Solar zu sauberem Wasser
Ein Porträt von Lisa Rüffer
Der Wiener Martin Wesian und sein Team wollen den Armen der Welt sauberes Trinkwasser zur Verfügung stellen. Die Geschichte einer revolutionären Idee.
Für große Probleme kann es einfache Lösungen geben. Der Mensch braucht Land, Sonne und Zugang zu sauberem Wasser. Auch möchte er, dass man ihm auf Augenhöhe begegnet. So einfach könnte es sein, denkt Martin Wesian. In Wien sitzt er mit seinem Team zusammen. Geschäftsführerin Manuela Kräuter steht am Flipchart und resümiert. Das soziales Unternehmen Helioz macht eine Standortbestimmung: Was haben wir erreicht und wo wollen wir hin? Ihr Produkt WADI, ein Messgerät für solare Wasserdesinfektion, ist seit zwei Jahren auf dem Markt. An die Wand ist eine Präsentation projiziert: «It always seems impossible until it’s done», ist dort Nelson Mandela zitiert. Es scheint immer unmöglich, bis es geschafft ist.
Die Haare stehen Martin Wesian wirr vom Kopf ab. Mit der eckigen Brille sieht er aus wie ein großer Junge, der einmal Erfinder werden will. Und dann ist da sein Unternehmergeist. Er packt Dinge an, Zweifel halten ihn nicht von einer guten Idee ab. Neun Jahre zuvor liest Wesian einen Artikel über einen Schweizer Bauingenieur. Was er darin erfährt, verblüfft ihn. Martin Wegelin will den Armen der Welt sauberes Wasser zur Verfügung stellen. Er hat eine Lösung gefunden, die das möglich macht. Was es dafür braucht? Nur Wasser und Sonne.
Die UV-Strahlung desinfiziert verunreinigtes Wasser und macht es so trinkbar. An der ETH Zürich hat der Bauingenieur geforscht, getestet und schließlich die SODIS-Methode entwickelt – solar water disinfection, also solare Wasserdesinfektion: Legt man Wasser in durchsichtigen Plastikflaschen in die Sonne, ist es nach wenigen Stunden frei von Bakterien, Viren und anderen Krankheitserregern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF bestätigen die Methode und erkennen sie an. Seit Jahren, liest Wesian, reist Martin Wegelin in Länder des Globalen Südens, um die Menschen dort aufzuklären.
Wasser als Risiko
Laut WHO haben über 660 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Es wird dort sogar zum Gesundheitsrisiko: 80 Prozent aller Krankheiten und Todesfälle lassen sich auf verunreinigtes Wasser zurückführen. Mit ihm kommen Durchfall, Typhus oder Cholera. Vor allem Kinder sterben schnell an solchen Erkrankungen.
Wegelin hat den Schlüssel in der Hand, das zu ändern. Nur hat er keinen Erfolg. Der Schlüssel passt nicht ins Schloss, die Menschen glauben nicht an SODIS. Nach all den Jahren misslungener Aufklärung ist er frustriert. Als Wesian den Artikel zu Ende gelesen hat, ruft er den Schweizer in Zürich an. Er weiß, worum es geht. Am eigenen Leib hat er erfahren, was verunreinigtes Wasser anrichten kann.
Nach dem Abitur arbeitet Wesian erst bei einem Start-up. Doch nach zweieinhalb Jahren will er weg. Drei Monate Südamerika sind geplant, am Ende werden fast drei Jahre daraus. Er reist herum, surft, arbeitet als Tauchlehrer. In Venezuela bleibt er schließlich hängen. Dann erkrankt er in dem Schwellenland an Cholera. In nur zehn Tagen nimmt er 15 Kilo ab. Aber der große, sportliche Europäer hat Zugang zu medizinischer Versorgung. Er wird wieder gesund, während viele Einheimische die Krankheit nicht überleben. Seit diesem Erlebnis fragt er sich, wie sauberes Wasser zu den Armen kommen könnte. Und jetzt kennt er die Antwort.
Als er zum Telefon greift, lebt Martin Wesian gerade in Deutschland, studiert Wirtschaftsingenieurwesen und ist auf der Suche nach einer nachhaltigen Idee für seine Masterarbeit. «Ich wollte etwas machen, was einen sozialen Nutzen hat und wobei nicht das Geld im Mittelpunkt steht», erzählt er. Die SODIS-Methode besticht durch ihre Einfachheit, doch ist das zugleich ein Problem: Es ist zu einfach, um wahr zu sein. Und das Sterben der Krankheitserreger im Brackwasser ist lautlos und unsichtbar. Menschen tun sich schwer, zu glauben, was sie nicht sehen. Am Telefon sagt Wesian zu Martin Wegelin: «Ich entwickle ein Gerät, das die SODIS-Methode sichtbar macht.» Das könne er brauchen, antwortet der Schweizer Bauingenieur am anderen Ende der Leitung.
Mit lächelnden Smileys zum Erfolg
In den zwei Jahren seiner Masterarbeit entwickelt Wesian ein Gerät mit einem UV-Sensor, der misst, wann Wasser in einer PET-Flasche durch die Sonnenstrahlen desinfiziert ist. Das WADI passt in eine Hand, ist leicht, wasserresistent, staubdicht und haltbar. Energie holt es sich mit Hilfe einer eingebauten Solarzelle ebenfalls von der Sonne.
Vor allem aber kommuniziert es unmissverständlich. Man fülle Wasser in Plastikflaschen ohne Etikett. Es darf sogar schlammig sein, die Hand sollte durch die gefüllten Flaschen noch zu sehen sein. Die Flaschen lege man flach in die Sonne. Dann drücke man den Reset-Knopf des WADIs und lege es direkt zu den Flaschen. Ein trauriger Smiley und ein Fortschrittsbalken erscheinen auf dem kleinen Display. Nach zwei bis sechs Stunden ist aus dem traurigen Smiley ein lachender geworden und das Wasser lässt sich bedenkenlos trinken.
Um das WADI an die Menschen zu bringen, gründet Wesian den Verein Get Water. Als er dann 2009 einen wichtigen Nachhaltigkeits-Preis gewinnt, den Energy Globe Austria, häufen sich Anfragen, ob man das Gerät auch kaufen könne.
Entwicklungshilfe und soziales Unternehmertum
Martin Wesian muss sich einer Frage stellen: Darf man mit so einer Idee Geld verdienen? Seine Antwort ist ein soziales Unternehmen. Firmen mit diesem Ansatz setzen innovative Ideen für soziale Probleme um und fördern damit die positive Entwicklung der Gesellschaft. Das bietet Handlungsfreiheit, denn Forschung und Entwicklung auf diesem Feld kosten Geld. Investoren steigen eher ein, wenn ein Unternehmen gewinnorientiert arbeitet. Und sie wachsen langfristig leichter als Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
«Wir sind nachhaltiger als Hilfsorganisationen», beschreibt es Geschäftsführerin Manuela Kräuter, die selbst lange in NGOs arbeitete, bevor sie zu Helioz kam. Doch das ist nicht der einzige Vorteil. Auch NGOs setzen vermehrt auf die Hilfe zur Selbsthilfe. In Uganda vermitteln sie beispielsweise kostenlos das Wissen, dass sich mit Regenwassertanks Trockenzeiten überstehen lassen. Doch den Bau solcher Tanks müssen Dorfgemeinschaften selbst finanzieren, indem sie sich zu Spargemeinschaften zusammentun. Das Prinzip dahinter: Was etwas kostet, ist auch etwas wert. Projekte, in die die Menschen selbst investieren, haben eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung. Die berühmten Mikrokredite funktionieren so, aber auch nachhaltige Investitionen in die örtliche Marktwirtschaft.
Wer auf Länder des Globalen Südens als Geschäftspartner zugeht und nicht nur Hilfe bietet, wird als ein Partner auf Augenhöhe betrachtet. Das sehen auch die Regierungen so. In Uganda gelang es Helioz, das Ministerium für Wasser und Umwelt vom WADI zu überzeugen. Ausschlaggebend waren die Effizienz und der niedrige Preis für vier bis fünf Jahre Leistung, seitdem ist Helioz von Einfuhrzöllen befreit.
Noch immer ist es die große Aufgabe, die SODIS-Methode in Länder des Globalen Südens zu etablieren. Helioz schiebt Projekte in verschiedenen Regionen an – Indien, Pakistan, Kenia und Äthiopien gehören dazu. Auch der Verein Get Water, den Martin Wesian noch zu Studienzeiten gegründet hatte, kommt dieser Aufgabe nach. Spendengelder setzen sie im Moment schwerpunktmäßig in Uganda ein.
Kinder als Wissensträger
Mit der Waterschool Uganda hat Getwater dort einen erfahrenen und engagierten Partner gefunden. Die NGO schult die Bevölkerung seit Jahren im richtigen Umgang mit Wasser und Hygiene, um Krankheiten zu vermeiden. Dazu gehört der Latrinenbau, das Händewaschen und auch das Abkochen, Filtern oder Chloren von Wasser. Im Moment erreichen sie damit 140.000 Haushalte. An einigen der 120 Schulen, die die NGO unterstützt, setzen sie auch schon WADIs ein, um die günstigere und simplere SODIS-Methode transparent zu machen. Sie lehren die Kinder, wie SODIS funktioniert. Jede Klasse bekommt ein WADI, die Kinder sind mit sauberem Trinkwasser versorgt. Ihr Wissen tragen sie dann in die Familien und Dörfer. 300 Geräte sind bereits im Einsatz und sie brauchen dringend mehr.
Der positive Einfluss liegt auf der Hand. Kinder, die Zugang zum WADI haben, fehlen weniger in der Schule, weil sie seltener krank sind. Die Familien sparen Geld für Feuerholz, Kerosin oder Chlor. Der CO2-Ausstoß wird verringert und wer in ein WADI investiert, kann zudem selbst zum Kleinunternehmer werden und sauberes Wasser an andere weiterverkaufen.
Durch die Entwicklungshilfe, die der Verein mithilfe des WADIs leistet, könnte sich die SODIS-Methode am Ende doch noch durchsetzen. Die ETH Zürich hat das Forschungsprojekt inzwischen an die NGO «Helvetas» übergeben und der Schweizer Bauingenieur Martin Wegelin ist in Rente gegangen.
In Wien ist es Abend geworden. Martin Wesian, inzwischen 42 Jahre alt, ist mit seinem vierjährigen Sohn an der alten Donau unterwegs. Seit er Vater ist, ist er sesshafter geworden und hält es nicht mehr ganz so lange in der Ferne aus. Vor drei Monaten war er zuletzt in Uganda. «Natürlich berührt einen die Ungleichheit, in die Kinder hineingeboren werden, mehr, wenn man selbst eines hat», sagt er. Er hat seinen Wirkungsort gefunden. Und während in Wien die Sonne bereits untergeht, verwandelt sich irgendwo auf der Welt gerade ein trauriger in einen lächelnden Smiley.