Saubere Energie aus dem Neckarkanal
Ein Bericht von Petra Völzing
Ein Hotel in Esslingen am Neckar wird mit umweltfreundlicher Energie aus einer historischen Wasserkraftanlage versorgt – unterstützt von den EWS.
Am beschaulichen Esslinger Roßneckarkanal dreht sich in einem alten Schuppen ein gewaltiges altes Wasserrad. Der Ingenieur Bernd Spielmann, der gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Merlau die Wasserkraftanlage betreibt, ist gerade dabei, nach dem Rechten zu sehen. «Es gibt nicht viel zu tun, die Anlage ist sehr zuverlässig», sagt er. Der Wasserkraftenthusiast muss es wissen, denn er hat das Rad aus dem Jahr 1878 selbst restauriert. Die ehrwürdige Anlage gehört zu der 1294 erstmals erwähnten «Oberen Mühle» im von altem Fachwerk geprägten Städtchen Esslingen, durch das sich viele Kanäle ziehen, die allesamt vom Neckar gespeist werden.
Seit 2009 beherbergt die Anlage das vom Sozialunternehmen HoGa-Tourist (SHT) betriebene «EcoInn Hotel am Campus». Seit 2012 ist Thomas Puchan Geschäftsführer und hat das als gemeinnützige GmbH geführte Hotel seither konsequent zu einem ökologischen Vorzeigebetrieb weiterentwickelt.
Unter dem Gebäude ist zusätzlich eine hundert Jahre alte Wasserturbine in Betrieb. Wasserrad und Turbine versorgen das Hotel mit regenerativem Strom. Aber auch Energieeffizienz und Umweltbewusstsein werden im Hotelbetrieb großgeschrieben: In den Zimmern gibt es weder Kühlschränke noch Klimaanlagen. Das Frühstücksbuffet wird überwiegend mit ökologisch angebauten und regional erzeugten Köstlichkeiten bestückt. Eine große Wasserwärmepumpe sorgt mithilfe des Neckarwassers für Beheizung und Warmwasser im Haus.
WIR SIND DAS HOTEL MIT DEM NIEDRIGSTEN CO₂-FUSSABDRUCK IN EUROPA.
Selbst die Staubsauger und bisher verwendeten Bioreinigungsmittel hat der umweltbewegte Manager aus dem Betrieb verbannt. Gereinigt wird nun mit speziell für die Hotellerie entwickelten Dampfreinigern, die Reinigungsmittel unnötig machen und Wasser einsparen. Das schont Ressourcen, entlastet Gewässer und fördert die Gesundheit, gerade in Hinsicht auf Allergien.
Auch der soziale Aspekt spielt im EcoInn eine große Rolle. Puchan beschäftigt mehrere Mitarbeiter mit körperlichen Einschränkungen und Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, wie die Kroatin Drazenka Luz, die sich von einer Stelle als Ein-Euro-Kraft hochgearbeitet hat und heute mit viel Engagement die hauswirtschaftlichen Abläufe im Hotel leitet. Das Engagement bleibt nicht ohne Resonanz: 2018 erhielt das Hotel den Innovationspreis Ausbildung der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, weil es eine berufliche Perspektive für Jugendliche aus anderen europäischen Ländern schafft.
Historische Anlagen fit für sauberen Strom
Thomas Puchan tritt in den Frühstücksraum mit der Terrasse, die direkt über den Roßneckarkanal thront. Durch das geöffnete Fenster hört man die leise Schaufelbewegung des Wasserrads, das in dem angrenzenden Holzschuppen untergebracht ist. Dort überprüft Bernd Spielmann regelmäßig den Betrieb der Anlage, die er gemeinsam mit Roland Merlau 2002 zunächst von der Stadt, fünf Jahre später dann vom EcoInn gepachtet hat.
Wir wollten nicht nur reden, sondern zeigen, was da tatsächlich möglich ist.
2007 erwarb Rainer Dold, Geschäftsführer der EcoInn-Betreibergesellschaft HoGa-Tourist, das Gebäude samt Wasserkraftanlagen von der Stadt – mit dem Ziel, das EcoInn-Hotel energieautark zu betreiben. Dazu dienten die vorhandenen Anlagen mit Wasserrad und Turbine. Zusätzlich ließ Dold eine große Wasserwärmepumpe einbauen, die es in dieser Dimensionierung zuvor noch nicht gegeben hatte. Mit ihr ist es möglich, das komplette Gebäude mit Warmwasser für Heizung und Bad zu versorgen.
Bernd Spielmann, Roland Merlau und die EcoInn-Macher eint die Begeisterung für das Potenzial Erneuerbarer Energien und für historische technische Anlagen. Merlau ist Zimmermann. Seine Kenntnisse und Erfahrung ergänzen sich gut mit dem Ingenieurswissen von Spielmann. Die beiden haben in zweijähriger Arbeit an den Wochenenden und abends das gewaltige Rad komplett restauriert und für eine zeitgemäße Stromerzeugung fit gemacht.
Das Rad mit 6 Metern Durchmesser und einer Breite von 2,30 Metern erbringt mit seinen 40 Schaufeln aus Eichenholz eine Leistung von 17 Kilowatt. Bei maximaler Öffnung fließen pro Sekunde 2.700 Liter Wasser in die Anlage. «Zur Veranschaulichung: Das entspricht einer Menge von ungefähr 20 vollen Badewannen pro Sekunde», erklärt Spielmann und lacht. Mit dem Strom könnten ungefähr 50 Haushalte versorgt werden. «Uns war es wichtig, einen Beitrag für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu leisten», unterstreicht er.
Wasserrad mit bewegter Geschichte
Das Wasserrad am Hotel EcoInn ist nicht immer zur Stromerzeugung genutzt worden. Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts trieb die Wasserkraft eine Getreidemühle an. Bekannt ist auch, dass das Gebäude im 19. Jahrhundert als sogenannte «Kunstmühle» für kulturelle Veranstaltungen und Feste in historischer Kulisse genutzt wurde.
Bernd Spielmann hat sich im Rahmen der Restaurierung in alte Unterlagen vertieft. So fand er heraus, dass in der Frühzeit der Industrialisierung begonnen wurde, die Wasserkraft mechanisch zu nutzen, zunächst von einer Tuchfabrik. 1878 bekam das Wasserrad seine heutige Größe. 1903 kaufte die Maschinenfabrik Lorch aus Bad Cannstatt die Anlage. Die Wasserkraft wurde über Riemen in mechanische Energie übertragen, mit der Maschinen betrieben wurden. Genutzt wurde die Energie zur Herstellung von Bettfedern.
1986 erwarb die Stadt Esslingen das Gelände und das dazugehörige unbefristete Wasserrecht. Ab 1988 nutzte die Stadt das Wasserrad zur Stromerzeugung. Der Betrieb war allerdings sehr laut und wartungsaufwendig, sodass das Rad nur zu bestimmten Tageszeiten in Betrieb sein konnte. Dieses Problem wurde von Spielmann und Merlau mit ihrem Umbau gelöst.
Eine Turbine diente zu Forschungszwecken
Das Wasserrad ist allerdings nicht das einzige Wasserkraftprojekt am EcoInn. Spielmann und Merlau betreiben auch eine hundert Jahre alte Turbine, die unter dem Hotel für noch mehr saubere Energie sorgt. Im Frühstücksraum bestehen Teile des Fußbodens aus Glas, darunter werden kleine Kanäle sichtbar. Auch dort dreht sich eine Turbine, die aber lediglich der Anschauung dient und von den hochinteressanten Wendungen der Geschichte des alten Hauses zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeugt.
1910 nämlich bezog die neu gegründete Ingenieursschule das alte Mühlengebäude. Im heutigen Frühstücksraum wurden die Kanäle angelegt, um das Strömungsverhalten des Wassers für die Entwicklung von Turbinen zu erforschen. 1918 wurden dann eine große Betriebsturbine und eine kleinere Messturbine installiert. Die Betriebsturbine sorgte für die Beleuchtung der Hochschule und den Betrieb der Esslinger Straßenbahn. Auch diese Turbine sanierten und modernisierten Spielmann und Merlau komplett.
«Um die Funktionsweise besser zu verstehen, habe ich mir im Stadtarchiv die Originalpläne von 1918 angesehen», berichtet Spielmann. Mit diesem Hintergrundwissen arbeitete er die Turbine mit ihrem Durchmesser von 2,20 Metern auf: Die 28 Einlaufschaufeln mit einem Gewicht von je 70 Kilogramm wurden neu gelagert, Getriebe, Generator und Steuerung ersetzt. Ganz neu ist auch ein Wärmetauscher, der den Generator und das Getriebe in Form eines Wassermantels umschließt und gleichzeitig schalldämpfend wirkt.
«Mit dieser Technik» so Spielmann, «können wir für das Hotel aus der Abwärme noch 3,5 bis 4,5 Kilowatt nutzbare Wärme erschließen.» Draußen am Kanal bekommt man eine Ahnung von der Kraft des Wassers. Direkt am Hotel teilt sich das abgezweigte Wasser und rauscht geräuschvoll Richtung Wasserrad und zur Turbine unter dem Haus. Diese wird von einem neuen, hochmodernen Rechen vor Treibgut geschützt. Auch Fische kommen hier nicht durch. «Mehrere Sensoren melden sofort jede Störung», so Bernd Spielmann.
Erzeugergemeinschaft für günstigen Strom
Die Energie aus Turbine und Wasserrad fließt direkt in das Stromnetz des Hotels. Auf diese Weise kann das Netznutzungsentgelt eingespart werden. Das Hotel und die beiden Kraftwerkspächter Spielmann und Merlau haben sich dafür zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen.
Mit im Boot sind auch die Elektrizitätswerke Schönau. Sie haben die Akteure zu den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen beraten und für diesen besonderen Fall ein Messkonzept realisiert. Weil Spielmann und Merlau keine Energieversorger sind, übernehmen die EWS zusätzlich diese Rolle: Sie verkaufen den Wasserstrom ans Hotel und liefern – wenn notwendig – den Reststrom.
DIESE FORM DER ENERGIE VERSORGUNG VOR ORT UNTERSTÜTZEN WIR SEHR GERNE.
Das Hotel bezieht den Strom günstig und die EWS zahlen den Betreibern eine Vergütung über dem normalen Einspeisesatz. So profitieren alle von der preiswerten Vor-Ort-Stromversorgung. «Es ist bewundernswert, wie die EcoInn-Macher mit Bernd Spielmann und Roland Merlau aus eigener Initiative mit historischer Wasserkraft die Erneuerbaren Energien voranbringen und greifbar machen», lobt der EWS-Vorstand Sebastian Sladek.
Ideale Bedingungen für Fische
Am Hotel überbrückt auch eine Fischtreppe die Staustufe. «Im Kanal gibt es einen großen Fischreichtum», erzählt Spielmann. Die Turbine reichert das Wasser mit Sauerstoff an, und durch die Fließgeschwindigkeit gibt es am Boden keinen Schlamm – ideale Bedingungen für Fische.
Dass Wasserkraft und Staustufen fischfeindlich seien, weist der Experte entschieden zurück. «Auch in der Natur gibt es im Flüssen Stellen, die für die Fische nicht zu überwinden sind», sagt er. Er hat auch schon weitere Pläne: «Ich möchte den Kanal hinter der Turbine noch etwas tiefer bekommen, um die Fallhöhe des Wassers zu vergrößern.» Dafür würde er gerne die Steine im Kanal etwas zur Seite räumen. «Auf diese Weise könnten wir noch einmal zehn Prozent mehr Leistung aus der Turbine holen.»
Gemeinsam hoffen Spielmann und Puchan, mittelfristig auch das nahegelegene Tagungshaus «Econvent» mit einer Leitung direkt an die Wasserkraft anzubinden. Bislang wird der im EcoInn erzeugte Strom ins Netz eingespeist und im Tagungshaus wieder entnommen. Die Zeichen stünden insgesamt gut für einen Wandel, meinen beide. «Immer mehr Gäste interessieren sich für die ökologischen Aspekte und die Wasserkraft am Hotel», sagt Puchan. «Wir müssen einfach geduldig dranbleiben.»
-
Unterwegs zur intelligenten Bürgerenergie
Gemeinsam mit Bürgern aus der Region testen die EWS, wie ein erneuerbares Energiesystem der Zukunft funktionieren kann: mit Photovoltaikanlagen, Salzwasser-Batteriespeichern und hocheffizienten Blockheizkraftwerken.
-
Endlich Ruhe auf der Alp
Noch knattern auf zahllosen Schweizer Alpen Dieselgeneratoren, um Strom für die Melkmaschinen zu gewinnen. Das möchte ein Schweizer Ingenieur ändern. Eine Geschichte über Max Ursin, einen Senner und Salzbatterien in den Bergen.