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Der Kampf ums Netz beginnt

Teil 3 der EWS-Geschichte von Bernward Janzing

Der Atomkraftwerksbetreiber will die Stadt mit Geld ködern – die Bürgerinitiative geht aufs Ganze: Sie schenkt der Stadt 100.000 Mark und erzwingt einen Bürgerentscheid.

Was bisher geschah: Nach dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 beschlossen Eltern in Schönau, gemeinsam gegen die Ohnmacht anzukämpfen, Alternativen zur Atomkraft aufzuzeigen und «Atomkraft einfach wegzusparen». Doch mit derartigen Ideen stießen sie beim lokalen Versorger, den KWR, auf Granit.

Ein verführerisches Angebot

Schönau am 10. August 1990, es ist ein Freitag. Bei der Stadt geht ein Schreiben des Stromversorgers KWR ein. Ein scheinbar gutes Angebot: Das Unternehmen will der Kommune eine höhere Konzessionsabgabe bezahlen. Das ist jenes Entgelt, das Gemeinden dafür bekommen, dass sie den Versorgern gestatten, ihre Leitungen über öffentliches Gelände zu führen. Jeweils 23.300 D-Mark für die nächsten vier Jahre bietet das Unternehmen an.

Doch das Angebot kommt nicht ohne Hintergedanken daher. Das Geld soll die Stadt nur dann bekommen, wenn sie vorzeitig einen neuen Konzessionsvertrag für weitere 20 Jahre abschließt; der alte Vertrag läuft 1994 aus.

Geld gegen Engagement

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Ursula Sladek über die Blockadehaltung des örtlichen Stromversorgers

Mit der Offerte will KWR jegliche Diskussion um alternative Konzessionäre frühzeitig ausbremsen. Denn es ist dem Versorger natürlich nicht verborgen geblieben, dass sich in Schönau etwas zusammenbraut, was in seinen Konsequenzen nicht absehbar ist. Daher wollen die KWR nicht mehr warten, bis die Vertragsverlängerung ohnehin ansteht, sie wollen Fakten schaffen  – durch ein Lockangebot.

Man kann sich vorstellen, dass die Stadt von dem zugesagten Bonus sehr angetan ist. Die Energie-Initiativen suchen nun das Gespräch mit dem Strommonopolisten, arrangieren erneut ein Treffen in Rheinfelden. Ziel ist es, die KWR für eine ökologisch orientierte Strompolitik in Schönau zu gewinnen. Bei den Stromsparwettbewerben waren die Bürger zwar schon mal von dem Unternehmen abgekanzelt worden, doch sie wagen es erneut.

Wie wäre es, fragten sie das Unternehmen, wenn die KWR die Gemeinde Schönau zu einer Art Zukunftswerkstatt machen würde? Durch eine Versorgung ohne Atomstrom, durch bessere Vergütungen für lokale Kleinkraftwerke, durch Stromsparkampagnen und eine neue Tarifstruktur, die Sparen attraktiver macht. Doch das Unternehmen ist unnahbar, ein Vertreter der Firma sagt nach diesem Treffen über seine Gäste: «Das sind ja wohl überwiegend Idealisten.» Es ist abwertend gemeint.

Wir wurden behandelt wie bedauernswerte Irre

Notar und Mitstreiter Ingo Braun

Frustriert ziehen die Stromrebellen von dannen. «Wir wurden behandelt wie bedauernswerte Irre», sagt der Schönauer Notar und Mitstreiter Ingo Braun später über diesen Termin. Braun ist überzeugt, dass die KWR-Führung «durch ihre Eigner gesteuert» sei. Das ist zu diesem Zeitpunkt die Aktiengesellschaft «Elektrowatt» aus Zürich, die in der Schweiz Atomkraftwerke betreibt. Die Atomlobby fürchte einen Flächenbrand, falls Schönau Erfolg haben sollte, sagt Braun.

Was also tun? Am besten Nägel mit Köpfen: Die Stromrebellen gründen am 30. November 1990 die Netzkauf Schönau GbR. Denn nur durch eine Übernahme des Netzes halten die Atomkraftgegner die Ökologisierung der lokalen Stromversorgung inzwischen für realisierbar. Also nicht mit KWR, sondern gegen sie. Die Fronten sind damit geklärt.

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Ursula Sladek über den gelungenen Versuch, den lokalen Strommonopolisten auszubremsen

Gemeinsam gegen die Übermacht des Geldes

Das erste Ziel der neuen Gesellschaft klingt verrückt: Die Netzkauf will der Stadt das Geld ersetzen, das der erhöhten Konzessionsabgabe entspricht. Damit, so ihr Plan, steht die Stadt nicht mehr unter Zeitdruck. Sie kann alle Optionen in Ruhe prüfen, ohne dafür Verluste für die Stadtkasse in Kauf nehmen zu müssen. Für die Stromrebellen ist damit Zeit gewonnen, eine eigene Gesellschaft zu gründen. Die könnte sich in Konkurrenz zum bisherigen Energieversorger um die Netzübernahme bewerben. So will die Netzkauf Zeit gewinnen.

Ihre Idee: 250 Bürger sollen gewonnen werden, die sich für vier Jahre verpflichten, jeweils 100 Mark jährlich einzuzahlen. Wenn später das Netz tatsächlich durch die neue Netzgesellschaft übernommen werden sollte, wird dieses Kapital mit Zins und Risikozuschlag als Beteiligung übernommen. Andernfalls ist das Geld verloren. Gesucht sind also Bürger, die bereit sind, 400 Mark Risikokapital für ein in der deutschen Stromgeschichte einmaliges Projekt einzusetzen.

Die Initiative kauft Zeit: für 100.000 Mark

Man findet die Geldgeber tatsächlich: 282 Gesellschafter reichen binnen sechs Wochen Zusagen über 32.000 D-Mark jährlich ein. Das ist genug, um das Angebot der KWR auszuhebeln.

Die Rechnung geht im ersten Schritt auf. Der Gemeinderat beschließt am 28. Januar 1991, zunächst keinen Vertrag mit den KWR abzuschließen, sondern noch drei Monate zu warten. Die Netzkauf soll die Chance haben, bis dahin zu konkretisieren, was sie im Detail vorhat. Der Gemeinderat verlangt eine Machbarkeitsstudie, mitsamt einem wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Konzept für die Übernahme und die Führung des Schönauer Stromnetzes. Ebenso soll die Netzkauf den ökologischen Mehrwert des neuen Netzbetreibers herausarbeiten.

Mit Mitstreitern: Machbar!

Damit wird es ernst, und Hilfe wird nötig. Denn Experten der Energiewirtschaft sind die Stromrebellen beileibe nicht. Ein Arzt, ein Polizist, ein Notar, mehrere Lehrer und Lehrerinnen – sie brauchen externe Hilfe. Die gibt ein Gutachter in Aachen, Ingenieur Wolfgang Zander, ein promovierter Elektrotechniker, der drei Jahre zuvor ein Ingenieurbüro gegründet hat.

Der junge Ingenieur erweist sich als Glücksgriff für die Stromrebellen. «Wir waren eines der wenigen Unternehmen, die das Herrschaftswissen der Stromversorger hatten, aber zugleich unabhängig von den Konzernen waren», sagt Zander später. Als im Mai die Machbarkeitsstudie vorliegt, ist auch die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg begeistert, die daraufhin der Stadt Schönau empfiehlt, nicht vorzeitig den Vertrag mit den KWR zu unterschreiben, sondern das Angebot der Netzkauf anzunehmen.

Spätestens damit wird deutlich, dass die Netzkauf keine Ansammlung unkoordinierter Aktivisten ist. Sondern vielmehr eine Truppe, die bundesweit Sachverstand zu akquirieren und einzubinden weiß. Ein Beitrag in der ZEIT im Juni («Ein Dorf unter Spannung» von Fritz Vorholz macht die Stromrebellen bundesweit bekannt.

Bürgerentscheid gegen Konzernzuschlag

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Dr. Michael Sladek über sein Engagement im Gemeinderat

Gleichwohl drängt Bürgermeister Richard Böhler, der treu zu dem bisherigen Versorger steht, darauf, man möge endlich das KWR-Angebot annehmen, und setzt das Thema am 8. Juli 1991 im Gemeinderat auf die Tagesordnung. Die CDU ist klar gegen die Bürgeraktion eingestellt und positioniert sich entsprechend: «In wirtschaftlicher Hinsicht sind große Risiken bei einer Betreibung durch die Netzkauf gegeben, da fast alle Kosten entschieden zu niedrig angesetzt und somit Verluste vorprogrammiert sind.»

Mit allen fünf Stimmen der CDU, einer Stimme der SPD und der Stimme des Bürgermeisters, gegen die vier Stimmern der Freien Wähler und zwei Stimmen der SPD segnet der Gemeinderat an diesem Abend den Vorschlag der Verwaltung ab: Mit sieben gegen sechs Stimmen erhalten die KWR den Zuschlag.

Das Ergebnis kommt nicht unerwartet – man kennt sich in Schönau, im Gemeinderat zumal, und man weiß, wer auf welcher Seite steht. Und so haben die Stromrebellen sich vorbereitet. Kaum ist die Abstimmung protokolliert, erhebt sich Egon Barbisch, Stadtrat der Freien Wähler. Er holt ein Schreiben hervor, das ihm überreicht wurde: «Wir als Bürger von Schönau sind mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Wir werden daher ein Bürgerbegehren einleiten mit dem Ziel, dass ein Bürgerentscheid den Gemeinderatsbeschluss aufheben wird.»

Ein Flugblatt aus Lebkuchenteig

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Ursula Sladek über den Bürgerentscheid

Schönau soll also seinen ersten Bürgerentscheid bekommen. Mit der Unterschrift von 15 Prozent der wahlberechtigten Schönauer lässt er sich herbeiführen. Vom nächsten Tag an werden Unterschriften gesammelt. Es geht flott voran, und so kann die Netzkauf am 2. August im Rathaus die nötigen Signaturen übergeben.

Dann beginnt der Wahlkampf. Die Bürgeraktion macht ein Kinderfest und einen Altennachmittag, bietet Mountain-Bike-Fahrten mit Olympiasieger Georg Thoma an und präsentiert als «umweltfreundliches Flugblatt» ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift «Ein Herz für Schönau - sag JA.» Tausend Herzen werden gebacken.

Die KWR kontern mit Infoständen. Der Bürgermeister, der CDU-Ortsverband und Teile der örtlichen Industrie verteilen Flugblätter an alle Haushalte. Und der Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion sagt siegessicher: «Der Netzkauf-Slogan ‹Ausstieg aus der Kernenergie› kommt bei den Schönauern nicht an.»

Der Wahltag kommt. Es ist der 27. Oktober 1991 – und es siegt die Netzkauf. Bei einer Wahlbeteiligung von 74,3 Prozent stimmen 729 Schönauer (55,7 Prozent) für die Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses und für die Annahme des Netzkaufangebots, 579 Schönauer (44,3 Prozent) sind dagegen. Im Februar 1992 eröffnet die Netzkauf ihr erstes Büro.

Es scheint, als liefe nun alles glatt. Doch der Schein trügt. 

Portrait Bernward Janzing

Die Geschichte der «Schönauer Stromrebellen» hat der Freiburger Journalist Bernward Janzing von Anfang an verfolgt und in seinem Buch «Störfall mit Charme» dokumentiert. Spannend wie ein Krimi beschreibt Bernward Janzing den Widerstand der Schönauer Bürger gegen die Atomenergie, ihren Kampf um das örtliche Stromnetz und die Entstehung der Elektrizitätswerke Schönau. Das Buch wurde 2009 mit dem DUH-Umwelt-Medienpreis ausgezeichnet. Weitere Informationen zum «Störfall mit Charme» finden Sie auf der Internetseite von Bernward Janzing.

Und wie geht es weiter?

Lesen Sie weiter im Teil 4: Ein Bürgerentscheid kommt selten allein – die Schönauer müssen nochmals an die Urne. Abonnieren Sie unseren Newsletter, damit wir Sie rechtzeitig über die nächste Ausgabe des EWS Energiewende-Magazins informieren können.

27. Dezember 2016 | Energiewende-Magazin