Energie für Kultur und Soziales
Ein Porträt von Dietrich Roeschmann
Der Verein «SolidarEnergie» unterstützt mit Gewinnen aus der Solarstromproduktion kulturelle und soziale Initiativen im südbadischen Raum.
Geschichten gibt es, die so rund und schön sind, dass man sich fragt, ob sie wirklich wahr sein können − oder ob es da nicht doch irgendwo einen Haken gibt. Ein Unhappy End. Einen Wermutstropfen. Klar, den gibt es auch in dieser Geschichte, die von einem Verein handeln wird, der es sich zum Ziel gesetzt hat, gute Menschen mit gutem Geld zu unterstützen, um Gutes zu tun − und der die Rede von Synergieeffekten und Win-win-Situationen dabei so selbstverständlich gegen die kapitalistische Effizienzlogik wendet, der sie eigentlich entspringt, dass man es kaum glauben mag. Aber würde man diese Geschichte sonst nicht für ein Märchen halten?
Preis der Solidarenergie
Mitte März 2017, Ortstermin im Freiburger Vorderhaus in der FABRIK für Handwerk, Kultur und Ökologie. Auf einem langen Buffet an der Rückwand des dämmrigen Veranstaltungssaals, kühlt Wein in großen Eiswannen, während die Warmhalteplatten der Töpfe mit Reis, Huhn, Köfte und Gemüsebällchen harren, die später hereingetragen werden. Zum siebten Mal wird hier heute Abend der «Preis der SolidarEnergie» verliehen. Doch noch ist es nicht so weit.
Zunächst entern Uwe Barth, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Freiburg, und Ulrich Martin Drescher, Aufsichtsrat der Elektrizitätswerke Schönau (EWS), einen Stapel hochkopierter Schecks unterm Arm, die Bühne. Dann allerdings beginnt ein reges Treiben: Menschen werden aufgerufen, schlüpfen aus dem Dunkel des Zuschauerraums ins Rampenlicht, stellen sich und ihr Projekt kurz vor – und bekommen mit feierlichem Händedruck je einen Scheck überreicht.
Eine von ihnen ist Shahrzad Mohammadi. Zusammen mit zwei Freundinnen bringt die junge Sportwissenschaftlerin seit Sommer 2016 geflüchteten Frauen in Freiburg das Fahrradfahren bei. «Bike Bridge», so haben die drei die Initiative getauft. Die blaue Brücke in ihrem Logo, Wahrzeichen der Fahrradstadt Freiburg, sehen sie auch als Symbol für den interkulturellen Dialog.
«In vielen islamischen Ländern ist Fahrradfahren für Frauen verpönt oder verboten», sagt Mohammadi, die selbst aus dem Iran stammt. «Ich möchte Frauen die Chance geben, das zu erleben, was ich erlebt habe, als ich nach Deutschland kam: Fahrradfahren ohne Angst vor sozialer oder politischer Einschränkung. Das bedeutet für mich Freiheit.» Es gehe darum, Frauen und Mädchen aus unterschiedlichen Kulturen den Zugang zu Sport und Bewegung, zu eigenständiger Mobilität überhaupt, zu ermöglichen und damit auch ein Ankommen in unserer Gesellschaft.
Der Scheck über 1.500 Euro, den Mohammadi an diesem Abend für das Projekt «Bike Bridge» entgegennimmt, ist einer von rund einem Dutzend Förderbeiträgen für soziale und kulturelle Projekte, die der Verein «SolidarEnergie» bei seiner jährlichen Gala im Vorderhaus vergibt. Uwe Barth und Ulrich Martin Drescher sind Mitglieder der neunköpfigen Jury, die über die Vergabe der Spenden entscheidet. Mit der Volksbank und den EWS vertreten sie zugleich die beiden wichtigsten Initiatoren und Geldgeber des Vereins.
Vom Dach in die Hand
2008 hatte die Stadt Freiburg neun Dächer von öffentlichen Gebäuden mit einer Gesamtfläche von 8.000 Quadratmetern gegen Höchstgebot zur Produktion von Solarstrom ausgeschrieben. Hans Homlicher, ehemaliger Sprecher der Volksbank Freiburg, EWS-Mitbegründer Michael Sladek und Martin Wiedemann, Geschäftsführer der FABRIK, tüftelten daraufhin für ihre gemeinsame Bewerbung ein Modell aus, das sowohl sozialen und kulturellen Initiativen in der Region zugutekommen als auch den Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern sollte. Im Sommer 2010 gründeten sie den Verein «SolidarEnergie».
«Der Grundgedanke war, Kulturalität und Sozialität miteinander zu verbinden, finanziert aus den Erlösen Erneuerbarer Energien», so Reiner Marquard, Gründungsvorsitzender des Vereins, bis 2014 Rektor der Evangelischen Fachhochule Freiburg und heute Honorarprofessor für Ethik an der Uni Freiburg. Und so sollte es funktionieren: Menschen vermieten dem Verein ihre Dächer, auf denen die EWS Photovoltaikanlagen installieren. Die Gewinne aus dem Betrieb werden an soziale und kulturelle Initiativen ausgeschüttet und finanzieren darüber hinaus den mit 3.000 Euro dotierten «Preis der SolidarEnergie».
Ich denke, darauf können wir stolz sein.
Tatsächlich erhielt der Verein mit diesem Konzept im Herbst 2010 den Zuschlag für die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Dach der Edith-Stein-Schule. In Freiburg sollte es das einzige Dach bleiben – nicht zuletzt weil sich die Stadt bei der weiteren Vergabe gegen eine solidarwirtschaftliche Nutzung entschied.
Doch insgesamt kann der Verein heute auf die Erlöse von sechs Dächern zählen: Vier davon produzieren in Schönau Strom, ein weiteres am Kaiserstuhl. Für jedes Kilowatt-Peak installierter Leistung spenden die EWS und die Volksbank Freiburg zusätzlich je 100 Euro jährlich an den Verein. Im ersten Jahr seines Bestehens konnte SolidarEnergie so 10.000 Euro ausschütten. Vor Kurzem wurde die 100.000-Euro-Marke geknackt. Für Martin Wiedemann ein guter Grund zum Feiern: «Ich denke, darauf können wir stolz sein», sagt er – auch gemessen am Anspruch des Vereins, mit minimalem Einsatz ein Maximum an Wirkung zu erzielen.
Gutes hört nicht einfach auf, gut zu sein
Für Vereinsgründer Reiner Marquard ist das auch eine Frage des Ethos. «Deshalb fördern wir vor allem kleine, unaufwendige Projekte, die sich den Menschen zuwenden», sagt er, «und zwar ohne Paternalismus, ohne imperiale Gebärde und in der Regel ohne institutionelle Absicherung». Es sind Initiativen wie die Arbeitslosenberatung «friga» oder die «Freiburger Straßenschule», die eine neue Küche braucht, Gruppen wie die «Feministische Geschichtswerkstatt», die Lebenswege von Afrodeutschen in Südbaden erforschen möchte, oder Anlaufstellen für Teenager wie die Vereine «Wendepunkt» oder «Tritta».
Dass diesen Projekten keine Hürden in den Weg gelegt werden und eine formlose Eingabe genügt, gehört ebenso zum Prinzip der SolidarEnergie wie die Möglichkeit, sich Jahr für Jahr erneut für eine Förderung zu bewerben, unabhängig davon, ob das Projekt schon einmal berücksichtigt worden war. «Gutes hört ja nicht irgendwann einfach auf, gut zu sein», brachte der Kabarettist Jess Jochimsen, der die SolidarEnergie-Gala Jahr für Jahr moderiert, die Logik der Unterstützung im Vorderhaus auf den Punkt.
Ehre, wem Ehre gebührt
Die zweite Säule dieses Förderkonzepts bildet der «Preis der SolidarEnergie», mit dem der Verein Jahr für Jahr eine Person oder Institution ehrt, die sich in besonderer Weise um das soziale und kulturelle Miteinander der Menschen in ihrer unmittelbaren, alltäglichen Umgebung verdient gemacht hat. So wie die Schauspielerin Petra Gack, die den Preis 2016 gemeinsam mit dem Saxofonisten Mike Schweizer erhielt oder – wie in den beiden Jahren zuvor – der Tänzer Graham Smith für seine künstlerische Arbeit mit Jugendlichen und die Initiative «OFF», die obdachlosen Frauen in Freiburg hilft.
Als Zeichen, dass soziales und kulturelles Engagement und Erneuerbare Energien mit Genuss verbunden sind, gehört zum Preis der lebenslange Nießbrauch an den Erträgen eines Rebstocks im Kaiserstühler Weingut «Schwarzer Adler». Jahr für Jahr sorgt Winzer Fritz Keller so mit zwei Flaschen Wein für eine Auffrischung der Anerkennung – auch bei den Preisträgern Petra Gack und Mike Schweizer.
Pionier nachhaltiger Quartiersarbeit
Der diesjährige Preisträger heißt Clemens Back und ist Mitbegründer des Treffpunkts «K.I.O.S.K» im Freiburger Stadtteil Rieselfeld, einem Pionierprojekt nachhaltiger Quartiersarbeit, das seit 1996 mit wegweisenden Konzepten für ein lebendiges Gemeinwesen, den Aufbau selbst tragender Netze und gesellschaftlicher Teilhabe weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt geworden ist. Das Preisgeld will der 65-Jährige – ganz im Sinne des Fördergedankens von SolidarEnergie – einem Projekt gegen Altersarmut im Rieselfeld spenden.
Solidarität braucht Partner
Einen Wermutstropfen gibt es dennoch. «Als wir uns das Modell der SolidarEnergie ausdachten, garantierte das Erneuerbare-Energien-Gesetz jedem, der eine Photovoltaikanlage auf seinem Dach installierte, eine fixe Einspeisevergütung für die nächsten 20 Jahre», sagt Wiedemann. «Seit der Photovoltaik-Novelle von 2012, spätestens aber seit der Neufassung des EEG von 2014 sind die Vergütungen gerade für kleine Anlagen derart gesunken, dass sich eine Investition allenfalls noch für den Eigenbedarf rentiert». Die Idee, Gewinne aus dem Betrieb geförderter Solaranlagen zu erwirtschaften, um sie für zivilgesellschaftliche Zwecke zu sozialisieren, statt sie zu privatisieren, sei damit «praktisch auf null gesetzt», sagt auch Reiner Marquard.
Die beiden sehen das dennoch gelassen – nicht ohne Grund. Zum einen haben die Volksbank Freiburg und die EWS ihre Förderbeiträge für Kulturelles und Soziales seit 2010 ständig erhöht: «Wir haben da zwei starke Partner, auf die wir uns verlassen können.» Zum anderen wird sich die installierte Leistung der Photovoltaikanlagen, von denen der Verein derzeit profitiert, zwar nicht mehr vergrößern, doch fallen die Anlagen frühestens im Jahr 2030 aus dem Vergütungssystem des EEG heraus.
Bis dahin werden also noch viele Initiativen ihre Schecks auf der Bühne im Vorderhaus entgegennehmen und die Jury-Mitglieder mit dem Preisträger bei der Rebstock-Übergabe im kellerschen Weinberg auf die soziale, kulturelle und ökologische Nachhaltigkeit Erneuerbarer Energien anstoßen dürfen.