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Roda Verheyen – die Anwältin fürs Klima

Ein Porträt von Petra Völzing

Klug und unbeirrbar nutzt die Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen das deutsche Rechtssystem, um Klima- und Umweltschutz durchzusetzen.

Roda Verheyen als unnachgiebig zu bezeichnen, ist möglicherweise noch eine Untertreibung. Mit ihren Klagen und Rechtsgutachten für mehr Umwelt- und Klimaschutz bringt sie große Unternehmen und sogar ganze Regierungen in die Bredouille. Beim Gespräch erscheint sie allerdings ziemlich heiter und unbeschwert hinter ihrem wuscheligen Hund Nala auf der Handybildfläche. Danach schaltet sie den Bildschirm ab und macht sich auf den Weg. «Meine Tage sind ziemlich voll, daher nutze ich Telefongespräche gerne, um mir draußen etwas Bewegung zu verschaffen», erklärt sie lachend. Also erzählt sie bei einem zügigen Spaziergang durch den Alsterpark in Hamburg von ihrem bewegten Arbeitsleben.

2021 stand Roda Verheyen vor allem im Frühjahr in der Öffentlichkeit, als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einer Beschwerde weitgehend recht gab, die sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Ulrich Wollenteit parallel zu drei weiteren Beschwerden aus anderen Kanzleien in Vertretung mehrerer Jugendlicher und Umweltschutzverbände eingereicht hatte. Die Richterinnen und Richter erkannten an, dass die Freiheits- und Grundrechte junger Menschen wegen unzureichenden Klimaschutzes schon heute verletzt werden – und befanden, dass die gesetzlich zulässigen Jahresemissionsmengen für Klimagase bis 2030 nicht mit den Grundrechten vereinbar seien. Der Grund: Es fehle ein klarer Reduktionspfad für Klimagase ab 2031, und somit könnten die schwersten Reduktionslasten nach hinten verschoben werden.

Ein bahnbrechendes Urteil

Die Bundesregierung musste daraufhin ihr Klimaschutzgesetz so nachbessern, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden, ohne die größte Reduktionslast auf die Zeit nach 2030 zu verlagern. «Das Urteil ist ein Paukenschlag», findet Roda Verheyen. «Es ist sehr wichtig, denn die Argumente zum Schutz der nächsten Generation sind in jedem Land anwendbar, in dem die Menschenrechte gelten.» Auf ihre Person bezogen will sie das alles aber nicht zu hoch gehängt wissen. «Ich bleibe eine ganz normale Anwältin», betont sie, gibt aber zu: «Natürlich erkläre ich viel und stehe zeitweise in der Öffentlichkeit, wobei ich es als Luxus empfinde, dass ich für meine Mandantinnen und Mandanten die Anliegen vertreten darf, die mir selbst wichtig sind.»

 

Eine junge Frau in einer Anwaltstrobe steht in einem voll besetzten Saal und gestikuliert lachend.
Roda Verheyen bei der Verhandlung zur Klimaklage von drei Bauernfamilien vor dem Berliner Verwaltungsgericht im Oktober 2019. Foto: Fabrizio Bensch / picture alliance, Reuters

Das Kampagne-Machen hängt mir eventuell bis heute nach.

Roda Verheyen, Anwältin und «Schönauer Stromrebellin 2021»

Schon als Kind lag Verheyen der Umweltschutz am Herzen – aber nachdem sie 1993 in der Hamburger Universitätsbibliothek den ersten Bericht des Weltklimarats studiert hatte, machte sie den Umwelt- und Klimaschutz zu ihrem Lebensthema: «Mir wurde schlagartig bewusst, was für ein riesiges Experiment wir mit unserem Planeten treiben», sagt sie. Jura habe sie mit dem klaren Ziel studiert, sich für die Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen. Nach dem Studium arbeitete sie aber erst einmal als Campaignerin für Umweltschutzverbände. «Das Kampagne-Machen hängt mir eventuell bis heute nach», sagt sie mit einem hörbaren Augenzwinkern. Nach ihrer Promotion 2005 entschied sie sich schließlich, für ihre Ziele ganz bewusst die Mittel unseres Rechtssystems auszuschöpfen – und begann als Rechtsanwältin zu arbeiten. 

Auf vielen Ebenen engagiert

«Auch wenn wir in unserer Kanzlei einen Schwerpunkt auf Umwelt- und Energierecht legen, vertreten wir natürlich nicht nur spektakuläre Klimaklagen», sagt sie. Umweltrechtliche Fragestellungen verbergen sich hinter zahlreichen, oft recht trockenen Betätigungsfeldern: Mandate im Bau- und Planungsrecht, Gutachtertätigkeiten und strategische Beratungsaufträge – sie spielen im Arbeitsalltag von Roda Verheyen daher ebenfalls eine große Rolle. «Die Diversifizierung ist im Geschäft von Rechtsanwälten unverzichtbar», sagt sie. Nur wenn die Kanzlei genügend Geld verdient, kann Roda Verheyen Mandate wie das vor dem Bundesverfassungsgericht teilweise pro bono übernehmen. Dabei misst die Anwältin auch den weniger öffentlichkeitswirksamen umweltrechtlichen Fällen eine große Bedeutung bei. «Auch vorhabenbezogene Klagen muss man sehr ernst nehmen», sagt sie.

2006, zu Beginn ihrer Karriere, klagte sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen gegen Bebauungspläne und Genehmigungen von Kohlekraftwerken. Erst dieses Jahr wieder haben ihre Anwaltskollegen Philipp Heinz und Dirk Teßmer in einem ähnlichen Verfahren gegen «Datteln IV» einen großen Erfolg errungen: Das Oberverwaltungsgericht Münster stellte fest, dass der Bebauungsplan ungültig ist. Die Rechtmäßigkeit geplanter Infrastrukturmaßnahmen interessiert Verheyen ganz besonders: «Im Grunde muss man jede Straße aus Klimaschutzgründen erstmal infrage stellen.» So war sie 2020 im Auftrag von Greenpeace mit einem Gutachten auch am Widerstand gegen den Bau der umstrittenen Autobahntrasse durch den Dannenröder Forst in Hessen beteiligt. Darin kam die Anwältin zu dem Ergebnis, dass der hessische Verkehrsminister Tarek al-Wazir entgegen seinen Beteuerungen sehr wohl den Spielraum gehabt hätte, den Bau und damit die Rodung des Waldes zu stoppen, weil die Planungen laut Gutachten die «Wasserrahmenrichtlinie» der Europäischen Union missachteten. In einem anderen Gutachten kam Verheyen zu dem Schluss, dass Windkraftanlagen baurechtlich mit anderen Infrastrukturmaßnahmen, wie zum Beispiel Straßen, gleichzustellen seien. Das würde die Planungs- und Genehmigungsphase wesentlich verkürzen.

Dazu kommen Beratungsmandate für Kommunen zu Mobilitäts- und Klimaschutzfragen, die Unterstützung der Organisation von Bürgerbegehren und vieles mehr. Ein ziemliches Pensum. Aber auch die Familie hat ihren Raum. Roda Verheyens Mann ist Lehrer, die drei Kinder sind 17, 14 und 12 Jahre alt. «Ein Workaholic bin ich nicht. Wenn ich nach Hause komme, dann kann ich schon abschalten und die Familie steht ganz im Mittelpunkt. Aber natürlich ist bei uns auch das Private politisch», sagt sie schmunzelnd. «Meine Kinder engagieren sich bei ‹Fridays for Future›, aber jeder erzählt auch von seinem Tag, wie das in anderen Familien auch geschieht.» Also alles ganz normal. Die Anwältin lacht leicht außer Atem, inzwischen hat ihr Spaziergang Fahrt aufgenommen, denn im Büro wartet bereits der nächste Mandant.

 

Eine Frau mit aschblondem Haar und Brille sitzt zusammen mit einem Mann südamerikanischen Mann über Akten vertieft an einem Tisch.
Roda Verheyen im Gerichtssaal mit dem peruanischen Landwirt Saúl Luciano Lliuya Foto: Guido Kirchner / dpa

Ein peruanischer Landwirt gegen RWE

Ihre erste strategische Klage, also eine Klage mit weitreichenderen Zielen als dem Erfolg des Klägers, ist die Vertretung von Saúl Luciano Lliuya, die sie 2015 übernommen hat: Der peruanische Landwirt beschuldigt den Energiekonzern RWE, mit seiner operativen Tätigkeit dazu beizutragen, dass ein schmelzender Gletscher Lliuyas Dorf zu überschwemmen droht. RWE soll die Kosten für den Schutz des Dorfes anteilig seines Beitrags an der Klimaerwärmung übernehmen, dabei geht es letztlich um einen Betrag von rund 20.000 Euro – eine vergleichsweise geringe Summe, aber die Wirkung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens ist schon heute weitreichend. Die wegweisenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm in zweiter Instanz könnten darauf hinauslaufen, dass es rechtlich eine individuelle Verantwortung von Großemittenten für Klimawandelfolgen gibt. Grundlage für einen Teil der Beweisführungen sind dabei klimawissenschaftliche Erkenntnisse.

Dass Gerichte die Ergebnisse der Klimawissenschaft für die Beweisführung anerkennen, ist ein immens wichtiger Schritt.

Roda Verheyen, Anwältin und «Schönauer Stromrebellin 2021»

Die Anwältin übernimmt Fälle, die oft aussichtslos scheinen, und geht mit einem scharfen Rechtsverständnis immer wieder an die Grenzen des bestehenden Rechts. Indem sie mit ihrer Arbeit in die Öffentlichkeit geht, will sie letztlich die Umsetzung von wirksamen Klimaschutzmaßnahmen beschleunigen. In Verheyens Stimme schwingt Ungeduld mit: «Die Klebkraft des Rechts ist immens stark, am liebsten würde ich diese klebrigen Tentakel einfach durchtrennen», sagt sie und muss doch ein wenig lachen. «Wenn ich in andere Länder blicke, bin ich natürlich dankbar, dass wir in Deutschland einen verlässlichen und respektierten Rechtsstaat haben.» So ist es folgerichtig, dass Roda Verheyen im April 2021 zur ehrenamtlichen Richterin am Hamburger Verfassungsgericht gewählt wurde. «Ich sehe es als wichtige Verpflichtung, in diesem Amt über die Verfassung zu wachen und Sorge dafür zu tragen, dass der Rechtsstaat weiterhin stabil und zukunftsfähig ist.»

Kurz vor Erreichen der Kanzlei nimmt die Anwältin in ihren Antworten noch einmal an Fahrt auf. Es geht darum, was noch alles zu schaffen ist. Immer wieder fällt das Wort Verantwortung. Alle, die handeln, also auch Unternehmen und Regierungen, hätten die Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen, ist Roda Verheyens tiefe Überzeugung.

So beschäftigt sie sich mit dem im Juli 2021 veröffentlichten Lieferkettengesetz, das eigentlich «Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten» heißt. Im Rahmen der «Initiative Lieferkettengesetz» von Greenpeace, dem BUND und der Deutscher Umwelthilfe, die sich jahrelang für die Einführung dieses Gesetzes engagiert haben und jetzt für Nachbesserungen kämpfen, erstellte Roda Verheyen im Sommer 2020 ein Gutachten, in dem sie am Beispiel von giftigen Chemikalienrückständen aufzeigt, wie das Lieferkettengesetz die Auslagerung der Umweltverschmutzung durch die deutsche Wirtschaft in andere Länder beenden oder zumindest begrenzen sollte. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Sorgfaltspflicht als verfahrensrechtliches Instrument und dafür neu einzuführende Haftungsregeln entlang der gesamten Lieferkette, die es so allerdings nicht ins deutsche Gesetz geschafft haben. Ob es jetzt Menschenrechten und Umweltbelangen wirklich mehr Gewicht verleiht, werde man am 1. Januar 2023 sehen, so Verheyen – dann tritt das Gesetz in Kraft.

 

Eine Frau steht vor einem Bücherregal mit zahlreichen gleich aussehenden Büchern und schaut zuversichtlich aus dem Fenster.
Foto: Marc Eckardt

 

Aktuell liegt der Fokus der Anwältin auf der Automobilindustrie. Roda Verheyen will für Greenpeace den Volkswagen-Konzern mit einer Zivilklage dazu bringen, seinen Ausstoß von Klimagasen erheblich zu reduzieren. Eine Steilvorlage lieferte das bahnbrechende Urteil eines niederländischen Gerichts im Mai 2021, das den Shell-Konzern dazu verdonnerte, seinen Klimagasausstoß zu verringern. Wettbewerbsnachteile ließ das Gericht in seinem Urteil nicht gelten. Roda Verheyen sieht die Klage als einen weiteren logischen Schritt nach dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben in ihrer Urteilsbegründung das CO2-Budget als Grundlage allen Handelns für den Klimaschutz benannt. Nun hofft sie auf einen weiteren Präzedenzfall. «Es ist völlig klar, dass das selbstgesteckte Ziel von VW, bis 2035 nur in Europa aus der Produktion von Verbrennern auszusteigen, bei Weitem nicht ausreicht, um die notwendigen Klimaziele zu erreichen. Der VW-Konzern stößt pro Jahr mehr Kohlendioxid aus als Australien. Wir sind der Meinung, dass jedes Unternehmen sein CO2-Budget zu beachten hat, das sollte auch eine Frage der Compliance sein.» Letztlich zielt die Klage der Umweltverbände darauf, dass die Unternehmen auch ohne solche Klagen ihre Verantwortung für das Klima übernehmen und sich in diesem Sinne auch klimasorgfältig verhalten.

Umweltrecht endlich adäquat anwenden

Für ihre Ziele hastet die Anwältin täglich von einem Termin zum nächsten. «Was mich antreibt, ist die Sorge», sagt sie nachdrücklich, während sie die Treppe zu ihrem Büro hinaufeilt. «Wir sind für die Rettung des Klimas viel zu spät dran, und es gibt noch so viel zu tun. Dabei hätten wir schon deutlich früher anfangen können.» Es gehe ihr nicht darum, neues Recht zu setzen, denn das sei Sache der Politik. Es gebe die entscheidenden Rechtsgrundlagen doch längst: «Artikel 20a, der Umweltschutz zum Staatsziel erklärt, steht seit 1994 im Grundgesetz, und die Menschenrechte sind noch viel älter. Im Grunde ist erstmals mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Umweltrecht adäquat angewandt worden.» Mit diesem Statement verabschiedet sie sich, man hört noch die Tür ins Schloss fallen, bevor sie auflegt.

Bis Klimaschutz tatsächlich so konsequent umgesetzt wird, dass die lebensnotwendigen Klimaziele eingehalten werden können, müssen auf allen Ebenen der Gesellschaft noch dicke Bretter gebohrt werden. Roda Verheyen und ihre Kolleginnen und Kollegen pochen vor Gericht unermüdlich darauf, dass Regierungen und Unternehmen für ihr umwelt- und klimaschädliches Verhalten zur Verantwortung gezogen werden. Und die Rechtsprechung ist – zumindest europaweit – im Begriff, ein wichtiger Baustein zur gesellschaftlichen Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu werden.

 

16. November 2021 | Energiewende-Magazin