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Mit Leib und Seele – und mit Verstand

Ein Nachruf von Fritz Vorholz

Als langjähriger Freund und einer der ersten, der über die «Schönauer Stromrebellen» berichtete, erinnert Fritz Vorholz an Michael Sladek.

Es ist nicht so, dass Michael Sladek schon immer Rebell werden wollte. Eigentlich wollte er Theologie studieren, Priester werden. Ihn faszinierten Mönche. In einem Kloster gregorianischen Gesängen zu lauschen, das tat er leidenschaftlich gern, bis zuletzt. Priester wurde er dennoch nicht. Stattdessen heiratete er, Kontrastprogramm, seine Schulfreundin Ursula, wurde Landarzt in Schönau und Vater von fünf Kindern.
 
Wahrscheinlich wäre er nie über die Grenzen des Schwarzwaldstädtchens hinaus bekannt geworden, wäre es am 26. April 1986 nicht zu der Reaktorkatastrophe im fernen Tschernobyl gekommen. Die radioaktive Wolke bewegte sich Richtung Westen, auch auf den Schwarzwald zu, viele fürchteten um die Gesundheit ihrer Kinder. Spielen im Sandkasten wurde für die Kleinen zum Tabu, auch für die kleinen Sladeks, selbst die Berührung mit Gras galt es so gut wie möglich zu vermeiden. Das gab es noch nie, das sollte sich nie wiederholen. Doch anders als anderswo blieb es in Schönau nicht beim Aufgeregtsein, es formierte sich eine Handvoll Bürgerinnen und Bürger um die Sladeks zu einer Gruppe namens «Eltern für atomfreie Zukunft» (EfaZ). Das war der Beginn einer Geschichte, die von Mut und Tatkraft handelt – und die Michael zu einer Autorität werden ließ, die Strahlkraft bis in ferne Kontinente entfalten sollte. Später sollten sie bis aus Japan nach Schönau kommen, um von den Erfahrungen der Schwarzwälder zu lernen.

Michael würde vermutlich vehement bestreiten, dass er der Zentralstern einer Bürgerbewegung war, der weit über Schönau hinaus strahlte. Das ehrt ihn. Er war es trotzdem – auch wenn er ohne seine Mitstreiter etwas weniger gestrahlt hätte.

Eine ganze Gemeinde in Bewegung bringen

Ich lernte Michael Sladek im Sommer 1991 kennen, damals als Redakteur bei der ZEIT. Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, was sich da in dem 2.500-Seelen-Ort im Schwarzwald abspielte und anbahnte. Tatsächlich hatte inzwischen die Gruppe um Sladek einen fast tollkühnen Plan ausgeheckt: Sie wollte dem bisherigen Stromlieferanten das Stromnetz abkaufen und auf diese Weise eine Versorgung ohne Atomstrom organisieren: Energiesparen, Blockheizkraftwerke, Sonnen-, Wind- und kleine Wasserkraftwerke sollten Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen – ein Gedanke, der zu jener Zeit allenfalls in Sonntagsreden auftauchte, wenn überhaupt. «Was können wir mehr erreichen, als solches Engagement vor Ort», sagte mir der CDU-Politiker Bernd Schmidbauer, damals Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, als ich ihn nach der Schönauer Initiative fragte.

Ich erlebte Michael Sladek, wie ich ihn in den kommenden Jahrzehnten fast immer erlebt habe: Mit schwarzer Hose, weißem Poloshirt, oft mit roter Strickjacke und immer mit Vollbart und leicht ungeordnetem Haupthaar. Ob er damals schon Clogs trug, weiß ich nicht mehr. Er hätte besser nie dieses locker sitzende Schuhwerk tragen sollen, das ihn irgendwann auf der Passhöhe des Stilfser Joch zum Stolpern brachte, was einen komplizierten Knochenbruch zur Folge hatte. 

Ich erlebte ihn als Kämpfer. Als einen, der seine Gegner respektierte, sie nicht zu vernichten trachtete. Als Ideengeber, der seinen Gesprächspartner immer wieder zum Nachdenken anstiftete. Und ich erlebte ihn als Gläubigen, der daraus nie einen Hehl machte. Nächstenliebe war ihm selbstverständlich. Als großen Redner habe ich ihn nicht erlebt. Er überzeugte auf andere Weise, mit seiner ansteckenden Begeisterung, mit seinem Schwung und mit der Ausdauer, die er bei der Suche nach Anregungen und neuen Ideen an den Tag legte. 

Ein Tisch als Schaltzentrale der Netzübernahme

Im Laufe der Jahre verbrachten wir viele Stunden gemeinsam; anfangs in Sladeks Wohnzimmer am runden Esstisch, wo er von Zeit zu Zeit Politiker, Juristen, Ingenieure versammelte, um über die Reform des Energiewirtschaftsgesetzes zu beraten und über die große Transformation, die damals noch nicht so genannt wurde, aber hier im Kleinen beginnen sollte. Es war die Zeit, bevor es die Schönauer Stromseminare gab, bei denen unter anderen auch Prominente wie Hartmut Graßl auftreten sollten, der nicht nur einer der weltweit renommiertesten Klimaforscher ist, sondern auch verwandtschaftliche Beziehungen nach Schönau hat. Viele vergnügliche Stunden verbrachten wir im Gasthof «Vier Löwen», wo wir so manchen «Topf» (O-Ton Sladek) Bier leerten. 

1991, das war noch vor dem Erdgipfel in Rio de Janeiro, der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung. Nachhaltigkeit war damals noch ein Fremdwort, das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht mehr als eine vage Idee. Und über das Schönauer Stromnetz verfügten damals die Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR), die sich das Geschäft mit dem Netz natürlich nicht aus der Hand nehmen lassen wollten. Doch Sladek & Co schlugen das Unternehmen mit ganz eigenen Waffen: Bürgersinn und überwältigende finanzielle Unterstützung. Nach zwei gewonnenen Bürgerentscheiden und nachdem die Initiative den Zuschlag der Gemeinde für das Stromnetz erhalten hatte, sammelte sie unter dem Motto «Ich bin ein Störfall» Spenden aus ganz Deutschland. Die Resonanz war riesig – und so gelang es innerhalb weniger Monate, das Geld für den Netzkauf zusammenzubekommen. 

Der Moment der Netzübernahme am 1. Juli 1997 war der Durchbruch, er war eine ganz besondere Erfahrung – die Erfahrung, dass sich gemeinsam etwas erreichen lässt, wenn man nur will: dass sich Ohnmacht überwinden lässt. Was wiederum ein schönes Gefühl entstehen lässt, das «Schönauer Gefühl». Es wurde zu einer Art Markenzeichen und Exportprodukt der Stromrebellen – und niemand verkörperte es so perfekt wie der Genussmensch Michael Sladek. Dass sich zum Gefühl gelegentlich größere Portionen Schäufele, Schnitzel oder Wurstsalat gesellten, warum nicht? «Genießen, was man erreicht hat», sagte Michael gern. 

Energiewende-Duo mit Durchschlagskraft

Ungewöhnlich war damals, dass Rebellen Preise bekamen. Es waren viele. Dabei ist es nicht ganz einfach, die Verdienste von Michael und Ursula zu trennen. Sie wurde hauptamtliche Geschäftsführerin des neu gegründeten Energieunternehmens, er blieb Arzt, engagierte sich ehrenamtlich als Vorstand und ersann fortwährend Strategien mit dem Ziel, die Strahlkraft der EWS zu erhöhen. Die vielfachen Anerkennungen, die ihr, Ursula, zugesprochen wurden, sie galten stets auch ihm, Michael; er machte allerdings nie Aufhebens um seine Person, fühlte sich auch in der zweiten Reihe wohl. 

Michael und Ursula Sladek, die beiden gab es eben nur im Doppelpack. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann würdigte das Wirken des umtriebigen Ehepaares, Bundespräsident Joachim Gauck ebenso wie Angela Merkel, damals Bundesumweltministerin. Im April 2011 empfing der damalige US-Präsident Barack Obama Ursula Sladek im Weißen Haus, nachdem sie den «Goldman Environmental Prize» erhalten hatte, der als Nobelpreis des Umweltschutzes gilt. 

Ursula hat vor vier Jahren ein Büchlein geschrieben, in dem sie ihren Ehemann liebevoll und unterhaltsam auftreten lässt, mit all seinen Fähigkeiten und Marotten. «Es war mir wichtig, ihn mit seinen skurrilen Eigenheiten für die Nachwelt festzuhalten», schreibt sie. Das Buch ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, was Ursula über Michael schreibt, soll ihre Kinder und Kindeskinder erfreuen. Im Vorwort verrät sie, dass es Michaels Traum war, einen Zirkus zu besitzen, mit Artisten und mit Tieren. 

Der Zirkus blieb ein Traum, stattdessen hat Michael demokratische Basisarbeit geleistet. Sein gesellschaftspolitisches Vermächtnis hat er vor wenigen Wochen an dieser Stelle selbst formuliert. Worauf kommt es an, wenn man vom Wollen zum Handeln kommen und am Ende auch erfolgreich sein will? Gemeinschaft organisieren, war einer seiner zentralen Antriebskräfte, aber mit einer guten Portion Lebensfreude – und mit viel Respekt vor dem Gegenüber. 

«Wir haben das Lachen nicht verlernt», sagte er mir noch vor Kurzem. Michael Sladek war ein außergewöhnlich gewinnender Mensch. Er wird mir fehlen – und vielen anderen auch.

 

Dr. Fritz Vorholz, im Hintergrund ein lichter Mischwald

Fritz Vorholz

Dr. Fritz Vorholz, Jahrgang 1953, Volkswirt und Absolvent der Kölner Journalistenschule, war 27 Jahre lang Redakteur der Wochenzeitung «DIE ZEIT», wo 1991 auch sein Beitrag «Ein Dorf unter Spannung» (hinter Bezahlschranke) über die Anfänge der Schönauer Bürgerinitiative erschien. Von 2016 bis 2020 leitete er die Kommunikation bei «Agora Verkehrswende», einem Thinktank für klimaneutrale Mobilität mit Sitz in Berlin.

28. September 2024 | Energiewende-Magazin