Aufwachen aus dem Dornröschenschlaf
Ein Bericht von Tom Jost
Ende 2018 stutzte der Bundestag die EEG-Vergütung für Photovoltaik erneut kräftig. Dennoch errichten etliche Bürgergenossenschaften nun neue Anlagen.
Auch die Sturmtiefs «Frank» und «Eberhard», die im März 2019 weite Teile Deutschlands kräftig durchschüttelten, konnten die neuesten Projekte der Bergischen Bürgerenergiegenossenschaft (bbeg) nicht mehr groß verzögern: «Wir haben eine Photovoltaikanlage auf einem Wuppertaler Schuldach termingerecht in Betrieb genommen und planen schon die nächste», freut sich ihr Vorstandssprecher Rolf Kinder. Mit 30 und sogar 78 Kilowatt-Peak (kWp) Leistung sorgen die Solaranlagen für neuen Schwung bei der Bürgergemeinschaft, die – wie so viele – mit ihren Investitionen längere Zeit pausiert hatte.
Nur von unseren ersten Projekten allein konnte die Genossenschaft nicht leben und nicht sterben.
Der Grund lag in der Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von Anfang 2012, mit dem die damalige Bundesregierung aus Union und FDP das bis dahin erfolgreiche Energiewende-Modell der fast 1.000 Bürgergenossenschaften in Deutschland zunichte machte. Öffentliche Dachflächen zu akquirieren und darauf mit Bürgergeld Photovoltaikanlagen zu bauen, die ihre gesamte Leistung ins örtliche Netz einspeisen – das wurde über Nacht unrentabel. Für kompliziertere Varianten wie Mieterstrom oder Direktbelieferung fehlte den meisten Kraft und Kenntnis. Also beschränkten sie sich aufs Abwarten und auf die Verwaltung der bis dahin errichteten PV-Anlagen. «Aber nur von unseren ersten Projekten allein», sagt Rolf Kinder, «konnte die Genossenschaft nicht leben und nicht sterben.»
Das alte Erfolgsmodell bekommt eine neue Chance
Das änderte sich ab dem Spätsommer 2018 unverhofft: Weil die EU-Kommission die Strafzölle auf chinesische PV-Module nicht mehr verlängerte, sanken die Investitionskosten für Photovoltaik-Dächer. Und sanken plötzlich sogar schneller als die abgestufte EEG-Förderung für die Einspeisung des erzeugten Solarstroms. «Das macht es möglich, neue Photovoltaik-Dachanlagen selbst mit Volleinspeisung nach dem EEG halbwegs rentabel zu betreiben», erkannte etwa Christof Kiesel, Branchenkenner und Aufsichtsratsmitglied der Gelsenkirchener «EnergieBuerGEr». Sein Tipp: «Gespräche führen, sich Dächer sichern und im Frühjahr bauen.» Das alte Erfolgsmodell bekam wieder eine neue Chance.
Dieses Modell war auch zentrales Thema bei den Jahrestreffen der Genossenschaftsverbände, etwa in Recklinghausen. Doch zugleich kochte der Frust wieder hoch. Denn nur wenige Tage zuvor hatte die aktuelle Bundesregierung – dieses Mal in Großer Koalition – eine «Überförderung von PV-Anlagen ab 60 Kilowatt-Peak Leistung» ausgemacht. Das in Windeseile beschlossene Energiesammelgesetz (EnSaG) kürzte erneut die EEG-Vergütung um 20 Prozent. «Bloß keinen Boom aufkommen lassen, der vielleicht sogar zum Erreichen von Klimazielen führen könnte», spottete Dominik Kitzinger, Bereichsleiter des Genossenschaftsverbands Nordrhein-Westfalen.
Kürzung verschont die typische «Schuldach-PV»
Was tun? Kundige Bürgerenergie-Vorstände hatten schnell herausgefunden, dass die typische «Schuldach-PV» bis 40 kWp auch vom neuen Gesetz weitgehend unbehelligt blieb. Mit einer EEG-Vergütung von 11,40 Cent (Stand März 2019) kann eine neue Anlage selbst in sonnenärmeren Regionen rentabel betrieben werden, wenn die Errichtungskosten unterhalb von 1.000 Euro pro Kilowatt-Peak Leistung bleiben. Keine weltfremde Annahme, belegt Vorstand Rolf Weber von der «BürgerEnergieGenossenschaft-58» in Wetter (Ruhr): «Wir haben im vergangenen Jahr 13 neue Solaranlagen mit 475 kWp Gesamtleistung gebaut. Mit einem Kostendurchschnitt von 1.031 Euro/kWp.»
Die Ertragslage verbessert sich zudem, wenn immer noch existierende Förderprogramme in Anspruch genommen werden können. «Progres.nrw» der Landesregierung beispielsweise fördert keine PV mehr, wohl aber Batteriespeicher. Deren Nutzung ergibt dann womöglich Sinn, wenn der auf dem Dach erzeugte Solarstrom gleich an den Gebäudenutzer geliefert wird – zu einem besseren Tarif, als ihn die EEG-Vergütung bietet. Letzteres freut beide Vertragspartner, weil auf den Arbeitspreis lediglich EEG-Umlage und Mehrwertsteuer aufgeschlagen werden. Freilich wird die Genossenschaft damit gesetzlich zum «Energieversorger» hochgestuft; zudem entsteht ein bürokratischer Mehraufwand.
Nichts wie ran an den Bürgermeister.
Ein nicht zu unterschätzender Teil der in der Boom-Phase vor 2012 gegründeten Bürgerenergiegenossenschaften wurde von Volks- und Raiffeisenbanken initiiert. Sie verknüpften dank ausgezeichneter Beziehungen die Lokalpolitik mit den örtlichen Klimaschutz-Akteuren. Diese kurzen Wege machten so manch unkonventionelle Lösung möglich. Nichts spricht nun dagegen, meint Lars Ole Daub von der «EnergieAgentur.NRW», diese Netzwerke nach zwischenzeitlichem «Dornröschenschlaf» neu mit Leben zu füllen. Hat die Gemeinde eine Schule, ein Bürgerzentrum, eine Betriebshalle errichtet – und das taugt Dach für Solarstrom? Daub: «Also, nichts wie ran an den Bürgermeister, der ja oft schon Mitglied der Genossenschaft ist.»
Dieser Plan ging auch in Wuppertal auf. «Wir haben uns einfach mal einen Termin beim OB geben lassen», schmunzelt bbeg-Vorstand Rolf Kinder. Ergebnis der Gespräche sind fürs Erste die eingangs genannten PV-Anlagen auf Dächer, die von der Genossenschaft gebaut und an das Gebäudemanagement der Stadt verpachtet werden. Eine interessante Variante, denn die Stadt nutzt die Sonnenleistung als günstige Eigenstromversorgung. Für die Genossenschaft bedeutet das Arrangement ein finanzielles Zubrot, das sie endlich wieder handlungsfähiger macht. Nun sollen neue Projekte folgen und die Genossenschaft weiter kräftigen. Rolf Kinder: «Lange hatten wir das Problem, über viel Geld, aber wenig Umsetzungsmöglichkeit zu verfügen. Das dreht sich allmählich.»
Die nächste EEG-Reform kommt zum Jahresende
Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich das Zeitfenster der gerade so günstigen Bedingungen wohl zum Jahresende wieder schließt. Denn beim Gesetzgeber heißt «nach der Reform» auch immer gleich «vor der Reform». Konkret: Ein Arbeitskreis der Koalition aus SPD, CDU und CSU bereitet schon die nächste Überarbeitung des EEG vor. Sie soll nach den Sommerferien ins Parlament kommen und durchgebracht werden. Das bisherige Regierungshandeln lässt erneute Einschränkungen erwarten, zumal die Zuständigkeit für die Energiepolitik jetzt wieder beim Wirtschafts- statt beim Umweltministerium liegt.
Unsicherheit herrscht vor allem beim Umgang mit dem sogenannten «52-Gigawatt-Deckel». Vor ein paar Jahren beschlossen, soll er die EEG-Förderung der Photovoltaik ganz beenden, sobald diese Marke erreicht ist. Auch Regierungsfachleute haben inzwischen bemerkt, dass dieser Zeitpunkt recht schnell kommen kann – man spricht vom Jahresende 2020. Im Bewusstsein ist zudem, dass vor allem kleinere PV-Anlagen noch nicht ohne EEG-Absicherung auskommen werden. Immerhin hat die neue Bayerische Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern angekündigt, sich für die Abschaffung des Solardeckels einzusetzen.
Warum nicht auch «gebraucht»?
Übrigens gibt es für schlummernde Bürgerenergiegenossenschaften noch eine weitere Handlungsoption: Bestandsanlagen, die vielleicht noch zehn oder mehr restliche EEG-Förderjahre vor sich haben, werden in zunehmendem Umfang «gebraucht» angeboten. Manchmal zieht der bisherige Eigner einfach nur um, manchmal benötigt er Kapital für eine größere Investition. Zwar erfolgt auf diese Weise kein Zubau. Aber eine solche Übernahme würde den Mitgliedern und dem Umfeld signalisieren: Die Genossenschaft ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Und rüstet sich für neue Taten.