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Bure – das Gorleben Frankreichs

Ein Bericht von Gaspar D'Allens – Übersetzung: Caroline Auret

In Lothringen baut Frankreich sein erstes Atommüllendlager. Das Projekt stößt auf erbitterten Widerstand.

Nahe Bure, einem 80-Seelen-Dorf an den Ausläufern der Maas, entsteht das Atommüllendlager «Cigéo» (Centre industriel de stockage géologique). In einer ersten Phase bis 2034 sollen dort 80.000 Kubikmeter radioaktiven Mülls eingelagert werden. Das sind gerade mal drei Prozent des gesamten atomaren Abfalls in Frankreich. Aber diese drei Prozent zählen zu den gefährlichsten überhaupt: 99 % davon sind hochradioaktiv – eine Umweltgefährung für Jahrtausende.

Seit 50 Jahren setzt Frankreich massiv auf Atomenergie. Doch die Frage, wohin mit dem Atommüll, blieb ungeklärt. Dabei läuft in Frankreich das Fass buchstäblich über: 50.000 Tonnen radioaktiven Abfalls liegen oberirdisch in den Abklingbecken von La Hague und in den Wiederaufbereitungsanlagen wie Marcoule oder Cadarache. Nachdem die EU-Kommission die französische Regierung aufgefordert hatte, einen Lagerort für den Atommüll zu finden, der nicht wiederaufbereitet werden soll, entschied Paris, ihn in Lothringen, nahe Bure, in 500 Meter Tiefe zu lagern.

Das Untertage-Labor «Cigéo» bei Bure. Foto: Matthieu Colin

Laut Planung ist eine Genehmigungsverordnung für das Jahr 2018 vorgesehen, die Inbetriebnahme der Anlage für das Jahr 2025. Für den Transport unter Tage und die Lagerstätten müssen 300 km Stollen und Schächte gegraben und nach Befüllung mit radioaktivem Müll Stück für Stück versiegelt werden. Pro Woche werden zwei Züge die Castoren anliefern; der letzte Zug soll 2155 fahren.

Die Gesamtkosten für Cigéo werden derzeit mit 35 Milliarden Euro veranschlagt, der Endbetrag ist laut einem Bericht der Zeitung «Le Monde» noch nicht absehbar. Lediglich fünf Milliarden Euro haben die öffentlichen Investoren, das sind EDF, AREVA und CEA als Rücklage gebildet. Das bedeutet: Die nachkommenden Generationen werden die Zeche zahlen.

Widerstand gegen das «Nuklear-Cluster»

Im Sommer 2016 besetzten Anwohner, Landwirte und Anti-Atomkraft-Aktivisten aus ganz Frankreich den Bauplatz und verhinderten Vorarbeiten für die Atommülldeponie. Maschinen wurden in Brand gesetzt, die Betonmauer, die die Baustelle schützen sollte, wurde über die Länge von einen Kilometer niedergerissen. Bei den Demonstrationen kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und privaten Security-Mitarbeitern. Tränengas und Blendgranaten wurden mit Steinwürfen beantwortet, zehn Personen wurden verletzt.

Der Wald, wo die Bauarbeiten begonnen haben, ist seither von Aktivisten besetzt. Sie haben Baumhäuser gebaut, Wachposten am Rand des Waldes postiert, Weg- und Straßensperren errichtet. Den Winter über wollen die Aktivisten ausharren, unterstützt von den Menschen aus Bure, die sie mit Lebensmitteln versorgen.

Bewohner begleiten auf einem Feldweg eine Reihe von Fahrzeugen, darunter ein Traktor mit Anhänger.
Die Bewohner der Region unterstützen die Anti-Atom-Aktivisten. Foto: Reporterre
Dutzende Demonstranten laufen in Richtung eines Waldrandes, an dem einige Polizisten in Kampfmontur postiert sind.
Juli 2016: Demonstration gegen die Rodung des Waldes. Foto: Reporterre
Demonstranten und Polizisten in Schutzausrüstung stehen sich am Waldrand direkt gegenüber.
Der Wald wird von Spezialkräften der Polizei abgeriegelt. Foto: Reporterre
Ein Aktivist mit Friedensfahne neben Polizisten
Ein Aktivist Foto: Reporterre
Über einem Getreidefeld steigen Tränengaswolken auf.
Die Auseinandersetzung eskaliert – mit Tränengas gegen Demonstranten. Foto: Reporterre
Wegsperre aus Absperrgittern, Holzstangen, Autoreifen und Stacheldraht
Die Anti-Bure-Aktivisten errichten eine Wegsperre, um die weitere Rodung zu verhindern. Foto: Reporterre
Aus sicherer Deckung im Unterholz heraus beobachtet ein Aktivist die Stellung der Poliziei.
Gendarmerie und Anti-Bure-Aktivisten beziehen Stellung. Foto: Reporterre

Der Widerstand erinnert an die Proteste gegen den geplanten Flughafen von Notre-Dame des Landes in der Bretagne oder gegen den gigantischen Tagebau in Hambach. Die Gegner gehören einer breiten Bewegung an, die sich gegen sogenannte «Grands Projets Inutiles et Imposés» (GPII), gegen aufgezwungene, unnütze Großprojekte richtet. Gemeint sind überdimensionierte Industrievorhaben, die ganze Landschaften verunstalten und die Umwelt zerstören – oft sogar unter Missachtung der elementarsten Rechtsvorschriften.

Anfang Juni 2016 ließ die für die Lagerung des radioaktiven Mülls zuständige Behörde ANDRA (Agence nationale pour la gestion des déchets radioactifs) zehn Hektar Wald roden, dabei lagen weder eine Genehmigung des Präfekten noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Das war der Auslöser für die Bauplatzbesetzung. Und die Aktivisten zogen auch vors Gericht: Sie erreichten, dass die Behörde wegen illegaler Rodung verurteilt wurde. Derzeit ruhen die Bauarbeiten.

Parlament ausgetrickst

Christophe Bouillon, Präsident des Verwaltungsrates (links) und Pierre-Marie Abadie, Generaldirektor ANDRA Foto: Daniel Wambach/ANDRA

Diese Vorkommnisse haben ihr Gutes. Sie rücken die zukünftige Atomdeponie ins Licht der Öffentlichkeit. Denn bislang wurde das Projekt leise, fast klammheimlich vorangetrieben. Ganz wenige Journalisten sind der Sache nachgegangen, und oft wussten sie noch nicht einmal, wo dieses gottverlorene Dorf in Lothringen überhaupt lag.

Inzwischen kommt eine Debatte in Gang, die grundlegende Fragen stellt: Wer kann garantieren, dass nicht eine Naturkatastrophe, ein Brand oder Lecks passieren? Wie werden unsere Nachfahren und künftige Zivilisationen vor der lagernden Gefahr gewarnt? Können wir mit der Vorstellung leben, dass ganze Landstriche geopfert, ja für alle Ewigkeit ausradiert werden? Und das nur, weil die Atomindustrie es fordert?

Am 11. Juli 2016 verabschiedete die französische Nationalversammlung ein Gesetz, das das Endlagerprojekt Cigéo in Bure legal aus der Taufe hob. Im nahezu leeren Plenarsaal geriet das Verfahren zur Farce. Denn der Abgeordnete Christophe Bouillon, der die Gesetzesvorlage den wenigen Parlamentskollegen präsentierte, ist gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrates der Atommüllbehörde ANDRA.

Das Gesetz sieht vor, dass die Lagerung «reversibel» sein soll, das heißt, der Atommüll muss dort nicht für alle Ewigkeit lagern. Blumig schreibt der Gesetzestext von einer Erprobungsphase, einer «industriellen Pilotphase» von 2018 bis 2034. Ist also alles noch offen? Allen Anschein nach aber handelt es sich um den ersten Bauabschnitt des Endlagers. Während dieser Phase soll die aufwendigste Infrastruktur gebaut werden: eine Bahnstation, ein Gebäude für die Anlieferung und für die Konditionierung des Abfalls, ein zweifaches Stollensystem, um zu den Schächten zu gelangen, sowie das Ausgraben der ersten 40 Kilometer. «Sind diese kostenintensiven Arbeiten einmal abgeschlossen», so fragen die Atomkraftgegner von «Burestop» zurecht, «wer wird dann noch den politischen Mut besitzen, die Nutzung zu stoppen?»

Jahrzehntelange Standortsuche

Seit den 1980er Jahren wird in Frankreich über eine unterirdische Lagerstätte diskutiert. Ehe die Wahl auf Bure fiel, hatte ANDRA in zahlreichen Départements potentielle Standorte erkundet. Überall gab es Widerstand. Mit Demonstrationen, Platzbesetzungen und Blockaden vertrieb man die Emissäre der Atomindustrie. Die Behörde zog daraus den Schluss – so ist es in einem Bericht von 1989 zu lesen – dass die größte Herausforderung darin besteht, «die Bevölkerung von dem Prinzip der Endlagerung an sich zu überzeugen und keinesfalls von den technischen Daten zu deren Umsetzung».

1991 erließ die Regierung in Paris ein Gesetz, das den Standort in Bure zum Forschungsprojekt erklärte. Neben Bure wurden damals noch zwei weitere mögliche Lagerstätten in den Départments Gard und Vienne ausgewählt. Der erste Standort wurde wegen des Widerstands der Winzer aufgegeben, der zweite erwies sich als ungeeignet, da im Untergrund das Granit zu stark splittert. So blieb 1998 nur noch Bure übrig.

In Bure ging die Atomindustrie von der Annahme aus, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind, um ohne großen Widerstand eine Endlagerstätte einzurichten. Die Region ist mit sechs Einwohnern pro Quadratkilometer eine der am dünnsten besiedelten Landstriche Frankreichs; die Entfernung zu den nächsten Städten, in denen sich Protest regen könnte, ist groß; rund ein Viertel der Einwohner von Bure sind Rentner; nur wenige Bauern sind gewerkschaftlich organisiert und deren Lokalpolitiker fügsam.

Bure – der richtige Standort?

Die Beschaffenheit des Gesteins scheint bei der Auswahl des Standortes allerdings nicht ausschlaggebend gewesen zu sein, denn Tonschiefer ist brüchig. So kam es in den Stollen des unterirdischen Labors bereits zu Einstürzen, bei denen im Januar 2016 ein Arbeiter tödlich verletzt wurde. Dieser Unfall zeigt, wie schwer es ist, unter diesen geologischen Bedingungen Stützstollen zu errichten. Zudem entdeckte man bereits 1989 bei einer Ölbohrung ein geothermisches Potenzial unterhalb von Bure, 2013 wurde dies von einem unabhängigen Ingenieurbüro bestätigt.

Portrait Bertrand Thuillier
Bertrand Thuillier, Verfasser einer Studie über Cigéo. Foto: Reporterre

Nach Vorgabe der Atomsicherheitsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) darf eine unterirdische Lagerstätte für radioaktives Material nicht auf einem geothermischen Standort errichtet werden, um das Risiko eines versehentlichen Eingriffs von außen und eine endgültige Blockierung einer natürlichen Energiequelle zu verhindern. Viele französische Atomkraftgegner sind sich sicher, dass ANDRA gezielt Daten manipuliert und Informationen zurückgehalten hat, um das Endlagerprojekt nicht zu gefährden. Ein Prozess ist anhängig.

Auch seitens der Bergbauwissenschaft existieren große Zweifel. Nach Aussage des unabhängigen Sachverständigen Bertrand Thuillier könnte in einer Endlagerstätte wie Cigéo eine hochexplosive Mischung entstehen. Dazu wären alle Faktoren, die einen Großbrand möglich machen, vorhanden: Sauerstoff, Wärme und Brennstoff in Form von asphalthaltigem, brennbaren Müll.

Zusätzlich sei die Lagerung, so der französische Ingenieur, durch natürliche Prozesse innerhalb dieser Gesteinsformation wie Verschleiß, Infiltration oder Entstehung von Hohlräumen gefährdet. Außerdem könne als Folge des Klimawandels der Tonschiefer trocken und dadurch rissig werden.

Und nach Aussage eines Mitglieds der «CEA» (Kommission für Atomenergie und alternative Energien), das anonym bleiben möchte, «ist die langfristige, unterirdische Lagerung stets gefährlich, weil Zugang und somit Kontrolle besonders schwierig sind.»

Waste Isolation Pilot Plant

Ein Unfall in den USA offenbart die Risiken

Im Februar 2014, fünfzehn Jahre nach der Inbetriebnahme des Endlagers WIPP (Waste Isolation Pilot Plant) in New Mexico, explodierte im Untergrund ein Fass und verursachte einen Brandschaden von rund zwei Milliarden Euro. Bei der Planung des Endlagers waren die Ingenieure davon ausgegangen, dass diese Art von Unfall sich nur alle 200.000 Jahre ereignen könnte.

Keine Bürgerbeteiligung

Jean Pierre Remmele, Altbürgermeister von Bonnet Foto: Maury Golini

Die Gegner von Bure kritisieren, dass von Anfang an hinter verschlossenen Türen und ohne Bürgerbeteiligung entschieden wird – und immer zugunsten der Atomenergie. Die Bevölkerung muss die Folgen davon tragen. Jenseits der technischen und wissenschaftlichen Aspekte zeigt das Endlager-Projekt in Bure ein Demokratiedefizit. Wie lässt sich sonst erklären, dass eine Petition mit 55.000 Unterschriften aus den betroffenen Départements einfach unbeantwortet bleibt?

«Die Methoden der Atomindustrie haben mich zu ihrem erklärten Gegner gemacht», sagt Jean Pierre Remmele, der ehemalige Bürgermeister von Bonnet, einer Gemeinde sechs Kilometer von Bure entfernt. Und setzt fort: «Die sich anbahnende Katastrophe hat gesundheitliche, soziale und menschliche Dimensionen. Die Behörde erobert das Land, kauft Gewissen und Abgeordnete».

Geld für Geisterdörfer

Jahr für Jahr überweist die Behörde 60 Millionen Euro an die Départements Meuse und Haute Marne über eine öffentlich-rechtliche Einrichtung. Das ist einmalig in Frankreich: Der Staat verteilt Gelder, ehe ein Bauprojekt überhaupt in Angriff genommen wird. In verlassenen Dörfern werden Fassaden öffentlicher Einrichtungen, die inzwischen geschlossen sind, sowie Bürgersteige renoviert. Knallrote Straßenlaternen stehen in seltsamem Kontrast zu verfallenen Häusern und verschlossenen Fensterläden.

Überall versucht die Behörde, sich unentbehrlich zu machen. Für die Lokalprominenz werden Jagdgesellschaften organisiert, Öko-Ausflüge für Schulklassen werden durchgeführt, sogar eine Bäckerei auf dem «Labor»-Gelände ist geplant. Mit den Worten eines Aktivisten: «Die Behörde übt eine diffuse soziale Kontrolle aus». Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie innerhalb von zehn Jahren über 3000 Hektar Land erworben hat, davon 1.000 für die Landwirtschaft – zur Verpachtung an gefügige Landwirte?

Bure – Rettungsanker für die Atomindustrie

Die Gegner wollen das scheinbar unaufhaltsame Großprojekt stoppen. Für sie geht es um mehr als um radioaktive Abfallprodukte. Die wichtigsten Atomenergie-Konzerne in Frankreich, AREVA und EDF, sind nämlich insolvent und haben Mühe, ihre Technologie zu exportieren. Das macht deren Lage besonders komplex. Gelingt das Endlagerprojekt in Bure, hat die Atomindustrie ihr größtes Problem gelöst und kann wieder «voll durchstarten». Das Endlager zuzulassen bedeute daher auch, so die französischen Anti-Atom-Aktivisten, sich von einem schnellen Atomausstieg zu verabschieden.

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Gaspard D’Allens, unser Gastautor über das Endlager Bure, ist freier Mitarbeiter von «Reporterre.net». Seit 2007 online, ist «Reporterre.net» die wichtgste Online-Plattform zum Thema Umwelt in Frankreich und erreicht täglich über 15.000 Personen. Die Netzzeitung finanziert sich über über Initiativen, Stiftungs- und Fördergelder sowie Einnahmen aus eigenen Dienstleistungen.

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16. November 2016 | Energiewende-Magazin