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Doppelte Sonnenernte auf dem Acker

Ein Bericht von Petra Völzing

Eine Hofgemeinschaft nahe dem Bodensee verbindet ökologische Landwirtschaft mit dem umfassenden Einsatz von Erneuerbaren Energien.

Fast zu schön, um wahr zu sein: Heggelbach ist ein kleiner Weiler zwischen Sigmaringen und Überlingen am Bodensee. Zwischen sanften Hügeln liegen die bunten Wohnhäuser, Stallanlagen und Wirtschaftsgebäude der gleichnamigen Hofgemeinschaft. Dazwischen prangen kleine Küchengärten − und ein Meer von Blumen. Seit 1986 betreiben mehrere Familien gemeinsam den großen Demeter-Betrieb mit 170 Hektar Land, Viehwirtschaft, einer Käserei und drei Ferienwohnungen. Zurzeit bewohnen fünf Familien den Gemeinschaftshof, eine weitere wird im Laufe des Jahres dazukommen.

Unterwegs zur Kreislaufwirtschaft

Thorsten Krug lebt seit 2003 mit seiner Frau und vier Kindern auf dem Hof. Er betreut den Bereich Kuhstall und Grünland. Daneben kümmert er sich gemeinschaftlich mit seinen Kollegen um den Bereich Energie. Bei der Hofgemeinschaft orientiert sich alles an den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Auf den Äckern wächst Kleegras, der an die Kühe verfüttert wird. Aus deren Milch wird Käse produziert und die anfallende Molke wird an die Schweine verfüttert.

2004 beschloss die Gemeinschaft, auch die Energieerzeugung und deren Nutzung in ihre Kreisläufe zu integrieren. Zwei Jahre später wurde die erste Photovoltaikanlage auf einem Dach installiert. Inzwischen sind auf fast allen Dächern Module zu sehen: «Wir haben hier viel herumexperimentiert und auch in Ost-, West- und sogar in Nordausrichtung Solarpanele installiert», sagt Thorsten Krug. «Das funktioniert», setzt er schmunzelnd nach.

Luftaufnahme eines Bauernhofes in hügeliger Landschaft, auf einigen Dächern sind PV-Module installiert
Die meisten Dächer sind inzwischen mit PV bestückt. Derzeit kann die Hofgemeinschaft rund die Hälfte ihres Stromverbrauchs mit selbst erzeugtem Sonnenstrom decken. Foto: Felix Kästle
Eine braune Kuh mit plüschigen Ohren frisst verträumt frisches Gras.
Die Kühe werden ausschließlich mit Grünfutter und Heu versorgt. Das Kleegras wächst unter der Agrophotovoltaikanlage. Foto: Felix Kästle
Ein Keller mit Regalen voller Käselaibe im schummrigen Licht.
Die Nachfrage am Käse aus Heggelbach steigt. Zurzeit wird eine neue Käserei gebaut, um die Produktion ausweiten zu können. Foto: Felix Kästle
Eine lächelnde Bäuerin im grauen Overall und grünem Kopftuch im Freigehege bei den Schweinen.
Jessica Kreis-Bichler kümmert sich um die Schweine. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft werden diese mit der Molke gefüttert, die bei der Käseproduktion anfällt. Foto: Felix Kästle
Zwei schneeweiße Hühner schreiten einen Kiesweg entlang.
Kein Wunder, dass hier sogar die Hühner selbstbewussten Schrittes über den Hof stolzieren. Foto: Felix Kästle

Wärme aus Holz, Strom von der Sonne

Auch der 2008 installierte Holzvergaser ist der Freude am Experiment geschuldet: «Wir konnten hier etwas ausprobieren und auch der Hersteller bekam die Chance, bei uns Erfahrungen zu sammeln. So sind alle zufrieden», sagt Krug. Der Holzvergaser wird mit Hackschnitzeln gefüttert. Über ein Nahwärmenetz verteilt sich die Wärme in alle Hofgebäude. 2017 wurde der Vergaser dann durch eine Holzkraftanlage des gleichen Herstellers ersetzt, die jetzt zusätzlich zur 100 Kilowatt Wärmeleistung auch 45 Kilowatt Strom produziert. Die hochmoderne Anlage erinnert dennoch ein wenig an eine alte Dampfmaschine: Sie vibriert immer wieder kräftig, an vielen Stellen zischt sie, Dampf entweicht und Klappen bewegen sich auf und ab.

Direkt über der Holzkraftanlage liegt die Rote-Bete-Küche. Der Vertrieb von Roter Bete an umliegende Bio-Großhändler und Supermärkte ist für den Hof eine wichtige Einkommensquelle. Die große Kochanlage für das beliebte Gemüse wird mit Sonnenstrom betrieben, vor dem Kochen werden die tiefroten Knollen vakuumiert, danach gleich vor Ort verkaufsfertig verpackt.

«Beim Ackerbau liegt einer unserer Schwerpunkte auf lagerfähigem Gemüse wie Sellerie, Kartoffeln und eben Roter Bete», erklärt Krug. Für die Lagerung besitzt die Hofgemeinschaft zwei riesige Kühlhäuser mit insgesamt 300 Quadratmetern Grundfläche und sieben Metern Höhe. Jetzt stapeln sich dort die ersten Holzkisten mit erntefrischer Roter Bete. Nach der Erntezeit im Herbst sind die beiden Hallen brechend voll. Aktuell lagern die Feldfrüchte bei sieben Grad, gekühlt werden sie ebenfalls mit Strom aus eigenen Anlagen.

Ein Mann mit leicht ergrauter Mähne im blauen T-Shirt blickt in die Kamera.
Thorsten Krug vor dem Holzhackschnitzellager für die regenerative Wärmeerzeugung Foto: Felix Kästle
Eine Keller mit kleinem Blockheizkraftwerkund vielen Rohren
Die Holzkraftanlage produziert Wärme und Strom. Die Holzhackschnitzel stammen aus der Region, zum Teil aus dem eigenen Wald. Foto: Felix Kästle

Frucht und Strom vom selben Feld

Ein großer Stromlieferant für den Hof ist eine Agrophotovoltaikanlage (APV-Anlage) auf einem Feld in der Nähe. Diese wurde im Rahmen des Forschungsprojekts «APV-RESOLA» mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, der BayWa r.e. Solar Projects GmbH, der Universität Hohenheim, dem Karlsruher Institut für Technologie, dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben und den Elektrizitätswerken Schönau errichtet. Gefördert wurde das vor Kurzem abgeschlossene Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die aufgeständerten Photovoltaikmodulen überspannen nun in sieben Metern Höhe mehr als 3.000 Quadratmeter Ackerfläche.

Agrophotovoltaik ist für die erneuerbare Zukunft unverzichtbar.

Stephan Schindele, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE

Darunter ist Ackerbau auch mit großen Maschinen möglich. So werden Möglichkeiten und Grenzen einer Doppelnutzung erforscht, um der Flächenkonkurrenz von Photovoltaik und Landwirtschaft lösungsorientiert zu begegnen. Unter den Modulen baut die Hofgemeinschaft Weizen, Zuckermais, Sellerie, Kleegras und Kartoffeln an. Die umliegenden Felder dienen als Referenzflächen, um messbar zu machen, welchen Unterschied der Anbau unter den PV-Modulen macht. «Wir konnten mit der Doppelnutzung den Gesamtflächenertrag um 60 Prozent steigern», sagt Stephan Schindele, Projektleiter vom ISE. «Die Agrophotovoltaik ist für die erneuerbare Zukunft unverzichtbar», ist der APV-Experte überzeugt.

Die Universität Hohenheim hat die Ernteerträge der Jahre 2017 und 2018 genau dokumentiert. Es hat sich gezeigt, dass die Erträge zum Beispiel bei Sellerie 2017 um 20 Prozent unter den Erträgen der Referenzflächen lagen. Im Dürrejahr 2018 lag der Ertrag bei den Kartoffeln unter der APV-Anlage dagegen sogar über dem der Referenzflächen, weil durch den Schatten der Module die Feuchtigkeit besser in der Erde gehalten wurde. Durch diesen Effekt könnte die APV sogar dabei helfen, besser mit den zu erwartenden Klimawandelfolgen umzugehen.

Auf einem Acker steht ein Tragwerk, auf dem PV-Module montiert sind, darunter fährt ein Traktor mit einem Heuwender.
Unter der Agrophotovoltaikanlage kann auch mit großen Maschinen gearbeitet werden. Foto: Felix Kästle
Aufnahme aus der Luft: Blick über eine hügelige Landschaft, im Vordergrund mehrere Reihen PV-Anlagen
Die Anlage überspannt mehr als 3.000 Quadratmeter Ackerfläche. Foto: Felix Kästle
Schwarze, kastenförmige Batterien, mit Kabeln verbunden
Das Batteriesystem nimmt vorrangig den auf dem Acker produzierten Strom auf, … Foto: Felix Kästle
Ein weißer Kleinwagen wird an einer Elektrozapfsäule geladen.
… der unter anderem für den kleinen, kollektiv genutzten Elektroflitzer genutzt wird. Foto: Felix Kästle

Die Hofgemeinschaft macht mit beim EWS-Modellprojekt

Die Elektrizitätswerke Schönau sind auf mehreren Ebenen in das Projekt eingebunden: Agrophotovoltaik wird nicht über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet, deshalb verbraucht die Hofgemeinschaft so viel Energie wie möglich selbst, den erzeugten Stromüberschuss kaufen die EWS. Seit 2017 ist die Hofgemeinschaft außerdem Teil des «Modellprojekts Schönau», mit dem der Ökoenergieversorger testet, wie dezentrale Stromerzeuger mit Blick auf die Post-EEG-Zeit zukünftig untereinander Strom tauschen und handeln können. «Die Hofgemeinschaft ist mit ihren unterschiedlichen Erzeugungsanlagen ein wichtiger Teilnehmer», sagt der EWS-Projektverantwortliche Thies Stillahn.

2018 hat BayWa r.e. auf dem Hof zusätzlich einen Batteriespeicher mit einer Kapazität von 150 Kilowattstunden installiert, der ebenfalls in das Modellprojekt Schönau integriert wurde. «Der Speicher kann zusätzliche Strommengen aus der APV-Anlage aufnehmen und für den Hof oder andere Teilnehmer am Modellprojekt nutzbar machen», so Stillahn. Zudem verfügt die Hofgemeinschaft über ein ebenfalls EWS-gefördertes Elektroauto und eine Ladestation, an der selbst erzeugter Sonnenstrom getankt werden kann. Auch das Auto ist in das Modellprojekt eingeplant: Wenn in Zukunft eine bidirektionale Anbindung möglich ist, könnte die Batterie des Autos ebenfalls als Speicher für das Gesamtsystem dienen.

Viel Potenzial für die Optimierung des Eigenverbrauchs

Aus gewerblicher Sicht agiert die Hofgemeinschaft seit 2008 als eigene Firma, die «Heggelbach Süd GbR». In dieser Gesellschaft ist neben der Verarbeitung der Roten Bete sowie der Verpackung von Gemüse vom eigenen Hof und für andere Demeter-Betriebe auch die Energiegewinnung angesiedelt. Thorsten Krug ist im Betrieb der Herr über alle Einspeise- und Verbrauchsdaten. «Die Betreuung der Energieanlagen nimmt zunehmend mehr Zeit in Anspruch», sagt er, «aber ich mache das gern.» An seinem Rechner kann er ablesen, wie viel Strom jeden Tag selbst erzeugt, wie viel davon verbraucht und wie viel Strom von den EWS angekauft wurde. Die Werte unterscheiden sich saisonal natürlich erheblich. «Wir können im Schnitt 50 Prozent unseres Stromverbrauchs durch eigene Erzeugung decken», so Krug. Verbraucht wird vorrangig der Strom der APV-Anlage, da dieser nicht durch das EEG gefördert wird.

Unser Ziel ist es, Verbrauch und Erzeugung einander anzunähern.

Thorsten Krug, Energiemanager der Hofgemeinschaft Heggelbach

Produziert wird mit allen Anlagen insgesamt eine Gigawattstunde, selbst verbraucht werden bloß rund 300.000 Kilowattstunden. Das Potenzial, den Eigenverbrauch zu erhöhen, ist also groß – und auf dem Hof wird nicht gerade wenig Strom benötigt. Hauptverbraucher sind die Heutrocknung, die Kühlhäuser und die Kochstellen für die Rote Bete. «Unser Ziel ist es, den Verbrauch und die Erzeugung einander anzunähern», sagt Krug. Eine Rolle spielen hier zum Beispiel die Kühlhäuser, die bei wenig Erzeugung und gleichzeitig hohem Bedarf mit einer intelligenten Steuerung vorübergehend abgeschaltet werden könnten. Hier kommen wieder die EWS ins Spiel, denn die intelligente Steuerung soll im Rahmen des Modellprojektes zur Verfügung gestellt werden. «Das Modellprojekt bietet an dieser Stelle eine weitere Chance, unsere Experimentierfreude auszuleben», schließt Krug gutgelaunt.

Ein Mann hält die zwei Hälften einer durchgeschnittenen Roten Bete in die Kamera.
Die legendäre Heggelbacher Rote Bete wird auf dem Hof gekocht und verkaufsfertig verpackt. Foto: Felix Kästle
Zwei Männer im mittleren Alter stapeln Gemüsekisten mit Frühlingszwiebeln.
Jona Kreis (rechts) ist für die Vermarktung des Gemüses zuständig. Foto: Felix Kästle

Gemeinschaftlich Wachstum gestalten

Die Atmosphäre auf dem Hof ist entspannt. Auf dem Weg zur Käserei schaut Thorsten Krug in der Halle vorbei, wo Mitgesellschafter Jona Kreis gemeinsam mit einigen Mitarbeitern Gemüse für den Verkauf verpackt – für ein kurzes Schwätzchen und ein paar Scherze ist immer Zeit. Der Hof wirtschaftet erfolgreich und ist im Lauf der Jahre immer weiter gewachsen. Die Rote-Bete-Küche ist in größere Räume gezogen, der bisherige Raum beherbergt jetzt eine Backstube. Die Kühlhallen sind hinzugekommen, jetzt braucht die Käserei mehr Platz und soll daher in ein extra dafür errichtetes Gebäude umziehen. Die neue Käserei ist derzeit das größte Bauvorhaben – und natürlich wird auch sie in das Energiekonzept einbezogen: Mit überschüssigem Sonnenstrom soll die Milch gekühlt, Eiswasser für die Käseherstellung produziert und der Käsekeller klimatisiert werden. Ein dickes Kabel vom Stromhäuschen, wo aller Strom zusammengeführt wird, ist schon gezogen.

«Wir waren in dem, was wir tun, immer breit aufgestellt. Ich denke, das war und ist der richtige Weg», sagt Krug. Über größere Investitionen, wie den Neubau der Käserei, entscheiden die sechs Gesellschafter-Familien gemeinsam. Ungelöst ist bislang das Problem des hohen Dieselverbrauchs des Maschinenparks, aktuell benötigt der Hof 140 Liter Diesel pro Hektar und Jahr. Aber auch diese Abhängigkeit von fossiler Energie wollen die Heggelbacher überwinden: «Schön wäre eine Power-to-Fuel-Lösung mit unserem überschüssigen Sonnenstrom», so Thorsten Krugs Überlegung. Zumindest an dieser Stelle ist die Hofgemeinschaft also noch in der Findungsphase – aber die Lust am Ausprobieren ist bereits deutlich spürbar.

 

Ein Feld, darauf eine PV-Anlage, und ein Weg auf dem zwei Personen stehen.
Agrophotovoltaik

Mehr Informationen finden Sie auf der Agrophotovoltaik-Website des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE.

Zur Website der Hofgemeinschaft Heggelbach gelangen Sie hier.

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13. September 2019 | Energiewende-Magazin