Zu tun gibt es noch genug
Ursula und Dr. Michael Sladek im Gespräch mit Bernward Janzing
Über die Notwendigkeit, den Lebensstil zu überdenken, die Vorteile einer CO2-Steuer und kartellrechtliche Blockaden beim kommunalen Klimaschutz.
Ursula und Michael Sladek sind in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. 30 Jahre davon – seit Tschernobyl im April 1986 – hat das Ehepaar gegen die Atomkraft gekämpft und nebenbei ein mittelständisches Unternehmen, die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), aufgebaut. Inzwischen haben die beiden sich aus der Firma zurückgezogen, stehen ihr aber beratend weiterhin zur Seite. Rückblicke hat es einige gegeben. Deswegen diesmal: ein Blick nach vorne. Denn mit einer der ersten Schönauer Energieinitiativen, dem Verein FuSS, haben sich die beiden für die Zukunft so einiges vorgenommen.
Ihr Schnitt war radikal. Während es in vielen Firmen so läuft, dass die Gründer irgendwann in den Aufsichtsrat rücken, sind Sie beide nun komplett außen vor. Jedenfalls formal: Sie haben keine Ämter mehr, der Generationswechsel ist vollzogen. Wird Ihnen schon langweilig?
Michael Sladek: Wir haben neue Pläne, wir werden wieder politischer. Das wird unter dem Dach des Fördervereins für umweltfreundliche Stromerzeugung Schönau (FuSS) geschehen. Das Alltagsgeschäft eines genossenschaftlichen Stromversorgers war spannend, aber jetzt kommt eine neue Drehung.
Und die sieht wie aus? Der Atomausstieg ist beschlossen, die Erneuerbaren kommen voran …
Michael Sladek: Zu tun gibt es wirklich noch genug: Wir haben 1991 eine Machbarkeitsstudie zur Energiewende gemacht. Wenn man da heute reinschaut, sieht man, dass 80 Prozent noch nicht umgesetzt sind.
Das heißt konkret?
Ursula Sladek: Wir müssen wieder viel grundsätzlicher werden, Fragen des Lebensstils stellen …
Michael Sladek: … und zugleich an die Strukturen der Stromwirtschaft rangehen.
Klingt nach: zurück zu den Wurzeln.
Michael Sladek: Wir knüpfen damit an frühere Themen an, das stimmt. In den späten achtziger Jahren wollte ich die Atomkraft mit einer Novelle des Energiewirtschaftsrechts, das damals noch aus der Nazizeit stammte, bekämpfen. Dieses Ziel gaben wir dann auf, als der Netzkauf in Schönau und damit die Energiewende vor Ort möglich wurden. Heute wollen wir das Kartellrecht angehen.
Ursula Sladek: Auch die Suffizienz, die Genügsamkeit beim Energieverbrauch, stand bei uns schon ganz am Anfang im Mittelpunkt. Wir fingen nach Tschernobyl mit Stromsparwettbewerben an. Solche Konzepte sind heute wichtiger denn je. Wir dürfen Energiewende nicht immer nur als eine Frage der Technik sehen. Wir haben kürzlich die Klimaforscher Mojib Latif und Hans Joachim Schellnhuber gehört, der Handlungsbedarf ist immens.
Ihr Plan?
Ursula Sladek: Wir hatten vor einigen Jahren Niko Paech in Schönau zu Gast …
... einen Ökonomen aus Oldenburg, der für sehr sparsamen Umgang mit Rohstoffen eintritt …
Ursula Sladek: … er hat uns sehr beeindruckt mit seinen Ansichten. Seine Sicht, dass grüne Technik alleine nicht reichen wird, teile ich. Wir müssen auch unseren Lebensstil hinterfragen. Mein Mann und ich haben uns nach den Gesprächen vorgenommen, nicht mehr zu fliegen – bis jetzt haben wir es durchgehalten.
Für manche Menschen ist das Fliegen der Inbegriff von Wohlstand. Glauben Sie, das lassen die sich nehmen?
Michael Sladek: Es geht hier gar nicht darum, jemandem irgendetwas wegzunehmen. Es ist eher eine Frage eines anderen Wohlstandes. Es geht um den Gewinn neuer Freiheiten, um Lebensfreude ohne übertriebenen Ressourcenverbrauch. Dazu ein Beispiel aus meinem Umfeld: Ich praktiziere noch immer als Arzt und spreche dann natürlich auch einige private Worte mit meinen Patienten. Sie glauben nicht, was die Rentner mir heute erzählen, wo sie in der Welt überall unterwegs sind. Oft spüre ich dann, dass das bei denen eine Flucht vor sich selbst ist. Sie wissen zuhause nichts mit sich anzufangen. Die Menschen suchen Kontakte, merken aber oft gar nicht mehr, dass auch der Nachbar ein interessanter Gesprächspartner ist.
Also macht man ein attraktives Seniorenprogramm vor Ort und spart damit Klimagase ein?
Ursula Sladek: Im Ernst: Ich dachte schon mal an organisierte Kaffeefahrten für Ältere zu Demos.
Kreativ waren Sie ja immer.
Michael Sladek: Kreativität ist aber nicht alles. An manchen Stellen geht es auch um ganz formale Regeln, die dem Klimaschutz entgegen stehen. Bürgerliches Engagement ist heute schwerer als vor Jahren oder sogar unmöglich geworden. Der Weg, wie wir damals die EWS aufgebaut haben, auf der Basis der mehrheitlichen Zustimmung der Schönauer Bürger, ist heute verbaut. Inzwischen hebelt das Kartellrecht die kommunale Selbstbestimmung aus. Wir sehen das gerade in Titisee-Neustadt, wo wir an neu gegründeten Stadtwerken beteiligt sind, weil der Gemeinderat ein Bürgerunternehmen wollte. Diese politische Freiheit wird den Kommunen inzwischen genommen von einem kartellrechtlichen Regime, das sich in den letzten Jahren in den Behörden und den zuständigen Gerichten herausgebildet hat. Die bereits verabschiedete Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes schreibt diese Entmachtung der Kommunen, also der Bürger vor Ort, fort. Dagegen bereiten wir eine Verfassungsklage vor.
Bei aller Relevanz dieses Themas: Mit solchen formaljuristischen Ansätzen bewegt man keine Massen.
Michael Sladek: Das Kartellrecht ist ja auch wieder nur ein Aspekt von mehreren. Das Thema CO2 ist ein anderer – und der ist für die Menschen greifbarer. Wir wollen, dass die Politik endlich Anreize für klimafreundliches Handeln gibt. Für uns stellt sich die Frage: Was muss geschehen, damit die Politik reagiert?
Und, was muss geschehen?
Michael Sladek: Die Atomenergie ist auf der Straße geächtet worden, auch das Thema CO2 muss emotional aufgeladen werden. Daran müssen wir arbeiten.
Wird es einfacher oder schwerer als der Atomausstieg?
Michael Sladek: Der Atomstrom wurde von den Menschen immer als bedrohlicher empfunden, im Vergleich zum Klimawandel. Auch weil der militärische Aspekt damit verknüpft ist. Und dann natürlich die Bilder: Als im Fernsehen zu sehen war, wie der Reaktor in Fukushima explodierte, hatte das unmittelbar Wirkung auf die Politik. Beim Klimawandel wird man nie eine solche emotionale Wirkung von Bildern erleben. Hinzu kommt, dass das Kohlenstoffdioxid stärker mit einem selbst zu tun hat als die Atomkraft. Atomkraft kann man gut ablehnen, ohne seinen eigenen Lebensstil zu hinterfragen. Das ist beim CO2 anders. Da geht es um das Auto, das Flugzeug, den Fleischkonsum.
Manche Umweltorganisation würde sagen: Das Thema geht gar nicht, es ist nicht kampagnenfähig.
Ursula Sladek: Dass will ich so nicht hinnehmen. Klar, bei der Atomkraft hat man die Menschen besser hinter sich bekommen, weil es einen großen Gegner gab. Aber den gibt es bei der Kohle auch, und tatsächlich nehmen die Proteste auch dort inzwischen zu. Die Kohlebranche will das aber noch nicht wahrhaben. Während am Horizont auch ein Kohleausstieg schon zu erahnen ist, werden noch immer ganze Ortschaften weggebaggert.
Bitter, ohne Zweifel. Aber welche Zielgruppe wollen sie für den Widerstand vor allem gewinnen?
Michael Sladek: Die Hardcore-Ökos haben wir schon hinter uns, aber die reichen eben nicht. Nach soziodemografischen Untersuchungen gibt es rund zehn Millionen Ökoaffine in Deutschland, die müssen wir nun als nächstes ansprechen.
Sie meinen jene Städter, die sich so grün geben und im Bioladen einkaufen, oft aber den größten CO2-Ausstoß von allen haben, weil sie einem konsumorientierten Lebensstil frönen?
Ursula Sladek: Aufgrund deren politischer Meinung setzen wir darauf, dass sie für unsere Botschaften erreichbar sind. Klar, es gibt diese Untersuchungen, wonach gerade Menschen mit grüner Einstellung mitunter sehr viel Kohlenstoffdioxid verursachen. Das hängt damit zusammen, dass grün denkende Menschen oft überdurchschnittlich gut verdienen und sich einen entsprechenden Lebensstil leisten, gerade auch hinsichtlich ihrer Mobilität. In der Praxis sind die konservativ wählenden Rentner nicht selten die ökologischeren, weil sie ein einfacheres Leben führen.
Sie müssen zugeben: Dieser Widerspruch macht Ihnen die Sache nicht unbedingt leichter.
Ursula Sladek: Aber wir müssen es versuchen. Wir hatten mit Partnern in Freiburg eine Veranstaltungsreihe «Fluchtgrund Klimawandel». Die kam sehr gut an. Da wurde Klimawandel emotional greifbar – hoffentlich auch mit persönlichen Konsequenzen und vermehrtem Druck auf die Politik.
Die Politik zeigt sich aber bislang träge. Die EU glaubt noch immer, mit dem Emissionshandel genug getan zu haben.
Ursula Sladek: Der Emissionshandel in der EU, so attraktiv das Modell in der Theorie ist, ist gescheitert. Man hat die Zertifikate nie in dem Maße verknappt, wie es nötig gewesen wäre, um einen CO2-Preis zu erzielen, der Anreize zu klimafreundlichem Verhalten gibt. Deswegen schlagen wir nun eine CO2-Steuer vor, die nach unseren ersten Recherchen auch innerhalb der EU als nationaler Alleingang zulässig ist. Das interessante ist: Quer durch die Fraktionen in Berlin gibt es schon einige Abgeordnete, die für das Thema aufgeschlossen sind.
Mehr Steuern mögen die Wähler aber gar nicht.
Michael Sladek: Es geht gar nicht um Mehrbelastungen, es geht um Umbau. Meine Idee ist, alle Abgaben, die auf Strom erhoben werden, abzuschaffen, wie etwa die EEG-Umlage, die Stromsteuer und so weiter. Im Gegenzug führt man eine CO2-Steuer ein, die dem Staat die gleiche Summe einspielt. Die Bürger zahlen damit insgesamt nicht mehr, aber es profitiert, wer sich klimagerecht verhält. So schafft man einen starken Anreiz, Kohlenstoffdioxid zu vermeiden.
Höre ich da ein langsames Abrücken vom Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem EEG heraus?
Michael Sladek: Wir brauchen eine Nachfolgeregelung, das ist klar. Das EEG war zur Markteinführung der Erneuerbaren Energien ein hervorragendes Instrument, aber wir sehen inzwischen, dass die Erneuerbaren aufgrund der massiv gestiegenen Mengen nicht mehr zum System der Strombörse passen. Wenn wir das CO2 angemessen besteuern und natürlich auch die Atomkraft – die Brennelementesteuer muss auch wieder kommen – , dann werden die Erneuerbaren ohne EEG im Markt bestehen können. Was wir vom EEG lediglich erhalten müssen, ist der Einspeisevorrang für die Erneuerbaren.
Nun ist die CO2-Steuer keine neue Idee, die hatten andere auch schon, bisher ohne nennenswerten Erfolg.
Michel Sladek: Wir hoffen, von unseren Kontakten in die Politik zu profitieren. Durch unser Rebellentum haben wir Vertrauen aufgebaut, wir werden politisch inzwischen ernst genommen, sind gut vernetzt. Als wir in Schönau anfingen, war das noch anders.
Mag ja sein, aber wie wollen Sie vorgehen?
Ursula Sladek: Allzu viel will ich noch nicht verraten, aber wir denken an ungewöhnliche Allianzen, auch mit Energieversorgern.
Am Ende auch mit den Großen, den einst so bekämpften Atomstromern?
Michael Sladek: Im Moment passt das noch nicht mit denen, vielleicht mal in 50 Jahren. Heute stehen neben der Atomkraft und der Kohle auch die Strukturen der Firmen solchen Kooperationen im Weg. Vielleicht wird das eines Tages gehen mit den Großen. Aber dann sind die wohl auch nicht mehr groß.
Jedenfalls werden Sie viele Unterstützer brauchen.
Michael Sladek: Die werden wir finden. Ich habe die Menschen gern, und wir sollten sie nicht immer nur als Belastung der Erde sehen. Unser Ziel muss sein, dass unser persönlicher Fußabdruck auf der Erde ein nützlicher ist. Wir leben in einer Zeit, in der gerade auch im Internet viele Feindbilder gepflegt werden. Doch statt Feindbilder gegen andere Menschen aufzubauen, sollten wir uns den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zum Feindbild machen.
Und doch kommt man mit Appellen zum Klimaschutz schon seit Jahrzehnten nicht weiter.
Ursula Sladek: Zu welchem Bewusstseinswandel eine Gesellschaft fähig ist, hat sich doch beim Rauchen gezeigt. Fünf Jahre vor dem Rauchverbot im öffentlichen Raum hätte keiner vermutet, dass dieser Schritt so plötzlich so hohe Akzeptanz finden kann. Einen vergleichbaren Wandel des Bewusstseins, eine Ächtung der Klimabelastung, würde ich mir wünschen.
Dieser scheint aber noch weit weg. Heute stellen die Leute bei Facebook ein, wo sie in Urlaub waren, und wenn das Ziel möglichst exotisch ist, finden sie sich cool.
Ursula Sladek: Das kann sich aber ändern. Wir wollen daran arbeiten.