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Alianza Ceibo – im Kampf für das Leben

Ein Bericht von Frank Steinhofer

Ein indigenes Bündnis verteidigt im nördlichen Amazonas eines der artenreichsten Gebiete gegen Ausbeutung – und trotzt dabei Ölkonzernen und Regierungen.

Es ist seine allererste Berührung mit der westlichen Kultur überhaupt. Und es ist ausgerechnet eine Begegnung mit einem Ölkonzern: Emergildo Criollo wächst im Regenwald im Norden Ecuadors auf, behütet von der Gemeinschaft der A’i Kofan, die dort seit Jahrhunderten in einer der artenreichsten Amazonasregionen lebt. Irgendwann Mitte der 1960er-Jahre hört er als Sechsjähriger plötzlich ein lautes, flatterndes Geräusch über sich. Es ist ein Hubschrauber des US-amerikanischen Ölkonzerns «Texaco», wie sich später herausstellt.

«Wir Kinder versteckten uns voller Angst im Wald, weil wir dachten, es sei eine Art Vogel», erinnert sich Criollo, als er 2018 auf einer Konferenz der NGO «Bioneers» im kalifornischen San Rafael spricht. «Die Älteren deuteten Träume, um herauszufinden, was das alles zu bedeuten habe: Hubschrauber, Kettensägen, der weiße Mann. Eines Tages nahm mich mein Vater mit, damit ich den Fremden einmal begegne. Wir blieben im Wald am Rande der großen Lichtung stehen und beobachteten sie. Ich hatte noch nie so viele gefällte Bäume gesehen.»

Die Männer von Texaco winken Emergildo Criollo und seinem Vater zu. Beide verstehen zu dem Zeitpunkt weder Englisch noch Spanisch, die Männer von Texaco sprechen kein A’ingae, die Sprache der A’i Kofan. Einer der Männer reicht ihnen eine Flasche Dieselöl. «Mein Vater schwieg», berichtet Criollo rückblickend. «Für mich ein Zeichen dafür, dass wir nicht wussten, was auf uns zukam.» Was sie erwartete, war nicht weniger als eine der verheerendsten Umweltkatastrophen aller Zeiten.

Ein Mann mit rotem Halstuch und traditionellem Schmuck hält seine ölverschmierte linke Hand in die Kamera.
Noch heute ist das Öl überall – wie die Hand von Emergildo Criollo zeigt. Der US-amerikanische Konzern Texaco leitete über 30 Jahre hinweg Milliarden Liter Ölrückstände in Gewässer und Böden ein. Foto: Alianza Ceibo

Die größte Ölkatastrophe im Amazonasgebiet

Der US-Erdölkonzern Texaco war von 1964 bis 1992 in Ecuador tätig, in der Region Oriente östlich von den Anden, wo die Regenwälder des Amazonasgebiets liegen. In dieser Zeitspanne erschloss das Unternehmen 221 Bohrlöcher und legte nahezu 1.000 Gruben an, in die es Ölrückstände und Bohrschlamm leitete. Gruben, so groß wie olympische Schwimmbecken, an Hotspots der Biodiversität – im Amazonas-Regenwald kommen unzählige endemische Pflanzen und Tiere vor. 

In den 1960er-Jahren hatte Texaco eigentlich ein Verfahren entwickelt, um giftige Abfälle zurück in tieferes Gestein zu befördern, um so das Grundwasser und die oberen Bodenschichten nicht zu verunreinigen. Die patentierte Technologie wurde zwar in den USA angewandt, aber nicht bei den ecuadorianischen Ölfeldern. Zu kostspielig, so das mutmaßliche Kalkül des Konzerns. Ecuador hat zu dieser Zeit noch keine Umweltauflagen und wird von einer Militärjunta regiert, die sich um ökologische Auswirkungen wenig schert. So erspart sich Texaco in dem südamerikanischen Land eine halbwegs sichere Entsorgung der Rückstände. Stattdessen werden Öl und Bohrschlämme – kontaminiert mit Salz, Schwermetallen und Giften – in ungesicherte Becken und Flüsse gelenkt, zu Lasten von Mensch und Umwelt.

Texaco begann, Öl in unsere Flüsse zu leiten. Sie kippten ihre Abwässer einfach in unsere Bäche.

Emergildo Criollo, Mitgründer der «Alianza Ceibo»

Emergildo Criollo, der die Zerstörung selbst miterlebt hat, berichtet: «Texaco begann, Öl in unsere Flüsse zu leiten. Sie kippten ihre Abwässer einfach in unsere Bäche. Aber unsere Leute leben von den Flüssen und Bächen. Wir fischen darin, trinken vom Wasser, kochen unsere Suppen damit.» Über Jahrzehnte nehmen Tausende Menschen und Tiere Wasser zu sich, das mit Milliarden Litern giftiger Schlacke des Ölkonzerns verseucht ist. «Meine ersten beiden Kinder sind an den Folgen der Verschmutzung gestorben», erklärt Criollo. «Sie erbrachen Bohrschlamm, als sie in meinen Armen starben.»

 Ein Boot mit mehreren Personen gleitet durch tropischen Feuchtwald – aus dem Wasser ragen mächtige Bäume empor.
Sensibles Ökosystem: Bereits wenige Liter Erdöl können ganze Flussläufe verseuchen. Foto: Nico Kingman

Ganze Landstriche sind ölverseucht

Insgesamt flossen mindestens 108 Millionen Liter Rohöl und mehr als 50 Milliarden Liter toxisches Abwasser in den Amazonas-Regenwald, schätzt das ecuadorianische Außenministerium. Mehr als 21.000 Quadratkilometer sind betroffen, eine Fläche etwas größer als Rheinland-Pfalz. 

Das menschliche Leid war und ist allgegenwärtig: Fehlgeburten, Hautausschläge; in den Provinzen Sucumbíos und Orellana, wo sich die Ölförderung konzentrierte, gehören die Krebsraten zu den höchsten in ganz Südamerika. 2018 haben die Nichtregierungsorganisationen «Unión de Afectados por Texaco» und «Clínica Ambiental» Krankheitsdaten von fast 7.000 Personen erhoben. Ihre Auswertung ergibt, dass Knochenkrebs in den betroffenen Regionen zehnmal so häufig auftritt wie im ecuadorianischen Durchschnitt, Frauen leiden dort achtmal häufiger an Gebärmutterkrebs.

Darüber hinaus sind Böden im betroffenen Amazonasgebiet bis heute vergiftet: Tümpel riechen nach Tankstellen, Flüsse sind verseucht. Im November 2008 veröffentlicht der unabhängige Geologe Richard Cabrera eine Umweltstudie und beziffert die Schäden auf 26 Milliarden US-Dollar. Ein weiteres Gutachten kommt im April 2010 auf eine Summe von bis zu 16 Milliarden US-Dollar.

Texaco bestreitet nicht, dass die Verschmutzung stattgefunden hat, behauptet aber, die Aktivitäten des Unternehmens hätten «völlig im Einklang mit den damaligen Standards» gestanden, und stellt die staatliche Ölgesellschaft «Petrocuador» als Hauptverantwortlichen dar. Denn die habe die Bohranlagen nach dem Abzug von Texaco schließlich übernommen.

1995 trifft Texaco ein Abkommen mit der ecuadorianischen Regierung und sagt 40 Millionen US-Dollar für ein Hilfsprogramm zu. Ein Drittel der Giftgruben soll gereinigt und im Gegenzug dazu der Konzern von allen Ansprüchen und jeglicher Haftung befreit werden. Gegenüber dem Staat wohlgemerkt, nicht gegenüber den betroffenen Menschen. So strengen Anwälte bereits1993 im Namen von 30.000 Menschen, darunter Bauernfamilien und indigene Gemeinschaften, die erste Klage wegen der Umweltverschmutzung an. Texaco wiegelt ab. Der Unternehmenssprecher J. Michael Treviño erklärt gegenüber der New York Times 1994, es gebe keine stichhaltigen Beweise für gesundheitliche Auswirkungen.

Inmitten des sattenRegenwaldgrüns erstreckt sich eine Schlammfläche, deren Oberfläche ölig schimmert.
Aufnahme von 2007: Eine mit Erdöl und Bohrschlamm verseuchte Grube nahe der Stadt Nueva Loja Foto: Julien Gomba
Der Mann mit dem roten Halstuch lehnt nun an einem Baum – hinter ihm betrachten Menschen eine verschmutzte Wasserstelle.
«Toxitour»: Emergildo Criollo führt Besuchergruppen durch die ölverseuchte Gebiete Amazoniens. Foto: Alianza Ceibo

Wir kämpfen, bis die Hölle zufriert!

Ein Sprecher des Ölkonzerns «Chevron», 2008

2001 betritt ein neuer Akteur das Spielfeld: «Chevron». Der US-amerikanische Ölkonzern übernimmt Texaco – und damit auch das offene Gerichtsverfahren. Die Anwälte der klagenden Gemeinschaften sprechen mittlerweile vom «Tschernobyl des Amazonas», wegen des Ausmaßes der Katastrophe und der langfristigen Zerstörung der Lebensgrundlagen. 

Bis heute hat Chevron keinen Cent Entschädigung gezahlt, geschweige denn entschiedene Maßnahmen ergriffen, um Umweltschäden zu beheben. Stattdessen klagt sich der Konzern seit zwei Jahrzehnten durch alle möglichen Instanzen. «Wir können nicht zulassen, dass kleine Länder mit großen Unternehmen so umspringen», teilt ein Chevron-Lobbyist 2008 dem Nachrichten­magazin Newsweek mit. Ein Sprecher von Chevron weiter: «Wir kämpfen, bis die Hölle zufriert – und dann werden wir es auf dem Eis ausfechten!»

Aus geteiltem Leid wird Gemeinwohl

Statt auf Gerichtsverfahren zu hoffen oder auf die Hilfe der eigenen Regierung zu warten, beginnen sich – nach dem Texaco-Abzug aus Ecuador 1992 – die von der Öl­­katastrophe Betroffenen untereinander auszutauschen. Zu ihnen gehören die Gemeinschaften der A’i Kofan, Siekopai, Siona und Waorani: vier indigene Nationa­litäten, die seit Jahrhunderten im Amazonasgebiet leben. Ihr Terri­torium erstreckt sich über die Staaten Ecuador, Kolumbien und Peru hinweg. Weil ihre Gebiete verseucht sind, suchen sie gemeinsam nach Möglichkeiten, an sauberes Trinkwasser zu kommen. «Wir haben überlegt, wie wir uns organisieren können», erzählt uns Jairo Irumenga. «Wir wussten: Wenn wir es nicht tun, sterben wir.»

2011 wird im ersten Dorf ein System installiert, das Regenwasser sammelt und filtert. Im Laufe der Jahre werden in Zusammenarbeit mit der NGO «Amazon Front­lines» mehr als 1.000 Familien in über 70 Gemeinden mit solchen Systemen versorgt. Über 6.000 Menschen haben somit wieder Zugang zu sauberem Wasser. 

2014 schließen sich die vier indigenen Gemeinschaften offiziell zu einem außergewöhnlichen Bündnis zusammen: der «Alianza Ceibo» – benannt nach dem riesigen Kapokbaum, der im Regenwald Tieren, Insekten und Reptilien ein Zuhause bietet. «Unter dem Dach des Baumes finden viele Lebewesen Schutz», erklärt Irumenga. So wie unter dem Dach der Allianz viele Menschen Schutz finden sollen. 

Gut zwanzig Personen posieren für ein Gruppenbild – ihre Kleidung ist ein Mix aus traditionellen und modernen Elementen.
Ein Bündnis für das Leben: Die «Alianza Ceibo» ist ein Zusammenschluss aus den vier indigenen Gemeinschaften A’i Kofan, Siekopai, Siona und Waorani. Foto: Alianza Ceibo
Eine Frau und drei Mädchen halten ihre Füße unter den Hahn eines Wassertanks, nachdem sie einen Topf befüllt haben.
Infolge der jahrzehntelangen Ölverschmutzung sind Regenwassersysteme die einzige Möglichkeit für die Menschen vor Ort, an sauberes Wasser zu kommen. Foto: Mitch Anderson
Fünf Personen stehen bis zu den Knien im Wasser und hieven PV-Module von einem Boot zum nächsten.
Solaranlagen bringen Energie in die entlegensten Gebiete im Amazonasgebiet. Foto: Mike Kollöffel
In einem Dorf mit Pfahlbauten wird ein PV-Modul mittels Leitern auf das vorgesehene Trägerwerk gehoben.
Mehrere PV-Anlagen wurden mit Unterstützung der deutschen Non-Profit-Organisation «Love for Life» errichtet. Foto: Mike Kollöffel

Mit Solarenergie zu Autarkie und Sicherheit

Energie ist der nächste Schritt zur Unabhängigkeit, wie Hernan Payaguaje von der Gemeinschaft der Siekopai betont. Oft würden Unternehmen die Gemeinschaften mit Straßen oder Stromleitungen ködern, um tiefer in ihre Gebiete vorzudringen und sie schließlich auszubeuten. «Doch wir verschaffen unserem Dorf Zugang zu Solarenergie», erklärt das Gründungsmitglied der Alianza Ceibo. Bis 2023 konnten 177 Solaranlagen, die Energie für fast 600 Menschen liefern, in den vier Gemeinschaften installiert werden – mit Unterstützung des deutschen Vereins «Love for Life».

Nach wie vor ist der Bedarf groß, denn Solaranlagen sorgen für mehr als nur Beleuchtung: Der Sonnenstrom macht sowohl gesundheitsgefährdende Kerosinlampen als auch teure und umweltschädliche Dieselgeneratoren überflüssig, Kinder können länger spielen und lernen, den Eltern ermöglicht der Strom handwerkliche Tätigkeiten, die zu eigenem Einkommen führen. Gleichzeitig unterstützt die elektrische Infrastruktur alle laufenden Programme zur Förderung von Jugendlichen und der Gleichberechtigung von Frauen – in der Alianza Ceibo werden übrigens alle Positionen paritätisch besetzt. Und nicht zuletzt versorgen die Solaranlagen auch Wachhäuser mit Strom. 

Von dort aus senden die vier Gemeinschaften Patrouillen aus, die das eigene Territorium nach Eindringlingen durchforsten. Ein Patrouillengang kann je nach Größe des Gebiets bis zu einer Woche dauern. Dabei kommen nicht nur traditionelle Speere zur Verteidigung zum Einsatz, sondern auch GPS, Drohnen und Kamerafallen, um illegale Aktivitäten und Schäden zu dokumentieren. Die hierfür benötigten Geräte können nun dank der Solarenergie eigenständig aufgeladen werden. 

Kampf an allen Fronten 

Die Verteidigung des Territoriums ist überlebenswichtig: «Der Regenwald schenkt uns Wissen, Nahrung und Medizin», erklärt Jairo Irumenga. Die lebensspendende Vielfalt werde auch in eigenen Karten erfasst – entlang natürlicher, kultureller und historischer Reichtümer. Mehr als 4.000 Quadratkilometer seien bereits dokumentiert worden, die Karten vermerken Heilpflanzen, Tiere, Zonen mit großer Artenvielfalt, Jagdwege und heilige Stätten. 

Regierungen oder Unternehmen sehen nur das Geschäft. Sie sehen nur Öl, Gold, Holz. Wir sehen überall Leben.

Jairo Irumenga von den Waorani

Der rohstoffreiche Regenwald weckt Begehrlichkeiten. Ölkonzerne dringen in die Gebiete der Gemeinschaften ein, Holzhändler roden illegal Tropenwälder, Palmölplantagen trocknen Feuchtgebiete aus, Kautschukkartelle reißen Land an sich, Goldsucher verseuchen die Flüsse mit Quecksilber, Kommandos der FARC und andere kriminelle Banden durchstreifen das Gebiet. Es ist nicht nur ein Kampf zwischen David und Goliath, Alianza Ceibo hat es mit einem ganzen Heer an Goliaths zu tun. Vom multinationalen Konzern bis zu korrupten Politikern.

Luftaufnahme: Regenwald erstreckt sich bis zum Horizont, dazwischen reflektieren gewundene Wasserflächen das Sonnenlicht.
Lagartococha, das angestammte Gebiet der Siekopai-Gemeinschaft, ist ein faszinierendes Labyrinth aus Schwarzwasserlagunen und teils überfluteten Wäldern. Foto: Alianza Ceibo
Zahlreiche Menschen stehen bunt gekleidet im Halbkreis am Ufer eines Flusses und halten Ruder in den Händen.
Treffen am Ufer des Río Lagartos: Die Siekopai gelten mit ihren 800 Mitgliedern in Ecuador und 1.200 in Peru als stark bedrohte indigene Gemeinschaft. Foto: Nico Kingman
Mehrere Personen balancieren auf Pipelines, die durch eine gerodete Schneise im Regenwald verlaufen.
Eine mehr als 600 Kilometer lange Pipeline des Ölkonzerns Texaco führt vom Amazonas über die Anden bis an die Pazifikküste. Ihre Instandhaltung ist aufwendig, mehrmals sind die Rohre schon leckgeschlagen. Foto: Alianza Ceibo
Eine Gruppe Indigener posiert in traditioneller Kleidung und mit Federschmuck – einige halten große Blätter.
Die Waorani leben in den Regenwäldern des Amazonasbeckens zwischen den Flüssen Río Napo und Río Curaray im Osten Ecuadors. Foto: Mitch Anderson

Beschützer des Wassers, Behüter des Landes

Dabei behüten indigene Gemeinschaften laut dem Wissenschaftsmagazin «Nature» 28 Prozent der Landflächen auf der Welt. Davon sind wiederum 85 Prozent Zentren der Biodiversität, die gleichzeitig über hohe Rohstoffvorkommen verfügen. Die Gemeinschaften müssen nicht nur gegen den Raubbau an Rohstoffen, sondern auch gegen den Verlust von Lebensgrundlagen kämpfen – und das, obwohl sie ihre besten Behüter sind. So stellt ein UN-Bericht 2021 fest: In ihren Gebieten wird bis zu 50 Prozent weniger abgeholzt als anderswo. Von ihnen geleitete Naturschutzprojekte führen zu einer Erholung der Bestände. Tropische Wälder, die sie im Gleichgewicht halten, binden 14 Prozent des weltweiten Kohlenstoffs.

Auch Alianza Ceibo hat mit ihrem Widerstand zwei besonders wichtige Erfolge erzielt: 2018 stößt eine Patrouille der A’i Kofan entlang des Río Aguarico auf Bagger und Boote. Alexandra Narváez, die dem Patrouillenteam angehört, berichtet in der spanischen Tageszeitung El País über ihre Entdeckung: «Am Fluss entdeckten wir Bergleute. Sie gruben, holten Steine heraus. Wir waren überrascht, diese Maschinen zu sehen, und stießen später auf Bergbaukonzessionen, von denen uns niemand erzählt hatte – wir haben nichts unterschrieben.»

Der Patrouille gelingt es, die Umweltschäden zu dokumentieren, welche die Goldminen verursachen. Als die A’i Kofan nachforschen, stellen sie fest, dass der ecuadorianische Staat tatsächlich Bergbaukonzessionen vergeben hat. Allerdings ohne die «freie, vorherige und informierte Zustimmung» der betroffenen Gemeinden, wie es Artikel 57 der ecuadorianischen Verfassung vorschreibt. 2008 hat sich eine Nationalversammlung in Montecristi getroffen, um die Verfassung plurinationaler und interkultureller zu gestalten. Dabei wurden unter anderem die Rechte von indigenen Gemeinschaften gestärkt. Die A’i Kofan ziehen vor Gericht und erreichen, dass 52 Konzessionen für eine Fläche von 32.000 Hektar annulliert werden. 

Ein uniformierte Gruppe von Männern und Frauen posiert mit ihren Speeren – einer von ihnen hält eine Drohnensteuerung.
Auf Patrouille: Die A’i Kofan aus Sinangoe in Ecuador halten in ihrem Gebiet Ausschau nach Eindringlingen. Foto: Nico Kingman
Fünf Männer der Patrouille waten zwischen kugelförmigen Steinen durch das Wasser eines Flusses.
Bis zu einer Woche dauern die Patrouillengänge durch die Gebiete der indigenen Gemeinschaften. Sie dienen nicht nur dem Schutz des Territoriums, sondern auch zu seiner Kartierung. Foto: Mitch Anderson

«Unsere Vorfahren zogen einst mit Speeren auf den Schultern in den Kampf», schreibt das Bündnis 2021 in seinem Blog. «Heute kämpfen wir mit Paragrafen und Dokumenten in der Hand, die in Montecristi und Genf geschrieben wurden und unser Recht auf Selbstbestimmung anerkennen.» Montecristi und Genf: Eine Anspielung auf zwei Orte nationaler und internationaler Gesetzgebung, die als Hebel zur Durchsetzung indigener Rechte dienen. Wie etwa die «ILO-Konvention 169» der Vereinten Nationen mit ihrem Hauptsitz in Genf aus dem Jahr 1989 – bis heute das einzige rechtsverbindliche internationale Abkommen, das der Indigenen Gemeinschaften umfassenden Schutz und die Entfaltung ihrer eigenen Lebensweise garantiert. Eine Lebensweise, zu deren Erhalt die Allianz der indigenen Gemeinschaften auch eine weitere, geradezu epochale Entscheidung durchsetzen konnte.

Die Jahrhundertabstimmung

Es begann mit einer Rolle rückwärts: Am 15. August 2013 verkündet der ecuadorianische Präsident Rafael Correa der Weltgemeinschaft und seinem Land das Ende des größten Schutzgebiets Ecuadors: Aus dem Yasuní-Nationalpark sollen 846 Millionen Barrel Öl gefördert werden. Zuvor stand ein ungewöhnlicher Vorschlag im Raum: Ecuador würde die Ölvorkommen nicht antasten, wenn die internationale Gemeinschaft 3,6 Milliarden US-Dollar zahlt – 50 Prozent dessen, was bei einer Ausbeutung des Öls an Einnahmen zu erzielen wäre. Doch in den vergangenen sechs Jahren seit 2007, so Correa, seien gerade einmal 13,3 Millionen in Ecuador angekommen, wie die spanische Tageszeitung El País berichtet. Zu wenig. «Es ging uns nicht um Almosen, sondern um eine Mitverantwortung im Kampf gegen den Klimawandel. Die Welt hat uns im Stich gelassen», sagt Correa.

Die Ölindustrie ist weltweit führend, wenn es um falsche Versprechungen geht.

Nemonte Nenquimo, Anführerin der Waorani

Die Entscheidung des Präsidenten, das Schutzgebiet aufzugeben, stößt auf Widerstand. Vor allem bei den Waorani, einer der vier Gemeinschaften der Alianza Ceibo, die auf dem Gebiet des Nationalparks lebt. Nemonte Nenquimo, Anführerin der Waorani, sagt: «Die Ölindustrie ist weltweit führend, wenn es um falsche Versprechungen geht. Wir müssen das Öl im Boden lassen!» Nenquimo wird zu einem der vielen Gesichter einer beispiellosen Kampagne, die über ein Jahrzehnt Millionen Menschen mobilisiert. 757.623 Unterschriften werden gesammelt, um ein Referendum in Ecuador zu erwirken. 583.000 wären nötig gewesen. Landesweit soll über eine einzige Frage abgestimmt werden: «Bist du damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung die Ölvorkommen, bekannt als Block 43, auf unbestimmte Zeit im Boden belässt?» 

Drei Menschen mit Schmuck und Gesichtsbemalung posieren auf einer Demonstration für die Kamera.
Ausgezeichnet für ihr großes Engagement (v.l.n.r.): Alexandra Narváez, Nemonte Nenquimo und Alex Lucitante wurden mit dem «Goldman Environmental Prize» geehrt, der oft als «Nobelpreis für Umweltschutz» bezeichnet wird. Foto: Nico Kingman

Bevor es zum Referendum kommt, überprüft der Nationale Wahlrat die Unterschriften und erklärt mehr als 400.000 für ungültig, aus den bizarrsten Gründen: Die Formulare seien nicht gleich groß oder gleich schwer, es sei kein blauer Kugelschreiber verwendet worden. Außerdem dürfe niemand wählen, der Batman heißt – obwohl es in Ecuador tatsächlich Menschen mit diesem Namen gibt. Das Referendum wird abgelehnt. 2016 beginnt die staatliche Ölgesellschaft mit der Förderung im Yasuní-Nationalpark. 

Doch die Allianz der Umweltschützerinnen und Umweltschützer, allen voran Nemonte Nenquimo und die Waorani, gibt nicht auf. Nach jahrelangem Rechtsstreit erklärt der Oberste Gerichtshof Ecuadors das Referendum für gültig und setzt den Abstimmungstermin auf den 20. August 2023 fest, den Tag der Präsidentschaftswahlen. Fast 18 Millionen Wahlberechtigte dürfen entscheiden, ob das Öl im Boden bleiben soll. Ecuador wäre das erste Land der Welt, das die Förderung fossiler Brennstoffe durch direkte Demokratie einschränkt. Und tatsächlich: 59 Prozent der Bevölkerung sagen «Ja». Das Öl darf nicht gefördert werden, der nationale Ölkonzern muss sich aus dem Naturpark zurückziehen.

In einer Zukunft ohne Kampf hätten wir als indigene Gemeinschaften kein Territorium mehr.

Jairo Irumenga von den Waorani

Solche Erfolgsgeschichten belegen, wie wirksam Bündnisse wie Alianza Ceibo und indigene Gemeinschaften handeln. Sie bewahren seit Generationen Regenwälder und schützen bedrohte Ökosysteme vor Ausbeutung. Sie kämpfen an allen Fronten, ohne dass ihr Wirken und ihr Widerstand in ausreichendem Maße respektiert werden. Nemonte Nenquimo schreibt im Guardian 2019 einen offenen Brief an die «westliche Welt» mit einer einfachen Botschaft: «Eure Zivilisation tötet Leben auf der Erde.» Was hat sich seitdem geändert? Wäre es nicht an der Zeit, gerade die ältesten und erfahrensten Beschützerinnen und Beschützer der Wälder und Flüsse besser zu unterstützen? Als wir Jairo Irumenga fragen, ob er sich eine Zukunft ohne Widerstand vorstellen könne, antwortet er: «In einer Zukunft ohne Kampf hätten wir als indigene Gemeinschaften kein Territorium mehr. In einer Zukunft ohne Kampf stünden wir ohne unsere Kultur, ohne unsere Sprache da. Wir stünden kurz vor der Auslöschung. Deshalb glauben wir: Ohne Kampf wird es kein Leben geben.»

 

in einem blauen Pinselstrich: der Tannenbaum

 

Weihnachtsaktion 2023

Die EWS unterstützten mit ihrer Weihnachtsaktion 2023 die Arbeit von «Alianza Ceibo», einer Allianz indigener Gemeinschaften aus den nördlichen Amazonasgebieten von Ecuador, Peru und Kolumbien. Die NGO wird 25 Euro für jeden Haushalt erhalten, der bis Ende 2023 zu Strom oder Gas von den EWS Schönau wechselte.

Hier finden Sie weitere Informationen zur Weihnachtsaktion.

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20. Dezember 2023 | Energiewende-Magazin