«Atomkraft einfach wegsparen»
Teil 2 der EWS-Geschichte von Bernward Janzing
Strom sparen, um die Atomkraft zu ersetzen? Das findet der etablierte Stromversorger für Schönau gar nicht lustig.
Was bisher geschah: Nach dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 beschlossen besorgte Eltern im Schwarzwaldtstädtchen Schönau, gemeinsam gegen die Ohnmacht anzukämpfen und Alternativen zur Nutzung der Atomkraft aufzuzeigen. Eine der Ideen war es, die «Atomkraft einfach wegzusparen».
Im Januar 1988 stellt man sich in Schönau die Frage: Wie kann man Stromsparen am besten erlernen? Mit alten Stromzählern natürlich. Denn setzt man sie als Zwischenzähler ein, kann damit jeder Haushalt seinen Verbrauch präzise untersuchen – und daraus lernen, wo im Haus die Stromfresser stecken. Die Schönauer Stromrebellen kommen daher auf die Idee, mal beim zuständigen Versorger nachzufragen. Der hat doch alte Stromzähler genug.
Wolf Dieter Drescher, der als Energieanlagenelektroniker seine Ausbildung einst beim örtlichen Versorger, den Kraftübertragungswerken Rheinfelden (KWR) absolvierte, weiß es genau: Die Geräte liegen dort zuhauf im Lager. Und vielleicht, so hoffen die Schönauer Eltern, haben die KWR ja sogar Lust, mit einzusteigen und auch den örtlichen Stromsparwettbewerb zu unterstützen. Noch traut man dem Monopolisten eine Portion Bürgernähe zu.
Eine Abfuhr mit ungeahnten Folgen
So kommt es zu einem Besuch einer Schönauer Gruppe in der Firmenzentrale in Rheinfelden. Doch dieser endet im Fiasko, die Bürger fühlen sich nicht ernst genommen, «quasi rausgeworfen». Zumal der KWR-Vorstand ihnen dann sogar sagt, sie sollten froh sein, wenn das Unternehmen sie wegen der Stromsparaktionen nicht verklage – wegen Geschäftsschädigung.
So hinterlässt der erste Kontakt mit dem örtlichen Netzbetreiber bei allen beteiligten Schönauern einen schlechten Eindruck. Mitstreiter Horst Radny ist Kommunikationstechniker und ein bodenständiger Mensch. Er hat schon mit mancher Firma zu tun gehabt, doch nach dem Besuch in Rheinfelden empfindet er «eine Überheblichkeit, die weh tut.» Später sagt er: «Hätten die KWR sich damals kooperativ gezeigt, gäbe es die Elektrizitätswerke Schönau heute nicht.»
«Ein liebevolles Verhältnis zum Stromzähler»
So aber stachelt die Abfuhr die Rebellen an. Die EfaZ macht weiter, mit viel Spaß zwar, aber ohne die KWR. Fünf Jahre lang veranstalten die Eltern ihre Stromsparaktionen. Alte Stromzähler bekommen sie nun vom benachbarten Elektrizitätswerk in Utzenfeld.
Auch andere Unternehmen vor Ort sind gerne dabei. Der örtliche Handel gibt stromsparende Küchengeräte mit Rabatt ab, die Sparkasse gibt günstige Kredite für Investitionen. Weitere Stromsparbroschüren werden erstellt, und neben 140 Schönauer Haushalten nimmt auch die Stadtverwaltung am Wettbewerb teil, indem sie das Krankenhaus und das Gymnasium anmeldet. Michael Sladek gibt unterdessen den Slogan aus: «Entwickeln Sie ein liebesvolles Verhältnis zu Ihrem Stromzähler, besuchen Sie ihn täglich.»
44.000 Kilowattstunden an Stromeinsparung werden so binnen eines Jahres in Schönau dokumentiert. Die Teilnehmer senken ihren Verbrauch um durchschnittlich 20 Prozent, einzelne sogar um fast die Hälfte. Die Sieger bekommen Preise, gespendet von Firmen aus dem Umkreis.
Und langsam beginnt auch die Presse sich für das ungewöhnliche Treiben zu interessieren. Ende 1989 nimmt sich sogar die Frauenzeitschrift Brigitte der Schönauer Ereignisse an: «Wenn das alle täten, hätten wir weniger Umweltprobleme», ist kurz darauf in dem Heft zu lesen. Schönau ist in der Medienwelt angekommen.
Die Treffen der Energieinitiative haben sich inzwischen vom Forsthaus ins Wohnzimmer der Familie Sladek verlagert. An jenen großen runden Tisch, an dem später nach und nach die gesamte Prominenz der deutschen Öko-Energiewirtschaft Platz nehmen wird. Er wird zum «Epizentrum des energiepolitischen Erdbebens» – um den Westdeutschen Rundfunk einmal zu zitieren.
Erneuerbare Energien statt Atomstrom!
Michael Sladek ist seit Oktober 1989 im örtlichen Gemeinderat für die Freien Wähler vertreten, um auch politisch die Energiewende im Lokalen voranbringen zu können. Zugleich will er unternehmerische Aktivitäten entwickeln. Nicht jedoch, um das große Geld zu verdienen, sondern schlicht aus pragmatischen Erwägungen: «Wer verändern will, muss Geldströme umlenken», sagt Michael Sladek. Und zwar weg von den Firmen der Atomwirtschaft, hin zu innovativen, bürgernahen Firmen.
Die Gründung der Gedea, der Gesellschaft für dezentrale Energieanlagen mbH, am 2. November 1990 ist die erste logische Konsequenz dieser Erkenntnis. Die Aufgabe der neuen Firma soll es sein, «den sparsamen Umgang mit Energie und die Nutzung bleibender Energiequellen mit allen verfügbaren Mitteln zu fördern und zu betreiben.» Konkret: Blockheizkraftwerke zu betreiben, und erneuerbare Energien zu nutzen. Im Hause der Sladeks hat die Gedea ihren ersten Firmensitz.
Doch schon bald rückt die junge Firma in den Hintergrund der Schönauer Aktivitäten. Denn plötzlich steht eine Art Notfallaktion an. Weil die KWR partout an der Lieferung von Atomstrom nach Schönau festhalten wollen, sieht die EfaZ nur noch eine Möglichkeit, das Städtchen vom Atomstrom zu befreien: durch Übernahme des Stromnetzes in Eigenregie. Und so konstituiert sich am 30. November 1990 die Netzkauf Schönau GbR – als Frontalangriff gegen die Politik der KWR. Was damals noch niemand wissen kann: Es ist der Anfang einer großen Geschichte.
Die Geschichte der «Schönauer Stromrebellen» hat der Freiburger Journalist Bernward Janzing von Anfang an verfolgt und in seinem Buch «Störfall mit Charme» dokumentiert. Spannend wie ein Krimi beschreibt Bernward Janzing den Widerstand der Schönauer Bürger gegen die Atomenergie, ihren Kampf um das örtliche Stromnetz und die Entstehung der Elektrizitätswerke Schönau. Das Buch wurde 2009 mit dem DUH-Umwelt-Medienpreis ausgezeichnet. Weitere Informationen zum «Störfall mit Charme» finden Sie auf der Internetseite von Bernward Janzing.
Und wie geht es weiter?
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