Tina Ternus – Verbündet mit der Sonne
Ein Porträt von Anja Bochtler
Sie will nicht einfach nur gegen Atomkraft und Umweltzerstörung sein. Sondern für bessere Alternativen. Das prägt das Leben von Tina Ternus.
Als Jugendliche sah sie täglich die Dampfwolken vom benachbarten Atomkraftwerk: 1981 ging Grafenrheinfeld ans Netz, da war Tina Ternus 15 Jahre alt. Sie wuchs in Hambach nahe Schweinfurt auf. Ein Jahrzehnt später gehörte sie zu den Ersten, die in die Photovoltaikszene einstiegen. Die Solarenergie hat sie immer fasziniert: «Das ist wie Magie! Erst scheint Sonne drauf, dann kommt Strom raus.» Inzwischen bietet sie mit ihrem Mann Matthias Diehl im Photovoltaikbüro Ternus & Diehl in Rüsselsheim Infos, Beratung und Betreuung rund um Photovoltaikanlagen an. Auch sonst engagiert sich Tina Ternus unermüdlich für ihr Lebensthema, schreibt Artikel und hält Vorträge. Die von ihr mitgegründeten «Energieblogger», die einen wichtigen Beitrag zur Meinungsvielfalt in der öffentlichen Debatte über die Energiewende leisten, erhielten 2014 den Deutschen Solarpreis der EUROSOLAR. 2016 wurde sie für ihre große Ausdauer von den Schönauern als «Stromrebellin» ausgezeichnet.
Verborgene Strategien entlarven
Tina Ternus entlarvt die Strategien von Unternehmensverbänden. Sie hat eine Kampagne der «Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft» aufgedeckt und gezeigt, dass den Erneuerbaren Energien ein System übergestülpt wurde, das grundsätzlich nicht für die Refinanzierung Erneuerbarer Energien geeignet ist: «Es orientiert sich an Brennstoffen und CO2-Werten, und bei Erneuerbaren Energien sind beide bei null.» Das führe dazu, dass sie an der Börse verschleudert werden. «Durch diese Deckungslücke steigt die EEG-Umlage an», betont sie. Die Ursache liege also nicht an einer angeblichen Übersubventionierung der Anlagenbetreiber, wie in den gängigen Medien behauptet worden sei. Schuld seien die durch dieses System stetig sinkenden Börsenpreise, die ausgeglichen werden müssten. Am meisten Sorgen machen ihr die herrschende Intransparenz und das große, allein durch Geld bestimmte Machtgefälle.
Von Grafenrheinfeld nach Wackersdorf
Bei Tina Ternus fing alles früh an: Sie hat nie vergessen, wie ihr Grundschullehrer im Unterricht erzählte, dass er wegen des in Grafenrheinfeld geplanten AKW umziehen würde. Damals hörte Tina Ternus das Wort Atomkraftwerk zum ersten Mal: mit acht Jahren. Grafenrheinfeld war in der gesamten Region ein großes Thema. Ständig demonstrierten Menschen mit Treckern, viele engagierten sich in der Bürgerinitiative gegen das AKW. Auch ihre sieben Jahre ältere Schwester war dabei. Tina Ternus selbst galt damals noch als «die Kleine», sie konnte nirgends mitmachen. Doch später begann sie, sich ganz für sich allein zu informieren: «Ich saß stundenlang in der Stadtbücherei und las Fachliteratur, von AKW-Befürwortern und deren Gegnern.» So kam es, dass sie als 15-Jährige ihren Deutschlehrer mit einer kenntnisreichen Erörterung zum Thema überraschte. Der Aufsatz wurde vorgelesen, sie bekam eine Eins. «Das war mein erster energiepolitischer Fachartikel», sagt sie heute dazu und lacht.
Sie ging auf den technischen Zweig einer Fachoberschule, aber beruflich war in dieser Zeit für sie noch alles offen. Sie interessierte sich unter anderem für Musik, und manchmal träumte sie davon, Politikjournalistin zu werden. Sie hatte aber auch schon ihr Faible für die Solarenergie entdeckt. Schließlich studierte sie Physikalische Technik an der Fachhochschule Wiesbaden. Es war die Hochphase der Kämpfe in Wackersdorf, und Tina Ternus war an vielen Wochenenden dabei. Die Stimmung wurde immer rauer. Die Katastrophe von Tschernobyl sorgte für große Ohnmachtgefühle und Wut.
Viel Ohnmacht, viel Gewalt
Tina Ternus weiß noch genau, wie hilflos sie sich fühlte: Gemüse und Milch waren belastet, Spielplätze galten als gefährlich. Es war schönstes Frühlingswetter, doch überall lauerten die unsichtbaren Strahlen. An ihrer technischen Fachhochschule wussten alle, worum es ging: Mit Geigerzählern kontrollierten sie ihre Umgebung. Die ganze Anspannung entlud sich in Wackersdorf. Tina Ternus, die Gewalt schon immer kategorisch ablehnte, fühlte sich dort zunehmend schlechter: «Es war schrecklich. Wie ein Bürgerkrieg.» Dann bekam sie eines Tages einen harten Wasserwerferstrahl mit Tränengas ins Gesicht. Das war der Moment, in dem sie spürte, dass dieser Ort, an dem sich die Gewalt hochschaukelte, nicht der richtige für sie war: «Ich wollte für etwas kämpfen, nicht immer nur dagegen.»
Bei den Erneuerbaren Energien bin ich zu Hause!
Genau in dieser Zeit hatten sich neue Wege aufgetan: Eine Bekannte in Wackersdorf hatte ihr ein Buch über Erneuerbare Energien gegeben. Im Studium gab es vereinzelt Angebote dazu, sie konzentrierte sich darauf. Sie lernte ihren späteren Mann Matthias Diehl kennen, der Elektrotechnik studierte und genau wie sie von der Solarenergie fasziniert war. 1992 machten sie sich zusammen selbstständig. Sie fingen klein an. Die Büroräume waren in den einstigen Zimmern von Matthias Diehls Großmutter, der kommunale Umweltberater beschaffte ihnen die ersten Kontakte.
Fasziniert von Schönau
Später schloss Tina Ternus noch ein Aufbaustudium Energiewirtschaft in Darmstadt an: Dort wurde Nachwuchs für den Wechsel von den konventionellen zu den Erneuerbaren Energien ausgebildet. Die Herangehensweise war interdisziplinär, in dem naturwissenschaftlich-ökonomischen Studiengang spielten auch juristische oder soziologische Hintergründe eine Rolle. Aus diesem breiten Wissen schöpft sie bis heute. Bei einer der Exkursionen kam sie zum ersten Mal nach Schönau. Das hinterließ tiefe Spuren. Ende der 1990er-Jahre besuchte sie zum ersten Mal eines der Stromseminare und war fasziniert: «So viel gebündeltes Wissen, so viele Experten!»
Für eine bessere Zukunft
Sie kam immer wieder. Ihren Mann heiratete sie 1998 während eines Urlaubs in Schönau. Fürs Hochzeitsfoto zogen sie die «Störfall»-T-Shirts über ihre festliche Kleidung. Von den Sladeks gab’s zur Hochzeit einen kleinen Anteil ihres Stromnetzes als Geschenk.
Seit 1998 Tina Ternus’ Tochter Sarah geboren wurde, weiß sie noch konkreter, wofür sie kämpft: «Gelingt es uns, dem Klimawandel ein bisschen Einhalt zu gebieten? Für die Jugendlichen ist das noch viel wichtiger als für uns.» Sie freut sich, dass viele junge Menschen bei Initiativen wie Campact oder LobbyControl mitmischen, die sie unterstützt. Und sie kämpft entschlossen weiter, gegen die «Lobbykratie» und die Verhüllungstaktiken, die ihrem Eindruck nach die Demokratie gefährden.