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Thomas Jorberg – Nicht so der Krachmacher

Ein Porträt von Tom Jost

In der deutschen Bankenlandschaft ist Thomas Jorberg ein Exot – und deshalb für viele Projekte und Ideen ein Glücksfall

An die Tage, in denen sich die Energiewelt schlagartig veränderte, kann er sich gut erinnern. Wie man zu Besuch bei den Eltern in Süddeutschland gewesen sei. Wie man spazieren ging nach dem Regen. Wie man nicht gewusst habe, ob man etwas vom Boden aufheben durfte. Wie man nicht gewusst habe, was man noch essen konnte. Da war diese Witterung einer unsichtbaren Gefahr, die große Schäden anrichtet. Das Gefühl der Ohnmacht. Dass die Frau an seiner Seite ein Kind erwartete, machte die Sache weiß Gott nicht besser. Kurz zuvor war das russische AKW in Tschernobyl in die Luft geflogen, und Thomas Jorberg ahnte: «Protestieren reicht nicht mehr.»

Bürgerengagement mit Geld verbinden

Es hat nicht diesen einen Tag im Leben des Thomas Jorberg gegeben, der alles veränderte. Man wusste vorher schon vom großen Risiko. Jetzt aber war die Gefahr konkret fassbar. Und: «Das führt letztendlich auch zum Handeln.» In Schönau lud die Elterninitiative Kinder aus der verstrahlten ukrainischen Region ein. In der Bochumer GLS-Bank, wo der Ökonom nach bestandenem Examen fest eingestiegen war, legten sie den allerersten Windkraft-Fonds auf und finanzierten Alternativen zur Energieerzeugung.

Als man sich im Schwarzwald entschloss, das Gemeinde-Stromnetz zu übernehmen, lag es nahe, dass sich die Wege kreuzen würden. «Das Engagement von Bürgern mit Geld zu verbinden», sagt Jorberg, «das war ja unser Metier.» So wurde er fast zwangsläufig zu einem der Motoren des «Störfalls». Auf Augenhöhe allerdings, nicht als jemand, der kompetenzgeladen die Leute an die Hand nimmt. Darauf legt er Wert.

Portrait von Thomas Jorberg
Thomas Jorberg Foto: Marc Eckardt

Rebellion braucht keine Feindbilder

Wir, unser - Thomas Jorberg spricht selten in der Ichform. Der «unauffällige Mann, den viele auf der Straße nicht wiedererkennen würden», wie unlängst eine Sonntagszeitung schrieb, macht wenig Gewese um seine Person. Äußerlichkeiten spielen eine untergeordnete Rolle, sein Büro ist nicht im lichten Penthouse angesiedelt, der Dienstwagen entweder ein Kombi oder kleines Elektroauto. Wenn er nicht sowieso die Bahn nimmt. Der Mann, «der die Bankenlandschaft mehr geprägt hat als so mancher Vorstand einer Großbank», lebt die Werte jener GLS, die ihn 1977 zu faszinieren begann. Über die Jahre hat man sich stets gegenseitig befruchtet: Jorberg führte sie aus einer Nische zur sozialethisch-ökologischen Vollbank mit bundesweitem Ansehen. Umgekehrt sind beiden Mainstream und traditioneller Kapitalismus immer noch ziemlich schnuppe.

Kann ein Banker ein Rebell sein? Immerhin hat man ihn in Schönau 2002 zum «Stromrebellen» gekürt. Und im Wortstamm steckt «bellum», Lateinisch für «Krieg». Jorberg denkt ein Weilchen nach, räumt ein gewisses Unwohlsein ein. Das müsse ja nicht unbedingt der Krachmacher sein, sagt er dann. Und Krieg sei «nicht sein Ding». Im Gegenteil. Mit der Emanzipation der Bürger zu Stromproduzenten und Netzbetreibern in Schönau sei es gelungen, eine Sache ganz anders zu machen – aber menschlich und ohne Feindbilder: «Das ist mir sehr nah.» Und ihm, wenn er denn ein guter Banker sein wolle, gefalle die Rolle als Unterstützer der Rebellen dann doch besser. In der Bankenlandschaft, das sei gesagt, gibt es einige, die das nicht so zurückhaltend sehen.

Geld als gesellschaftliches Gestaltungsmittel

Wer Jorberg kennenlernt, merkt schnell: Da steht jemand, dem es imponiert, wenn Bürgerinnen und Bürger sich einmischen, Verantwortung übernehmen, die Dinge verändern. Aktive Laien mit der Anmaßung, so gut zu sein wie die Profis? «Ich würde noch eins draufsetzen und sagen: Die es besser machen als die anderen.» Spezialisten seien meist einseitig. Das eigentlich Professionelle sei doch, die Sachkompetenz zu organisieren, Gesamtzusammenhänge herzustellen. Und ein positives Zukunftsbild zu haben. Es reiche halt nicht, Falsches zu bemängeln. Abseits der Energiewirtschaft finden deshalb Initiativen und innovative Unternehmen die Unterstützung der Bochumer Bank. Bio-Landwirtschaft und Bildungseinrichtungen, Saatenschutz und Spekulationsverzicht, Wohnungsbau und Waldorf-Kita … da kommt so einiges zusammen.

Foto: Marc Eckardt

Ich bin davon überzeugt, dass die Frage des Stiftens und Schenkens zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit wird.

Thomas Jorberg auf dem Stromseminar 2015

Das Geld dafür – Jorberg betont es unermüdlich – ist gesellschaftliches Gestaltungsmittel. Es stammt von Kunden und Mitgliedern der Bank, denen diese Veränderungen wichtig sind. Die in der Vergangenheit teilweise auf Zinsen verzichteten und in der Zukunft noch stärker über Schenkungen und Stiftungen beteiligt sein werden. So, wie es vor 20 Jahren schon bei der Netzübernahme in Schönau geschah … und funktionierte.

Energiewende geht in die nächste Runde

Welche Aufgaben in den nächsten zehn Jahren auf «Stromrebellen» zukommen werden? Die Gestaltung der Energiezukunft steht bei Thomas Jorberg ganz oben auf der Agenda. Es werde Bürgergeld brauchen für den Ausbau von Windenergie, Wasserkraft und Photovoltaik – aber vor allen Dingen zum Einrichten und Betreiben intelligenter Stromnetze. Seine Visionen für die nächste «Rebellionsphase» bestehen aus Stadtteilkonzepten, Speichern, Steuerungstechnologien: «Denn da gehen die Großen nicht rein.» Dafür aber womöglich das Gros der Bürger-Energiegenossenschaften, die als Störfälle begannen und heute einen Pfeiler der Energiewende darstellen.

Dazu wird es auch Nachwuchs-Rebellen brauchen, die diese Entwicklung mit womöglich ganz anderen Formen umsetzen. Es bedeutet freilich keinen Freibrief für Aktivisten wie den GLS-Vorstand, alsbald geordnet zu erlahmen. Im Gegenteil. Jorberg erinnert sich noch zu gut an die letzte Tagung der «Global Alliance for Banking on Values» in Amsterdam, wo eine toughe Studentin das Auditorium mahnte: «Bis ich wirklich in entscheidender Position bin – das dauert. Also: Come on, guys. Ihr seid noch dran!»

Die GLS-Bank, die weltweite Banken-Allianz, die Aufgaben als Aufsichtsrat bei den Elektrizitätswerken Schönau und den Hannoverschen Kassen: Es steht nicht zu befürchten, dass der heute 58-Jährige in absehbarer Zeit als kritischer wie kreativer Geist aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden wird. Familie und Freunde, die mit Thomas Jorberg in der knapp bemessenen Freizeit gern CO2-frei unter Segeln oder auf Wanderstrecken unterwegs sind, werden sich gedulden müssen.

30. Juni 2016 | Energiewende-Magazin