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Atomkraft: Vision für die Tonne

Ein Bericht von Bernward Janzing

Der Atomausstieg in Deutschland geht voran – Zeit für einen Rückblick auf aberwitzige Pläne von einst und die Akteure der Anti-Atom-Bewegung.

Wieder ein Reaktor weniger: Zum Jahresende geht Block B des Atomkraftwerks Gundremmingen in Bayern nach gut 33 Betriebsjahren vom Netz. Schon seit dem Sommer sinkt die Leistung der Anlage stetig, die Brennelemente werden in diesen Wochen offenbar maximal «ausgelutscht». Laut Betreiberfirma RWE soll das Kraftwerk bis zum letzten zulässigen Tag laufen.

Mit den verbleibenden sieben deutschen Reaktoren wird der Anteil der Atomkraft am nationalen Strommix im Jahr 2018 auf unter 12 Prozent sinken. Er wird damit nur noch etwa halb so hoch sein wie im Jahr 2010.

Weitergehen soll der Ausstieg dann allerdings erst Ende 2019 mit Philippsburg II. Und so wird noch für einige Jahre Strom aus Atomkraftwerken die Netze verstopfen. Was sehr ärgerlich ist: Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 3,7 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Erneuerbaren Energien – vor allem Windstrom in Schleswig-Holstein und Niedersachsen – nicht produziert, weil das Netz die Energie nicht abführen konnte.

Gleichwohl sollen ausgerechnet die beiden Atomkraftwerke Brokdorf und Emsland, die in den kritischen Netzregionen liegen, noch mit am längsten laufen. Die Anti-Atom-Organisation «.ausgestrahlt» hat daher eine Kampagne gestartet mit dem Ziel, die «Netzverstopfer» früher abzuschalten: «Leitung frei für Erneuerbare!»

Statt in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen, kam die Bundesregierung in den vergangenen Monaten lieber den Betreibern der Reaktoren entgegen und befreite sie von der finanziellen Verantwortung für ihren Atommüll. Die trägt nun der staatseigene Atomfonds – womit der Steuerzahler haftet. Die Atomära wird im Nachgang also für uns alle noch teuer werden. Und sie wäre noch erheblich teurer geworden, hätte die Anti-Atom-Bewegung nicht manches Projekt verhindert – Anlass für einen Blick in die Historie.

Forscher planten mit fast 600 Reaktoren

Das war 1975 in der Bundesrepublik der Plan: Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen allerorten.

In den frühen Nachkriegsjahrzehnten hatten Politik und Wirtschaft Pläne, deren Dimensionen aus heutiger Sicht kaum vorstellbar sind: Mitte der 1970-Jahre hielten Wissenschaftler der Kernforschungsanlage Jülich bis zu 600 Atomkraftwerke in Deutschland für nötig. Der Forschungsminister Hans Matthöfer ließ zugleich die «grundsätzliche Realisierbarkeit» von Atomkraftwerken auf künstlichen Kraftwerksinseln in der Nord- und Ostsee prüfen. Und der Wissenschaftsreferent der CDU im Bundestag schlug 1978 sogar den Bau von 30 Atomkraftwerken auf Helgoland vor. Seine Überlegung: Die Gegner hätten es «schon aus Gründen der Geografie» schwer, auf Helgoland «große Menschenmengen für Demonstrationen bereitzustellen».

Die Gegner der Atomenergie sind Reaktionäre. Sie wenden sich gegen den Fortschritt.

Helmut Kohl, CDU-Vorsitzender, 1978

Was für eine Zeit! Sie brachte im Gegenzug eine soziale Bewegung hervor, die wie keine andere die mitteleuropäische Nachkriegsgeschichte prägte. Alte und Junge fanden im Widerstand gegen die Atomkraft zusammen, Linke wie Konservative, Städter und die Landbevölkerung. Sie alle protestierten gegen eine Technik, deren Altlasten unserer Gesellschaft Arbeit für Jahrzehnte und Strahlung für die Ewigkeit bescheren sollten.

In Karlsruhe beginnt der Widerstand

Unter den Kritikern der Atomkraft gab es viele interessante Charaktere. Klaus Traube zum Beispiel, ein Atommanager, der die Seiten wechselte und vom Verfassungsschutz abgehört wurde. Seine Geschichte schaffte es bis auf den Titel des «Spiegel». Oder Michael Beleites, ein Zoologe, der den DDR-Staat durch Recherchen zum Uranabbau düpierte. Oder Sebastian Pflugbeil, ein Physiker, der das Ende der Ostreaktoren während der Wende besiegelte. 

Einer der ersten Atomkraftgegner war Wilhelm Knobloch, der Revierförster aus dem Karlsruher Hardtwald, der im Jahr 1956 unvermittelt mit dem Thema Atom konfrontiert wurde, als plötzlich ein Auto mit Stuttgarter Kennzeichen vor seinem Haus hielt. Vier Herren stiegen aus, sie stellten sich nicht vor, sie stellten nur Fragen. Es ging ihnen um das angrenzende Waldgebiet, wo ein Atomforschungszentrum gebaut werden sollte. Der Förster gründete die «Arbeitsgemeinschaft der Hardtwaldfreunde», konnte die Reaktorstation, später Kernforschungszentrum genannt, aber nicht verhindern.

Erfolgreicher waren zwei Jahrzehnte später die Bürger im südbadischen Wyhl. 

 

Antiquiert anmutende Fotografie in Schwarz-weiß. Schilder handgemalt, Inhalt z.B. "Ihr Stuttgarter Herre Passe uf Allemannenzorn des isch bei Bluff."
Der Weinbauverband und der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband demonstrierten am 10. November 1974 in Sasbach, 60 Kilometer vom damals geplanten AKW Wyhl entfernt. Foto: Meinrad Schwörer
An einer zusammengezimmerten Hütte laden Plakate ein zu einem Vortrag, wie zum Beispiel: "Auswirkungen von Naßkühltürmen auf die Umgebung"
Schon damals wurde der Widerstand von verschiedenen Initiativen begleitet, wie hier die VHS Wyhler Wald im «Freundschaftshüs». Foto: Meinrad Schwörer
Hunderte Demonstranten mit selbst geschriebenen Plakaten, zB. mit Text: Keine AKW Kaiserstuhl.
Zu den Kundgebungen an der Nato-Rampe in Wyhl kamen Hunderte. Foto: Meinrad Schwörer
Demonstranten mit Plakat, das zeigt einen Stacheldrahtkranz, geschrieben steht: "Des Landesvater Heiligenschein"
Zahlreiche Transparente zeugten vor allem vom Unmut gegen die Regierung Baden-Württembergs. Foto: Meinrad Schwörer
Plakat zeigt ein rot durchgekreuztes Atomkraftwerk und Aufschrift "Nai hämmer gsait – Atomausstieg jetzt"
Nein haben wir gesagt! «Nai hämer gsait!» – die alemannische Parole war das einende Mantra der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen. Und sie hatten schließlich Erfolg damit. Grafik: Hubert Hoffmann

 

Winzer und Landwirte, unterstützt von Studenten aus Freiburg, besetzten den Bauplatz. Es wurde vor allem Mundart gesprochen, es war ein bodenständiger Protest. Eines Sonntags kamen 28.000 Menschen auf die Baustelle. Völlig perplex angesichts der Masse an Menschen und deren friedlicher Entschlossenheit stellte das Badenwerk die Bauarbeiten ein – und setzte sie auch nie wieder fort.

Ein zweites Wyhl wollten Staat und Stromwirtschaft später in Brokdorf vermeiden, und so begannen dort die Arbeiten überraschend nachts um zwei Uhr. Die Auseinandersetzung eskalierte, der Reaktor ging ans Netz.

Auch in der DDR gab es schon eine Anti-AKW-Bewegung

Broschüre, herausgegeben vom Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und dem «Arbeitskreis für den Frieden Berlin».

Aber nicht nur auf den Bauplätzen wurde gegen die Atomkraft gekämpft. In der DDR brachte Michael Beleites 1988 sein Heft «Pechblende» heraus, in dem er die Gesundheitsgefahren des Uranabbaus der Wismut AG in Sachsen und Thüringen beleuchtete. Das war schon alleine deswegen ein Skandal, weil es sich um ein «nicht genehmigtes Druckerzeugnis» handelte. Die Staatssicherheit ordnete die Schrift sogar in die Reihe der «antisozialistischen Vervielfältigungserzeugnisse innerer Feinde» ein, weil diese eine «mit den staatlichen Interessen kollidierende Umweltschutzdiskussion» auslöse.

In der DDR spielte auch der Physiker Sebastian Pflugbeil eine entscheidende Rolle. In den Umbruchzeiten nach dem Mauerfall war er für kurze Zeit Minister – wenngleich ohne Geschäftsbereich. Auf diesem Posten hatte er nur ein Ziel: Die fünf noch aktiven Atomreaktoren der DDR vom Netz zu nehmen. Mit der Akribie eines Wissenschaftlers wies er nach, dass die Meiler hochgefährlich sind – und bewirkte damit noch vor der deutschen Wiedervereinigung den sofortigen Atomausstieg für Ostdeutschland.

Im Westen zählte der 2016 im Alter von 88 Jahren verstorbene Atomwissenschaftler Klaus Traube zu den besonderen Repräsentanten des Atomwiderstands. Zunächst baute er als Siemens-Manager Atomkraftwerke, wirkte mit am Aufstieg der zivilen Kerntechnik und vollzog dann seine persönliche Wende. Fortan begleitete er ebenso engagiert den Niedergang der Nuklearkraft wie zuvor den Aufbau.

Auch Hans Schuierer, der einst bekannteste Landrat Deutschlands, darf in der Geschichte des Atomwiderstands nicht fehlen. Am Anfang interessierte er sich vor allem für die Arbeitsplätze, die die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf der Oberpfalz zu bringen versprach. Dann entdeckte er in den Bauplänen einen Kamin und erhielt von der Atomfirma die Auskunft, dieser sei «nur dazu da, damit die Radioaktivität möglichst gleichmäßig verteilt wird». Dies war der Moment, als aus dem braven Landrat ein Gegner der Wiederaufarbeitungsanlage wurde.

Kosten, Kühltürme, Kamine – wie Befürworter zu Gegnern wurden

Klaus Traube spricht in ein Mikrofon und gestikuliert entschieden.
Der Atomphysiker Dr. Klaus Traube 1977 Foto: Sanden

Im Rückblick fällt auf, dass viele Atomkraftgegner der frühen Stunde nicht von Anfang an gegen die neue Technik eingestellt waren, sondern erst zu Gegnern wurden, als sie mehr über diese erfuhren. Bei Klaus Traube waren es im ersten Schritt die Kosten der Atomtechnik, die ihn zum Zweifeln brachten. Andere störten sich an Kühltürmen oder Abluftkaminen oder am ungeklärten Verbleib des Mülls. In Kalkar, wo einst der Schnelle Brüter gebaut wurde, kam der legendäre «Bauer Maas» ins Grübeln, weil man ihm eine Anlage vor die Tür setzen wollte, die man in dicht besiedelter Gegend nicht haben wollte. Da müsse doch etwas faul dran sein, schloss er.

Am Ende waren es mehrere Faktoren, die dazu führten, dass die Atomkraft im deutschen Sprachraum heute ein Auslaufmodell ist. Zum einen hat die Branche selbst kräftig mitgewirkt. Sie demontierte sich weltweit immer wieder aufs Neue mit Störfällen und Katastrophen, mit Arroganz und Mauscheleien, mit teuren Flops und technischen Pleiten sowie mit bodenloser Leichtfertigkeit, wie etwa beim Endlager Asse.

Entscheidend war aber auch, dass die Bewegung der Gegner sehr bunt gemischt war. Es vereinigten sich im Widerstand Angestellte und Arbeitgeber, Studenten und Professoren, Handwerker und Büroangestellten, Landwirte und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Die AKW-Gegner repräsentierte somit einen Querschnitt der Gesellschaft; solche Vielfalt gab es in sonst keiner politischen Bewegung.

 

Großer Demozug in der Innenstadt, angeführt von einem gelben Banner auf dem steht: "Atomkraft Schluss jetzt! Es reicht!"
Anti-Atom-Demo nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima im Mai 2011 in Hannover. Foto: Benjamin Radzun

Zudem war es ein aufrichtiger Protest. Der Widerstand basierte nicht auf dem Sankt-Florians-Prinzip; dem «Nein» an den betroffenen Standorten folgte oft der Zusatz: «... und auch nicht anderswo!» Es war ein konstruktiver Protest, denn mit dem Nein zur Atomkraft ging stets das Ja zu den Alternativen einher. Und es war ein überparteilicher Protest, der in seiner Gesamtheit nicht an Ideologien gekoppelt war. Außerdem, und das war wichtig, hatte er keine diffuse Vision, sondern ein konkretes Ziel. Dieses hieß schlicht: keine Atomkraft.

Wenn Ende 2022 in Deutschland – so der Plan – alle Meiler vom Netz sind, wird die Republik zurückblicken auf eine Epoche, die (in der Bundesrepublik und DDR zusammen) 36 Atomkraftwerke, sowie 46 Forschungs- und Unterrichtsreaktoren hervorbrachte. Frei von laufenden Atomanlagen wird Deutschland aber auch 2023 noch nicht sein: Über ein Ende der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefertigung in Lingen ist noch nicht einmal entschieden. Angesichts dessen und aufgrund der strahlenden Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft wird die Geschichte des Widerstands also auch 2023 noch nicht abgeschlossen sein.

Buchtitel «Visionen für die Tonne»

Bernward Janzing hat in den vergangenen Jahren zahlreiche prominente Akteure der Anti-AKW-Bewegung getroffen und erzählt in seinem Buch, auch anhand ihrer Biografien, die deutsche Atomgeschichte. Der Bericht enthält Auszüge des Buches.

Vision für die Tonne: Wie die Atomkraft scheitert – an sich selbst, am Widerstand, an besseren Alternativen

Picea Verlag Freiburg, 2016
Gebundene Ausgabe, 272 Seiten 
ISBN: 978-3-9814265-1-9

Die Website zum Buch «Vision für die Tonne»

 

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18. Dezember 2017 | Energiewende-Magazin