Auf dem Weg zur intelligenten Bürgerenergie
Ein Bericht von Petra Völzing
Gemeinsam mit Bürgern aus Schönau und weiteren Gemeinden testen die EWS, wie selbst erzeugter Strom intelligent verbraucht, gespeichert und gehandelt werden kann.
Die erneuerbare Stromzukunft hat in der Stadt der Stromrebellen früh begonnen. In Schönau zieren schon seit mehr als zwanzig Jahren viele Photovoltaikanlagen die Dächer. Deutschland zog nach. Inzwischen stammt mehr als ein Drittel des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Nun muss auch das Stromversorgungssystem an die zunehmend dezentrale Erzeugung angepasst werden.
Die Elektrizitätswerke Schönau testen deshalb vor Ort und im Kleinen, wie ein erneuerbares Energiesystem der Zukunft funktionieren kann: mit Photovoltaikanlagen von Bürgern in Schönau und umliegenden Gemeinden, umweltverträglichen Salzwasser-Batteriespeichern, hocheffizienten Blockheizkraftwerken – zum Beispiel dem eines EWS-Mieterstromprojektes und mit einer hochmodernen Steuerungssoftware.
Viele Energieakteure arbeiten gemeinsam
Ein solches Projekt kann nur gemeinschaftlich gelingen, deshalb haben sich für das Schönauer Modellprojekt mehrere Akteure zusammengetan. Neben den EWS und den beteiligten Bürgern sind der Triberger Energieversorger und Messstellenbetreiber EGT Energie GmbH und die Freiburger Software-Schmiede Oxygen Technologies GmbH dabei. Die junge Firma ist eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und entwickelt Software-Lösungen, mit deren Hilfe sich beispielsweise Wind-, Biomasse- und kleine PV-Anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenfassen lassen. Die Software bietet auch ein Set an Mess-, Regel- und Prognoseprozessen, wie es für den Betrieb entsprechender Online-Handelsplätze notwendig ist. Derartige Internetplattformen ermöglichen es dezentralen Akteuren, sich zu Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaften zusammenzuschließen und zukünftig auch untereinander Strom handeln zu können.
Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, um ein dezentrales, bürgernahes Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien zu schaffen.
Mit der Modellregion Schönau haben die Projektbeteiligten zum einen die zahlreichen Besitzer kleiner PV-Anlagen im Blick. Da eine Förderung nach dem in seiner ersten Fassung aus dem Jahr 2000 stammenden Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nur über einen Zeitraum von zwanzig Jahren gewährt wird, nimmt die Anzahl von PV-Anlagen mit ausgelaufener EEG-Förderung in den nächsten Jahren sprunghaft zu. Besitzer und Betreiber dieser Anlagen brauchen Möglichkeiten, ihren ehemals gemeinschaftlich geförderten und – was ja das erwünschte Ziel der Förderung war – regenerativ und klimaschonend produzierten Strom zu vermarkten.
Zum anderen wächst auch die Zahl der PV-Anlagen, die bereits heute ohne jede EEG-Förderung installiert werden und direkte Abnehmer brauchen. Vor allem aber verlangt der Umbau unserer Energieversorgung selbst immer drängender nach Möglichkeiten zur Vernetzung, also nach einer technischen Lösung, um dezentrale Erzeuger mit unterschiedlichen Speichereinheiten zu einer stabilen Stromversorgung zusammenschließen zu können.
Ein Ziel: Optimierung des Eigenverbrauchs
Einer der Projektteilnehmer ist Jesko Anschütz. Der Schönauer ist Lehrer, sein Steckenpferd ist die Mess- und Regeltechnik. Auf seinem Haus betreibt er eine 9,5-Kilowatt-Peak-Photovoltaikanlage, die schon länger im Eigenverbrauch läuft. Auf dem Küchentisch steht ein Gerät, das per Funk mit seinen Stromzählern verbunden ist und den Nettostromverbrauch anzeigt, also die Bilanz dessen, was aktuell erzeugt und verbraucht wird. Als er für ein Kännchen Tee den Wasserkocher anschmeißt, wechselt die Anzeige sehr schnell von Grün auf Rot. Auch die Werte seiner Heizungsanlage analysiert er bereits seit Jahren, um so die Energieeffizienz zu optimieren. «Ich bin schon immer ein Bastler gewesen», sagt Jesko Anschütz. Kein Wunder also, dass er sofort bereit war, bei dem Modellprojekt mitzumachen.
Es ist mir ein Anliegen, die EWS dabei zu unterstützen, neue Technologien für die Energiewende zu erproben und voranzutreiben.
Der Schönauer Bürgermeister Peter Schelshorn, der privat seit zwei Jahren seinen Stromverbrauch mit einer PV-Anlage und einem Batteriespeicher optimiert, beteiligt sich am Projekt. Mit dabei ist auch die Evangelische Kirchengemeinde Schönau mit ihrem «Schöpfungsfenster» – so heißt die PV-Anlage, die seit 1999 das gesamte Süddach der Kirche bedeckt.
Bei Jesko Anschütz wurden als erstem Teilnehmer zunächst die digitalen Stromzähler und das «Smart Meter Gateway» (SMGW) eingebaut. Über das Gateway werden die Daten aus dem Stromzähler ausgelesen. Es können aber auch Daten ins Gateway eingespeist werden, zum Beispiel individuelle Stromtarife. Zuständig für diesen Teil des Projekts ist der Messstellenbetreiber EGT. «Für uns ist dieses Projekt eine tolle Chance, um Erfahrungen mit der neuen Zähler- und Gateway-Technologie zu sammeln», erklärt Hartmut Burger, bei der EGT verantwortlich für den Messstellenbetrieb.
Neue Technologien ermöglichen Vernetzung
Seit Inkrafttreten des neuen Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) im September 2016 stehen die zuständigen Unter- nehmen, wie auch die EGT, in den Startlöchern, um die neue Gerätetechnologie zu testen. Das Gesetz schreibt derzeit den Einbau von intelligenten Messsystemen bei einem Verbrauch von über 10.000 Kilowattstunden im Jahr verbindlich vor. Auch Erzeugungsanlagen mit einer Leistung größer als ein Kilowatt müssen ab 2018 mit intelligenten Messsystemen ausgestattet werden. In der Breite wurden allerdings bislang keine intelligenten Zähler mit Gateways verbaut, denn die Zertifizierung der Geräte und die daraus entstehende Einbauverpflichtung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stehen weiterhin aus.
Weil hier sensible Kundendaten verarbeitet werden, muss ein hoher Sicherheitsstandard in der Datenverwaltung und Übertragung gewährleistet sein. Im Rahmen des Modellprojektes wird die EGT die Administration der Gateways übernehmen. «Um den Anforderungen aus dem MsbG gerecht zu werden, haben wir unsere IT-Systeme ausgebaut und bei uns separate Arbeitsplätze mit besonderen Zugangskontrollen eingerichtet», erläutert Burger. Die Datenhaltung selbst wird dienstleistend durch die co.met GmbH in Saarbrücken ausgeführt, die sich mit ihrem Rechenzentrum auf die Verarbeitung von Energiedaten spezialisiert hat.
Kurze Zeit später wird bei Jesko Anschütz auch die eigentliche Steuerbox von Oxygen Technologies installiert. Dieser virtuelle Energiemanager ermöglicht, dass der erzeugte Strom unter den Projektteilnehmern je nach Erzeugung und Verbrauch hin- und hergeleitet wird. «Mit unserer Software können Stromerzeugung und -verbrauch minutengenau abgebildet werden. Die angeschlossenen Erzeugungsanlagen und Speicher werden dann entsprechend gesteuert», erklärt Gregor Rohbogner, Geschäftsführer von Oxygen Technologies.
Zusätzlich wurde bei Jesko Anschütz eine Salzwasserbatterie mit einer Kapazität von acht Kilowattstunden installiert. Der Technikfan ist von der neuen Technologie in seinem Haus begeistert: «Mit den neuen Zählern und der Steuerbox bekomme auch ich Zugriff auf viel mehr Daten – und ich kann meinen Eigenverbrauch noch besser optimieren.»
Nach und nach werden nun bei allen Projektteilnehmern Zähler, Gateway und – wenn nicht schon vorhanden – Batterien installiert. «Mein Nachbar ist auch dabei», erzählt Anschütz, «er hat eine PV-Anlage mit Süd-Südwest-Ausrichtung, ich eine mit Süd-Südost-Ausrichtung. Da kann man sich vorstellen, dass wir gemeinsam die Ausnutzung unserer Anlagen optimieren könnten. Ich nutze dann seinen Strom am Abend mit, er meinen am Morgen.»
«Bei der Umsetzung im Rahmen des Tests wollen wir in drei Schritten vorgehen», erläutert Thies Stillahn, Projektkoordinator bei den EWS. In einem ersten Schritt soll bei den Kunden der Eigenverbrauch optimiert werden. Dabei soll auch der Ladevorgang der Batterien so gestaltet werden, dass er Einspeisespitzen abfängt, also überschüssigen Strom aufnimmt. «Das machen wir unter anderem, indem wir Wetterprognosen mit einbeziehen», so Stillahn. Das bedeutet, dass die Batterie nicht unbedingt geladen wird, sobald Strom fließt, sondern zum Beispiel erst am Mittag, wenn die Sonneneinstrahlung besonders kräftig ist.
Die optimale Balance
Der zweite Projektschritt konzentriert sich auf die Vernetzung der Teilnehmer. Im Mittelpunkt dieser Projektphase steht die Frage nach der optimalen Balance von zeitweise überschüssigen Strommengen und vorhandener Speicherinfrastruktur auf der einen Seite und dem Verhalten der Verbraucher auf der anderen Seite. Die erforderlichen Prozesse werden zentral gesteuert, und man nutzt die gesammelten Erfahrungen und gewonnenen Daten zur kontinuierlichen Annäherung an die optimale Balance des Systems.
Oxygen Technologies setzt zudem Algorithmen ein, die das System anhand stetig aktualisierter Prognosen zu Produktion und Verbrauch permanent optimieren. Darüber hinaus könnten – sobald ausreichend Daten zur Verfügung stehen – Empfehlungen generiert werden, welche Technologien optimalerweise kombiniert werden sollten: «Es könnte zum Beispiel herauskommen, dass sich in der interagierenden Community eine ‹Power- to-Gas-Anlage› rentieren würde», so Rohbogner.
In einem dritten Schritt ließe sich mit der Steuerungssoftware von Oxygen Technologies ein «Peer-to-Peer-Ansatz» weiterverfolgen: «In diesem Stadium agiert die Steuerbox eigenständig, und die Teilnehmer handeln ihren Strom auf einer virtuellen Plattform direkt miteinander», erklärt Gregor Rohbogner. «Die EWS würden in diesem Falle nur noch als Betreiber der Plattform fungieren und Reststrom liefern, sofern dieser benötigt würde», so Thies Stillahn.
Gemeinschaftliches Agieren
Den Akteuren geht es allerdings nicht allein um die Optimierung von Technologie und Energiesystem: «Damit ein erneuerbares, dezentrales Energiesystem funktioniert, muss es von einem Gemeinschaftsgedanken getragen sein», sagt Stillahn, denn es gehe um das optimale Ausbalancieren von Strombedarf und Stromerzeugung zwischen Prosumern, also Personen, die sowohl erzeugen als auch verbrauchen. Deshalb stehe auch der Autarkiegedanke nicht unbedingt im Mittelpunkt. «Wir fördern die Autarkie des Einzelnen, indem wir helfen, dessen Eigenverbrauch zu optimieren, aber volkswirtschaftlich ist es sinnvoller, gemeinschaftlich zu agieren», so Stillahn. Indem Prosumer vernetzt und gemeinschaftlich agieren, leisteten sie zudem einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität, da sie Erzeugung und Verbrauch ausbalancierten.
Ein Interesse, an einer solchen Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaft mitzuwirken, besteht auch über den Teilnehmerkreis des Modellprojekts hinaus. Das hat 2017 eine Umfrage unter Kunden der EWS ergeben, die im Rahmen eines Forschungsprojekts der Hochschule Reutlingen durchgeführt wurde. «Der Wunsch, sich einzubringen, war klar erkennbar», freut sich Thies Stillahn. Offensichtlich sind sehr viele Menschen bereit, bei der Gestaltung der gemeinsamen Energiezukunft mitzuwirken.
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