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Sonnenkraft voraus

Ein Bericht von Robert Goldbach

Die EWS-Solaroffensive will einen Beitrag zu einem neuen, bürgergetragenen Solarboom leisten – 2030 könnte PV ein Viertel unseres Strombedarfs decken.

Mit der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die im Dezember 2020 im Bundestag verabschiedet wurde, bekennt sich die Bundesregierung dazu, dass Deutschland bis spätestens 2050 klimaneutral sein soll. Als Zwischenziel sollen 2030 bereits 65 Prozent des landesweit verbrauchten Stroms mit Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein großer und ambitionierter Schritt – doch betrachtet man die Details, finden sich schnell zahlreiche Kritikpunkte für die Verfechter der Energiewende.

Peter Ugolini-Schmidt, Energiepolitischer Sprecher der EWS, hatte bereits im Vorfeld keine allzu hohen Erwartungen an die Neufassung: «Letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Erneuerbaren-Ausbauziele der Bundesregierung weder zur Erreichung der Klimaziele von Paris noch für eine gesicherte Stromversorgung ausreichen», erläutert er. «Die Frage lautet ja: 65 Prozent wovon?» Für 2030 rechnet das mit der EEG-Novelle federführend befasste Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit einem nur wenig gestiegenen Stromverbrauch von 580 Terawattstunden, zum Beispiel infolge von Effizienzsteigerungen.

Junger Mann mit Bart im blauen Jacket spricht und gestikuliert entspannt in einer Präsentation.
Peter Ugolini-Schmidt, Energiepolitischer Sprecher der EWS Foto: Silke Reents

Zahlreiche Energieanalysten gehen allerdings von einem deutlich stärker steigenden Strombedarf aus. Denn aufgrund des vermehrten Einsatzes von Wärmepumpen und der zunehmenden Elektromobilität benötigen die Sektoren Wärme und Verkehr mehr erneuerbaren Strom. Um diesen zusätzlichen Bedarf zu decken, müssen Windkraft und PV deutlich umfangreicher und schneller zugebaut werden. «Wir plädieren dafür, mit mindestens 670 Terawattstunden Strombedarf zu kalkulieren und dementsprechend Erneuerbaren-Kapazitäten zu planen», so Ugolini-Schmidt.

Doch das sei nicht der einzige Pferdefuß an dem Gesetz. Auch die Errichtung von Dach-PV-Anlagen für Gewerbe- und Mietshäuser bliebe trotz Detailverbesserungen noch immer mit einem recht hohen Verwaltungsaufwand und regulatorischen Hürden verbunden. «Dabei bieten doch gerade Städte mit ihren zahlreichen Dachflächen ein großes Potenzial für Photovoltaik», führt er weiter aus. «In den urbanen Zentren ist die Energiewende bislang noch gar nicht angekommen.»

Studie zeigt immenses Potenzial der kleinen PV

Für die EWS, die schon immer einer Verfechterin der «kleinen Photovoltaik» als einem zentralen Bestandteil der bürgergetragenen Energiewende war, ist die energiepolitische Situation auch nach den letzten Reformen unbefriedigend. Doch politische Entscheidungen, die daran etwas ändern könnten, bedürfen einer soliden Faktenbasis. Um die zu schaffen, beauftragten die EWS die Energieexperten des Berliner Analysehauses «Energy Brainpool» mit einer Studie zur Evaluierung des Poten­zials, das die deutschen Dächer von Nord bis Süd zur Stromerzeugung bieten.

Kleine Photovoltaik könnte 
19 Prozent des deutschen Strommixes erzeugen.

Aus der aktuellen Studie von Energy Brainpool

Bei ihrer Berechnung gingen die Autoren ­durchaus konservativ vor und rechneten weniger geeignete Wohn­­lagen heraus. Auch andere praktische Hindernisse, eine Dachsolaranlage zu installieren, wie etwa ­mangelnde Investitionsfreudigkeit, wurden berücksichtigt. Am Ende konnten die Analysten dennoch ein beacht­liches Potenzial von 140 Gigawatt (GW) benennen. Die kleine Photovoltaik, gemeint sind Anlagen bis 100 Kilowatt, könnte bis zu 19 Prozent des deutschen Strommixes erzeugen – im Vergleich zu den gerade einmal 6 Prozent heute. Hinzu kommen noch etwa 30 GW aus PV-Großanlagen. Mit einem Gesamtanteil der Erneuerbaren Energien von 67 Prozent würde dieses Modell locker die aktuelle Zielvorgabe der Bundes­regierung für 2030 übertreffen. So ließen sich 33 Megatonnen CO2-Äquivalente an Treibhausgasen ein­sparen – 
ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.

Zwei Tortendigramme zeigen im Strommix 2019: 8 Prozent PV und 2030: 23 Prozent PV-Anteil.
Strommix in Deutschland für die Jahre 2019 und 2030. Die Werte für 2030 entsprechen Ergebnissen der Szenariomodellierung von Energy Brainpool. Quelle: Öko-Institut und Prognos /  Energy Brainpool
Ein Mann mit einem Ansteckmikrofon steht vor einer an die Wand projizierten Präsentationsfolie.
Der Hauptautor Michael Claußner von Energy Brainpool stellte die Studie im September 2020 in Berlin vor. Foto: Silke Reents

Das Potenzial zu benennen ist das eine – es zu rea­lisieren etwas ganz anderes. Um am Ende des Jahrzehnts auf diese Abdeckung zu kommen, sollte laut der Studie so schnell wie möglich mit einem entschlossenen Ausbau begonnen werden: Jährlich müssen dafür 12 GW, ab 2027 sogar 14 GW an solarer Erzeugungskapazität zugebaut werden. Eine ambitionierte Vorgabe: Selbst im Rekordjahr 2011 waren es nicht mehr als knapp 8 GW. Die Bundesregierung rechnet im neuen EEG mit durchschnittlich 5 Gigawatt pro Jahr.

Was dafür geschehen muss, skizziert Studienautor Michael Claußner von Energy Brainpool: «Die Maßnahmen fußen – neben einem deutlich angehobenen CO2-Preis – auf drei Säulen. Erstens: Die Bundesregierung muss Planungs­sicherheit schaffen und diesen Pfad gesetzlich verankern, damit zum Beispiel Fachkräfte ausgebildet und Investitionen getätigt werden können. Zweitens sollte für PV-Anlagen – und gerade auch für Kleinstanlagen – ein einfacherer Marktzugang geschaffen werden. Und drittens sollten die Anwendungsfälle für Photovoltaik erweitert werden – mit einer bundesweiten Solarpflicht für alle Neubauten, einem weiter vereinfachten Mieterstrommodell und dem Recht auf ‹Energy Sharing› in kleinen Energiegemeinschaften.»

Das Dilemma der Solarpioniere

Es gibt also gute Argumente, um den Ausbau der Solarenergie entschlossen voranzutreiben und die Dächer vollzupacken. Doch stattdessen könnte sogar ein Rückbau drohen: Für Tausende Anlagenbesitzer hängt der Weiterbetrieb in der Schwebe – wegen wirtschaftlicher Unsicherheiten nach dem Auslaufen der EEG-Förderung. Ab Anfang 2021 verlieren die ersten der seit 2000 in Betrieb genommenen Anlagen ihren Anspruch auf eine auskömmliche Einspeisevergütung, darunter viele private Kleinanlagen. 

Die Neufassung des EEGs sieht inzwischen zwar eine andere Form der Einspeisevergütung vor: Die Anlagenbetreiber können auch künftig ihren Strom an den Netzbetreiber verkaufen und werden dafür über einen bestimmten Zeitraum mit dem Marktwert entlohnt, der bei zwei bis vier Cent pro Kilowattstunde liegt. Doch gerade für Kleinst­an­lagen hat dies zu Folge, dass sie an die Grenze der Wirtschaftlichkeit stoßen.

Aus Kunden werden Stromlieferanten

Dieses Problem erkannte man auch in Schönau: «Zur Umsetzung unserer Vision einer ökologischen, bürgergetragenen Energieversorgung unterstützen wir unsere Kunden von jeher bei der Anschaffung von PV-Anlagen», erklärt Vorstand Alexander Sladek. In Zeiten der Klimakrise dürfe es nicht passieren, dass technisch einwandfreie Solaranlagen vom Netz gehen, nur weil die Rahmenbedingungen nicht schnell genug angepasst wurden. «Daher haben wir uns entschlossen, ein Angebot für solche Ü20-Anlagen zu schaffen.»

Wir verstehen unsere Kunden und Mitglieder als Gemeinschaft.

Luis Pfeiffer, EWS-Produktmanager «Integrierte Energielösungen»

Dabei wurden auch die Kunden mit einbezogen: In der «digitalen Bürgerenergiewerkstatt» der EWS versammeln sich Menschen mit besonderem Interesse für die Bürgerenergiewende, um dort auch ihre Wünsche und Vorstellungen bezüglich der Anschlussregelung ihrer PV-Anlagen einzubringen. «Wir verstehen unsere Kunden und Mitglieder als Gemeinschaft. Da ist es nur folgerichtig, dass wir auch ihren Strom aufnehmen, wenn sie welchen anzubieten haben, und ihn dann an andere Abnehmer weitergeben», sagt Luis Pfeiffer vom Stromaufnahme-Team der EWS. «So bleibt der Ökostrom im System, und wir können gleichzeitig den Anteil an regionaler Solarenergie in unserem Strommix steigern.»

 

Blick über Berlin, im Vordergrund die große Dachfläche eines Gründerzeithauses, auf dem PV installiert wird.
Städte bieten mit ihren vielen Dachflächen ein riesiges Potenzial für eine verbrauchsnahe Stromerzeugung. Foto: Christopher Rowe

Vorerst können nun 250 Kunden mit einer Ü20-Anlage offizielle Stromlieferanten der EWS werden, ganz gleich, ob sie ihren gesamten Strom verkaufen oder ihn teilweise selbst verbrauchen wollen. Dafür erhalten die Teilnehmer eine Vergütung von bis zu sechs Cent pro Kilowattstunde. Die Abrechnung erfolgt über ein «intelligentes Mess­system» (iMSys), das Stromerzeugung und -verbrauch digital erfasst und dokumentiert. Auf Basis dieser Zahlen können die Stromlieferanten die Stromflüsse in einer App in Echtzeit nachvollziehen. «Wir wollen mit unseren Kunden und Mitgliedern die EEG-Erfolgsgeschichte fortschreiben», so Alexander Sladek. «Und gerade auch der Strombezug aus Ü20-Anlagen trägt zu unserer Vision eines dezentralen und bürgergetragenen Energiesystems bei.»

Strom aus der Nachbarschaft

Wie sich diese Vision realisieren lässt, wird in Schönau bereits im Rahmen eines Modellprojekts untersucht: Dabei werden PV-Anlagen, Blockheizkraftwerke und Stromspeicher mittels digitaler Technik zu einem virtuellen Bürgerkraftwerk gruppiert. Hinzu kommen Verbraucher wie Elektroautos. Mittlerweile nehmen 27 Teilnehmer an dem Modell teil und erkunden miteinander, wie digitale Technik helfen kann, Stromflüsse versorgungssicher, netzdienlich, sektorenübergreifend und flexibel zu regeln.

Wir wollen mit unseren Kunden und Mitgliedern die EEG-Erfolgsgeschichte fortschreiben.

Alexander Sladek, Vorstand der EWS

Das Potenzial ist erkannt, die Notwendigkeit auch, die technischen Lösungen sind da – jetzt heißt es gemeinsam anpacken. Mit der Solaroffensive wollen die EWS die Photovoltaik in allen Bereichen nach vorne bringen. Neben dem Weiterbetrieb von Altanlagen gehört natürlich auch das Schaffen neuer solarer Kapazitäten dazu: EWS-Kunden, die sich eine PV-Anlage anschaffen wollen, werden durch das Förderprogramm «Sonnencent» unterstützt. So sind bereits 2.850 solcher «Rebellenkraftwerke» entstanden.

Daneben realisieren die EWS auch PV-Großanlagen, wie etwa den auf einer ehemaligen Deponie gelegenen Solarpark Herten. In den Städten beteiligen sich die Schönauer an Mieterstromprojekten – so auch in Berlin-­Neukölln. Und um Kunden einen möglichst hohen Anteil an Solarstrom liefern zu können, soll zukünftig auch das Instrument des «Power Purchase Agreement» (PPA) stärker genutzt werden, das langfristige Stromankaufverträge mit Erzeugern von Erneuerbarer Energie ermöglicht.

EWS-Vorstand Sebastian Sladek betont, dass es jetzt vor allem darauf ankomme, die Umgestaltung des Energiesystems möglichst schnell voranzutreiben: «Was wir nicht mehr haben, ist Zeit. Die Klimakrise ist bereits da. Und da möchte ich an das Motto der Genossenschaften erinnern: ‹Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.› Also lasst uns die Dächer vollpacken!»

 

Zwei Männer in Anzug und strubbeliger Frisur halten ein Papierdokument freudig und stolz hoch.
Download der Studie

«Chancen einer Verdreifachung des PV-Kleinanlagenanteils am Strommix bis 2030» von Michael Claußner, Matthis Brinkhaus, Christopher Troost von Energy Brainpool.

Die im Juli 2020 veröffentlichte Studie im Auftrag der EWS können Sie hier herunterladen.

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17. Dezember 2020 | Energiewende-Magazin