«Wir brauchen eine neue Aufklärung»
Thomas Jorberg im Gespräch mit Tom Jost
Ermöglicher, Mitstreiter, Aufsichtsrat: Thomas Jorberg über 20 Jahre Firmengeschichte der EWS.
Herr Jorberg, von der Anthropologin Alison Hingston Quiggin stammt der wunderliche Satz: «Jeder − außer einem Ökonomen − weiß, was man unter Geld versteht.» Sie sind seit 1986 diplomierter Ökonom – man ist also gespannt …
Die Frage kann man philosophisch, technisch oder emotional beantworten. Im Prinzip ist es nichts anderes als ein Organisationsmittel, also ein Mittel, mit dem ich Anspruch auf Leistungen anderer nehmen kann. Ob das in Form von Produkten ist oder von Dienstleistungen oder von was auch immer. Ein Gestaltungsmittel auch, aber heute wird es mehr als Wert an sich genommen – was völliger Unfug ist.
Bei den Schönauern geriet Ende der 1980er-Jahre vieles in Bewegung – aber es ging zu Beginn noch überhaupt gar nicht um Geld.
Nö. Sondern darum, dass Menschen a) mit Strom versorgt werden und b) dieser Strom so erzeugt wird, dass er weder die Umwelt noch die Menschen kurzfristig oder langfristig schädigt.
Und ums Stromsparen. Ist das eine Spielart des Gedankens, Geld als Gestaltungsmittel zu begreifen, wenn man sagt: Dafür möchte ich bitte mein Geld auf keinen Fall ausgeben?
Die «Eltern für atomfreie Zukunft» haben diese Stromspar-Wettbewerbe gemacht, damit weniger CO2 emittiert wird oder Becquerel freigesetzt werden. Der Nebeneffekt war, dass man damit auch Geld spart – aber nie das Ziel. Die Frage war ja: Was machen die Jungs denn mit meinem Geld? In diesem Falle die Stromversorgungsunternehmen. Da kann man mit Konsum unsere Gesellschaft schon steuern.
In Schönau fing Geld ab 1991 an, richtig eine Rolle zu spielen, als man den ersten Bürgerentscheid gewann und sich darauf vorbereiten musste, selbst in Verantwortung zu gehen. Hatten Sie diese aufmüpfigen Schwarzwälder damals in Bochum schon auf dem Radar?
Nein, beim ersten Bürgerentscheid noch nicht. Als man sich auf den Weg machte, das Netz tatsächlich zu übernehmen, zu bewerten und zu finanzieren, ist dann ein Kunde, der uns als GLS Bank und auch die Schönauer gut kannte, auf die Idee gekommen: Ich muss die zusammenbringen.
Die GLS Bank hatte schon sehr früh einen Fonds aufgelegt, um den Netzkauf zu unterstützen. Wie gelingt es, zwei Millionen – damals noch DM – für Leute zu mobilisieren, die und deren Utopie so gut wie niemand kennt?
Es haben sich Menschen beteiligt, die Atomenergie aus Umweltgründen ablehnten und sowieso hochmotiviert waren. Und es war eine David-gegen-Goliath-Story: Dass ein Arzt und eine Lehrerin gemeinsam die Energiewirtschaft aufmischen, war natürlich eine Geschichte, die wir erzählen konnten. Dass sich vor Ort zu diesem Zeitpunkt schon sehr viele Bürger hinter sie gestellt und sich engagiert haben, machte es noch besser. Ohne sie alle wäre das gar nicht denkbar gewesen.
Kann man sagen, dass die schließlich gelungene Netzübernahme der erste große Ausdruck eines konträren Bürgerwillens gewesen ist, Geld einmal ganz anders positiv einzusetzen: direkter, nachhaltiger, vielleicht auch sinnstiftender?
Der erste nicht, aber ein sehr entscheidender und beispielgebender. Tschernobyl war der Auslöser für viele, zu sagen: Jetzt ist’s genug, wir müssen was tun. Und Vorläufer des Energiefonds Schönau waren drei Fonds, die wir als GLS schon im Bereich Wasser- und Windkraft aufgelegt haben. An denen sich Bürger beteiligten, um regenerative Energien möglich zu machen. Das Instrument eines Bürgerbeteiligungs-Fonds hatten wir schon entwickelt.
Während der «Ich bin ein Störfall»-Kampagne hatten sich Menschen ja nicht nur mit ihrem Geld an einem guten Unternehmen beteiligt, sondern auch selbstlos gespendet. Schüler, die ihr wöchentliches Taschengeld gaben, genauso wie solche, die ansehnliche fünfstellige Beträge schenkten. Was ist da vorgegangen?
Zum einen war es auch noch einmal die «David gegen Goliath»-Geschichte. Und es hatte auch mit Macht zu tun. Die KWR, der das Netz gehörte, hatte dreimal so viel gefordert, wie es tatsächlich wert war: «Anders geben wir es nicht her. Ihr könnt ja klagen.» Wissend, dass eine Klage viele Jahre dauert und in dieser Zeit eine solche Bürgerinitiative ausgehungert wird. Die einzige Möglichkeit war, diesen Kauf über Schenkungsmittel zu finanzieren. Das Ministerium hätte die Genehmigung anders nicht erteilt. Es waren übrigens zum Teil sechsstellige Beträge.
Umso überraschender, weil es ja nicht nur bundesweit ein Novum war, sondern die handelnden Akteure – vorsichtig gesagt – keine Profis gewesen sind. Eher bürgerliche Amateure, die man dann auch noch als ahnungslose «Fritzchen» diffamierte …
Mit konventioneller Brille betrachtet waren das Laien, die keine Ahnung von der Stromwirtschaft haben. Im Nachhinein hat es sich herausgestellt, dass es die eigentlichen Profis waren, denn die anderen haben die Entwicklung verschlafen und ihre Unternehmen sind jetzt bald pleite. Nichts ist überzeugender als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Das haben die (Großkonzerne, Anm. der Red.) nur nicht gemerkt.
Der Kauf des Stromnetzes landete tatsächlich vor Gericht. Es hat acht Jahre gebraucht, bis man über zwei Millionen DM, also mehr als eine Million Euro zurückerhielt. Was ist eigentlich mit diesem Geld passiert?
Die Schönauer waren cleverer als die Stromindustrie. Kauften unter Vorbehalt, klagten sofort gegen den Kaufpreis – das zeigt, wie hochprofessionell Laien sein können. Diese Mittel sind dann zurückgeflossen an die Stiftung «Neue Energie», die wir ja vorher gegründet hatten. Seitdem fördert diese Stiftung Bürgerenergieprojekte und neue Entwicklungen.
Mit der Netzübernahme konnte man 1997 anfangen, eine Utopie in die Realität umzusetzen. Wie schwierig ist es, sie über die Jahre fortzuentwickeln? Wie behält man sie im Herzen?
Ich würde es lieber eine Vision nennen, die die Schönauer und die Sladeks hatten. Und sie war nicht nur, dass man jetzt Schönau mit nachhaltiger Stromversorgung beglückt. Sondern dass wir alle Atomkraftwerke abschalten und es nie wieder neue gibt. Dass wir Stromtarife haben, die das Stromsparen belohnen. Dass wir regenerative Energien nehmen. Es ist heute noch die Vision.
Schon bei der Inbetriebnahme des Netzes ist aber das Energiewirtschaftsgesetz als größtes Hemmnis liberalisiert worden – und man hatte völlig andere Verhältnisse als jene, unter denen man gekauft und alles geplant hatte. Stromnetz und Kraft-Wärme-Kopplung waren dann die Instrumente, um die eigentlichen Visionen zu entwickeln – deswegen sind die EWS so erfolgreich.
Dem ersten Schönauer Stromseminar hat Carl Amery einen schönen Satz geschenkt: «Die Zukunft braucht kleine, fehlerfreundliche Gemeinschaften.» Der Kapitalismus macht soziale Fehler, der Sozialismus macht kapitale Fehler. Welche Fehler machen Bürgergesellschaften?
Keine existenziellen – das ist der Unterschied. Fehlertolerant sein zu können bedeutet ja, die Struktur so zu haben, dass Fehler nicht die Auswirkung besitzen, zum Beispiel das ganze Ökosystem zu gefährden. Und dezentrale, von Bürgern getragene Strom-Prosumenten: Da kann der Einzelne einen Fehler machen, ohne dass es Auswirkung hat und das Ganze gefährdet.
In 20 Jahren haben sich die EWS zu einer Unternehmensgruppe mit fünf Töchtern und einigen Beteiligungen entwickelt. Wie viel ist von der Idee des demokratisch bestimmten und nachhaltig eingesetzten Bürgergeldes geblieben?
Viel, würde ich sagen. Von Anfang an demokratisch getragen, aber unternehmerisch geführt – das ist heute auch noch so. Es gibt nach wie vor einen großen Zuwachs an Mitgliedern und Eigenkapital. Und auf der anderen Seite betreibt man heute nicht nur ein Stromnetz, sondern auch Gasnetze und regenerative Energieeerzeugungsanlagen und Wärmenetze. Weil deutlich geworden ist, dass Vernetzung im wahrsten Sinne des Wortes wichtiger geworden ist. Man braucht alle diese Komponenten, um das entwickeln zu können. Deswegen diese Gesellschaften.
Wozu braucht es heute noch Bürgergeld, wenn am Markt Geld fast zinslos erhältlich ist?
Ich glaube, wenn wir dezentrale und bürgernahe Stromversorgung haben wollen und die Bürger zu Prosumenten werden – also gleichzeitig produzieren und verbrauchen –, braucht es auch eine entsprechende Finanzierung. Wo sie nur das Gewinninteresse hat, wird es nicht funktionieren. Da ist ein Konflikt. Aber wenn ich das verbinde, dass ich Konsument bin, Produzent und Finanzierer, habe ich einen ganzheitlichen Blick darauf. Bevor ich das Geld zur Bank trage, also einer anderen als der GLS natürlich, dann doch lieber dorthin, wo ich weiß, was damit gemacht wird und ich Einfluss habe.
Neben den EWS gibt es inzwischen mehr als 900 Bürgerenergiegenossenschaften. Sind die a) weiterhin «Störfälle», b) Brückenpfeiler oder c) schon Träger des Systems?
Sie waren in der Vergangenheit die Voraussetzung, dass Energiewende überhaupt möglich geworden ist. Es sind unendlich viele Bürgergesellschaften, die eine ausgezeichnete Arbeit gemacht haben und von denen die Genossenschaft nur die beste Form ist. Für den weiteren Zubau von Wind- und Photovoltaikanlagen haben sie nicht mehr die Schlüsselrolle. Das ist über die Kapitalmärkte gut zu finanzieren. Wo sie aber gebraucht werden, ist in der «Energiewende 2.0» – nämlich dort, wo es um die Kopplung von Erzeugung und Verbrauch geht, wo es sich um Steuerung und Speicherung dreht. Und auch um die Verbindung unterschiedlicher Sektoren wie etwa Mobilität mit Strom, mit Wärme. Es sind Verhaltensänderungen, für die man nicht nur die Akzeptanz der Bürger braucht, sondern auch ihr Engagement. Stadtteilkonzepte, Quartierskonzepte, Mobilitätskonzepte werden auch die Großen nicht machen.
Wo sehen Sie mittelfristig die wesentlichen Aufgaben der Bürgergesellschaften?
Zusätzlich zum Energiebereich und Mobilitätsbereich? Sicher werden die ganzen Fragen der Ernährung, der Gebäudesanierung und des Bauens ein Riesenthema.
Die Vision der Schönauer Stromrebellen ist «atomstromlos, klimafreundlich, bürgereigen». Wie vermittelt man diese Vision der kommenden Generation?
Entstanden ist die ja aus einer Betroffenheit. Und das ist auch die Schlüsselfrage: Wie entsteht bei Menschen Betroffenheit über Fragen, die sie ja unmittelbar betreffen? Ich glaube, Aufklärung ist einer der wichtigsten Punkte. Wir leben in einer Zeit der Aufklärung, deren Rahmen vergleichbar ist mit der Zeit, als Luther angefangen hat, seine Thesen an die Kirchentür zu nageln. Wir sind auch in einer Art Befreiungsbewegung. So wie man sich damals von der Allmacht der Kirche befreit hat, müssen wir uns von der Allmacht des Geldes und der kapitalorientierten Marktideologie befreien, die nicht mehr leistungsfähig ist.
Thomas Jorberg, Aufsichtsratsvorsitzender der EWS eG, ist 1957 in Rothenburg ob der Tauber geboren, siedelte mit den Eltern aber bald nach Stuttgart um. Sein Wirtschaftsstudium beendete er in Bochum, wo er 1986 seine Tätigkeit bei der GLS Bank begann. Seit 1993 ist er dort Vorstand, seit 2003 als Vorstandssprecher tätig. Die Schönauer Energie-Initiativen verliehen ihm 2002 den Preis «Stromrebell des Jahres». Jorberg ist verheiratet und hat zwei Kinder.