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Vladimir Slivyak – unerschrocken gegen Putins Atomkolonialismus

Ein Porträt von Armin Simon

Der russische Stromrebell bringt mit seiner Organisation «Ecodefense» Umwelt- und Atomskandale an die Öffentlichkeit – mit durchschlagendem Erfolg.

Er hat sich warm geredet, nach nur vier Minuten, das Sakko muss weg. Vladimir Slivyak, der wohl bekannteste russische Umweltaktivist, ist da erst ganz am Anfang seiner Story, und doch schon mittendrin in der Atom- und Geopolitik Russlands. «Eine Politik, die das Ziel hat, Abhängigkeiten zu schaffen», erklärt er – durch Atomkraftwerke, Brennelemente, Uran und Atommüll. Und gegen die er, Vladimir Slivyak, seit fast 25 Jahren opponiert, sein halbes Leben schon. Auch deshalb ist sein Vortrag beim diesjährigen «Schönauer Stromseminar» nicht nur ein Einblick in die russische Atom- und Kohleindustrie, sondern auch in seine eigene Protest­geschichte. «Ich bin sehr glücklich, dass ich diesen Lebensweg gewählt habe», schließt er. Applaus. 

Slivyak ist ein geübter Redner, sein Englisch fließend, seine Stimme sonor. Um Fakten und Argumente ist er nicht verlegen – aber er präsentiert sie niemals trocken oder technokratisch. Der Träger des «Alternativen Nobelpreises» und «Schönauer Stromrebell 2022» hat keine Scheu vor der großen Bühne. «Ich rede gern», räumt er ein, als er feststellt, dass sich seine Vortragszeit dem Ende zuneigt: «Besonders, wenn mir viele Leute zuhören.» Er kann sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen. Um zu gewinnen, muss er überzeugen, andere für seine Position einnehmen, das weiß er. Und gewonnen hat er schon oft. 

Vladimir Slivyak, ein Mann mittleren Alters mit Zopf und Dreitagebart steht gestikulierend neben einem Rednerpult.
Er ist noch ganz am Anfang seiner Story – und doch schon mittendrin in der russischen Atom- und Geopolitik. Foto: Bernd Schumacher

Unerschrocken angesichts der Übermacht 

Der russische Staatskonzern «Rosatom» ist der vielleicht größte Atomkonzern der Welt, ein schier unüberschaubares Konglomerat von hunderten Firmen und Staatsinstitutionen, die den gesamten zivilen und militärischen Atombereich in Russland abdecken. Rosatom betreibt Uranminen, baut, betreibt und wartet AKWs, Atom-U-Boote, Wiederaufarbeitungs-, Konversions- und Urananreicherungsanlagen, liefert Brennelemente ebenso wie Nuklearwaffen, handelt mit Atommüll und Plutonium: ein milliardenschweres Machtinstrument, gegründet von Wladimir Putin und bis heute direkt dem Kreml unterstellt. Ein Gigant also – aber nicht unbesiegbar. An den Händen zählt Slivyak die AKW-Neubauprojekte Rosatoms ab, die er schon mit zum Kippen gebracht hat, Investitionssumme «insgesamt rund 100 Milliarden Euro». Und das mit ein paar Dutzend Mitstreiterinnen und Mitstreitern. 

Der Pregel fließt mitten durch Kaliningrad, wo Slivyak 1973 geboren wurde und aufgewachsen ist. Anfang der 1990er-Jahre geht er dort am Fluss spazieren. Algenteppiche bedecken das Wasser, der Gestank toter Fische sticht in die Nase. Denn zwei Papierfabriken entsorgen ihre giftigen Abwässer in den Fluss. Jeder weiß davon, keiner tut etwas. Slivyak und ein Schulfreund wollen das ändern: «Wir organisierten 1991 die bis dahin größte Umweltschutzdemonstration in Kaliningrad», erzählt der Ökologe. «10.000 Leute kamen. Und plötzlich passierte was.» Das war die erste größere Aktion der zwei Jahre zuvor gegründeten Organisation «Ecodefense». «Unser Name sollte nicht aggressiv wirken», sagt Vladimir Slivyak. Aggressiv waren in ihren Augen schließlich die anderen: die Regierung, die Verwaltung, das System. 

Eine neue Gegenöffentlichkeit formiert sich 

In der Zeit nach Glasnost und Perestroika trifft Ecodefense – als erste Umweltschutzorganisation im Oblast Kaliningrad – einen Nerv. Viele berichten ihnen von weiteren ökologischen Problemen, hoffen auf Hilfe. Eine Mitarbeiterin der Behörde, in der Slivyak zur Umweltverschmutzung recherchiert, versorgt ihn mit Informationen. Als ihr das untersagt wird, kündigt sie – und steigt selbst bei Ecodefense ein: Alexandra Koroleva ist bis heute Co-Vorsitzende der Organisation, zusammen mit Vladimir Slivyak. 

Die Öko-Aktivisten besetzen Baumaschinen, um Bäume zu retten. Sie starten Umweltbildungsprogramme für Kinder, kämpfen gegen den Abschuss von Wölfen, fordern die Stilllegung des AKWs «Ignalina» im benachbarten Litauen. Slivyaks erster Newsletter macht die Stationierung von Atomwaffen in Kaliningrad öffentlich – der Skandal lässt nicht lange auf sich warten. Angst vor Geheimdienst und Polizei haben sie nicht, nur Slivyaks Mutter macht sich Sorgen, erzählt er. Sie will, dass er einen Job im Staatsdienst annimmt. Slivyak hat allerdings anderes vor. Schon mit 16 war er von zuhause ausgezogen. 

Den Atommüll-Sumpf austrocknen

Die Ecodefense-Zweigstelle in Moskau, die Slivyak ab 1996 mit aufbaut, macht den Kampf gegen die Atomindustrie zum Hauptthema: gegen neue Atomkraftwerke, Atommüllimporte, die Gefahr von Atomunfällen. In Russland ist all das bis dato kaum Thema. Slivyak und sein Team  decken auf, dass andere Länder ihren Atommüll nach Russland verschieben, etwa Bulgarien. Züge mit der strahlenden Fracht rollen von dort bis Sibirien. «Wir haben in nahezu jeder Stadt an der Bahnstrecke Demonstrationen organisiert und die Bevölkerung informiert», erinnert sich Slivyak an die Zusammenarbeit mit den bulgarischen Umweltschützern.

Längst ist Ecodefense international vernetzt. In einem Appell an die Regierungen von Russland, Moldau, Bulgarien und Rumänien fordern sie den Stopp der Atommülltransporte; 200 Umweltgruppen aus der ganzen Welt haben mit unterzeichnet. Mit Erfolg: Die bulgarische Atombehörde sagt den geplanten Mülltransport nach Sibirien schließlich ab. 

Das Schwarzweißfoto zeigt einen mit hellen Metallcontainern beladenen Zug  in einer winterlichen Landschaft.
Spezialwaggons mit Atommüll aus dem bulgarischen AKW Kosloduj haben ihr Ziel erreicht: die «kerntechnische Anlage Majak» in Russland. Foto: Valery Bushukhin / TASS/picture alliance/dpa

Vom Tisch ist das Thema damit allerdings nicht, im Gegenteil: Es gibt Pläne, Atommüll nicht nur aus Osteuropa, sondern auch aus Asien zu importieren, wie Ecodefense aufdeckt. Der Versuch, dies mit einem Referendum zu Fall zu bringen, scheitert an der Zentralen Wahlkommission, trotz einer Million Unterschriften. Slivyak entmutigt das nicht. Er ist keiner, der bei Gegenwind zurückzieht. Eher stoisch, im positiven Sinne. «Du gewinnst nicht immer, du machst trotzdem weiter. Denn auch wenn du verlierst, weißt du, dass du das Richtige machst», sagt er. 

Die russische Bevölkerung, das weiß Slivyak, lehnt Atommüllimporte kategorisch ab. Damit lässt sich um die Jahrtausendwende auch in Russland politischer Druck erzeugen. Ein Gesetz, das den Import wieder erlaubt, können Slivyak und seine Mitstreiter zwar knapp nicht verhindern, aber die darin festgelegten administrativen Hürden können sie durch den Protest deutlich in die Höhe setzen. Und sie legen weiter den Finger in die Wunde. Mit Aktionen wie etwa der am Tschernobyl-Jahrestag 2001 in Moskau, die ein wackeliges Video festhält: Dutzende Aktivisten in weißen «Strahlenschutzanzügen» lassen sich vor dem Regierungssitz auf alle viere fallen, krabbeln und kriechen übers Pflaster, zwischen den Füßen von Wachleuten und unter Absperrketten hindurch, alles wie in Zeitlupe. Die Polizisten sind sichtlich irritiert. «Atommüll schleicht sich in den Kreml», ist die Aktion überschrieben.

Ich weiß, wie man Kampagnen so führt, dass man sie auch gewinnt.

Vladimir Slivyak, Gründer und Co-Vorsitzender von «Ecodefense»

Jahrelang entsorgen auch die Urananreicherungs­anlagen im nordrhein-westfälischen Gronau und im niederländischen Almelo tausende Tonnen Uranmüll nach Russland. Slivyak holt auch hier lokale Initiativen mit ins Boot. Das Zusammenspiel von Protesten in Deutschland und Russland, von Strafanzeigen gegen «Urenco», von Fernsehbildern aus Majak und Tomsk, wo die Container mit dem hochgiftigen und radioaktiven Uranhexafluorid aus Deutschland unter freiem Himmel vor sich hin rosten, sowie von Blockaden der Uranfabriken und -transporte zeigt Wirkung: 2009 stoppt Urenco den Export der Abfälle nach Russland. «Ich weiß, wie man Kampagnen so führt, dass man sie auch gewinnt – oder zumindest gute Chancen dafür hat», sagt Slivyak.

Aktivisten in weißen Schutzanzügen unterqueren kriechend eine Absperrung am Kreml, Soldaten beäugen sie dabei.
Kremlnähe mal anders: Mit der Aktion «Atommüll schleicht sich in den Kreml» setzt Ecodefense 2001 ein öffentlich­keitswirksames Zeichen gegen ­Atommüllimporte. Foto: Alexandra Koroleva / Ecodefense
Slivyak, deutlich jünger: Bei einer Demonstration vor einem Sicherheitszaun hält er mit Mitstreitern ein großes Banner mit kyrillischer Schrift.
Ecodefense-Protest 2006 vor der Urananreicherungsanlage der Firma «Urenco» in Gronau gegen die Uranmüllexporte nach Russland. Foto: Ecodefense
Slivyak mit weiteren Aktivisten auf der Straße: Er trägt Mütze und Atemschutz mit aufgemaltem Atomwarnzeichen, vor der Brust hält er ein Plakat.
Gegen weitere staatliche Finanzspritzen für die Atomindustrie: Vladimir Slivyak und sein Team protestieren 2011 in Moskau, nahe des Finanzministeriums. Foto: Eco­defense
Slivyak steht alleine und mit ernstem Blick vor einem Gebäude, dabei hält er ein Plakat auf dem «Coal kills» steht.
Protest auch gegen die Kohleindustrie: Slivyak im März 2020 in Nowokusnezk, eine Großstadt im Steinkohlerevier des Kusbass. Foto: Christian Thiele / picture alliance/dpa

Ecodefense – ein Dorn im Auge der Staatsmacht

Doch die Bedingungen für Proteste in Russland werden schwieriger. Die Aktionen von Ecodefense sind den Behörden zunehmend ein Dorn im Auge. Ende der 1990er ist der Inlandsgeheimdienst FSB hinter Slivyak her. Für zwei Monate findet er bei der Umweltschutzorganisation «urgewald» Unterschlupf. Die kämpft zu der Zeit gegen den geplanten Bau eines Mega-Staudamms in Indien, den die Bundesregierung mit Exportbürgschaften absichern will – weil angeblich hunderte Arbeitsplätze bei Siemens davon abhängen würden. Slivyak findet heraus, dass die fraglichen Turbinen und Generatoren gar nicht in Deutschland, sondern in Russland produziert werden sollten. Damit ist die Hermes-Bürgschaft vom Tisch. 

Gemeinsam mit urgewald vereitelt Ecodefense als Nächstes den Bau eines AKWs in Kaliningrad: Sie weisen Banken mit Interesse an dem Investment auf die Risiken und den drohenden Reputationsschaden hin; alle machen daraufhin einen Rückzieher. Der Rohbau des ersten Reaktors ist bereits fertig, als Rosatom das Projekt drei Wochen später beendet. 

Die Einstufung von Ecodefense als «ausländischer Agent» 2014 kann man als Antwort der russischen Regierung auf diesen Erfolg sehen. Die Behörden überziehen die Umweltschützer mit Strafverfahren und Bußgeldern. Konten werden eingefroren, Zweigstellen von Ecodefense müssen schließen. Slivyaks Vorstandskollegin Koroleva, für Finanzen zuständig, droht am Ende gar eine Gefängnisstrafe. Sie flieht nach Deutschland, wo sie 2019 Asyl erhält. 

Slyviak, leger gekleidet, sitzt gemeinsam mit einer älteren Frau in grüner Hose und bunter Bluse auf einer vermoosten Treppe.
Alexandra Koroleva und Vladimir Slivyak, die Vorsitzenden von «Ecodefense», mussten ins Exil – die russische Regierung hatte die beiden und ihre Umweltorganisation zu «ausländischen Agenten» erklärt. Foto: Denis Schimmelpfennig

Ein Atomunfall in Russland ist viel wahrscheinlicher als in Japan.

Vladimir Slivyak, Gründer und Co-Vorsitzender von «Ecodefense»

Slivyak, so wird kolportiert, scherzt zunächst noch: «Vielleicht sollte ich ihnen mal zeigen, was man als ‹ausländischer Agent› ausrichten kann.» Nach dem Super-GAU von Fukushima hat er ein Buch über Atomkraft in Russland geschrieben und die dortige Situation mit der in Japan verglichen. «Ein Atomunfall in Russland ist viel wahrscheinlicher als in Japan», lautet sein Fazit. An einer Moskauer Universität unterrichtet er drei Jahre lang Energiepolitik. Als er sich kritisch zu einem russisch-süd­afrikanischen Atomgeschäft äußert, von dem er Wind bekommen hat, verliert er den Job. 

Der Vertrag zwischen den beiden Staaten sieht den Bau und die Finanzierung von acht bis zehn AKWs in Südafrika durch Rosatom vor. Es ist der größte Deal, den Russlands Atomindustrie jemals abgeschlossen hat, und er ist nicht ohne Hintergedanken: «Russische Atomtechnologie sollte den afrikanischen Kontinent von Süden aus erobern», sagt Slivyak. «Atomkolonialismus» nennt er das – «und den wollten wir verhindern».

Ein Coup mit kontinentweiter Wirkung 

Der Vertragstext gilt in Südafrika als Staatsgeheimnis. «Aber wir hatten Glück!», erinnert sich Slivyak. Ein Informant spielt ihnen den genauen Wortlaut zu. Um die südafrikanischen Partnerorganisationen nicht dem Vorwurf des Geheimnisverrats auszusetzen, publiziert Ecodefense den Text zunächst auf Russisch auf einer unbekannten Webseite, lässt ihn ins Englische übersetzen und spielt ihn dann zwei südafrikanischen Umweltaktivistinnen zu, die damit an die Öffentlichkeit gehen. Die Bombe platzt.

In dem Vertrag von 2014 sind nicht nur Reaktortyp und Investitionssumme aufgeführt, sondern auch, bis wann konkret die Standorte für die AKWs benannt sein müssen, dass Südafrika die gesamte Haftung für atomare Unfälle trägt und dass dem Land untersagt ist, Informationen ohne Zustimmung Russlands an Dritte weiterzugeben. Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma gerät immer stärker unter Druck. Slivyak reist durch Südafrika, hält Vorträge über Atomenergie und Erneuerbare. «Anfangs dachten die Leute, dass es ‹nur› um einen gigantischen Korruptionsfall gehe», erzählt er. Bald aber dreht sich die öffentliche Meinung: «Am Ende waren die Zeitungen voll mit sehr überzeugenden, technisch fundierten Argumenten gegen neue Atomkraftwerke.» Am 26. April 2017, dem Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl, entscheidet der Oberste Gerichtshof, dass das 76-Milliarden-Dollar-Atomkraftprojekt verfassungswidrig ist – ein bahnbrechender juristischer Sieg. Bis heute ist, abgesehen von den zwei Uralt-Meilern des AKWs Koeberg nahe Kapstadt, der ganze afrikanische Kontinent AKW-frei – und kein einziges AKW ist dort in Bau.

Keine NGO in Russland unternimmt was gegen Kohle. Wir schon!

Vladimir Slivyak, Gründer und Co-Vorsitzender von «Ecodefense»

Vor einigen Jahren begann Ecodefense damit, auch die Kohleindustrie in Russland ins Visier zu nehmen: Es hat die unhaltbaren Zustände im Kusbass, dem größten Steinkohlerevier Russlands im Südwesten Sibiriens, öffentlich gemacht, die Gesundheits- und Umweltschäden, hat die Klimakillerfrage aufs Tapet gebracht – auch das Pionierleistungen. «Keine NGO in Russland unternimmt was gegen Kohle. Wir schon!», sagt Slivyak. Er hat sich auf die Stufen vor der Schönauer Mehrzweckhalle gehockt, zieht an seiner E-Zigarette. Auch im Kusbass lautet die Strategie: Aufdecken, aufklären, Öffentlichkeit schaffen. Inzwischen laufen Prozesse, Opfer der Kohleindustrie wehren sich, Anwälte melden sich, bieten Gratishilfe für die gute Sache an. Kohle wird trotzdem noch in Unmengen gefördert. 

Sebatsian Sladek, ein Mann mittleren Alters mit halblangen Haaren und Dreitagebart überreicht Slyviak eine blitzförmige Trophäe.
Der Schönauer Stromrebell des Jahres 2022 … Foto: Bernd Schumacher
Sliviak erhält eine Skulptur als Trophäe. Überreicht wird sie von Luisa Neubauer, einer jungen Frau mit langem hellbraunem Haar, die ihn wohlwollend anschaut.
… und Träger des Alternativen Nobelpreises 2021 … Foto: Right Livelihood
Sliviak grinst verschmitzt in die Kamera, im Hintergrund ist unscharf ein von Bäumen gesäumter Weg zu erkennen.
… hat schon die nächsten Aktionen im Blick. Foto: Marc Eckardt

Dem Druck ausweichen – und neue Wege gehen

Slivyak hat vergangenes Jahr den «Alternativen Nobelpreis», den «Right Livelihood Award», verliehen bekommen, für sein jahrzehntelanges Engagement. Am Abend wird er in Schönau zum «Stromrebell 2022» ausgerufen werden. Seit 2021 lebt er wie seine Vorstandskollegin in Deutschland, der Druck in Russland wurde zu groß. Eine Stiftung finanziert ihm ein Auskommen, damit er weitermachen kann. Es ist nicht optimal für einen russischen Umweltaktivisten, nicht mehr in Russland arbeiten zu können. Koroleva und er spielen mit dem Gedanken, einen neuen Standort für Ecodefense in Georgien aufzubauen, das wäre immerhin näher dran. 

Bis es so weit ist, geht Slivyak den Erzgegner Rosatom, das nukleare Machtinstrument Putins, von Deutschland aus an. Mitte September steht er vor der «Framatome»-Brennelementefabrik in Lingen. Zusammen mit Anti-Atom-Initiativen aus dem Emsland und Münsterland hat er aufgedeckt, dass die eine Lieferung angereicherten Urans aus Russland erwartet – ungeachtet des Kriegs gegen die Ukraine. Das Thema ist heiß, zahlreiche Medien berichten darüber. Denn das strahlende Material des russischen Staatskonzerns soll in Lingen zu Brennstoff für westeuropäische AKWs verarbeitet werden – die angeblich von Russland unabhängig machen sollen. «Keine Geschäfte mit Rosatom», «Kein Geld für Putins Krieg», steht auf den gelben Pappen der Demonstrierenden. Slivyak fordert, dass Rosatom, der atomare Arm des Kremls, endlich sanktioniert werden müsse. 

Zu spüren bekommen könnte den Anti-Atom- und Anti-Kriegs-Protest bald auch ein deutsches Traditionsunternehmen: Siemens liefert bis heute Steuerelektronik für AKW-Neubauprojekte von Rosatom, etwa im ungarischen Paks an der Donau. Diese Zusammenarbeit, findet Slivyak, müsse beendet werden – und zwar umgehend. Es könnte sein nächstes Thema werden.

 

05. Oktober 2022 | Energiewende-Magazin