«Wie ein sechstes Kind»
Ein Bericht von Anja Bochtler
Vor 20 Jahren hatten die Schönauer Energie-Initiativen den Kampf um das örtliche Stromnetz gewonnen. Grußworte und Rückblicke beim Stromseminar 2017.
Im Sommer 1997 hatten die Schönauer Aktivisten ihr Ziel erreicht: Seither betreiben sie das Schönauer Stromnetz. Beim Reigen der offiziellen Grußworte auf der Bühne des Stromseminars sind sich 20 Jahre später alle einig: Die Schönauer mit ihren EWS wirken weit über Schönau hinaus.
Thomas Jorberg, der Vorstandssprecher der GLS-Bank und Aufsichtsratsvorsitzender der Elektrizitätswerke Schönau, erzählt, dass er Ursula und Michael Sladek als Finanzfachmann einst dringend von ihren Plänen hätte abraten müssen. Doch dann erlebte er mit, wie eigentlich unlösbare Probleme gelöst wurden. Zum Beispiel, wie es gelang, die Finanzierung mit Stiftungsmitteln zu sichern, obwohl Stiftungen normalerweise keine wirtschaftlichen Unternehmungen unterstützen.
Inzwischen blicke ganz Deutschland nach Schönau, betont der Schönauer Bürgermeister Peter Schelshorn. Selbst japanische Experten und Politiker sowie der frühere US-Präsident Barack Obama seien auf die Erfolgsgeschichte aufmerksam geworden.
Und diese Erfolge gehen immer weiter: Unter anderem mit dem EWS-Windpark Rohrenkopf, dem südlichsten und höchstgelegenen Windpark Deutschlands, der jüngst eröffnet wurde. Darauf weist Ruthard Hirschner hin, der erste Beigeordnete aus Schopfheim. Die Schönauer seien zu einem «Markenkern des Landkreises Lörrach» geworden, findet Michael Kauffmann, Dezernent für den ländlichen Raum beim Landratsamt in Lörrach. Durch die Dezentralisierung der Energieversorgung gebe es generell mehr Entwicklungschancen für den ländlichen Raum, unabhängig von großen Konzernen. Die EWS hätten auch die genossenschaftliche Idee wiederbelebt, sagt Michael Roth vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband.
Pioniere erinnern sich
Natürlich feiern das Jubiläum der Netzübernahme viele der Mitstreiter, Wegbereiter und Mitbegründer beim Stromseminar mit. Die meisten stehen nicht auf der Bühne, sondern sind mittendrin im Publikum. Und viele kennen sie. Das gilt besonders für Ursula Sladek. Wer weiß besser als sie, worauf es damals ankam? «Am wichtigsten war, daran zu glauben, dass es klappt, und alles dafür zu tun», sagt sie. Es war ein langer Weg, geprägt von vielen Visionen, großer Begeisterung, aber auch etlichen Enttäuschungen. Klar ist für sie im Rückblick: «Ich möchte das alles nicht missen.»
Nach 20 Jahren mit dem eigenen Netz sind die EWS für Ursula Sladek «wie ein sechstes Kind». Genau wie bei ihren anderen fünf Kindern hat sie irgendwann begonnen loszulassen. Ende 2014 ist sie mit ihrem Mann aus dem Vorstand ausgeschieden, zwei der Söhne sind nachgerückt.
Früh in den kämpferischen Anfangszeiten kam auch der Klimaforscher Hartmut Graßl zum ersten Mal mit den Schönauern in Kontakt: 1991 hatte ihn sein Schwager, Mathematiklehrer in Schönau, als Redner empfohlen, erzählt er am Rande seines Vortrags zum Klimawandel. 20 Jahre nach der Netzübernahme sei jetzt die Zeit gekommen, weiterzudenken, fordert er: «Die EWS müssen sich nach der ökologischen nun ihrer sozialen Verantwortung stellen.» Zum Beispiel mit einem solidarischen Strompreismodell, bei dem privilegierte Menschen wie er mehr bezahlen, damit für andere mit wenig Geld niedrigere Preise möglich werden.
Aus der Ferne mit dabei
Und dann sind da diejenigen, von denen etliche von Anfang an zumindest aus der Ferne mitgekämpft haben, und andere, die damals nicht beteiligt waren, aber irgendwann zur großen Schönauer Bewegung dazugestoßen sind. Bei den Stromseminaren treffen sie sich Jahr für Jahr. Manche haben von Anfang an alles genau verfolgt, so wie Christa Stockhaus: «Ich habe mitgebangt.» Sie war damals selbst längst aktiv. Kurz nach Tschernobyl hatte sie in Rottweil die Bürgerinitiative «Für eine Welt ohne atomare Bedrohung» mitgegründet. Ihr war von Anfang an klar, dass es nicht nur darum gehen konnte, die Abschaltung der AKWs zu fordern, sondern gleichzeitig Alternativen im Ausbau Erneuerbaren Energien zu suchen. Dabei war vor allem Ursula Sladek für sie immer eine Vorreiterin: «Sie verkörpert mit ihrer ganzen Person, was gelingen kann, wenn sich viele zusammenschließen.»
Auch Barbara Munz wäre gern in den Anfängen der Anti-AKW-Bewegung aktiv geworden. Doch die teils von Gewalt geprägte Szene schreckte sie ab. Dann kam Tschernobyl: Zu dieser Zeit war sie schwanger und in großer Sorge. Umso mehr interessierte sie sich für die Entwicklungen in Schönau, wo Bürger nach der Tschernobyl-Katastrophe neue Wege einschlugen. Inzwischen haben sie und ihr Mann in Heilbronn, wo sie wohnen, eine Photovoltaikanlage und Holzpellets, und sie protestieren gegen den Castor-Transport auf dem Neckar. Manchmal trägt Barbara Munz ein T-Shirt mit der Aufschrift: «Für eine enkeltaugliche Zukunft.» Die Geburt ihres Enkels im April 2017 gab ihr neuen Schwung.
Inspiriert für eigene Aktionen
Die Netzübernahme war ein wichtiges Ereignis für einen, dessen Kindheit in den 1970er-Jahren geprägt war vom Widerstand in Wyhl: Eckhard Tröger war damals mit seinen Eltern bei den Protesten gegen das geplante AKW dabei gewesen. Etliche Jahre später haben ihn die Schönauer beeindruckt: «Sie haben gezeigt, was man bewegen kann.» Er nahm sie sich zum Vorbild: 2009 versuchte er von Freiburg aus, mit der Genossenschaft «Energie in Bürgerhand» Anteile des Energieversorgers Badenova zu kaufen, der damals der Thüga gehörte. Zwar wurde nichts aus der geplanten Übernahme, aber es gab wichtige Diskussionen. Eckhard Tröger wünscht sich auch in anderen Bereichen mutige Menschen wie die Schönauer, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik: «Wir müssten viel öfter neue Wege gehen und neue Ideen denken.»
Das versucht Else Schnakenberg auf ihre Art: Lange, bevor die gelben Müllsäcke eingeführt wurden, hat sie Plastikbecher gesammelt. Alle hielten sie für verrückt, doch irgendwann zeigte sich, dass sie eine Vorreiterin war. Mit den EWS ist es ähnlich, findet sie: «Wer eine Vision hat und sicher ist, auf dem richtigen Weg zu sein, kann viel erreichen.» In ihrer Umgebung in Aachen versucht sie, andere für die Schönauer Ideen zu begeistern. Wahrscheinlich hängt ihre Haltung auch damit zusammen, dass sie auf einem Bauernhof aufwuchs: «Ich hatte immer ein Bewusstsein für Ganzheitlichkeit.»
Auf in die Zukunft
Die EWS-Geschichte hat er zwar erst später mitbekommen, sie hat ihn aber sofort fasziniert: «Wahnsinn, was da für Energien frei wurden», sagt der 26-jährige Frederik Pensky. Jetzt entwickelt er die Geschichte weiter. Er steigt in der strategischen Geschäftsfeldentwicklung der EWS als Ingenieur ein. Deswegen ist er mit seiner Frau und der einjährigen Tochter von Köln nach Schönau gezogen. «Ich wollte immer bei einem Ökostromversorger arbeiten», sagt er. Kein Wunder, ist er doch mit der Anti-AKW-Bewegung aufgewachsen, seine Eltern nahmen ihn zu Menschenketten mit. Dass er nun bei den EWS landete, ist ganz nach ihrem Geschmack.
Auch bei Christian Fritzsch fing es früh an: Als 16-Jähriger kam er erstmals nach Schönau zu einer Führung. Der Leiter seiner katholischen Jugendgruppe im oberschwäbischen Bad Waldsee hatte Verbindungen zu den Sladeks. Damals sah Christian Fritzsch zum ersten Mal ein Dach mit Solarzellen. 21 Jahre später wohnt er mit seiner Frau in einem Plusenergiehaus in Aulendorf mit Photovoltaik auf dem Dach. Beide sind IT-Ingenieure und begeistert von den Stromseminaren, weil sie viele Infos und viel Dynamik bieten: «Das ist unheimlich cool.»
Selbst in weiter Ferne weg aus kann die Verbindung eng sein: Seit 2006 ist Christian Gutsche bei der Initiative «Bremer Solidarstrom» aktiv, die mit den EWS kooperiert. Als Physiker arbeitet er für die Energiewende. Besonders beeindruckt hat ihn der Film «Das Schönauer Gefühl», der den «Charme von Schönau» vermittle: «Alles ist geprägt von Humanismus, einem christlichen Hintergrund und Ruhe. Das hat viel mit den Sladeks zu tun und mit der ländlichen Umgebung und dem Schwarzwald.»