen, finden dort ein perfektes Keimbett vor, reich an Feuchtigkeit und Nährstoffen. Tausende wirbellose Tierarten – von Schnecken, Asseln und Spinnen bis zu Winzlingen wie Springschwänzen und Bärtierchen – leben in den grünen Miniaturwäldern. Die US-amerikanische Pflanzenökologin und Autorin Robin Wall Kimmerer nennt Moospolster deswegen auch die «Korallenriffe des Pflanzenreichs», denn ähnlich wie riffbildende Korallen schaffen auch Moose einen reich strukturierten Lebensraum für zahllose Tierarten. Der Miniaturwald aus weichen Stängeln und filigranen Blättchen filtert zudem Partikel aus der Luft und trägt damit zur Bodenbildung bei. Diese Fähigkeit der Moose hat vor rund 400 Millionen Jahren buchstäblich den Boden für Höhere Pflanzen wie Farne und Blütenpflanzen bereitet.

Der typische Geruch nach Wald

Wir alle kennen den würzig-intensiven Geruch des Waldes. Auch die Moose haben hieran ihren Anteil. Dabei besitzt jeder Wald sein eigenes Aroma, das sich aus unzähligen Duftnoten zusammensetzt, wie ein komplexes Parfüm. Pilze, Nadeln, Harze und Blüten sind daran beteiligt, aber Lebermoose spielen eine olfaktorische Hauptrolle. Das Zweizähnige Kammkelchmoos bildet locker verzweigte Matten auf Rinden, morschem Holz oder kahlen Bodenstellen und verströmt einen intensiven Duft nach Waldboden. «Lebermoose haben oft einen ganz charakteristischen Geruch», erklärt Michael Sauer. Die duftenden sekundären Inhaltsstoffe der Lebermoose dienen der Abwehr von Bakterien oder Pilzen, sind aber auch von wirtschaftlichem Interesse. Einige Institute arbeiten daran, sie pharmazeutisch oder im Pflanzenschutz zu nutzen. So stammt das Herbizid «Radulanin A» aus Kratzmoosen. Es wurde kürzlich von französischen Forschern synthetisiert und zum Patent angemeldet.

Nahaufnahme eines hellgrünen Mooses, mit einer noppenartigen Struktur und trichterförmigen Brutbechern.
Das Brunnenlebermoos bildet Brutbecher. In diesen «Kratern» befinden sich kleine Brut­körper, die durch Regentropfen herausgeschleudert werden und aus denen dann neue Moospflanzen wachsen können. Foto: JC Schou / biopix.dk

Auch Ralf Reski, Moosforscher und Biotechnologe an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, ist an den chemischen Fähigkeiten der Moose interessiert. Er hat einen Weg gefunden, Laubmoose im Labor zu kultivieren und zur Produktion von Proteinen einzusetzen – beispielsweise Anti-Aging-Proteine für die Kosmetikindustrie oder Glykoproteine, die bei der Behandlung von Lungen-, Herz- und Nierenentzündungen zum Einsatz kommen sollen.

Windeln, Sohlen, Wundverbände

Die Nutzung von Moosen durch den Menschen ist keineswegs neu. So wurde in der Nähe des Zugersees in der Schweiz eine 5.000 Jahre alte Einlegesohle aus Neckermoos gefunden, einer Laubmoosart. Und auch der im Gletschereis konservierte «Ötzi» hatte zur selben Zeit verschiedene Moosarten genutzt, beispielsweise um Nahrung zu transportieren oder Wunden zu verbinden. Wegen ihrer feuchtigkeitsbindenden und antibakteriellen Wirkung eignen sich trockene Torfmoose besonders gut als Verbandsmaterial und wurden auch noch später, von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg, zur Wundversorgung eingesetzt. Bei den indigenen Völkern Nordamerikas wurden Moospolster gar als Babywindel verwendet – antibakteriell und voll kompostierbar! Auch die isolierende Eigenschaft von getrocknetem Moos machten sich die nordamerikanischen indigenen Völker zunutze: Sie bauten doppelwändige Winter-Wigwams, deren Zwischenräume sie mit Moos füllten.

Moosgesellschaften reagieren viel schneller auf Klimaveränderungen als Gefäßpflanzen.

Dr. Thomas Kiebacher, Biologe am Naturkundemuseum in Stuttgart
Der Biologe Thomas Kiebacher – hier erforscht er Moose und Flechten an einem Bergahorn. Foto: Julia Ecker

Thomas Kiebacher erforscht mit seinem Team die Vielfalt der Moose und deren Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen. Die Spalthütchenmoose etwa besiedeln Mauern oder nackten Fels im Gebirge und breiten sich auf Flächen aus, die von abschmelzenden Gletschern freigegeben wurden. Einige Arten sind auf die Hochlagen der Alpen spezialisiert. Der Biologe macht sich Sorgen, dass diese durch die Klimaerwärmung verschwinden könnten. «Die alpinen Arten haben nicht die Möglichkeit, unbegrenzt nach oben auszuweichen, irgendwann geht es nicht mehr weiter», sagt Kiebacher.

Seine Studien zeigen, dass sich Moosgesellschaften viel schneller verändern als die anderer Pflanzen – vermutlich weil Moose sich mit ihren winzigen Sporen leicht über weite Distanzen verbreiten können und in direktem Austausch mit der Atmosphäre stehen. Dabei nehmen sie neben Wasser und Nährstoffen auch Schadstoffe aus der Luft auf und sind wichtige Indikatoren für intakte Ökosysteme. Das Hängemoos etwa lebt auf der Borke von alten Eichen oder Ahornen. Früher war es in Deutschland weitverbreitet – im Mittelalter verwendete man es sogar zum Stopfen von Matratzen und Abdichten von Mauerritzen. Doch durch die im Zuge der Industrialisierung einsetzende Luftverschmutzung und den Verlust alter Laubwälder ist dieses Moos im Laufe des 20. Jahrhunderts fast völlig verschwunden. Inzwischen hat es sich im Gebirge wieder etwas erholt, bleibt im Tiefland aber sehr selten.

Weil Moose Metalle, Stickstoffverbindungen und andere Stoffe aus der Luft ungefiltert aufnehmen und speichern, eignen sie sich als Bioindikatoren und werden zum Beispiel im deutschen «Moosmonitoring» vom Umweltbundesamt zur langfristigen Beobachtung von Luftschadstoffen eingesetzt.

Moose als Ingenieure der Moore

Der Rückgang vieler Moosarten sollte uns zu denken geben, schließlich spielen Moose eine bedeutende Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Dabei sind die Torfmoose besonders relevant: Sie gelten als die wohl bedeutendsten Ökosystem-Ingenieure unter den Moosen. Die weltweit 95 Arten leben in Gebieten mit reichlich Niederschlag und wenig Verdunstung. 

Weil immer nur die oberste Moosschicht wächst und die Moose an der Basis absterben, bilden Hochmoor-Torfmoose im Laufe der Jahrtausende meterdicke Schichten. Im Unterschied zu Wäldern, wo auch die mächtigsten Bäume irgendwann absterben und der darin gespeicherte Kohlenstoff bei der Zersetzung wieder freigesetzt wird, bleibt der Kohlenstoff im nassen, anaeroben Torfboden dauerhaft gespeichert – zumindest solange der Mensch die Moore nicht trockenlegt. In Deutschland aber geschah genau das mit 90 Prozent der 1,8 Millionen Hektar Moorböden. Abertausende Kilometer Entwässerungsgräben haben die Moore in Forst-, Weide- und Ackerland verwandelt. Wenn das Wasser schwindet und der Torf mit Luft in Berührung kommt, verbindet sich der gespeicherte Kohlenstoff mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und entweicht in die Atmosphäre. Rund sieben Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands stammen aus entwässerten Mooren. Seit man das Problem erkannt hat, wurde ein kleiner Teil von etwa vier Prozent der Moorböden renaturiert, aber um die Klimaziele einzuhalten, müssen Wiedervernässungen deutlich großflächiger und schneller umgesetzt werden.

Nahaufnahme einer Torfmoosfläche, aus der ein kleiner Pilz herauswächst.
Torfmoose sind extrem anpassungsfähig und können praktisch unbegrenzt wachsen. Während sich die Pflanze nach oben hin entwickelt, stirbt die Basis unter Luftabschluss ab. Aus dem sich unvollständig zersetzenden Gewebe entsteht Torf. Foto: Gunther Willinger
WeitläufigeMoorlandschaft, durchzogen von Kanälen.
Durch Torfgewinnung geschädigtes und wiedervernässtes Hochmoor im Lahemaa-Nationalpark in Estland. Weltweit speichern Moorböden 550 Gigatonnen Kohlenstoff – solange sie nass bleiben. Zum Vergleich: Wälder speichern rund 860 Gigatonnen. Foto: Gunther Willinger
Ein Moosgewächs in einer Petrischale
Gemeinsam mit Forschenden der Universität Greifswald hat ein Team um den Freiburger Biotechnologen Ralf Reski die weltweit größte Laborsammlung an Moosarten der Gattung Sphagnum aufgebaut. Foto: Melanie Heck / Universität Freiburg
Luftbild einer Torfmooskultur. Die Felder sind unterschiedlich grün und von verschiedener Breite, der Boden sehr dunkel.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Greifswald werden Torfmoose in Paludikultur als Torfersatz angebaut. Diese Form der nassen Landwirtschaft soll Ertrag bringen und den Kohlenstoff im Boden halten. 
 Foto: Tobias Dahms / Universität Greifswald

Sind die Städte der Zukunft moosgrün?

Auch bei der Entwicklung «grüner Städte» können Moose eine wichtige Rolle spielen, etwa durch Dachbegrünungen oder Mooswände. Moose filtern Feinstaub und Stickoxide aus der Luft, sorgen lokal für Kühlung und besitzen keine Wurzeln, die das Bauwerk schädigen könnten. In Stuttgart hat man vor einigen Jahren bei der Einrichtung einer hundert Meter langen Mooswand an einer Hauptverkehrsader erfahren müssen, dass es nicht so einfach ist, Moose künstlich anzusiedeln. Durch die Exposition nach Südwesten – gepaart mit der Zugluft vorbeifahrender Fahrzeuge – vertrockneten die Moose. Aus diesem Versuch hat man aufgrund der begleitenden Forschung aber viel für zukünftige Projekte gelernt. 

Thomas Kiebacher plädiert zusätzlich dafür, das Bewusstsein für den Wert bereits vorhandener bemooster Mauern zu schärfen: «Oft gibt es wunderschöne urbane Mooswände, die Jahrzehnte benötigt haben, um sich zu etablieren. Es sollte im Interesse der Städte sein, solche Moosinseln zu erhalten.»

An einer Hauswand installieren zwei Männer zwei je vier Quadratmeter große Moospaneele.
Moos am Bau: Die «Wohnungsgenossenschaft Gartenheim» aus Hannover hat ein Be­wäs­se­rungssystem für Moos­wände entwickelt und bereits an meh­re­ren Gebäuden installiert. Foto: gartenheim.de

Am Rande unserer alltäglichen Wahrnehmung liegt eine andere Welt – komplex und wunderschön.

Pflanzenökologin Robin Wall Kimmerer in ihrem Buch «Das Sammeln von Moos» (2022)

Egal, ob in der Stadt, in den Bergen oder mitten im Wald: Die ökologischen Funktionen der Moose wirken dem Klimawandel entgegen oder mildern seine Folgen – als Pufferspeicher bei Starkregen, durch Schutz vor Erosion, als Verdunstungskühler oder Kohlenstoffspeicher. Und neben all diesen nützlichen Eigenschaften sind Moose ganz und gar erstaunliche Lebewesen. Wer in ihre Welt eintaucht, kommt nicht umhin, über ihre Widerstandsfähigkeit, ihre funktionale Ästhetik und die schier unglaubliche Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten Lebensräume zu staunen. Es lohnt sich also, auf Entdeckungstour in das Reich der Moose zu gehen – und dabei Robin Wall Kimmerers Empfehlung aus ihrem Buch über die Moose zu folgen: «Man muss nur aufmerksam sein und genau hinschauen.»

 

Foto oben: Torfmoose / Gunther Willinger

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