Yauemon Satoh, Ai Otsuka, Taro Yamamoto – Japans neue Stromrebellen
Drei Porträts von Susanne Steffen
Ein Sakebrauer, eine Schreinerin und ein Schauspieler: Drei japanische Aktivisten führen seit Fukushima einen zähen Kampf gegen die Atomlobby.
Drei Vertreter der japanischen Anti-Atom-Bewegung wurden im Sommer 2014 als erste nicht nicht-europäische Aktivisten mit dem Schönauer Stromrebellenpreis ausgezeichnet. Fünf Jahre nach dem Fukushima-Unfall kämpfen die drei Preisträger gegen das Vergessen und die Rückkehr zum Atomstrom.
Yauemon Satoh: Mit Ökostrom zur regionalen Selbständigkeit
Yauemon Satoh strahlt, als er am 9. März 2016, zwei Tage vor dem fünften Jahrestag des Fukushima-Unfalls, auf die Bühne tritt. Fast 1.000 Gäste und die überregionalen Medien sind gekommen, um an der Gründung seiner Stiftung zur Förderung erneuerbarer Energien in Fukushima teilzunehmen. Sogar Ex-Premier Junichiro Koizumi, der wohl prominenteste Vertreter der japanischen Anti-Atombewegung war da – mit einer großzügigen Spende im Gepäck.
«Die Stiftung soll der Grundstein einer großen Bewegung werden, die zum Ausbau der erneuerbaren Energien beiträgt, indem Gewinne aus Ökostrom wieder in neue Projekte investiert werden», sagt der 65jährige hauptberufliche Sakebrauer aus Kitakata im äußersten Nordwesten Fukushimas. Gefördert werden sollen kleine Bürgerinitiativen, aber auch Projekte zur Aufklärung in Schulen und natürlich der Bau neuer Solar-, Wind- und Biomasseanlagen.
Impulse und Unterstützung aus Schönau
Auf die Idee kam der Besitzer einer mehr als 220 Jahre alten Traditionsbrauerei, als er mit Ursula Sladek, der Mitgründerin der EWS diskutierte, wie sein 2013 gegründetes Bürgerstromunternehmen Ai-Power die Erfolgsgeschichte seines großen Vorbilds wiederholen könnte. Auch in Japan gilt die EWS als Paradebeispiel dafür, wie sich Bürger gegen den Willen der Behörden durchgesetzt und radikal auf Ökostrom umgestellt haben.
Noch während seines Schönau-Aufenthalts im November 2014 beschlossen die beiden Ökostrompioniere eine gemeinsame Stiftung zu gründen, um Japans schleppende Energiewende voranzubringen. 30.000 Euro Startkapital gaben die Schönauer.
Satohs Ai-Power ist Fukushimas erstes Bürgerstromunternehmen. In Rekordzeit haben die Strom-Laien insgesamt 24 Solarprojekte auf den Weg gebracht. «Die Unterstützung der Bürger ist überwältigend», freut sich der Energie-Pionier. «Ständig bieten uns Leute ihr Land für neue Solarkraftwerke an. Auch an Investoren mangelt es nicht».
Fukushima war der Auslöser
Erst der Atomunfall hat den konservativen Lokalunternehmer zum Stromrebellen gemacht. «Ich hatte wichtige Geschäftspartner in dem Dorf Iitate, das zu den am schlimmsten vom radioaktiven Fallout betroffenen Gebieten gehört», erzählt Satoh. «Als ich gesehen habe, wie dieses Dorf durch die Evakuierung starb, habe ich angefangen, über die Atomkraft und die Stromwirtschaft nachzudenken», so Satoh weiter.
Ehrgeiziges Ziel des Quereinsteigers: Satoh will erst seine Heimatregion und später ganz Fukushima mit erneuerbaren Energien unabhängig von den Stromkonzernen machen, die die verarmte Region mit einem halben Dutzend Atomreaktoren zur «Stromkolonie» für die Metropole Tokio gemacht haben.
Allein die großen Wasserreservoirs, die insgesamt so viel Strom produzieren wie fünf Atomreaktoren, seien mehr als genug, um die Region autark zu machen, rechnet Satoh vor. Doch noch gehören die Nutzungsrechte für die wichtigsten Stauseen der de facto verstaatlichten Tepco. Satoh hofft, dass die Anti-Atom-Bewegung irgendwann genug Druck auf die Regierung ausüben kann, Ai-Power die Rechte zu verkaufen.
Viele Japaner sind für den Atomausstieg. Aber sie sind so leise, dass sich die Atom-Befürworter durchsetzen.
Doch vorerst hat Satoh an anderer Front zu kämpfen. Seine neuen Wind- und Biogasprojekte liegen auf Eis, da der Konzern, der über das Stromnetz in Fukushima verfügt, behauptet, keine Kapazitäten mehr frei zu haben für große Ökostromprojekte.
Satoh weiß, dass er noch einen langen Kampf vor sich hat. Aber entmutigen lässt sich der lebenslustige Vollblut-Unternehmer davon nicht. «Wenn wir Ökostromproduzenten uns zusammenschließen und unsere Kräfte bündeln, wird irgendwann die Entscheidung ganz von allein zugunsten der Erneubaren fallen», lacht Satoh. Leute zusammenzubringen und Kräfte zu bündeln gehöre übrigens zu seinen besonderen Begabungen, ergänzt er augenzwinkernd, aber mit dem breiten Grinsen eines Siegessicheren im Gesicht.
Ai Otsuka: Mütter gegen Atomkraft
«Ich wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist», erinnert sich Ai Otsuka an den Abend des 11. März vor fünf Jahren. Wenige Stunden nachdem ein Megabeben der Stärke 9,0 den Nordosten Japans erschüttert und ein anschließender Tsunami ganze Landstriche ausgelöscht hatte, hieß es in den Nachrichten, es gebe Probleme mit dem Kühlsystem im AKW Fukushima Daiichi. Otsuka lebte damals in Kawauchi, einem Dorf knapp 20 km von dem Kraftwerk entfernt. «Ein ehemaliger AKW-Arbeiter hatte mir schon vor zehn Jahren eingebläut, ich solle sofort verschwinden, falls ein großer Tsunami unsere Küste trifft», so die 42jährige weiter. «Er meinte, dann würde im AKW ganz sicher der Strom ausfallen und das wäre der Super -GAU», sagt sie auch heute noch mit zitternder Stimme.
Mitten in der Nacht, als die Behörden noch beruhigten, packten Otsuka und ihr Mann ihre zwei Kleinkinder ins Auto und fuhren los. Drei Tage und drei Nächte fuhren sie durch, bis sie endlich in Okayama ankamen, der Heimatstadt von Otsukas Eltern. Fünf Tage später entschied der Bürgermeister, das Dorf zu evakuieren. Eigentlich hatte Otsuka gehofft, nach ein paar Tagen wieder zurückzukommen, doch nun hatte die Familie plötzlich kein Zuhause mehr.
«Wenn ich diese Geschichte in Schulen und Gemeindehäusern erzähle, hören mir die Leute auch heute noch gebannt zu», sagt Otsuka. Obwohl das allgemeine Interesse an den Folgen des Fukushima-Unfalls in den letzten Jahren deutlich nachgelassen habe, fügt sie hinzu.
Vielleicht spüren sie durch meine Geschichte, dass es beim nächsten Mal auch sie treffen kann.
Seit ihrer Flucht nach Okayama tourt die gelernte Schreinerin mit ihrer Geschichte durchs Land. «Ich sehe es als meine Pflicht zu berichten, was ein Atomunfall den Menschen antut», so Otsuka. Am Ende jeder Veranstaltung erklärt sie ihrem Publikum deshalb auch, dass es in den Händen der Bürger liege, sich gegen die Nutzung der Atomkraft aufzulehnen.
Neben der Aufklärungsarbeit hilft die mittlerweile dreifache Mutter anderen Müttern aus Fukushima, die ganz oder zeitweise aus der verstrahlten Region fliehen wollen. Zehn Erholungsreisen ins strahlenarme Westjapapan hat Otsuka in den vergangenen fünf Jahren für Kinder aus Fukushima organsiert. Der Andrang sei auch heute noch groß, sagt sie.
Helfen, wo staatliche Hilfe ausbleibt
Zusammen mit einer Gruppe Helfern, die sich in dem Netzwerk «Eine Zukunft für unsere Kinder» zusammengeschlossen haben, schickt Otsuka unverstrahlte Lebensmittel an besorgte Mütter aus Fukushima, vermittelt leerstehende Häuser an potenzielle «Auswanderer» und organisiert Gesundheitschecks für besorgte Fukushima-Exilanten. «Eigentlich müsste der Staat sich um uns Atomopfer kümmern», sagt sie nachdenklich. «Aber es kommt keine echte Hilfe», ergänzt sie. Deshalb müssten sie sich eben selbst helfen.
Doch gegen die Angst vor Gesundheitsschäden helfen auch die unzähligen Bürgerinitiativen nichts, die sich nach dem Unfall binnen kürzester Zeit im ganzen Land gegründet haben. Die quälende Frage, ob der Atomunfall Schuld ist, hat sich Otsuka dutzende Male gestellt. Jedes Mal zum Beispiel, wenn bei einem von ihr organisierten Schilddrüsen-Check wieder jemand die Diagnose erhält, dass etwas nicht in Ordnung sei und beobachtet werden müsse.
Am schlimmsten war es, als das kleine Mädchen, das jedes Jahr ins Erholungscamp kam, plötzlich mit vier Jahren an einem Hirntumor gestorben ist. Die Kleine sei ein Baby gewesen, als die Reaktoren außer Kontrolle gerieten, sagt sie. Die Familie habe in Iwaki gelebt, ähnlich weit weg von dem Unglückskraftwerk wie ihre eigene Heimat. Niemals würde ein Arzt bestätigen, dass der radioaktive Fallout die Krankheit verursacht hat. Aber die Selbstvorwürfe einer Mutter, deren Kind den Fallout abbekommen hat, werden deshalb nicht weniger, erklärt sie.
Landesweite Sammelklage gegen AKW-Betreiber Tepco
Auch deshalb will Otsuka, dass die Verantwortlichen für den Atomunfall zur Rechenschaft gezogen werden. Zusammen mit 102 Gleichgesinnten aus Okayama hat sie mittlerweile den AKW-Betreiber Tepco verklagt. Ihre Klage ist Teil einer landesweiten Sammelklage, die an insgesamt 20 Distriktgerichten geführt wird. Otsukas Gruppe behauptet, die Tepco hätte den Unfall verhindern können, da sie von der Tsunamigefahr und den potenziellen Folgen für das Kraftwerk gewusst habe.
Wenn wir wollen, dass nie wieder ein Atomunfall passiert, müssen wir aufstehen und uns gegen die Atomkraft auflehnen.
Immer wieder verweist die Aktivistin auf ihren Bekannten aus Kawauchi, der schon in den 1990er-Jahren seine Vorgesetzten in der Tepco auf die mögliche Tsunami-Katastrophe aufmerksam gemacht hat. Zwar hätten seine direkten Chefs ihm recht gegeben, doch letztenendes seien nie Taten gefolgt, erzählt sie.
Auf das Urteil muss Otsuka noch warten. Frühestens in einem Jahr wird das Gericht in Okayama entscheiden.
Taro Yamamoto: Einsamer Kampf gegen die Atomlobby
«Japanische Politiker verhalten sich wie Geisteskranke», schimpft der Oberhausabgeordnete Taro Yamamoto, noch bevor das Interview losgeht. Nichts habe die Regierung aus dem Atomunfall gelernt, erklärt der 42jährige.
Obwohl noch immer unklar sei, ob das katastrophale Erdbeben oder der Tsunami den Fukushima-GAU ausgelöst habe, setzten die Top-Politiker des Landes längst wieder voll auf die Atomkraft – sowohl als Energiequelle als auch als Exportschlager. Weil es gut für die Wirtschaft sei. Um die Widersinnigkeit dieser Politik zu beweisen, fügt er noch schnell hinzu, dass das einzige derzeit am Netz befindliche AKW Sendai im Süden des Landes die Betriebsgenehmigung erhalten habe, lange bevor das erdbebensichere Kontrollzentrum der Anlage fertig gestellt sei. «Das einzige, was die Führungsriege aus Fukushima gelernt hat, ist, wie man einen Atomunfall kleinredet», resümiert der Politikneuling und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Jetzt kann das Interview beginnen.
Ich lasse mich nicht verbiegen.
Yamamoto redet gern Klartext. Er weiß, dass er damit aneckt in einem Land, in dem Harmonie als oberste Regel jeder Kommunikation gilt. Wenn er in TV-Interviews die Unternehmen beim Namen nennt, von denen er glaubt, dass sie direkt von der Wiederinbetriebnahme eines AKWs profitieren, nimmt er gern in Kauf, dass der Sender ihn dann monatelang in keine Talkshow mehr einladen wird. Obwohl TV-Auftritte das mit Abstand wichtigste PR-Instrument eines japanischen Politkers sind. «Aber ich lasse mich nicht verbiegen», erklärt der ehemalige Schauspieler.
Wegen seiner direkten Art sei er längst zum schrägen Vogel abgestempelt worden, fügt er hinzu und lacht. Internationale Aufmerksamkeit erregte er, als er kurz nach seiner Wahl ins Oberhaus gegen alle Etikette verstieß und während einer Gartenparty dem Kaiser persönlich einen Brief überreicht hat, in dem er seine Sorge über die Situation in den verstrahlten Gebieten Fukushimas beschrieb. Eine Antwort des Kaiserhauses erhielt er nie. Dafür aber jede Menge Drohbriefe. Ein erboster Kaiserfan schickte ihm gar ein Messer ins Abgeordnetenbüro.
Opposition statt Entertainment
Yamamotos Provokationen haben System. «Die Menschen interessieren sich nicht mehr für Politik», sagt er mit plötzlich sehr ernster Miene. «Ich hoffe, dass sich manche in solchen Momenten fragen, warum dieser Politiker so skurrile Aktionen macht und sich über mich und meine politischen Ziele informieren», erklärt er.
In kaum einem Industrieland ist die Politik- und Politikerverdrossenheit größer als in Japan. Seit Jahren dümpelt die Wahlbeteiligung selbst bei nationalen Wahlen bei knapp über 50 Prozent.
«Ich habe selbst lange Zeit Politiker für die größten Steuerdiebe gehalten», gibt Yamamoto offen zu. Dass er seit drei Jahren im Oberhaus sitzt, habe er einer Reihe von Zufällen zu verdanken. Als er sich nach dem Atomunfall in der aufkeimenden Anti-Atom-Bewegung engagierte und immer wieder auf Demonstrationen gesichtet wurde, bekam der zuvor beliebte Entertainer immer weniger Jobs als Schauspieler. «Mit 37 war ich quasi arbeitslos», erinnert sich Yamamoto an seinen persönlichen Tiefpunkt unmittelbar nach dem Atomunfall. Stattdessen bekam er Angebote, seine Meinung in Gemeindezentren etc. kundzutun. Immer öfter wurde er von Atomkraftgegnern gefragt, ob er nicht in die Politik gehen wolle.
Im Sommer 2013 gewann er als parteiloser Kandidat unter großem Jubel einen Oberhaussitz. Mittlerweile gehört Yamamoto zur Führungsriege einer kleinen Oppositionspartei, die als Auffangbecken für Atomkraftgegner aus verschiedenen Parteien des linken politischen Spektrums dient.
Große Übermacht der Regierungsparteien
Dass er seine in drei Jahren anstehende Wiederwahl noch einmal allein mit dem Thema Atomausstieg gewinnen kann, bezweifelt Yamamoto allerdings. «Zwar stimmt mir die Mehrheit der Japaner bei diesem Thema zu, doch das hat für die meisten Menschen nicht oberste Priorität», analysiert er.
Mit dem Thema Atomausstieg allein kann man trotz des Unfalls keine Wahl gewinnen.
«Politische Erfolge in Sachen Atomausstieg habe ich nicht vorzuweisen», gibt Yamamoto unumwunden zu. Zu groß sei die Übermacht der Regierungsparteien in beiden Parlamentskammern. Überzeugte Atomkraftgegner gebe es unter seinen Abgeordnetenkollegen kaum, so Yamamoto. Als über die Aufhebung großer Teile der Sperrzone rund um die Fukushima-Ruine diskutiert wurde, hätten trotz noch immer zum Teil stark erhöhter Strahlenwerte lediglich die vier Abgeordneten seiner eigenen Partei dagegen gestimmt, berichtetet Yamamoto kopfschüttelnd.
Liberalisierung begünstigt AKW-Betreiber
Dass Japans politische Elite trotz ihrer Beteuerungen, Japans Atomabhängigkeit reduzieren zu wollen, irgendwann aus eigenem Antrieb den Atomausstieg beschließen wird, glaubt Yamamoto nicht. Im Gegenteil. Momentan sei die Strommarktliberalisierung sogar absichtlich so konzipiert, dass kleine Ökostromproduzenten nicht aus den Startlöchern kommen und die Konzerne ihre Atomanlagen gewinnbringend hochfahren können. «Um Neueinsteigern eine echte Chance zu geben, müsste das Stromnetz liberalisiert werden. Aber das wird in absehbarer Zeit ganz bestimmt nicht freigegeben», fürchtet Yamamoto.
Letztenendes müsse die Bevölkerung den Atomausstieg durch politischen Druck selbst durchsetzen, glaubt Yamamoto. Seine Aufgabe sieht er deshalb vor allem darin, mit medienwirksamen, skurril anmutenden Aktionen vor allem bei jungen Japanern wieder mehr Interesse an Politik zu wecken. «Wenn genug Leute zur Wahl gehen, lässt sich viel bewegen», hofft er.