Atomkraft – wo stehen wir heute?
Ein Bericht von Constanze Wolk
Rückblick heißt hier: In die Vergangenheit schauen, aus der Vergangenheit lernen und die Zukunft (wieder) selbst in die Hand nehmen.
Ein Blick zurück kann mitunter entlarvend sein und durchaus peinlich werden für den, um den es geht. Die Rückblickenden sind dann zuweilen amüsiert und fühlen sich nicht selten bestätigt in eigenen Gefühlen und Ansichten. So gesehen hatte Bernward Janzing auf dem 17. Schönauer Stromseminar relativ leichtes Spiel bei seinem Exkurs in die Geschichte der Atomkraft. Denn aus heutiger Sicht sind die Werbebotschaften der Atomindustrie aus den 1950er-Jahren oder die markigen Sprüche eines Franz Josef Strauß oder Helmut Kohl in Richtung der Atomkraftgegner ganz klar ein Irrtum gewesen. Mit Slogans wie «Unser Freund das Atom» war spätestens seit Tschernobyl niemand mehr so recht zu überzeugen.
Man glaubte damals, die Atomkraft könnte all unsere Probleme lösen
Mit seiner Zeitreise zu den Anfängen und einstigen Zukunftsvisionen der friedlichen Nutzung der Atomenergie vermittelte der Freiburger Journalist dementsprechend nicht nur ein detailreiches, heute eher befremdlich wirkendes Bild der ursprünglichen Fortschrittsgläubigkeit: von der Ära, als das Wort «Atom» gebraucht wurde wie ein Superlativ, wie heute die Worte «super» oder «mega»; als es Bausätze eines Atomreaktors als Kinderspielzeug gab; sich Ingenieure Gedanken über Atomautos machten; als das deutsche Forschungsministerium den Bau von 600 Reaktoren auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik plante und Orte, an denen sich schon Atomkraftwerke (AKW) befanden, diese als Motiv auf ihre Postkarten druckten.
Manche Bürgermeister waren stolz darauf, ein Atomkraftwerk vor Ort zu haben
Die Angst vor der Strahlung – vor allem im Zuge der Ausbaupläne für AKW und der Standortsuche für Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) sowie Atommülllager – habe parallel zur Euphorie um die Atomenergie schon lange vor Tschernobyl auch Widerstände geweckt, zumindest in Westdeutschland. Der Protest sei nicht überall friedlich abgelaufen, es habe einige «heftige Auseinandersetzungen» mit viel Polizeipräsenz und Gewalttätigkeiten gegeben. Janzing wollte hier vor allem aber an ein «ganz anderes Gefühl von Widerstand und politischer Arbeit» erinnert wissen: an Facetten, wie sie in den 1980er-Jahren die «Freie Republik Wendland» vermittelt habe mit ihrem Protest gegen das geplante Atommülllager in Gorleben. Oder die «Anti-WAAhnsinns-Festivals» gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Beim Blick auf die damalige Protestkultur klang durchaus Wehmut mit – nicht nur weil das Aufbegehren gegen die Pläne der Politik letztlich erfolgreich war. Heute hingegen würde vor allem viel geredet, zum Beispiel über spezielle Passagen im EEG. Diskutieren sei zwar wichtig, «aber immer so ein bisschen uncharmant», so das Resümee.
Bernward Janzings Rückblick, der im Herbst als Buch erscheinen soll, ging auch in den Osten Deutschlands. Besonders beeindruckend sei hier gewesen, dass es im Zuge des Umbruchs einem einzelnen Vertreter der Bürgergruppen gelungen ist, alle AKW in der DDR stillzulegen. Was zeige, was «ein Mensch» bewirken könne, der – wie in diesem Fall der Physiker und Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil – nicht nur weiß, was er will und die nötige Kompetenz mitbringt, sondern auch «im richtigen Moment an die richtige Stelle gekommen ist».
Bürgerenergiewende – jetzt erst recht
Die Zeitreise in die 1950er- bis 1980er-Jahre der Atomkraft hätte für die Bestandsaufnahme zum Thema Bürgerenergie keine bessere Steilvorlage liefern können. Denn ein Blick zurück kann eben auch zuweilen stolz machen auf das Erreichte und über eine bloße Bestätigung hinaus für die Rückblickenden durchaus ermunternd sein dranzubleiben, weiterzumachen. Nach dem Motto: «Jetzt erst recht!», wie es Ursula Sladek ihren Ausführungen voranstellte. Und das gerade jetzt, wo mit dem «Verlangsamen und Abwürgen» der Energiewende seitens der Politik auch ein «Ende der Aufbruchsstimmung» deutlich spürbar sei. Da die Mitbegründerin der Elektrizitätswerke Schönau ihren Vortrag krankheitsbedingt nicht selbst halten konnte, sprang Dr. Michael Sladek ein und las die Worte seiner Frau vor.
Die Energiewende ist in der Krise
Die Erfolge der Bürgerenergiewende sprechen für sich: So sei der «gigantische Zubau» im Bereich der Erneuerbaren Energien in erster Linie dem EEG zu verdanken. «Und in zweiter Linie den Bürgern», wie es Sladek formulierte. «Die einfach gehandelt haben, die Photovoltaikanlagen auf das Dach gebracht, gemeinsam ein Windrad errichtet und in die Zukunft investiert haben.» Jede zweite Kilowattstunde Strom aus Erneuerbaren Energien sei von Bürgern und Bürgergesellschaften finanziert worden – eine «echte Bürgerenergiewende» also. Und, so die Prognose, «der Bürger ist noch zu mehr bereit.» Allerdings habe sich unter dem «Druck der großen Energieversorger» einiges geändert. So sei inzwischen im EEG ein «ganzes Instrumentarium» geschaffen worden, um diese Entwicklung zu verlangsamen – entgegen aller Forderungen der Klimaforscher, Erneuerbare Energien rasch auszubauen.
Wir müssen selbst aktiv sein und aktiv bleiben.
Die Politik setze, so Ursula Sladek, die Energiewende nicht konsequent und kraftvoll genug um und lasse außer Acht, dass die Energiewende nur zusammen mit den Bürgern verwirklicht werden könne. Wichtig sei es, sich durch die gegenwärtige politische Entwicklung nicht deprimieren zu lassen, sondern mit einer «positiven Jetzt-erst-recht-Haltung» Chancen zu suchen. Es gelte, eine «neue Aufbruchsstimmung» zu erzeugen und mehr «Begeisterung» für die Energiewende zu entwickeln. Möglichkeiten dazu gebe es etliche. Zum Beispiel: das eigene Leben «klimawende-kompatibel» gestalten; andere überzeugen mitzumachen; nicht nur nach finanziellen Vorteilen fragen, sondern sich auch mit einer ökologischen Rendite zufriedengeben – eine Investition gerade im Bereich der Erneuerbaren Energien einfach als «Geschenk an die Gesellschaft und an die kommenden Generationen» verstehen.
Mit Rebellion gegen die Ohnmacht ankämpfen
Ursula Sladek verwies in diesem Zusammenhang auf die Geschichte der EWS – als die Schönauer nach Tschernobyl mit «rebellischem Geist» die Dinge selbst in die Hand nahmen. Sie knüpfte damit auch an die von Bernward Janzing in Erinnerung gerufene Protestkultur der Anti-Atomkraft-Bewegung an. Der Blick in die Zukunft nahm das Bewährte auf: Durch «eigenes Handeln Handlungsdruck erzeugen» und «nicht auf die da oben warten», lautet die Vision. Da seien die «Bürger, die Kommunen und die örtlichen Gemeinschaften gefragt», als Verbraucher, Stromkunden und Wähler. Denn auch so viel ist für die Preisträgerin des Deutschen Umweltpreises klar: «Wir müssen uns verabschieden von dem Gedanken des ständigen Wachstums und immerwährenden Konsumierens, von der Befriedigung eigener materieller Bedürfnisse ohne Rücksicht auf Umwelt und Mitmenschen, wo immer auf der Welt sich diese befinden.». Auch heute dürfe Falsches nicht hingenommen, sondern müsse verändert werden – «gemeinsam und tatkräftig», mit «Solidarität, Lebensfreude und Lebenslust».