Methan – das Expressklimagas
Ein Bericht von Roland Knauer
Methan verursacht mehr als ein Fünftel der Klimaerwärmung – umso wichtiger ist es, die menschengemachten Quellen des Treibhausgases auszumachen.
In einer Lichtung mitten im knorrigen Kiefernwald hoch über der antiken Stadt Olympos, rund 70 Kilometer südwestlich der türkischen Touristenmetropole Antalya, schlagen aus dem grauen Fels an verschiedenen Stellen rotgelbe, einige Zentimeter hohe Flammen. Wanderer stehen staunend vor dem «ewigen Feuer von Chimaira», das wohl schon seit Jahrtausenden brennt. Bereits Plinius der Ältere berichtete von den Flammen aus dem Untergrund, die Tag und Nacht nicht ausgehen. Mindestens seit der Zeit der alten Griechen also steigt dort Methan aus dem Untergrund auf – und verbrennt mit dem Sauerstoff der Luft.
So mancher dieser heutigen Wanderer fühlt sich beim Anblick des ewigen Feuers an die Flammen erinnert, die zu Hause auf dem Gasherd das Essen erhitzen. Auch dort verbrennt Methan, der wichtigste Bestandteil von Erdgas. Methan brennt aber nicht nur mit hübscher Flamme und liefert dabei Energie zum Kochen und Wärmen, sondern ist genau wie Kohlendioxid ein Treibhausgas, das von der Menschheit in großen Mengen in die Luft geblasen wird und dort das Klima anheizt.
Starke Klimawirkung – aber wenig beachtet
Auf der Rangliste der Klimagase erreicht Methan ohne ernsthafte Konkurrenz Platz zwei, satte 23 Prozent der menschengemachten Klimaerwärmung gehen auf sein Konto. Das berichtet das «Global Carbon Project» (GCP), in dem seit dem Jahr 2001 Forscher aus aller Welt den Kreislauf von Kohlenstoff und Klimagasen untersuchen. Und dennoch wird Methan in der Klimadiskussion nach wie vor ein wenig stiefmütterlich behandelt. Eigentlich erstaunlich, denn Maßnahmen zur schnellen Reduktion des Methanausstoßes erscheinen besonders lohnenswert – verschwindet dieses Gas im Durchschnitt doch bereits nach ungefähr neun Jahren wieder aus der Luft, während Kohlendioxid deutlich länger in der Atmosphäre bleibt. Die durch Methan ausgelöste Klimaänderung lässt sich also viel schneller als beim Kohlendioxid bremsen. Umso wichtiger ist es, ein besseres Verständnis für die vielfältigen natürlichen und anthropogenen Quellen dieses Treibhausgases zu entwickeln.
In der Natur wird Methan von jeher ständig neu gebildet. Dies geschieht zum Beispiel bei geologischen Prozessen wie Vulkanausgasungen, aus denen aber lediglich ein kleiner Bruchteil des neu entstehenden Treibhausgases stammt. Erheblich größere Mengen bildeten sich dagegen vor Hunderten von Millionen Jahren: aus Algen und anderen Mini-Lebewesen, die auf den Grund des Meeres sanken. Oder aus toten Bäumen, die einst in einem sumpfigen Wald umfielen. Im Inneren der Erde entstand so aus den Landpflanzen im Laufe der Jahrmillionen Kohle, während sich aus den Algen Erdöl bildete. Gleichzeitig entstanden bei diesen Prozessen aber auch gasförmige Kohlenstoffverbindungen, von denen der weitaus größte Teil aus Methan besteht.
Hoher Eintrag durch Nutzung von Fossilenergie
Doch erst seit die Menschheit fossile Brennstoffe nutzt, werden diese Treibhausgase wieder freigesetzt. So entweicht beim Kohleabbau reichlich Methan als «Grubengas» aus den Flözen: satte 42 Millionen Tonnen – und damit ein erklecklicher Teil der 576 Millionen Tonnen, die jährlich aus natürlichen und von Menschen zu verantwortenden Quellen in die Luft gelangen, wie das «Global Carbon Project» nachgewiesen hat.
So entfällt immerhin ein Drittel der aus der Nutzung fossiler Brennstoffe verursachten jährlichen Methanemissionen auf die Kohleindustrie. Nahezu die gesamten restlichen zwei Drittel – etwa 80 Millionen Tonnen – gehen laut GCP auf das Konto der Erdöl- und Erdgasindustrie. Dort entweicht das Methan aus ungewollten Lecks, aus undichten Ventilen, aber auch bei gezielten Handlungen wie dem Reinigen und Trocknen von Erdgaspipelines. Es wird aber auch aus einigen Versorgungsnetzen frei, über die Energieunternehmen das Erdgas an die Verbraucher verteilen.
Die durch die Nutzung von fossilen Brennstoffen frei werdenden Methanmengen lassen sich im Prinzip recht gut abschätzen. Dem Methan aus diesen Quellen fehlt das radioaktive Kohlenstoff-14-Isotop, das während der langen Zeit unter der Erde zerfallen ist. Von der Gesamtmenge des «alten» Methans (ohne C14) ziehen die Forscher die durch natürliche Prozesse wie Sickerquellen und Schlammvulkane aus unterirdischen Lagerstätten entweichenden Mengen ab. Sie schätzen diese bisher auf 40 bis 60 Millionen Tonnen.
Doch diese Kalkulation liefert falsche Ergebnisse, das berichteten Benjamin Hmiel von der «University of Rochester» und seine Kollegen im Frühjahr 2020 in der Zeitschrift «Nature»: Ihre aufwendigen Analysen des ewigen Eises von Grönland und der Antarktis aus Zeiten vor der Nutzung fossiler Energieträger ergaben, dass die natürlichen Quellen damals im Schnitt wohl nur rund 1,6 Millionen Tonnen altes Methan jährlich in die Luft entließen.
Es lohnt sich mehr als bisher gedacht, die Methanlecks zu stopfen.
Das aber ändert die Bilanz des alten Methans erheblich: «Jedes Jahr dürften demzufolge 38 bis 58 Millionen Tonnen Methan mehr als bisher vermutet aus Lecks bei der Förderung, dem Transport und der Verwendung von Erdgas in die Luft gelangen», schätzt Benjamin Hmiel. «Diese Überraschung zeigt, dass es sich noch mehr als bisher gedacht lohnt, die Methanlecks in dieser Branche zu stopfen», ergänzt Martin Heimann, der am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena den Kreislauf von Treibhausgasen untersucht.
Methanogene – winzig klein, aber groß in der Wirkung
Doch nicht nur aus Sickerquellen und Schlammvulkanen entweicht Methan. Es gibt noch weitere Großproduzenten, die jedes Jahr mehr als 400 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre entlassen: winzig kleine Mikroorganismen, die von Wissenschaftlern als «Methanogene» zusammengefasst werden. Diese Winzlinge haben es gelernt, ihre Energie aus den Überresten toter Organismen zu gewinnen. Als Abfall bleibt Methan übrig, das sie an die Umwelt abgeben. Da Methanogene keinen Sauerstoff mögen, sind sie nur in Umgebungen aktiv, die keinen direkten Kontakt mit der Luft haben.
Zu finden sind sie in den mit Wasser überfluteten Reisfeldern – aber vor allem in Mooren und Sumpfgebieten, wo das Wasser bis zur Oberfläche steht und der Sauerstoff aus der Luft nur wenig in die Tiefe vordringen kann: ein wahres Schlaraffenland für Methanogene.
Methan heizt das Klima 28-mal stärker auf als Kohlendioxid.
Das früher auch «Sumpfgas» genannte Gas gelangt allerdings nur selten vollständig in die Luft. Denn es existieren noch weitere Mikroorganismen, deren Lebenselixier wiederum das Methan ist. Sie leben in den obersten Zentimetern von Feuchtgebieten, in denen es noch geringe Mengen an Sauerstoff gibt, und verwandeln damit das Methan in Kohlendioxid. Große Mengen des in der Tiefe produzierten Methans werden so zu Kohlendioxid umgesetzt. Paradoxerweise hilft genau das, das Klimaproblem aus diesen Quellen erheblich zu entschärfen, schreibt Marielle Saunois von der «Université Paris-Saclay» gemeinsam mit ihren Kollegen vom «Global Carbon Project»: «Wenn man einen Zeitraum von hundert Jahren betrachtet, sehen wir, dass Methan das Klima zwar 28-mal stärker als Kohlendioxid aufheizt, aber – im Gegensatz zum lange wirksamen Kohlendioxid – nur über einen kurzen Zeitraum.» Trotz der Myriaden aktiver Methanfresser blubbern pro Jahr immer noch durchschnittlich 181 Millionen Tonnen Methan aus den Feuchtgebieten der Erde in die Atmosphäre.
Extreme Methanbilanz der Milch- und Fleischindustrie
Ähnlich sauerstofffreie Zonen gibt es in den Eingeweiden vieler Tiere, auch dort siedeln Methanogene. So produzieren die Mikroorganismen in den Verdauungsorganen von Termiten weltweit jedes Jahr um die neun Millionen Tonnen Methan. Das Gleiche geschieht auch bei vielen anderen freilebenden Tieren, die allerdings vergleichsweise geringere Methanmengen produzieren.
Wesentlich relevanter für die Klimabilanz sind die Wiederkäuer in den Ställen und auf den Weiden. Denn anders als wir Menschen können sie die im Gras reichlich vorkommende Zellulose verdauen – und verwandeln so eine uns unzugängliche Ressource in hochwertige Nahrungsmittel wie Fleisch und Milchprodukte. Das gelingt den Wiederkäuern mit einer Mischung verschiedener Mikroorganismen, zu denen auch Methanogene gehören, die bei konstanter Körpertemperatur und permanentem Nachschub von zermahlenen Pflanzenfasern ideale Lebensbedingungen vorfinden. Da weltweit eineinhalb Milliarden Rinder, eine Milliarde Schafe und fast ebenso viele Ziegen gehalten werden, rülpsen diese Nutztiere riesige Mengen Methan aus. Und da die Mikroorganismen auch in den Ausscheidungen der Tiere weiter aktiv sind, liefert auch noch die Gülle reichlich Methan. Insgesamt ist die Milch- und Fleischindustrie alleine mit ihren Wiederkäuern für 111 Millionen Tonnen Methan verantwortlich – und damit für rund ein Drittel der Emissionen, die auf das Konto der Menschheit gehen.
Deponien, Brände, Kochfeuer
Etwas weniger ins Gewicht fallen dagegen die Methanemissionen, die Methanogene im Inneren von Mülldeponien und Kläranlagen produzieren und die zum Beispiel durch deren Entlüftung entweichen. Insgesamt werden dabei weltweit 65 Millionen Tonnen Methan freigesetzt, was rund zwölf Prozent der anthropogenen Emissionen ausmacht.
Weitere 17 Millionen Tonnen werden frei, wenn Wälder und Grasländer in Brand geraten oder abgefackelt werden, um Acker- oder Weideland zu gewinnen. Und noch einmal zwölf Millionen Tonnen Methan steigen aus den Feuern auf, mit denen zwei Milliarden Menschen in den ärmeren Regionen der Erde Holz, Holzkohle, Erntereste oder Viehdung verbrennen, um ihre täglichen Mahlzeiten zuzubereiten. Dazu kommen noch eine Reihe weiterer Methanquellen, wie Methanogene am Grund von Seen und Ozeanen, über die bisher nur wenig bekannt ist.
Aus der Luft sieht man die Mengen – aber nicht die Quellen
Bei einigen dieser unterschiedlichen Methanemissionen sind die Kalkulationen von Marielle Saunois und ihren Kollegen vom GCP noch ziemlich unsicher – aus einem einfach zu erklärenden, aber schwer zu ändernden Grund: Die Wissenschaftler können mit Satellitendaten oder bei Messflügen zwar recht genau feststellen, wie viel Methan in den beobachteten Regionen jeweils in der Luft ist. Und die Forscher um Martin Heimann haben bereits in manchen Weltregionen die Möglichkeit, mit bis zu 300 Meter hohen Messtürmen die Methanverhältnisse in der Luft in einigen hundert Kilometern Umkreis zu erfassen. Die Gesamtemissionen von Methan lassen sich mit solchen «Top-down-Methoden», die von oben nach unten messen, recht gut ermitteln. Nur liefern sie kaum Aufschlüsse darüber, welche Anteile die unterschiedlichen Methanquellen zu diesem Gesamtergebnis beitragen.
Daher messen nicht nur die Max-Planck-Forscher, sondern etliche weitere Gruppen auf der ganzen Welt auch direkt am Boden, welche Mengen Methan dort freigesetzt werden – und stellen dabei oft erstaunliche Unterschiede fest. So produzieren Kühe auf naturnahen Weiden andere Mengen Methan als ihre Artgenossen, die im Stall Kraftfutter mampfen. Das Gleiche gilt für unterschiedliche Reisanbaumethoden oder Typen von Mülldeponien und Klärwerken. Und das Methan aus den tauenden Permafrostböden Sibiriens entweicht je nach Bewuchs in ganz unterschiedlicher Menge. Wächst zum Beispiel Wollgras, strömt es durch die hohlen Halme wie in einem Aufzug rasch in die Atmosphäre, fehlen dagegen die Halme, kommt das Treibhausgas nur langsam an die Oberfläche. So verraten diese «Bottom-up-Methoden» zwar sehr zuverlässig die jeweilige Quelle, bleiben aber nur Stichproben – Hochrechnungen auf Basis derartiger Daten sind daher relativ unsicher.
«Wildcards» im hohen Norden
Nur kann dieses Mosaik sehr unterschiedlicher Methanemissionen für das Weltklima ein wichtiger Kippschalter werden. Schließlich speichern die riesigen Permafrostflächen in Sibirien und Nordamerika gigantische Mengen Kohlenstoff. Er stammt aus Pflanzen, die einst dort gewachsen sind und im Permafrost gut konserviert werden. Insgesamt stecken in den Permafrostböden des hohen Nordens zwischen 1.100 und 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – im Vergleich mit den 800 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre ein gewaltiges Klimapotenzial, das rasch freigesetzt werden könnte, wenn steigende Temperaturen die Dauerfrostböden weiter auftauen und so den Methanogenen Futter bieten. Solche Ereignisse, die mit einer eher geringen Wahrscheinlichkeit eintreten können, dann aber enorme Wirkung hätten, bezeichnen Zukunftsforscher als «Wildcard».
Eine weitere derartige «Wildcard» stellt die Methanproduktion am Grund der flachen Schelfmeere vor der Küste im Nordosten Sibiriens dar. Das dort entstandene Methan ist aufgrund des Drucks und der niedrigen Wassertemperatur als Methanhydrat gebunden – Wassermoleküle haben das Methan umschlossen, von Chemikern «Clathrate» genannt. Steigen die Wassertemperaturen, zerfallen diese «Molekülkäfige». So könnten in den Schelfmeeren Sibiriens schlagartig große Mengen Methangas in die Atmosphäre freigesetzt werden und das Klima stark anheizen.
Dauerfrostböden und feste Methan-Clathrate könnten das Spiel möglicherweise wenden.
«Bisher zeigen unsere Messungen kaum erhöhte Methanmengen, die aus den Schelfmeeren oder den Dauerfrostböden aufsteigen», erklärt Max-Planck-Forscher Martin Heimann. Nur könne sich das in Zukunft durchaus ändern, wenn steigende Temperaturen das Meerwasser weiter aufwärmen und den Permafrost Stück für Stück auftauen. «Dauerfrostböden und feste Methan-Clathrate am Meeresgrund sind Wildcards, die heute noch kaum eine Rolle spielen, in Zukunft das Spiel aber möglicherweise wenden könnten», fasst Martin Heimann die Situation im hohen Norden zusammen.
Massive Zunahme seit Beginn der Industrialisierung
Immerhin verbleibt Methan nur wenige Jahre in der Atmosphäre, weil es von sogenannten «Hydroxyl-Radikalen» in Kohlendioxid umgewandelt wird. Dieser Prozess baut rund 90 Prozent des Methans in der Atmosphäre ab. Da Methan die eingestrahlte Sonnenenergie 28-mal besser als Kohlendioxid auf der Erde hält, macht dieser Vorgang aus einem sehr starken ein viel schwächeres Treibhausgas. Doch da die Hydroxyl-Radikale nicht das gesamte Methan abbauen, bleibt derzeit jährlich ein Überschuss von rund 13 Millionen Tonnen in der Luft, der das Klima weiter aufheizt.
Seit Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1750 haben solche Überschüsse den Methangehalt der Atmosphäre um 150 Prozent in die Höhe getrieben. Dadurch verursachen die von der Menschheit zu verantwortenden Methanquellen inzwischen mehr als ein Fünftel des Klimawandels. Nur einmal flachte diese Kurve zwischen Mitte der 1990er-Jahre und 2006 deutlich ab. Dahinter könnte eine Entwicklung in Europa stecken, wo inzwischen viel mehr Müll verbrannt als deponiert wird.
Der erneute Anstieg seit 2006 dagegen dürfte zum Teil auf das in dieser Zeit beginnende verstärkte Fracking von Ölschiefer in den USA zurückzuführen sein. Bei dieser Form der Erdöl- und Erdgasförderung, so zeigen aktuelle Messungen, entweicht oft reichlich Methan aus dem Untergrund. «Allerdings erklären diese Emissionen bei Weitem nicht den gesamten Anstieg», so Martin Heimann.
Bei der Nummer zwei der Treibhausgase besteht also noch lange erheblicher Forschungsbedarf. Zugleich stellt diese Forschung eine wichtige Investition dar – ist Methan neben Kohlendioxid doch ein enorm wirksames Treibhausgas, von dem die Menschheit in der Landwirtschaft, über Mülldeponien und durch den Abbau und Verbrauch fossiler Brennstoffe riesige Mengen freisetzt. «Der Mensch verdankt seine meisten Übel dem Menschen selbst», soll Plinius der Ältere einst gesagt haben. Umso mehr müssen wir daher über die menschengemachten Quellen des brennbaren Klimagases in Erfahrung bringen – und diese möglichst schnell versiegen lassen.
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Reis essen Klima auf
Reis ernährt fast die Hälfte der Menschheit – doch Treibhausgase aus Reisfeldern tragen zur Klimakrise bei. Der Anbau muss daher nachhaltiger werden.
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Das große Tauen
Der Permafrostboden fällt in vielen Regionen regelrecht zusammen. Dadurch könnte doppelt so viel Treibhausgas frei werden wie bisher prognostiziert.